Gespräch mit den Künstlern Alice Creischer und Andreas Siekmann zur 7. Berlin Biennale, die mit faschistoiden Provokationen kokettiert und die Occupy-Bewegung ins Boot holt. Alice Creischer und Andreas Siekmann arbeiten, teilweise gemeinsam, an Projekten, die sich kritisch mit Macht und Politik auseinandersetzen, und haben auch manche Antworten gemeinsam formuliert
KONKRET: Der Kurator der diesjährigen Berlin Biennale, Artur Zmijewski, hat in einem Manifest die Wirkungslosigkeit der aktuellen Kunst kritisiert. »Statt nur Fragen zu stellen, haben wir nach Antworten und Situationen gesucht, die Lösungen verantwortungsvoll umsetzten. Wir sind weder daran interessiert, künstlerische Immunität aufrechtzuerhalten, noch daran, uns von der Gesellschaft zu distanzieren«, heißt es darin. Seit Ende April finden im Rahmen der Biennale allerlei politkünstlerische Aktionen statt. Die Presse ärgert sich unisono. Kunst wird wieder politisch – gibt es einen Grund zur Freude?
Alice Creischer und Andreas Siekmann: Leider nein. Einerseits gehört es natürlich zum Marketing der Biennale, Superlative auszurufen. Hier sind es die Forderungen, die Ärmel hochzukrempeln, die kritizistischen Quasselbuden dicht und endlich ernst zu machen mit einem politischen Anspruch von Kunst. Wellen der Politisierung von Kunst hat es immer gegeben. Eigentlich ist die Frage des politischen Gehalts in der Kunst selbst angelegt, seitdem sie bürgerlich autonom ist. Die Frage war immer entscheidend dafür, ob ein Kunstwerk reines Dekor ist oder gesellschaftlichen Sinn produziert. Daß dieser Aufruf hier so laut und krachledern daherkommt, ist vielleicht aber auch ein Symptom für die Ungleichzeitigkeit von Kunst und gesellschaftlichen Entwicklungen.
Was genau bedeutet diese Ungleichzeitigkeit?
Siekmann: Es gibt geschichtliche Situationen, in denen Kunst direkt in gesellschaftliche Transformationsprozesse involviert war, in die Protestbewegungen der sechziger, siebziger Jahre etwa. Aber im Moment scheint es im kritischen Feld Kunst schwerer zu fallen, eine Sprache zu entwickeln, die die politischen Gegebenheiten mitformulieren könnte.
Creischer: Ich verstehe künstlerisches Arbeiten eher als Reflexionsprozeß, der der gesellschaftlichen Entwicklung notwendigerweise hinterherhinken muß. Künstlerisches Arbeiten funktioniert anders als politischer Aktivismus. Man sollte sich der Grenzen von künstlerischer Arbeit bewußt sein, wenn man nicht das totalitäre und reaktionäre Konzept einer Gleichsetzung von Kunst und Leben affirmieren möchte.
Zmijewski und seine Künstler arbeiten mit ihrem Ideal der Aufhebung von Kunst und Lebensalltag und Politik an der Verunmöglichung solcher künstlerischen Reflexionsprozesse?
Creischer/Siekmann: Man sollte zwischen dem Kurator und den eingeladenen Kunstschaffenden unterscheiden. Unter ihnen befinden sich auch Leute, die gute Aktionen machen. Einige leben unter Bedingungen, in denen eine Politisierung des eigenen Berufs absolut dringlich ist. Aber was entsteht, wenn man die Occupy-Bewegung in die unteren Räume der »Kunstwerke« zum Zelten »einlädt« und ausstellt – ein lebender Zoo?
Wir möchten nicht behaupten, daß man politischen Aktivismus nie im Kunstbereich »ausstellen« darf. Wir haben das selbst oft getan. Man muß allerdings dafür sorgen, daß Kunst als politische Bühne reflektiert wird und daß die Situation auch produktiv für die Aktivisten wird.
Es ist unmöglich, die Repräsentanz des künstlerischen Feldes zu verlassen. Womit wir wieder bei dieser reaktionären Entgrenzungsphantasie wären, die Kunst und Leben in eins setzt. Es sind Allmachtsträume, die sich hier in einer Methode niederschlagen, mittels derer über all diese politischen Aktivitäten verfügt wird – wie Manager über Humanressourcen verfügen.
Es ist ein Merkmal dieser Phantasie, daß sie auf aktuelle exekutive Herrschaftsdispositive zurückgreift – ein neoliberales Open Call Management, das jeden Teilnehmer als Bewegungsressource vernutzt. Die Arbeit auf der Webseite der Biennale – eine Abfolge von Demobildern aus aller Welt – heißt schönerweise: »Art covers Politics«.
Auf der aktuellen Berlin Biennale wimmelt es von Kollektiven: Es gibt ein Kuratorenteam und ungewöhnlich viele Künstlergruppen. Hinzu kommt der positive Bezug auf Bewegungen wie Occupy oder den entindividualisierten kollektiven Helden Anonymous.
Um noch einmal auf die Reflexivität künstlerischer Arbeit zurückzukommen: Wäre nicht gerade die Freiheit und Besonderheit des einzelnen grundlegend für die Reflexion von Gesellschaft? Geht nicht diese bei der Nivellierung des künstlerischen Individuums verloren?
Creischer/Siekmann: Viele der in der Biennale gezeigten Kollektive sind Castings, die so wenig mit Kollektivität zu tun haben wie Meinungsumfragen mit Demokratie.
Künstlerisches Arbeiten im Kollektiv kann sehr reflexiv sein. Es produziert manchmal sehr intensive Synergien und treibt künstlerische Ansätze voran.
Ich vermute hierin im Kontext der Biennale eine Einebnung von Differenzen, ähnlich der Einebnung der Differenzen zwischen Leben und Kunst. Ist für den Erkenntnisprozeß nicht eine klare Trennung zwischen einem erkennenden Subjekt und der Außenwelt notwendig?
Creischer/Siekmann: Ja, richtig. Das Leiden aller totalitären Kunst lag stets an ihrem Unvermögen, den Gap zwischen Welt und Ich zu überwinden. Die Erfahrung dieser Differenz war immer ein konstitutives Moment kritischer Arbeit. Sie produziert ja erst den Diskurs und hält ihn am Laufen. Durch die Aktion wird er aufgehoben und die Kunst mundtot gemacht. Stattdessen sind wir mit einem medialen Branding konfrontiert – Headlines und emotionale Cluster wie bei Hollywood-Produktionen: Die Neuaufführung der Berliner Belagerung 1945, Birkenpflanzen für Birkenau … , das sind politische Klischees, die die Differenz mit Sentimentalitäten zukleistern und zugleich brutal sind. Das zeitgenössische ästhetische Regime des Human Ressources Management eben.
Die Biennale gibt sich mit ihrem Bezug auf aktuelle Protestbewegungen wie Occupy, die Unterstützung der systemkritischen und staatlich verfolgten Künstler der Gruppe Woina und einer Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe in Weißrußland links, zumindest aber politisch progressiv. Wie passen dazu die zynischen Aktionen des Kurators zum Nationalsozialismus, bei denen er eine Gruppe Nackter beim Fangenspiel in einer Gaskammer filmte (»Berek«, 1999) oder einem ehemaligen KZ-Insassen die Häftlingsnummer nachtätowieren ließ (»80024«, 2004)?
Creischer/Siekmann: Die Biennale bezieht keine Position, sondern zeigt ein Kaleidoskop politischer Klischees, wie sie von Werbeagenturen für Benetton und Apple entwickelt werden.
Es ist schwer für Menschen, die sich mit der faschistischen Vergangenheit auseinandergesetzt haben, die Leere auszuhalten, die Aktionen wie die Verpflanzung von mehreren hundert Birken aus Birkenau nach Berlin durch den polnischen Künstler Lukasz Surowiec vermitteln. Es kommt drauf an, wer die Bäume pflanzt. Bei Hinterbliebenen von KZ-Häftlingen wäre es angemessen; der einzelne Künstler aber bemächtigt sich auf anmaßende Weise des geschichtlichen Leids, er demonstriert Verfügungsgewalt über diesen Teil der Geschichte.
»Berek« und »80024« zeigen sozusagen die Umkehrung der Gleichsetzung von Kunst und Leben. Hier zeigt sich die zynische und unmenschliche Verfangenheit des Künstlers im eigenen kunstsystemimmanenten Arbeiten. Das hängt mit der »Utopie« dieser Biennale zusammen – Zmijewski agiert hier sein eigenes Symptom aus.
Wie verstehen Sie die Leere bei dem Projekt »Berlin-Birkenau«? Die Baumpflanzaktion zeichnet sich doch durch eine Fülle von anmaßend versöhnlicher Symbolik aus.
Creischer/Siekmann: Mit Leere meinen wir, daß politische Geschichte nur als Frame künstlerischer Behauptungen verstanden wird, ein Katalog von politischen Emotionsspektakeln von Auschwitz bis zu den Palästinensergebieten.
Apropos: Der größte Schlüssel der Welt, eine Art Mahnmal für die Vertreibung des palästinensischen Flüchtlingslagers Aida, wurde eigens für die Biennale nach Berlin gekarrt. Teil der Ausstellung sind auch Khaled Jarrars Palästina-Briefmarken. Sie zeigen das kitschige Motiv eines roten Sonnenvogels und suggerieren die Existenz eines palästinensischen Staates. Während der Eröffnung schließlich solidarisierte Zmijewski sich im Streit um das antiisraelische Gedicht mit Günter Grass. Sind das nicht eindeutige Statements der Ausstellungsleitung?
Creischer/Siekmann: Der Nahostkonflikt wird seit Jahren auch im Kunstbereich ausgefochten, wie ein Ritual. Die propalästinensischen Stellungnahmen sollen ebenso Aufreger sein wie die Initiative zur Rückkehr polnischer Juden nach Polen. Man kann sich inhaltlich nicht darauf einlassen, man hat es mit Politik-placebos zu tun. Es geht eben nicht um ernsthaftes politisches Engagement. Entgegen den Verkündungen des Manifests mißrät hier alles zur Farce.
Sie erwähnten das Jewish Renaissance Movement in Poland der israelisch-niederländischen Künstlerin Yael Bartana. Die Bewegung propagiert eine Rückkehr der Juden nach Polen – in ein Land, in dem Juden in den Vernichtungslagern der Deutschen unter Mithilfe der dortigen Bevölkerung umgebracht wurden, in dem noch nach 1945, wie etwa in Kielce, antisemitische Pogrome stattgefunden haben und das in den siebziger Jahren eine erneute Welle antisemitischer Hetze erlebte.
Creischer/Siekmann: Ist es eine wirkliche Initiative? Wie lange besteht sie, und wer sind die Beteiligten? Zumindest die Delegierten aus dem Kongreß der »Bewegung« kommen alle aus dem Kunstbereich. Wer sind diese monströsen Persönlichkeiten aus der Kultur, die über die Verschiebung von drei Millionen Menschen nachdenken? Ist es eine Initiative, die solange reicht, wie ihr Hype hält? Von welchen Bewegungen spricht diese Berlin Biennale, wenn nicht von ihren eigenen Kopfgeburten?
Alice Creischer und Andreas Siekmann schreiben für die Zeitschriften »Springerin« und »Texte zur Kunst« und kuratieren. Letztes Projekt: »Principio Potosí«, Madrid (2010), Berlin und La Paz (2011).
Die 7. Berlin Biennale läuft bis 1. Juli, hauptsächlich im KW Institute for Contemporary Art.
– Gespräch: Radek Krolczyk –