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»Und nun bin ich hier«

Im Alter von 80 Jahren ist Digne M. Marcovicz gestorben. Aus diesem traurigen Anlaß weisen wir auf ein konkret-Interview hin, das Jens Hoffmann in der Ausgabe 5/2012 mit der Fotojournalistin geführt hat. Darin erzählt Marcovicz über ihre Arbeit, ihren Ausflug nach Israel und Martin Heidegger vor der Kamera.

KONKRET: Du hast Ende der fünfziger Jahre angefangen, als Fotoreporterin zu ...

Digne M. Marcovicz: Nein, nein, so früh nicht. Ich bin 1959 auf eine Fotoschule, das Institut für Bildjournalismus, gegangen und war dafür zwei Jahre in München. Ich habe dort die Arbeit in der Dunkelkammer gelernt, aber wir haben natürlich auch Fotos gemacht, du mußt ja was zum Entwickeln haben. Ich habe sofort meine Bilder verkauft. Ich war schließlich schon älter, hatte ein Kind, war verheiratet. Ich bin aber abgehauen aus dieser Ehe. Wie alt war ich da? 25, ich bin 1934 geboren.

Und wie ging das zusammen – Kind und Arbeit?

Mein Kind hatte ich bei meiner Mutter in Berlin abgelagert, schrecklicherweise. Ich war in München und habe darunter sehr gelitten. Es waren immer schwierige Verhältnisse.

Wie war das mit der männlichen Konkurrenz? Gab es damals viele Frauen, die als Fotoreporterinnen unterwegs waren?

Es gab auch viele Frauen. Ob die nun so durchgestartet sind wie ich ... Auf der Fotoschule gab es jede Menge höhere Töchter und Söhne, die da so rumfotografierten. Aber ich war ernsthaft daran interessiert, möglichst schnell etwas daraus zu machen. Ja, ich wollte Geld verdienen mit dem Fotografieren. Eigentlich wollte ich Schauspielerin werden, aber das war zu unsicher und kostspielig, so bin ich Fotografin geworden. Ich war damals sehr gut befreundet mit dem Fotografen Herbert Tobias und liebte seine Fotos. Da habe ich gedacht: Na ja, ich kann auch versuchen, so zu fotografieren.

Meine erste Zeitungsveröffentlichung war in der »Süddeutschen«. Ich hatte den Feuilletonredakteur kennengelernt, und der fand meine Bilder schön. Verdient hat man damit so gut wie gar nichts, aber du machst auf dich aufmerksam. Das geht ganz langsam, mühsam nährt sich das Eichhörnchen. Man hat eine kleine Mappe, in der man seine Veröffentlichungen sammelt. Damit gehst du antichambrieren bei den Redaktionen und läßt dir sagen: Eigentlich könnten Sie doch besser zu Hause am Kochtopf bleiben als Frau. Ich habe mir das oft genug sagen lassen müssen: ob ich denn noch keinen Mann gefunden hätte, der mich ernährt.

Eine große Veränderung war dann sicher – auch was das Finanzielle betrifft – deine Arbeit für den »Spiegel« ab Mitte der sechziger Jahre?

Nein.

Wie, haben die nicht gut gezahlt?

Doch schon, aber vorher war ich noch bei der »Quick«, die waren ja damals Kopf an Kopf mit dem »Stern«. Ich war da auch ganz gut im Geschäft, doch das war mir irgendwann zu doof, ich wollte intelligentere Arbeit haben. Ich habe mich dann beim »Spiegel« beworben und fand die Geschichten dort viel interessanter. Ich habe einfach gerne Bilder gemacht zu aktueller Politik und zum Zeitgeschehen. Ich habe für die erst von München aus fotografiert und war dann anderthalb Jahre fest angestellt in Hamburg. Das war die einzige Zeit in meinem Leben, in der ich angestellt war. Ich fand die Abhängigkeit aber unerträglich, das war überhaupt nichts für mich! Ende der Sechziger bin ich also nach München zurückgegangen und habe als feste Freie weiter für den »Spiegel« gearbeitet, insgesamt zwanzig Jahre. Ich hatte da ein Fixum und habe Aufträge gekriegt.

Hast du alles allein gemacht?

Nein, ich habe teilweise mit Mitarbeitern gearbeitet. Ich hatte eine sehr gute Assistentin, aus der später eine sehr gute Fotografin geworden ist, Barbara Aumüller. Die ist auch gerne meinen schönen Rennwagen gefahren. Ich hatte so einen schicken Alfa GTI, und mit dem sind wir durch die Gegend gedüst und haben die Welt unsicher gemacht.

Du hast gesagt, daß du von Anfang an für den Markt produziert hast – gab es Sachen, die du deswegen nicht machen konntest?

Ich habe nur in Deutschland fotografiert. Das habe ich schon manchmal bedauert, weil ich gern Herrn Sartre in Paris geknipst hätte. Aber ich habe auch hier eine Menge spannender Aufträge bekommen. Ich habe zum Beispiel die Fotos zu dem berühmten Interview mit Martin Heidegger für den »Spiegel« gemacht. Ich habe den Heidegger ganz pragmatisch fotografiert, wie jeden anderen auch, und nicht versucht, den irgendwie tendenziös darzustellen. Das habe ich bei keinem Menschen gemacht, den ich fotografiert habe, auch bei Franz Josef Strauß nicht.

Hast du Einfluß darauf gehabt, welche Bilder von Heidegger veröffentlicht wurden?

Überhaupt nicht! Ich habe mich grün geärgert damals. Mein Name wurde natürlich nicht genannt, und dann war da noch dieser unangenehme Redakteur, Georg Wolff, der mir gleich auf der Fahrt nach Freiburg erzählt hat, daß er bei der SS war und daß da doch alles ziemlich harmlos gewesen sei. Ich habe mich dann gerächt – das würde ich heute nicht mehr machen. Ich habe beim Fotografieren darauf geachtet, daß ich den alten SS-Mann nur von hinten zeige. Wolff hat sich ziemlich geärgert, daß er nur von hinten zu sehen war – und das sollte er ja auch.

Erzähl mal, wie du den Regisseur Werner Schroeter kennengelernt hast.

Ich hatte den Auftrag, ihn für den »Spiegel« zu fotografieren. Ich fand den sehr symphatisch, er mich auch, und ich habe mich dann für seine Filme interessiert. Ab Anfang der Siebziger habe ich möglichst regelmäßig seine Arbeit fotografiert, also die Proben und Inszenierungen.

Das heißt, du hast Standfotografie bei Schroeter am Set gemacht?

Na, weißt du ... Ich sage ja in meinem neuen Buch – Standfotografie ist der Tod. Nein, ich bin einfach zu den Dreharbeiten hingefahren, wenn es spannend wurde. Ich habe mich erkundigt, habe überlegt, wann die wichtigen Sachen passieren, denn ich hatte ja wenig Zeit für meine Hobbys, zu denen Werner Schroeter gehört hat.

War das die Zeit, in der du selber daran gedacht hast, Filme zu machen? Dein erster Film »Praktisch bildbar« ist von 1982.

Ich habe immer davon geträumt, selber Filme zu machen. 1979 fuhr ich mit dem Chefredakteur des »Börsenblatts für den deutschen Buchhandel« zur Buchmesse nach Moskau, und auf dieser Reise habe ich zum ersten Mal gefilmt, mit so einer kleinen Super-8-Kamera ohne Ton. Ich habe das dann alles von der Pike auf gelernt, ein Kollege hat mir die Kamera erklärt. Ich habe auch selbst geschnitten, du weißt vielleicht, was das für ein Fummelkram ist mit diesen kleinen Filmchen. Später hat mir Alexander Kluge eine 16-Millimeter-Kamera geliehen.

Ich lebte damals in Frankfurt am Main, und mein Sohn brachte eines Tages einen kleinen Türkenjungen von der Straße mit. Es war eine merkwürdige Situation. Der Junge kam später öfter zu mir, auch wenn mein Sohn in der Schule war. Ich habe den dann gefragt, warum er nicht in die Schule geht. »Nein, da gehe ich nicht hin«, sagte er. »Die sind alle so komisch dort, und ich will da nicht hin!« Ich habe mich erkundigt, das war eine Schule für »praktisch Bildbare«, auf der Behinderte Kulturtechniken erlernten, zum Beispiel, wie man den Löffel zum Mund führt. Und da wurde dieser kerngesunde Junge hingeschickt, der ja nur nicht lesen und schreiben konnte.

Ich habe dann ganz schnell ein Exposé geschrieben, das zum Glück vom ZDF angenommen wurde und habe dann – learning by doing – den Film gedreht. Alles habe ich nicht zeigen können, weil ich in diese Schule nicht reingelassen wurde. Ich habe mit dem Direktor unglaublich gefightet, der war so ein kleiner Kinderquäler und wollte diesen gesunden Jungen einfach in seiner Schule haben. Die Filmarbeiten mit dem Jungen waren nicht einfach, aber er hat Lesen und Schreiben gelernt! Ich habe auch die Mutter unterrichten lassen. Aber die Familie wollte das gar nicht, die wollte, daß die Mutter Analphabetin bleibt. Das war das Abenteuer mit meinem ersten Film.

Ab 1987 hast du in Italien gelebt. Hattest du genug von der schönen Bundesrepublik?

Ja, ich hatte wirklich die Nase voll von Deutschland. Ich hatte so viel gekämpft hier, lag immer quer mit den Leuten, politisch oder überhaupt, und mußte einfach mal weg. In Italien hatte ich sehr viel Land am Anfang, ich hatte wahnsinnig zu tun. Das war merkwürdig, daß ich als »Kriegskind« – meine Kinder nennen mich manchmal so – nichts umkommen lassen konnte. Ich hatte viele Oliven-, Birnen- und Pflaumenbäume, und das Obst mußte natürlich eingemacht und verarbeitet werden. Da war ein sehr netter Bauer in der Nachbarschaft, der sagte zu mir: »Laß doch liegen, Gott sorgt schon dafür!« Das ging mir ganz gegen den Strich, aber ich habe das gelernt mit der Zeit. Parallel dazu habe ich weiter Fotos gemacht, ich hatte ein Labor und habe auch einen Film über das Behindertenheim Rigoccioli in der Nähe von Florenz gedreht. Und als dann nach einigen Jahren alles ganz schön und ordentlich von mir eingerichtet war in meinem Haus in Ligurien am Meer, habe ich gedacht: Hm, da muß noch was passieren, das kann jetzt nicht alles sein. 1999 war das, und ich bin dann nach Israel gefahren.

Weißt du noch, wieso Israel? Was war da für dich wichtig?

Israel war für mich immer schon ein sehr interessanter Ort, ich fühlte mich da hingezogen. Eine Freundin von mir war da verheiratet, eine zum orthodoxen Judentum konvertierte Deutsche. Die habe ich besucht und mir alles angeguckt. Ich wollte eigentlich ein Jahr lang in ihrer Familie jobben, während sie studierte, das hat dann aber nicht geklappt. Meine Freundin hatte vier Kinder, und niemand machte ihren Haushalt. Ihr Mann mußte eh immer zum Beten gehen. Der hat rumgebockt, als ich ankam, daß ihm eine Frau schon zu viel im Hause sei. Obwohl ich mich in meinem Zimmer, das ich in der Nähe der Altstadt in Jerusalem gemietet hatte, sehr wohl fühlte, fand ich es letzten Endes ganz gut, daß aus dem Job langfristig nichts wurde. Denn auf der »Galaxe« bei den Orthodoxen in der Nähe von Jerusalem war es ganz schön anstrengend. Ich habe da die Wäsche gemacht, gekocht und eingekauft, Strümpfe gestopft und gebügelt. Außer die Hemden vom Herrn des Hauses, die habe ich nicht gebügelt. »Mach’ ich nicht«, habe ich gesagt. »Das könnt ihr alleine machen.« Aber die kleinen Jungs müssen natürlich sauber und ordentlich sein, nicht nur für die Synagoge. Das war mein Israel-Ausflug.

Ein Zuhause hatte ich nicht mehr. Ich hatte mein Haus in Italien verkauft, das Geld auf die Bank gelegt und mein ganzes Hab und Gut in Mailand auf einen Speicher gegeben. Dann gehst du eben wieder fort aus Israel, habe ich gedacht. Back to the roots. Eigentlich wollte ich nach München, da kann man aber keine Wohnung bezahlen. So kam ich dann also leise weinend wieder nach Berlin, und nun bin ich hier.

Deine Mutter Rahel Weisbach hatte ab 1935 in Deutschland Berufsverbot, dein Vater Jan Bontjes van Beek saß drei Monate in Gestapohaft, deine älteste Schwester Cato ist Anfang August 1943 als Angehörige der »Roten Kapelle« in Plötzensee ermordet worden – kannst du dich erinnern, ob deine Eltern nach dem Krieg daran gedacht haben, aus Deutschland wegzugehen?

Meine Mutter hat es bedauert, daß sie nicht ausgewandert ist Anfang der dreißiger Jahre. Mein Vater wollte damals nicht. Er war gerade dabei, seine Erfolge als Keramiker zu haben, die beiden hatten eine schöne Werkstatt und haben toll produziert. Und nach dem Krieg waren meine Eltern erschöpft, die waren fix und fertig und wollten nicht darüber reden.

Magst du etwas zu den Umständen sagen, unter denen du das Jugendbuch Massel. Letzte Zeugen gemacht hast?

In meinem Alter kann man sich ja überlegen, was man macht. Ich habe eigentlich alles gemacht, was ich habe machen wollen, und dann überlegt man: Was ist wichtig? Ich fand, daß Aufklärung wichtig ist, da es selbst viele Erwachsene gibt, die nicht wissen, was das Warschauer Ghetto war, oder die überhaupt nichts wissen über diese Zeit, weil sie einfach nicht damit konfrontiert wurden. Ich habe mir überlegt, wie man so etwas attraktiv machen kann, denn es gibt ja eine Menge Literatur über Judenverfolgung oder Widerstandskämpfer. Ich bin in den Kibbuz der Ghettokämpfer in Israel und nach Polen gefahren und habe da mit Leuten gesprochen. Einige von denen sind die Protagonisten in diesem Buch. Und in Berlin habe ich beispielsweise den Jizchak Schwersenz getroffen, der inzwischen leider auch nicht mehr lebt und eine wahnsinnig spannende Geschichte hatte. Alle diese Leute haben »Massel«, haben Glück gehabt. Wenn es nach dem Willen der Nazis gegangen wäre, hätte keiner von denen überlebt. Das zu berichten lag mir sehr am Herzen, und das merkt man dem Buch auch an, glaube ich. Es ist ja mit sehr viel Wucht gemacht. Es hat mich sehr gefreut, daß das Buch so erfolgreich war – es ist auch mit dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis ausgezeichnet worden. Ich bin heute noch Patin an einer Berliner Schule, wo Massel im Unterricht gelesen wird. Ich mag die Gespräche in der Schule, ich finde das sinnvoll. Ich habe es immer gehaßt, Dinge zu tun, die nicht sinnvoll sind, mit denen nichts weitergeht.

Du bezeichnest dich als emanzipierte Frau, aber nicht als Feministin – kannst du das erklären?

Ich denke, daß ich immer schon emanzipiert war. Meine Mutter war emanzipiert und ihre Mutter auch. Und was ist emanzipiert? Ich habe mein Geld verdient, ich habe meine Männer geliebt und mit ihnen gerungen. Ich habe drei Kinder zum Teil selbst groß gezogen, allein finanziert und meine Arbeit gemacht nebenbei – das erfordert schon eine gute Organisation. Da ist bestimmt so manches zu kurz gekommen, sowohl bei den Kindern als auch bei meiner Arbeit. Aber es ist in Ordnung. Es hat niemand schwerwiegenden Schaden genommen. Und ich meine, daß auch Kinder eine Art von Schicksal hinnehmen müssen. Die können nicht immer nur auf weichen Kissen liegen. Sie müssen gut und liebevoll erzogen werden, dann wird schon etwas aus ihnen.

Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Es ist ja gerade erst das neue Buch fertiggestellt worden. Ich muß aufräumen, guck doch mal, wie das aussieht hier! Ich muß langsam organisieren, daß alles, wenn ich sterbe, ordentlich über die Bühne geht. Ich gebe mein Archiv in das Bildarchiv des Preußischen Kulturbesitzes, da müssen jetzt die Verträge gemacht werden. Außerdem habe ich ein neues Enkelkind – Aomi Céleste, der mein Buch gewidmet ist.

Digne M. Marcovicz: Der ewige Augenblick. Filmkünstler und Schriftsteller im Bild. Edition Text + Kritik, München 2012, 112 Seiten, 29,80 Euro

Dies.: Töpfe – Menschen – Leben. Berichte zu Jan Bontjes van Beek. Hentrich & Hentrich, Berlin 2011, 164 Seiten, 19,90 Euro

Dies.: Massel. Letzte Zeugen. Hanser, München 2007, 384 Seiten, 24,90 Euro (Rezension in KONKRET 1/08)

– Interview: Jens Hoffmann –

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