»Ich wette«, spottet der Kabarettist Volker Pispers über die Experten, Analysten und anderen Weisen, die dem Publikum und alle paar Monate der Bundesregierung die Krisen des Kapitalismus erklären, »ich wette, Sie haben intelligentere Lebensformen zu Hause auf ihrem Duschvorhang.« Pispers hätte recht – gesetzt den Fall, Analysten würden – vom Staat, von Banken und Industrieverbänden – für Aufklärung bezahlt und nicht für Propaganda. Das ist natürlich nicht der Fall.
So beginnt No way out – 14 Versuche, die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise zu verstehen, Band 56 der Reihe konkret texte, eine Sammlung aktueller Analysen und Thesen, ebenso fern den Panegyrikern der Verhältnisse wie ihren Heulsusen, die plötzlich dunkle Schatten an der Wand des nächtlichen Kohlenkellers entdecken. In No way out finden sich Antworten auf die Fragen, worum es sich bei der jüngsten Krise überhaupt handelt und was in ihr entschieden wird; ob die Banken den Staat beziehungsweise die Demokratie zerstören oder der Staat die Banken; in welchem Kampf die Klassen stehen und wo das revolutionäre Subjekt stecken mag; und ob am Krankenbett des Kapitalismus anderes möglich ist als Gesundbeterei oder Vivisektion. Dem titelgebenden Streitgespräch zwischen Thomas Ebermann, Michael Heinrich, Robert Kurz und Joseph Vogl (Auszüge waren in KONKRET 12/11 zu lesen) folgen Beiträge von Georg Fülberth, Werner Heine, Leo Panitch/Sam Gindin, Sahra Wagenknecht, JustIn Monday, Rainer Trampert, Thomas Kuczynski, Moishe Postone (Vorabdruck S. 20) und Dietmar Dath. Der Band, der in diesen Tagen erscheint, hat 192 Seiten und kostet 19,80 Euro. Er kann ab sofort beim Verlag (oder in einer Buchhandlung Ihres Vertrauens) bestellt werden.
Wolfgang Pohrt, den KONKRET in den Jahren von 1980 bis 2003 mit dem Abdruck von 118 Beiträgen einer größeren Leserschaft bekannt gemacht und dem der Betrieb wegen Frechheit – genauer: wegen Unanstelligkeit – jeden Dank in Form von Anstellung in Institut oder Redaktion versagt hat, hat vor kurzem ein Pamphlet mit dem Titel Kapitalismus Forever vorgelegt, das ihn spät, aber nicht zu spät neben den anderen Gefallenen des Bürgerkinderkriegs von 1968 ff. beisetzt: »Überhaupt«, hat er auf seinen Grabstein gemeißelt, »kann man den Kapitalismus nur bewundern, je länger man sich mit ihm befaßt. Marx ging es wohl ganz ähnlich, er hat am Ende nicht mehr gewußt, durch was man ihn ersetzen könne.« Pech für Pohrt, das nicht vor dreißig Jahren gesagt zu haben – anstatt den gegenteiligen »Quatsch«, wie er seine früheren Einsichten jetzt nennt –, er verzehrte heute in einer Villa am Stadtrand die Woche über seine Pension als Professor und polierte am Sonntag sein Verdienstkreuz.
Ersatzweise gibt Pohrt nun den volksnahen Feind aller Theorie, der das KONKRET-Streitgespräch über die Krise des Kapitals (s. o.) ein »sinnfreies akademisches Geschwätz« schimpft, als hieße er Franz Josef Wagner, und den Proleten Feuer unterm Hintern machen möchte, als wäre er der Hans-Olaf Henkel. Der vom Analytiker zum Analysten Geschrumpfte schreibt unterm Titel »Kein Fortschritt ohne Kapitalismus und Krieg« Weisheiten wie:
Deutschland hat unter den Nationalsozialisten sich generell große Verdienste um die Entrassifizierung der Welt erworben.
Oder:
Der Krieg leistet ja noch viel mehr. Nicht nur, daß wir ihm ... die Emanzipation der Kolonialvölker von imperialistischer Herrschaft verdanken. Die Frauenemanzipation ist nur der Legende zufolge von Alice Schwarzer erfunden worden, in Wahrheit geht sie auf eine Initiative von Kaiser Wilhelm zurück, auf seinen Entschluß, einen Krieg gegen den Rest der Welt anzufangen. Weil die Männer sich alle – allgemeine Wehrpflicht! – auf den Schlachtfeldern wechselseitig (sic!) umbrachten, zogen an der Heimatfront, in den Fabriken und Büros, die Frauen die Hosen an. Und die haben viele nicht mehr ausgezogen.
Pohrt zum Tod des spanischen Caudillo Franco:
Ich hätte ihm gerne weitere zwanzig Jahre gegönnt. Eine Bevölkerung, die es nicht schafft, ihren Diktator zu stürzen, hat es verdient, ihn behalten zu müssen.
Die Eingesperrten, die Gefolterten, die Garottierten hatten es verdient, weitere zwanzig Jahre eingesperrt, gefoltert, ermordet zu werden? Den schmächtigen Wolfgang Pohrt vor Augen, fällt einem zu solchen Phantasien nur noch Tucholsky ein: »Ist es ein Zufall, daß die Vertreter der wildesten Gewaltlehren, Nietzsche, Barrès, Sorel, keine zwanzig Kniebeugen machen konnten? Es dürfte kein Zufall sein.«
Die Sentimentalität mit Witz vertreiben konnten die vier so wenig wie Pohrt. Eine jüdische amerikanische Satirikerin macht vor, wie das zu gehen hätte:
War with Hitler prepelled America to 50 years of unstoppable productivity and innovation – and guess what?: Now we have I-Pods.
Sarah Silverman forever! Und No way out.
Ein Nachtrag zum Wunsch des Herausgebers, aus der deutschen Staatsbürgerschaft auszutreten (Kolumne in 4/12): Altona, wo KONKRET sitzt und Gremliza wohnt, ist in den letzten anderthalb Jahrhunderten immer weiter heruntergekommen: Bis zur Niederlage Dänemarks im Krieg mit Preußen 1864 wurde es vom Herzog von Schleswig und Holstein, dem König von Dänemark, regiert. Anno 1937/38, zur Nazi-Zeit, wurde das zwangspreußische Altona mit Hamburg zwangsvereinigt. Seit einigen Jahren fordert die Initiative »Altonaer Freiheit« Revision: »Altona skal være dansk! Altona muß dänisch werden!« Dem Fußballverband der dänischen Färöer-Inseln haben Initiative und Bezirksversammlung 1990 angeboten, seine Heimspiele zur EM-Qualifikation im Altonaer Volksparkstadion oder in der Adolf-Jäger-Kampfbahn auszutragen. Außerdem hat die Initiative durchgesetzt, daß zu Tagungen der Bezirksversammlung vor dem Altonaer Rathaus auch die Altonaer Flagge gehißt wird.
29. April: KONKRET-Krisengipfel III: »Die Untüchtigen. Gisela Elsner – Die letzte Kommunistin«. Vortrag und Lesung mit Christine Künzel und Annette Uhlen. Hamburg, Golem, Große Elbstraße 14, 20 Uhr – Eintritt frei.
Wenzel Storch liest eigene Texte, zeigt Schmuddelbildchen und eigene Filme: am
6. Mai in Marburg, Café Trauma, Afföllerwiesen 3a, 18 Uhr (»Sommer der Liebe«); am 11. Mai in Hannover im Silke Arp Bricht/Oberdeck, Königswortherstraße 20, 21 Uhr (»Sitzfußball und Gruppensex« u. a.). ?