Was macht der Mob im Second Life? Michael Schilling schafft Facebook ab
In Emden, Ostfriesland, wird eine Elfjährige Opfer eines sogenannten Sexualmörders. Die Strafverfolger rufen im Internet um Hilfe, bevor sie »unter dem Druck der Öffentlichkeit« einen 17jährigen Berufsschüler verhaften und in Handschellen vor aller Augen aufs Revier schaffen. Er sei der Täter, sagen sie, überführt durch »widersprüchliche Aussagen«, und ein Alibi habe er auch nicht. Daraufhin bricht auf Mouseclick die gründlich zivilisierte Community aus: Zum Ruf »Hängt ihn auf!« belagert sie Tag und Nacht die Polizeistation, ruft im Netz zur Stürmung auf. Auf Facebook erscheinen Name und Adresse des Jugendlichen sowie das Verlangen, ihn zu lynchen, und folkloristisch-faschistische Ejakulate aller Art.
Einfachste Grundsätze des bürgerlichen Rechtsstaats wie die, daß ein Verdächtigter bis zu seiner Verurteilung als unschuldig zu gelten hat und es zu seinen Rechten gehört, unvollständige, falsche oder keine Angaben zu machen, sind diesem Milieu so fremd wie der Gedanke, daß ein Mensch, und gar einer diesen Alters, tausendundeinen Grund haben kann, seinen Aufenthalt zu irgendeinem Zeitpunkt keinem Dritten zu verraten, weil sonst – zum Beispiel – die Eltern seiner Freundin ihr Töchterchen grün und blau schlügen. Zwei Tage später lassen die Behörden den Schüler frei. Er könne, müssen sie zugeben, die Tat nicht begangen haben. Der Leitende Oberstaatsanwalt, dessen Name (Bernard Südbeck) und Adresse (die ich – neben Informationen über seine Frau und Kinder – unsere örtlichen Leserinnen und Leser zu ermitteln bitte) nicht fett genug
an jede Wand geschrieben werden können, rechtfertigt die öffentliche Hinrichtung des unschuldigen Jungen: »Wir nehmen Festnahmen so vor, daß ein Tatverdächtiger nicht fliehen kann.« Polizei und Staatsanwaltschaft hätten, na was wohl?, »zu jeder Zeit richtig gehandelt«. Wie richtig die Behörde gehandelt hat, sagt der Anwalt des Oberstaats selber: Der Entlassene befinde sich jetzt in Betreuung und Obhut der Polizei, »für seine Sicherheit« – die durch Polizei, Oberstaatsanwalt und den von beiden aufgewiegelten Mob gefährdete – »ist gesorgt«. Dem Bild deutscher Büttel fügt der Fall nur einen weiteren Brocken Kotze hinzu. Größer ist der Beitrag, den er zur Aufklärung über den Charakter der Erfindung leistet, die sich Social Network nennt: ein asoziales Hetzwerk von Idioten, Denunzianten, Bullen und anderen Rechtsbrechern, dessen sofortige Schließung den Rückfall in jenes finstere Mittelalter bedeutete, in dem die Welt bis vor etwa vier, fünf Jahren schmachtete. Facebook und dergleichen Einrichtungen gehörten verboten. Statt in die Illegalität freilich geht Facebook an die Börse, wo die Firma für ihre Aktien hundert Milliarden Dollar erlösen wird. Der Wahrheit solchen Interesses hält kein Gedanke stand, und wäre er der beste der besten.