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Body Count

von Jörg Kronauer

Niemand weiß, wie viele Todesopfer der Krieg im Irak gekostet hat. Eine Grundlage, auf der man sich ihrer Zahl annähern kann, hat das »Iraq Body Count«-Projekt geschaffen. Es listet seit dem Jahr 2003 Tag für Tag die Zahl der Zivilisten auf, die durch Gewalt westlicher Besatzungskräfte oder irakischer Aufständischer ums Leben kamen. Aufgeführt werden Tote, die von Medien, Krankenhäusern und Leichenhallen dokumentiert worden sind; es handelt sich also um eine Zählung und nicht lediglich um eine Schätzung. Getötete Soldaten, Polizisten und Aufständische werden nicht mitgerechnet. Das »Iraq Body Count«-Projekt führt aktuell 108.059 bis 118.068 zivile Todesopfer seit 2003 auf. Daß diese Zahl zu niedrig ist, ist sicher: Längst nicht alle irakischen Kriegstoten werden registriert.

Den Beweis dafür haben die »Iraq War Logs« geliefert, die Wikileaks 2010 veröffentlichte. In den internen Dokumenten der US-Streitkräfte sind 109.032 Todesopfer des Irak-Krieges vermerkt, davon 66.081 Zivilisten. Ein Abgleich mit der Datenbank von »Iraq Body Count« ergab, daß unter ihnen rund 15.000 bislang unbekannte Ziviltote zu finden waren. Die Politologin Neta C. Crawford summierte im September 2011 daher 126.000 tote irakische Zivilisten – und stufte dies als »extrem konservative Schätzung« ein. Ohnehin müsse man noch weitere Tote hinzuzählen, um den Blutzoll des Irak-Krieges einzufangen, meinte sie: 10.000 irakische Militärs, die in der ersten Welle des Krieges ums Leben kamen, 19.000 Aufständische, die zwischen Juni 2003 und September 2007 getötet wurden, mehr als 10.100 irakische Polizisten und Soldaten, die seit Juni 2003 umgebracht wurden, und 6.300 US-Soldaten und Mitarbeiter sogenannter Security-Firmen, die im Irak zu Tode kamen. Es handele sich damit um insgesamt mindestens 171.000 Todesopfer.

Auch diese Zahl ist mit Gewißheit noch zu niedrig. Zum einen, weil sie ebenfalls nur zuverlässig dokumentierte Fälle umfaßt, nicht aber die zahllosen Toten, die ohne bürokratische Registrierung oder mediale Aufmerksamkeit schlicht verscharrt wurden. Zum anderen, weil nicht einleuchtet, wieso Menschen nicht als Kriegsopfer gelten sollen, die an indirekten Kriegsfolgen starben – fehlende ärztliche Versorgung, Mangelernährung und vieles mehr. Die renommierte medizinische Fachzeitschrift »The Lancet« hat 2006 versucht, mit Hilfe einer Umfrage im Irak beide Schwächen auszugleichen. Das Ergebnis war von Anfang an umstritten, sowohl methodisch als auch politisch; der Versuch, sich der Kriegsrealität auch per Nachfrage bei den Betroffenen anzunähern, dürfte jedoch den tatsächlichen Opferzahlen näherkommen als »Iraq Body Count«. »The Lancet« kam jedenfalls zu dem Schluß, daß mehr als 650.000 Menschen heute noch leben könnten, hätte der Westen den Krieg unterlassen. Stimmen diese Annahmen, dann hat der Krieg die Bevölkerung des Irak um 2,5 Prozent dezimiert.

 

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