von Peter Kusenberg
Ein gedemütigter Zwerg, frustrierte Drehbuchautoren,vintrigante Unternehmensberater: Die US-Comedy-Serien der laufenden Saison kommentieren die Gegenwart auf ungewohnt derbe und erfreulich komische Weise.
Beverly und Sean Lincoln sind zufrieden. Das Autorenpaar produziert eine bei Kritik und Publikum beliebte TV-Serie für die BBC, heimst Fernsehpreise ein und ist sich in Liebe zugetan. Das Ende der Unschuld läutet der lautsprecherische Amerikaner Merc Lapidus ein, der das Programm eines großen TV-Networks verantwortet: Er lädt die Lincolns nach Hollywood ein, wo sie die US-Version ihrer erfolgreichen BBC-Serie produzieren sollen. Mietvilla, Dienstwagen, glamouröse Nachtclubs und die Aussicht auf eine weltweit vermarktete Erfolgsserie machen den Briten den L. A.-Aufenthalt schmackhaft. Weniger begeistert sind sie davon, daß ihr Serienkonzept auf den Kopf gestellt wird: Die Hauptrolle wird nicht mit dem bewährten britischen Theatermimen besetzt, sondern mit dem ewigen Sonnyboy Matt LeBlanc, der sich selbst spielt. Die Karriere des »Friends«-Darstellers ist seit dem gescheiterten »Friends«-Ableger »Joey« ins Stocken geraten, jetzt treibt der charmante Egomane seine Kollegen in der Sitcom »Episodes« an den Rand des Nervenzusammenbruchs. In einer Szene der zweiten Staffel sagt Sean zu Matt: »With you, I’m in a constant state of pissed«, nachdem ihm Matt erzählt hat, daß er gerade in den Genuß eines unerwarteten Handjobs gekommen ist: »Abgewichst zu werden, während man sich selbst im Fernsehen sieht: Dafür arbeiten Schauspieler ihr ganzes Leben lang.«
Die Komik von »Episodes« ergibt sich zum einen aus der Kollision zwischen britischen und amerikanischen Figuren, die der US-Sender Showtime in Kooperation mit der BBC auf herrlich groteske Weise inszeniert. Der Gegensatz zwischen dem selbstgefälligen Schürzenjäger LeBlanc und dem um Moral und Verstand bangenden Jerry-Seinfeld-Ebenbild Sean ist so erschütternd wie witzig. Gleichermaßen gelungen ist die selbstreflexive Satire auf den quotensüchtigen TV-Serien-Betrieb: Programmdirektor Merc sitzt mit dem Tablet-PC auf dem Klo und beschwert sich ungeniert bei seiner Mitarbeiterin, die gleichzeitig als Geliebte dient, über die miserablen Einschaltquoten.
Derart drastisch hat zuvor höchstens Larry Davids Mockumentary »Curb your Enthusiasm« den Medienbetrieb durch den Kakao gezogen – oder »Life’s too short«: In dieser Koproduktion zwischen dem »Curb«-Sender HBO und der BBC ringt der Schauspieler Warwick Davis um Frauen, Geld und Würde. All diese schönen Dinge sind knapp in seinem Leben, wenn nicht völlig abwesend. Bereits in der ersten Folge beendet Warwicks Frau die Ehe, das Finanzamt verlangt einen sechsstelligen Pfundbetrag als Steuernachzahlung und die Jobs, die Warwick annimmt, sind ausgesprochen demütigend. Die professionelle Misere hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß Warwick Davis nur knapp über einen Meter groß ist. Er ist stolz auf seine vergangenen Engagements in Hollywood-Produktionen wie »Star Wars« und »Harry Potter«. Doch der Ruhm ist unbeständig, weil Davis als Kobold, Zwerg oder Ewok Masken und Kostüme trägt, die eine Identifizierung erschweren. Also vermittelt er kleinwüchsige Kollegen als lebende Bälle beim Zwergenkegeln, macht sich als Lichtdouble in einer Szene mit Helena Bonham Carter zum Kasper und dackelt regelmäßig ins Büro von Ricky Gervais und Stephen Merchant. Die beiden Comedy-Macher pflegen ihn mit fadenscheinigen Argumenten abzuwimmeln und lassen sogar die Haustürklingel nach oben verlegen, damit Warwick nicht heranreicht.
Gervais, Merchant und Warwick, die in bester Larry-Davis-Manier verzerrte Varianten ihrer selbst spielen, ersannen »Life’s too Short«, nachdem sie während ihrer Zusammenarbeit in Gervais’ vielgerühmter Serie »Extras« das komische Potential eines Lebens als kleinwüchsiger Mensch ausgelotet hatten. Wie in »Extras« tauchen zahlreiche Prominente auf, darunter ein herrlich exaltierter Johnny Depp, der komplett humorlose Liam Neeson als Möchtegernkomödiant sowie besagte Bonham Carter, die sich vor Warwick derart ekelt, daß er während der gemeinsamen Szene in einem Papierkorb verharren muß. Obwohl sich Warwick selbstsüchtig und mitunter verletzend verhält, entwickelt der Zuschauer Mitgefühl für die Figur, die allen Widrigkeiten zum Trotz nicht zerbricht und im Zweifelsfall ein Wohnzimmerregal erklimmt oder im Supermarkt die Waren mit dem Mopp herunterzieht.
Ungleich schwieriger gerät die Anteilnahme mit Frank Gallagher. Der mittelalte Mann lebt in Chicago, ist Vater von sechs Kindern und gleichermaßen hoffnungsloser Lügner, Arbeitsverweigerer, Säufer und Gelegenheitsjunkie. Der US-Sender Showtime strahlt die Serie seit Anfang 2011 aus, während in Großbritannien bereits die neunte Staffel der BBC-Vorlage läuft. Hier ist also das in »Episodes« persiflierte Prozedere Wirklichkeit: US-Produzenten stieren nach England, um aussichtsreiche Serien einzukaufen und mit zigmal größeren Budgets, einer Menge Stars und einem amerikanisierten Plot als US-Neuauflage zu inszenieren. Im Falle von »Shameless« übertrifft die Kopie das Original in puncto Ausstattung, Kameraführung, Dialog und Musik. Zudem wirken die Schauspieler überzeugender. Erstklassig widerlich spielt William H. Macy, der tragische Autoverkäufer aus »Fargo«, den Scheißkerl Frank, der keine Gelegenheit ausläßt, seine Mitmenschen übers Ohr zu hauen. Warum »Shameless« in den USA als reine Dramaserie vermarktet wird, ist nicht ersichtlich, möglicherweise hängt’s mit den an möglichst kleine Glocken gehängten Themen Armut und Alkoholismus zusammen. Tatsächlich ist »Shameless« ausgesprochen witzig, bereits im Vorspann zieht die älteste Toch-ter, die Familienmanagerin, den im Alkoholrausch schlafenden Vater aus dem Bad, woraufhin Familienmitglieder und Nachbarn abwechselnd hineinstiefeln, um zu pinkeln, zu rauchen, zu ficken oder den Stoffhasen in der Kloschüssel zu baden. Hübsch an »Shameless« ist vor allem die Solidarität der Marginalisierten, der gegen die arrivierten Mitmenschen in Stellung gebrachte Stinkefinger. Der begabte älteste Sohn verzichtet wegen Freundin und Familie auf eine Universitätskarriere, und alle armen Kinder nehmen den asozialen Vater in Schutz, obwohl der bei Gelegenheit kurz den jüngsten Sohn verkaufen möchte und die kümmerlichen Familienersparnisse bei einem Drogentrip mit der Exfrau durchbringt.
Der verantwortliche Sender Showtime entwickelt sich zum Garanten für deftige Gesellschaftssatiren, wenn auch die in die Jahre gekommenen Serien »Weeds«, »Californication« und »Nurse Jackie« deutlich an Biß verloren haben, und »Web Therapy« mit »Friends«-Darstellerin Lisa Kudrow nicht die Sogwirkung der Therapiesitzungen in der dramatischen HBOSerie »In Treatment« zu entwickeln vermag. Um so erfreulicher ist die neben »Episodes« und »Shameless« interessanteste Neuerscheinung: »House of Lies«. Der Serie liegt das quasibiographische Werk eines Unternehmensberaters zugrunde: House of Lies. How Management Consultants Steal Your Watch and Then Tell You the Time. Wohl kaum eine andere Berufsgruppe repräsentiert die Schizophrenie der globalen Wirtschaftsordnung besser als die des Management Consultants, der, laut dem Protagonisten Marty Kaan, »Woche für Woche zu Unternehmen geht, um sie davon zu überzeugen, daß sie ihn unbedingt brauchen«, damit er dann jahrelang an ihren Geldbörsen nuckeln kann. In seinem Job ist Marty die perfekte Verkörperung des kapitalistischen Aufsteigers: gutaussehend und charmant in Gegenwart potentieller Kunden, unbarmherzig und grausam gegenüber der Konkurrenz: »Du darfst niemals irgendwem trauen«, sagt er zu einem Bewunderer, den er ohne Gewissensbisse auflaufen läßt und damit aus dem Weg räumt. Moral ist hinderlich in diesem Metier, die Warenströme sind nur interessant im Hinblick darauf, wieviel von der Rendite im Geldbeutel der Unternehmensberater landet. Die Tochter eines Konkurrenten verführt er nur, um den Konkurrenten zu demütigen. Und dennoch nimmt der Zuschauer Partei für diesen Saftsack, denn wie bei Frank Gallagher wird trotz all der systemkonformen Verhärtung mitunter das Menschliche sichtbar. So sorgt sich Marty um seinen in puncto Geschlechterrolle äußerst experimentierfreudigen Sohn und um seinen krebskranken Vater. Mit diesen beiden Menschen lebt er zusammen in einem feschen Penthouse-Apartment, und sie sind die einzigen, zu denen er eine nicht kalkulierende Beziehung unterhält. Das erlaubt es dem Zuschauer, die fiesen Tricks und Intrigen der Unternehmensberater zu goutieren und sich an der Inszenierung der Unmoral und Gemeinheit des Systems zu ergötzen.
Gleichermaßen ergötzlich ist das Treiben im Büro der Vizepräsidentin der USA, Selina Meyer. Der Job des Vizepräsidenten, bekannt als »Veep«, hat in den USA einen ähnlichen Stellenwert wie der Job des deutschen Bundespräsidenten und besteht im wesentlichen darin, Hände zu schütteln und darauf zu hoffen, daß man infolge einer Unpäßlichkeit des amtierenden Präsidenten kurzfristig ins Zentrum der Macht rückt. Die Rolle der Veep übernimmt Julia
Louis-Dreyfus, deren komisches Talent hier noch mehr zur Geltung kommt als in »Seinfeld« und »New Adventures of Old Christine«. Wie sich einst Al Gore über sein Engagement für den Umweltschutz zu profilieren versucht, bemüht sich Selina Meyer um ökologisch verträgliche Jobs und »ökologisch verträgliche Utensilien« in Regierungsgebäuden. Damit tritt sie der Kunststoffindustrie und der Ölbranche auf die Füße, was zu einem beständigen Hin- und Herschlingern und schließlich zum Scheitern ihrer »Clean Jobs Commission« führt. Zum Glück verfügt sie über einen Stab ausreichend neurotischer Mitarbeiter, denen sie angenehm paradoxe Sätze an den Kopf zu werfen pflegt: »Wenn ich sage: ›Ich habe alles unter Kontrolle‹, dann meine ich, daß ich nichts unter Kontrolle habe.« Zwischendurch läßt sie sich via Autocorso von einem unbedeutenden Termin zum nächsten chauffieren, um öffentlich Joghurt zu verspeisen oder einem widerlichen Parteigenossen aus Ohio ihre Unterstützung aufzudrängen. Während die thematisch ähnliche Serie »Spin City« (deutsch: »Chaos City«) vor anderthalb Jahrzehnten den stellvertretenden Bürgermeister von New York als kompetentes Cleverle inszeniert, ist Selina Meyer das Zerrbild der Ohnmacht. Sie katzbuckelt vor schmierigen Lobbyisten, adoptiert aus Imagegründen einen
Hund, und wenn sie ihre Sekretärin fragt, ob der Präsident angerufen habe, ist die Antwort stets: »Nein.«
Gleichermaßen negativ fällt die Antwort auf die Frage aus, ob deutsche Kunden »Veep« auf herkömmlichem Wege erwerben können. Ich habe die Sichtung der Serien meiner amerikanischen Kontaktperson zu verdanken. Wer keinen Freund in den USA hat, der findet im Heimatland von BBC und Ricky Gervais gute Bezugsquellen zumindest einiger der erwähnten Serien, denn noch immer verhindern HBO, Showtime und Co., daß Europäer ihre Serien als Videodownload kaufen.
»Life’s too short« gibt’s ab dem 22. Oktober als England-Import auf DVD und Blu-ray (Universal); »House of Lies« ist noch nicht auf DVD erhältlich, dafür läuft freitags um 20.15 Uhr auf dem deutschen TV-Sender Fox die synchronisierte zweite Staffel von »Shameless« und ab 13. November dienstags um 22 Uhr »Veep« auf Sky Atlantic HD in deutscher Erstausstrahlung; die »Episodes«-DVDFassungen beider Staffeln liegen hierzulande als britische Importe in gut sortierten On- und Offline- Läden (BBC).
Peter Kusenberg schrieb in KONKRET 9/12 über Konfliktlösung in digitalen Kampfspielen