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von Claus Peter Ortlieb

Reichensteuer und Vermögensabgabe: Die Mitglieder des Bündnisses »Umfairteilen« wollen ihren Rheinischen Kapitalismus wiederhaben.

Jetzt soll es den Reichen endlich an den Kragen gehen. Ein von Attac, Verdi und dem Paritätischen Gesamtverband initiiertes Bündnis namens »Umfairteilen« ruft zum bundesweiten Aktionstag am 30. September 2012: »Es gibt einen Ausweg aus der Wirtschafts- und Finanzkrise: Umverteilung! Wir wollen nicht, daß die öffentlichen und sozialen Leistungen verschlechtert und die große Mehrheit der Bevölkerung höher belastet wird. Statt dessen müssen übergroßer Reichtum und Finanzspekulation endlich besteuert werden. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um gelebte Solidarität in unserer Gesellschaft.« Gefordert werden eine Vermögenssteuer und eine einmalige Vermögensabgabe, um die »notwendigen öffentlichen und sozialen Ausgaben gerecht zu finanzieren und die Verschuldung abzubauen«, ferner der »konsequente Kampf gegen Steuerflucht und Steueroasen und für eine Steuer auf Finanzmarktgeschäfte, gegen die Spekulation und gegen die Armut, weltweit«.

Teile von SPD und Grünen begrüßen die Kampagne und verweisen zur Konkretisierung auf die eigenen Programme, denen zufolge der Spitzensteuersatz von derzeit 42 auf 49 Prozent erhöht werden soll. Dabei verschweigen sie geflissentlich, daß sie selber die Absenkung in den Neunzigern von 53 Prozent auf den heutigen Wert  zu verantworten haben. Da beide Parteien die Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz ebenso mitgetragen haben wie die Austeritätspolitik der Merkel-Regierung, ist von einer potentiellen rotgrünen Regierung nach 2013 wohl wenig mehr als Symbolpolitik zu erwarten: Dazu gehört eine moderate Anhebung des Spitzensteuersatzes, um zu signalisieren, daß »wir alle« im selben Boot sitzen. Schließlich läßt sich die nächste Rentenkürzung besser verkaufen, wenn die Betroffenen darauf verwiesen werden können, daß auch »die da oben« ihr Scherflein beitragen.

Die »Umfairteiler« meinen es dagegen ernster. Attac etwa fordert eine einmalige, progressiv gestaffelte Vermögensabgabe für Millionäre und Milliardäre, mit der etwa 50 Prozent von deren Vermögen abgeschöpft und in öffentliche Kassen geleitet werden sollen. Vier Billionen Euro würden dabei europaweit zusammenkommen. Ansonsten scheint man die Rettung aus der aktuellen Krise darin zu sehen, die Einkommens- und Vermögensverteilung der siebziger Jahre wiederherzustellen, mitsamt den zugehörigen fiskalischen Instrumenten. Wir wollen unseren Rheinischen Kapitalismus wiederhaben!

Die diesen Forderungen zugrundeliegende Krisenerklärung wird an Schlichtheit allenfalls von der des deutschen Mainstreams und seiner Kanzlerin übertroffen, die sich am neoklassischen Modell der »schwäbischen Hausfrau« orientiert: Weil »wir alle«, und besonders »unser Süden«, über unsere Verhältnisse gelebt hätten, sei jetzt Sparen, Sparen, Sparen angesagt. Daß diese Politik nur tiefer in die Krise führt, ist seit den Brüningschen Notverordnungen bekannt und soll deshalb hier nicht weiter erörtert werden.

Demgegenüber sieht das von Attac und anderen vertretene linkskeynesianische Modell in der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung die Ursache – und nicht etwa die Folge – der krisenhaften Entwicklungen: Der Neoliberalismus habe uns vom rechten Weg des »guten Kapitalismus« abgebracht und in die Krise geführt.

In Kontrast dazu sei auf die von Robert Kurz bereits 1986 ausformulierte Krisentheorie verwiesen, deren Quintessenz er zuletzt in KONKRET 2/12 dargelegt hat. Wie bereits von Marx festgestellt, ist das Kapital prozessierender Selbstwiderspruch dadurch, daß es einerseits auf der Arbeit als einziger Quelle seines abstrakten Reichtums beruht, andererseits die menschliche Arbeitskraft mit wachsender Produktivität immer mehr aus dem Produktionsprozeß herausnimmt. Marx hielt diesen Widerspruch für geeignet, die »bornierte Grundlage« des Kapitals »in die Luft zu sprengen«. Es gibt einige Indizien dafür, daß der Kapitalismus mit der Anwendung der Mikroelektronik, deren Automatisierungspotentiale ja noch immer nicht ausgeschöpft sind, seit den siebziger Jahren in diese von Marx theoretisch vorweggenommene Endphase eingetreten ist.

Die Kette von Finanzkrisen der letzten 30 Jahre, die mit dem Crash von 2008 erstmals globale Ausmaße annahm, hatte ihren Ausgangspunkt in der sogenannten »Stagflation« der siebziger Jahre, also dem gleichzeitigen Auftreten einer globalen wirtschaftlichen Stagnation und hohen, teilweise zweistelligen Inflationsraten. Die zu dieser Zeit noch weltweit unstrittige keynesianische Wirtschaftspolitik konnte zwar die Krisenphänomene dämpfen, war aber nicht mehr in der Lage, einen neuen, selbsttragenden Akkumulationsschub zu generieren. Sie war damit in der allgemeinen Wahrnehmung und auch ihren eigenen Ansprüchen nach gescheitert und wurde durch den Neoliberalismus abgelöst.

Dessen Antwort auf die fehlende Möglichkeit zu ausreichender realer Mehrwertproduktion bestand darin, die Profite auf andere Weise sicherzustellen: Erstens ermöglichte es die ansteigende Arbeitslosigkeit, die Löhne zu drücken; zweitens wurden im Zuge der sogenannten »Angebotsorientierung« die Steuern für Unternehmen und Kapitalerträge gesenkt; und drittens wichen viele Unternehmen mangels realer Investitionsmöglichkeiten ins Kreditsystem aus, beteiligten sich mit ihrem Geldkapital also an der Generierung von Finanzblasen und konnten auf diese Weise ihre Bilanzen schönrechnen. Die Firma Siemens etwa wurde schon in den neunziger Jahren spöttisch als Bank mit angeschlossener Elektroabteilung bezeichnet.

Phänomenologisch haben Attac und andere also durchaus recht: Auf der einen Seite sanken die Reallöhne, in Deutschland etwa dank der Agenda 2010 innerhalb von acht Jahren im Mittel um vier Prozent und in dem sich aufbauenden Niedriglohnbereich um deutlich mehr. Auf der anderen Seite wuchs – auch wegen der Deregulierung des Finanzsektors – das Geld- und Anlagevermögen global in 30 Jahren auf das Zwanzigfache, allerdings ohne daß ihm noch entsprechende reale Werte gegenüberstehen.

Hier liegt das Problem: Dieses Vermögen ist größtenteils fiktiv, durch Finanzblasen entstanden oder auf faulen Krediten beruhend. Jeder Versuch, es in großem Stil in stofflichen Reichtum zu verwandeln, würde zu seiner sofortigen Entwertung führen. Das wäre denn auch die Folge der von Attac geforderten einmaligen Abgabe, mit der die Hälfte dieses Vermögens eingetrieben werden soll. Die Vorstellung, Geld sei genug da und müsse nur anders verteilt werden, ist doch etwas zu schlicht, darin durchaus vergleichbar mit der Idee, die Geldscheine in der benötigten Menge einfach zu drucken.

Auch die Forderung, hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverteilung zum »guten Kapitalismus« der siebziger Jahre zurückzukehren, ist irreal. Die neoliberale Revolution war kein bloßer Irrtum, sondern eine innerkapitalistische Antwort auf das Scheitern des Keynesianismus. Die Krise wurde durch sie nicht überwunden, sondern nur aufgeschoben und dabei verschärft. Das ändert aber nichts daran, daß die Rückkehr an den Ausgangspunkt nicht möglich ist, zumal sich die Bedingungen für die reale Mehrwertproduktion durch den seither erreichten Produktivitätszuwachs weiter verschlechtert haben.

Niemandem kann verwehrt werden, Wünsche zu äußern. Aber außerhalb von Kindergeburtstagen sollte besser geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen sie sich verwirklichen lassen. Hinsichtlich der Realisierung der Wunschvorstellungen von »Umfairteilen« ist jedenfalls festzuhalten: nicht mehr unter kapitalistischen Bedingungen.                           l

Claus Peter Ortlieb schrieb in KONKRET 5/12 über Zwang und Ethos der Arbeit

 

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