von Peer Heinelt
Der Aufgabenbereich der Reservisten, Soldaten im Standby- Modus, wird ausgeweitet: auf künftige Bedrohungsszenarien und internationale Einsätze. Von Peer Heinelt
Ihrem Verband zufolge fragen die Reservisten der Bundeswehr »nicht danach, was ihr Land für sie (tun kann), sondern was sie für ihr Land tun können«. Dieses Land, on Kennern auch als »Multioptionsgesellschaft« bezeichnet, bietet seinerseits den Soldaten im Stand-by-Modus gleich mehrere Möglichkeiten des »Dienstes an der Allgemeinheit«, wie Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière formuliert.
Laut der von ihm am 1. Februar dieses Jahres erlassenen »Konzeption der Reserve« besteht die »wesentliche Aufgabe« der Reservisten darin, für den »Heimatschutz« Sorge zu tragen. Um gegen Deutschland gerichteten »asymmetrischen und insbesondere terroristischen Bedrohungen« erfolgreich entgegentreten zu können, habe die Bundeswehr bereits ein von Reservisten getragenes »flächendeckendes Netzwerk« zur Unterstützung der »zivilen Sicherheits- und Katastrophenschutzkräfte« implementiert, heißt es. Hierunter fallen sowohl 470 auf der Ebene der Regierungsbezirke, der Landkreise und der kreisfreien Städte eingerichtete »Bezirks- und Kreisverbindungskommandos« als auch 19 über die gesamte Bundesrepublik verteilte »Stützpunkte« für »zivil-militärische Zusammenarbeit«, auf denen nicht nur mit Räumpanzern ausgestattete Pioniertruppen stationiert sind, sondern auch Einheiten zur Abwehr von Angriffen mit atomaren, biologischen und chemischen Waffen.
Zusätzlich werden zur Zeit sogenannte Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) aufgestellt; insgesamt soll die ausschließlich aus Reservisten bestehende Einheit 27 Kompanien mit einer Personalstärke von 2.700 Mann umfassen. Geplant ist laut Bundesverteidigungsministerium, die neue Truppe den bei den Regierungen der Bundesländer angesiedelten »Landeskommandos« der deutschen Streitkräfte zu unterstellen und sie heranzuziehen, um »die aktive Truppe ... im Rahmen des Heimatschutzes (zu) unterstützen«. Verstanden wird hierunter ein ganzes Bündel von Maßnahmen: Die »Überwachung und Gewährleistung der Sicherheit des deutschen Luft- und Seeraums« und die »Absicherung militärischer Anlagen« im Inland zählen ebenso dazu wie die »Amtshilfe« für andere Repressionsdienste – etwa zum »Schutz kritischer Infrastruktur« oder bei »innerem Notstand«.
Selbstverständlich muß das alles auch trainiert werden – schließlich geraten ehemals aktive Soldaten durch die Freuden des Zivillebens leicht außer Form. Dokumentiert ist ein entsprechendes Bürgerkriegsmanöver für das Jahr 2009; es firmierte unter der Bezeichnung »Hoher Franke II« und fand an der Luftverteidigungsstellung Döbraberg in der Nähe des bayerischen Ortes Schwarzenbach am Wald statt. Wie die »Frankenpost« seinerzeit berichtete, habe der in Anwesenheit des heutigen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) abgehaltenen »Objektschutzübung« folgendes Szenario zugrunde gelegen: Einhergehend mit der »Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes« seien auch die in der Bundesrepublik stationierten »Verbände der Luftverteidigung und der Luftraumüberwachung« ins Visier von Aufständischen und »Terroristen« geraten. Nicht näher bezeichnete Geheimdienste hätten bei einer Fahrzeugkontrolle Papiere, Karten undKoordinaten der Stellung am Döbraberg konfisziert und daraus messerscharf auf einen kurz bevorstehenden Angriff geschlossen – der dann auch prompt erfolgt sei.
Ausführlich beschrieb das Lokalblatt im Anschluß den Ablauf des zweitägigen Manövers. Der Darstellung zufolge waren die eingesetzten Soldaten und Reservisten am ersten Tag zunächst lediglich mit »harmlosen, Flugblätter verteilenden Friedensaktivisten« konfrontiert, wurden später jedoch in »Feuergefechte im Wald« verwickelt. Nach dem nächtlichen Beschuß eines Munitionstransporters hätten am frühen Morgen des zweiten Manövertags schließlich Bewaffnete die Luftwaffenstellung selbst attackiert: »Ein Fahrzeug durchbrach den Checkpoint und explodierte, wobei viele Soldaten verletzt wurden.« Daraufhin habe die Bundeswehr die »zivilen Hilfsorganisationen« Technisches Hilfswerk (THW), Rotes Kreuz, Bergwacht und Freiwillige Feuerwehr um Unterstützung gebeten.
Ihren Höhepunkt erreichte die Übung laut »Frankenpost« mit einem Feuerüberfall auf den Radarturm der Luftwaffenstellung. Da die Angreifer dabei Panzerfäuste eingesetzt hätten, habe es sowohl im Inneren des Turmes als auch auf den umliegenden Gebäuden viele Schwerverletzte gegeben. Aufgabe der eingesetzten Militärs sei in dieser Situation die Bekämpfung der »Terroristen« gewesen: »Soldaten schlugen mit Salven aus ihren Maschinengewehren die Angreifer in die Flucht beziehungsweise schalteten sie aus.« Die Bergung der Verwundeten indes sei von den »zivilen Hilfsorganisationen« übernommen worden: »Während das THW die Verletzten von den umliegenden Dächern barg, mußte im Inneren des Turmes die Bergwacht Verletzte von der ersten Etage des Turmes aus rund 25 Metern Höhe abseilen.« Ein an der »Objektschutzübung Hoher Franke II« beteiligter Bundeswehroffizier bezeichnete diese der Lokalpresse zufolge im Rahmen einer abschließenden Manöverkritik als perfektes Beispiel für die »praxisnahe gemeinsame Ausbildung unserer aktiven Soldaten und der Reservisten«.
Das dürfte auch Verteidigungsminister de Maizière so sehen, dem Reservisten nach eigener Aussage als »Nukleus für einen den zukünftigen Bedrohungsszenarien angemessenen Aufwuchs« der deutschen Streitkräfte gelten. Laut seiner »Konzeption der Reserve« können sie außer im »Heimatschutz« im gesamten »internationalen Aufgabenspektrum« der Bundeswehr eingesetzt werden – »von Beobachtermissionen und internationaler Konfliktverhütung über Krisenbewältigung einschließlich des Kampfs gegen den internationalen Terrorismus bis hin zu Frieden erzwingenden Kampfeinsätzen«. Denkbar sei außerdem ihre »Beteiligung an militärischen Aufgaben im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union« und die Heranziehung zu »humanitäre(n) Hilfsaktionen« zwecks »Wiederaufbau der gesellschaftlichen Ordnung und der Infrastruktur in Krisengebieten«. Wie der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr (VdRBw) nicht ohne Stolz erklärt, sei schon heute »jeder achte Soldat im Auslandseinsatz Reservist«: »Zahlreiche Reservisten werden bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr vor allem in Spezialfunktionen gebraucht. Und wenn sie nicht in Kundus eingesetzt werden, füllen wehrübende Reservisten zu Hause die Lücken in den Einheiten, die Soldaten zum Auslandseinsatz abstellen müssen.« Auf diese Weise, weiß wiederum de Maizière zu berichten, leisteten Reservisten einen wesentlichen Beitrag zur »Steigerung der Durchhaltefähigkeit « deutscher Interventions- und Besatzungstruppen in aller Welt.
Besonderes Augenmerk widmet die Bundeswehr dabei erklärtermaßen Personen, die »zivilberufliche Qualifikationen« vorweisen können, über die die aktive Truppe nicht oder nicht in ausreichendem Maß verfügt; Ziel sei die möglichst vollständige »Ausschöpfung des vorhandenen Leistungspotentials«, heißt es. Folgerichtig gilt das Interesse nicht nur ehemaligen Wehrpflichtigen und Soldaten, sondern ebenso »qualifizierte(n) Ungediente(n)«. Wie den Reservisten selbst werden ihnen zahlreiche »materielle und immaterielle Anreize« in Aussicht gestellt, nebst »Seiteneinstiegsmöglichkeiten in die Feldwebel- und Offizierlaufbahnen mit höherem Dienstgrad«. Von den Arbeitgebern der Umworbenen erhofft man sich in diesem Zusammenhang einen »optimale(n) Verwendungsaufbau der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters sowohl für eine militärische als auch für eine zivile Karriere«. Insbesondere bei der Rüstungsindustrie stoßen die Streitkräfte mit dieser Forderung offenbar auf offene Ohren. So waren an der Luftwaffenübung Elite (»Electronic Warfare Live Training Exercise«) anno 2010 etliche Ingenieure und Manager deutscher Waffenschmieden beteiligt; wie die Truppe erfreut erklärte, kamen sie unter anderem von der Eurohawk GmbH, die die erste Riesendrohne für die Bundeswehr entwickelt hat (siehe KONKRET 11/2010), und von der Firma MBDA Deutschland, die als Teil des EADS-Konzerns sogenannte Lenkflugkörper (»Missiles«) produziert.
Reservisten, die weder im »Heimatschutz« noch bei Kriegsoperationen im Ausland Verwendung finden, können sich immer noch als Propagandisten für militärische Gewaltmaßnahmen verdingen. Gefragt ist insbesondere ihre Mitwirkung beim »Tag der Reservisten«, der seit 2001 alljährlich im gesamten Bundesgebiet stattfindet. Denken müssen sie dabei nicht; alles, was es über die Planung und Durchführung der PR-Show zu wissen gibt, steht in einem eigens zu diesem Zweck vom VdRBw herausgegebenen Veranstaltungs- und Organisationshandbuch. Hier finden sich das Motto des Tages (»Heimat. Sicherheit. Zusammenhalt«) und ein einheitliches Logo nebst Vorlagen für Werbeanzeigen, Plakate und Presserklärungen sowie allerlei »Checklisten«. Auch die »Botschaft an die Öffentlichkeit« wird dargelegt: »Reservisten sind zur Stelle, wenn sie gebraucht werden, und bilden durch ihre solide Ausbildung das Rückgrat der Bundeswehr – sie sind ein nicht wegzudenkender Bestandteil unserer Gesellschaft.« Die Autoren verschweigen dabei nicht, warum sich die Angehörigen der militärischen Reserve nach Auffassung ihres Verbandes besonders gut als Propagandisten eignen: »Reservisten verstehen sich als Bindeglied zwischen der aktiven Truppe und der Zivilbevölkerung. In der sicherheitspolitischen Diskussion sind sie gerade deshalb glaubwürdig, weil sie nicht im Sold der Armee stehen.«
Analog zum eingangs geschilderten Bürgerkriegsmanöver in Schwarzenbach am Wald wird auch beim diesjährigen »Tag der Reservisten « am 29. September die »zivil-militärische Zusammenarbeit« im Inland großgeschrieben. Etliche »Kameradschaften« des VdRBw wollen eigenen Angaben zufolge Seite an Seite mit den sogenannten Blaulichtkräften von THW, Rettungsdiensten und Polizei ihre Fähigkeiten auf dem Gebiet des »Katastrophenschutzes« präsentieren. Etwas ganz Besonderes haben sich die Kameraden aus dem Kreis Osnabrück einfallen lassen: Sie offerieren »geladene(n) Gäste(n) aus Politik, Verwaltung, Behörden, Körperschaften, Bildungseinrichtungen, Vereinen (und) Verbänden« die Möglichkeit zum »Schießen im AGSHP«. Das Kürzel steht für »Ausbildungsgerät Schießsimulator Handwaffen/Panzerabwehrhandwaffen «; trainiert wird damit laut Reservistenverband das »Gefechtsschießen der kleinen Kampfgemeinschaft in unterschiedlichen Geländeformen und Bedrohungssituationen«.
Nicht auf dem Programm steht indes bisher eine Aktion, die sich nach Meinung des VdRBw »immer gut verkaufen« läßt: die »Pflege eines vernachlässigten (Krieger-)Denkmals«. Das ist nun wirklich schade, könnten bei dieser Gelegenheit doch vortrefflich die Traditionen wie die Perspektiven des von Verteidigungsminister de Maizière beschworenen patriotischen »Dienstes an der Allgemeinheit« thematisiert werden.
Peer Heinelt schrieb in KONKRET 8/12 über die Fraunhofer-Gesellschaft