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Maschinen an die Macht

Macht eine Schreibsoftware dem Journalismus Konkurrenz? Von René Martens

 

Ein Blog des Wirtschaftsmagazins »Forbes« ist darauf spezialisiert, Gewinnprognosen von Analysten zusammenzufassen, wenn bei großen Unternehmen die Verkündung von Quartalszahlen bevorsteht. Im März begann dort ein Artikel so: »Optimism surrounds Accenture (ACN), as it gets ready to report its second quarter results on Thursday, March 22, 2012. Analysts are expecting the company to book a profit of 86 cents a share, up from 75 cents a year ago.«

Der Text, in dem es um das Beratungsunternehmen Accenture geht, scheint rein formal nicht ungewöhnlich zu sein. In einer Hinsicht ist er es aber doch, denn er stammt nicht von einem menschlichen Wesen, sondern von der Schreibsoftware Authoring Engine, die in der Lage ist, einen Fließtext zu erstellen, wenn man die entsprechenden Daten eingibt.

Anbieter dieses Produkts ist das US-Unternehmen Narrative Science. »Forbes« greift seit Mitte Oktober 2011 auf solche automatisch erstellten Beiträge zurück; sie sind ausdrücklich als Produkte von Narrative Science ausgewiesen. 30 Abnehmer hat die 2010 gegründete Firma nach eigenen Angaben, sie nennt allerdings nicht alle, weil einige mit den automatisch erstellten Texten noch intern experimentieren oder nicht zugeben mögen, daß sie Schreibsoftware im Einsatz haben.

Das erste Einsatzgebiet für Authoring Engine war die Sportberichterstattung: Im Frühjahr 2010 begann der College-Sportsender The Big Ten Network, an dem Rupert Murdochs Fox Network beteiligt ist, mit Narrative Science zusammenzuarbeiten. Die Software erstellt für das Network seitdem Berichte von Football- und Basketballspielen aus dem College-Sport, der in den USA äußerst populär und auch im Fernsehen präsent ist.

Angesichts solcher Entwicklungen drängt sich die Frage auf, ob Software Autoren aus Fleisch und Blut verdrängen kann. Bemerkenswert ist, daß Kris Hammond und Larry Birnbaum, zwei der Narrative-Science-Gründer, sowohl Professoren für Informatik als auch für Journalismus sind. Mehr als zehn Jahre lang haben sie das Programm im Intelligent Information Laboratory der Northwestern University Chicago entwickelt. Die Software von Narrative Science erstelle keineswegs Texte, die andere ersetzen, sagt Stuart Frankel, der CEO der Firma. Sie würde für Artikel zu Nischenthemen verwendet, die zu verfassen bis dato nicht rentabel gewesen sei. Authoring Engine produzierte 2011 in den USA beispielsweise 400.000 Berichte von Baseball-Jugendspielen – die menschlichen Helfershelfer sind in diesem Fall Eltern, die die Spieldaten über die I-Phone-App Game Changer eingeben. Langfristig wird es sich – wie tendenziell bei jedem Produkt – nicht vermeiden lassen, daß die Software für andere Zwecke verwendet wird, als ihre Schöpfer möglicherweise beabsichtigt haben.

Die Entwicklung sagt auch einiges über den Zustand des Journalismus aus. Der kommt allzuoft derart stumpf schematisiert und formatiert daher, daß es vielen Lesern herzlich egal sein dürfte, ob beim Verfassen von Texten Lebewesen oder Algorithmen im Einsatz sind. Die Berichterstattung über Sport und Finanzthemen klingt oft auch dann wie maschinell erstellt, wenn Menschenhand sie hervorbringt. Das gilt etwa für Berichte von Fußballspielen, die während des Spiels entstehen und bereits kurz nach Abpfiff online abrufbar sind; ihre Struktur ist im wahrsten Sinne des Wortes berechenbar.

Steffen Burkhardt, der am Lehrstuhl Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Uni Hamburg forscht, weist darauf hin, daß  Lokalzeitungen in den USA derzeit mit den automatischen Texten von Narrative Science experimentieren. Die Software von Narrative Science erinnert ihn an die Zeit, als sich Digitalkameras auf dem Massenmarkt durchsetzten – was mit sich brachte, daß sich im Laufe der Jahre die Bedingungen für viele freie Fotografen, die im Lokaljournalismus tätig sind, enorm verschlechtert haben.

Wenn Lokalredaktionen nun mit der Schreibsoftware arbeiteten, bräuchten sie keinen Reporter mehr, der über das Feuerwehrfest in Klein-Kleckersdorf berichtet. »Dann würde sich ein Redakteur vom Pressesprecher der Feuerwehr am Telefon durchgeben lassen, wer geehrt wurde und wer das Grußwort gesprochen hat. Und diese Informationen wird dann die Software zu einem Text verarbeiten«, sagt Burkhardt. Daß dies nicht völlig unwahrscheinlich ist, hat mit den Preisvorteilen zu tun, die Narrative Science bieten kann. Zu hoffen bleibt, daß die Software auch die schönen Stilblüten der Lokaljournalisten hinbekommt.

Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, schreibt in der »FAZ« über die Digitalisierung »geistiger Arbeitsprozesse« aller Art, die Anwälte, Callcenter-Knechte und eben auch Journalisten betreffe: »Es gibt bei dieser gerade stattfindenden Umwälzung einen gewaltigen Unterschied zu vorhergehenden technischen Revolutionen: die Geschwindigkeit, mit der die Welle herannaht. Während die Mechanisierung der Landwirtschaft sich über viele Jahrzehnte hinzog und auch die Automatisierung in der industriellen Fertigung bisher eher im Zeitraum von Jahren und Jahrzehnten voranschreitet, gibt es für die Automatisierung geistiger Tätigkeiten keine Hindernisse für eine umsturzartige Veränderung.« Dafür seien »keine teuren Investitionen in Maschinen – wie etwa Roboter – nötig, es gibt keine Abschreibungs- und Amortisierungsfristen für vorhandene Anlagen, die berücksichtigt werden müssen. Lediglich der Mensch vor dem Bildschirm wird durch Software im Inneren des Computers ersetzt.«

Wenn Kris Hammond in einem Interview mit dem Magazin »Wired« sagt, in 15 Jahren werde der Anteil der Nachrichtenartikel, der von Schreibsoftware produziert wird, bei 90 Prozent liegen, ist das in erster Linie Marketinggeklingel. Aber selbst für den Fall, daß der Anteil wesentlich geringer sein wird: An den Hemmungen von Medienunternehmern wird es nicht liegen.

»Alles, was algorithmisierbar ist, wird algorithmisiert werden«, prophezeit Peter Glaser, der sich seit rund drei Jahrzehnten damit beschäftigt, wie Technologie das Schreiben verändert. »Man muß sich also die Frage stellen: Was ist nicht algorithmisierbar? Das ist die Überlebensfrage.« Für sich persönlich sieht Glaser erst einmal keine Gefahren, weil seine Arbeit – etwa als Blogger über Themen aus der »digitalen Welt« für die »Stuttgarter Zeitung« – von »spielerischen, feuilletonistischen und essayistischen Elementen« geprägt ist und eine Software auf diesem Feld keine Konkurrenz darstellt. Steffen Burkhardt, der sich in den vergangenen Monaten ausführlich mit der Debatte um Authoring Engine beschäftigt hat, konstatiert aber, der Vorteil der Narrative-Science-Software bestehe im Vergleich mit ähnlichen Produkten darin, daß sie »eigene kreative Redewendungen und Narrationsstränge« generieren könne. Das heißt, sie kann beispielsweise aus den Daten zu einem Basketballspiel die wichtigsten herausfiltern und entscheiden, welche Information am besten an den Anfang gestellt wird. Sollte das Bemerkenswerte an einem Ergebnis sein, daß Team A zum ersten Mal seit langem wieder gegen Team B gewonnen hat, weiß die Software das einzuschätzen und versteckt die Information nicht irgendwo hinten im Text.

Daß der Narrative-Science-Mitgründer Hammond angekündigt hat, in fünf Jahren werde eine Schreibsoftware den Pulitzer-Preis gewinnen, empfindet Burkhardt dann allerdings doch als pure Aufschneiderei und als »Geringschätzung der Rechercheleistung von Journalisten«. Eine Software könne nur »beschreiben, nicht beobachten« und vor allem nicht recherchieren. Burkhardt hält es durchaus für möglich, daß eine Software bei einem Text zum Einsatz kommt, der den Pulitzer-Preis gewinnt. »Den Preis bekämen dann aber die Journalisten, die die Geschichte recherchiert und die Fakten zusammengetragen haben.«

Einige Gefahren, die am »virtuellen Fließband produzierter Journalismus« mit sich bringe, seien bisher kaum beachtet worden, sagt Burkhardt. Daten könnten versehentlich falsch eingegeben oder gar bewußt manipuliert werden. Das kann harmlose Folgen haben, wenn in einem aktuellen Sporttext einem Akteur ein falscher statistischer Wert zugeschrieben wird. Der Medienforscher und Journalist Evgeny Morozov, Autor des Buchs The Net Delusion. The Dark Side of Internet Freedom, weist auf größere Gefahren hin: Er befürchtet, daß ein Konzern wie Amazon auf die Idee kommen könnte, eine derartige Software zu entwickeln und mit Hilfe des Wissens, das das Unternehmen über seine Kunden gesammelt hat (vor allem, wenn sie Texte auf dem E-Reader Kindle lesen), exakt auf die Nutzer zugeschnittene News zu produzieren.

Andererseits gibt es durchaus Berichterstattungsbereiche, in denen es sinnvoll erscheint, Software zu verwenden, zum Beispiel wenn es darum geht, eine für ein menschliches Wesen unüberschaubare Menge von Daten in einen Artikel umzuwandeln. In seinem Blog hat Kris Hammond kürzlich einen Text präsentiert, der automatisch zusammenfaßte, wie stark Mitt Romney, einer der Präsidentschaftskandidaten der US-Republikaner, an einem Tag bei Twitter präsent war: Was hat er dort von sich gegeben? Was haben andere Nutzer über ihn gesagt? Wie oft wurde er im Vergleich mit seinen Konkurrenten erwähnt?

Peter Glaser sieht jedenfalls keinen Anlaß für »Gruselphantasien«, in denen künstliche Intelligenz den Menschen bedroht. »Vor einigen Jahren habe ich plötzlich festgestellt, daß ich nun schon 30 Jahre Fernsehen und seitdem auch Western gucke, aber noch nie einen Indianer mit Bart gesehen habe. So eine Erkenntnis kann eine Software nicht haben, egal, auf wie viele Daten sie zurückgreifen kann.«

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