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05.07.2012 11:14

 

COSMOPOLIS

Regie: David Cronenberg;

mit Robert Pattinson, Juliette Binoche;

Kanada/Frankreich 2012 (Falcom

Media); 108 Minuten; ab 5. Juli im Kino

 

Eine Ratte als Währungseinheit, das wär’ was!« ruft der Börsenhai. »Nieder mit dem Rattensystem!« rufen die Demonstranten und bewerfen die Arbeitgeber mit Papp- und echten Tieren. Ein jahrhundertealter Reflex aufs Zinssystem als Einstieg in den aktuellsten Filmdiskurs, den das Kino übers international flottierende Kapital dieser Tage zu bieten hat: David Cronenbergs Verfilmung von Don DeLillos Roman Cosmopolis aus dem Jahr 2003 (gerade neu erschienen als Kiwi-Taschenbuch).

2003? Näher dran gibt’s nichts? Ach, wieso, 2001 ist die Börse auch schon mal geplatzt, Stichwort New-Economy-Blase. DeLillo ist seit dem neuerlichen Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 allseits gelobt worden für seinen spekulativen Weitblick. Und das ist kein Wunder: Im Roman philosophiert der milliardenschwere Börsenboy Eric Packer (im Film Chef- »Twilight«-Vampir Robert Pattinson) mal flott, mal gelangweilt über die Welt an sich und das darin befindliche Finanzsystem – könnte auch Börsenmonologe heißen. »Der Yuan benimmt sich nicht, wie er soll« ist derzeit Packers Devise. Sekündlich verliert er Dutzende Millionen seines zusammengespielten Wohlstands. Mit Wetten auf Währungskurse verdient er die automatisierte Rendite: Her mit der Technik – der Generation, die von der Playstation aufgezogen wurde, ist alles Satz und Sieg. Zu Beginn des Films sieht man eine lange Reihe Autos, und sie sehen alle aus wie Erics Wagen. Selbst im Reichtum jenseits der Milliardengrenze ist man, scheint’s, schon in der Masse. Wie schön: Mit der Steigerung der Produktion stehen auch die Expropriateure wenigstens ab und zu mal in der Schlange. Packer sitzt in einer Stretchlimo und läßt sich durch New York kutschieren. Heute morgen war dem Geldspund nach Haareschneiden. Am anderen Ende der Stadt wartet der greise Familien-Coiffeur. Die Stadt explodiert vor Aufregung. Man sieht davon nicht viel, wir bekommen es gesagt. Der Präsident ist da und allerlei prominentes Volk. Jede Menge Attentäter sind unterwegs und die Globalisierungsgegner von der Antirattenliga. Und so bewegt sich Packer im Schrittempo durch diese Vorhölle.

Während draußen die Verhältnisse dampfen, organisiert der smarte Held die Ausbeutung. Das Dienstpersonal gibt sich die Autotürklinke in die Hand. Er empfängt den minderjährigen Programmierfransel seiner Gewinner-Software wie die »Cheftheoretikerin« seines Unternehmens. Ich tippe auf ein Studium der viralen Systemsteuerung oder so: »Ey, die

Demonstranten sind dazu da, den Apparat zu optimieren.« – »Cyberkapital schafft Zukunft.« Der nächste Mitarbeiter steigt zu, das angeheiratete süße Oberschichtending aus.

Die Geliebte kommt (Juliette Binoche rackert sich ab). Das hyperreiche Individuum Packer konstatiert seine Selbstoptimierung (»Nur noch sechs Prozent Körperfettanteil«) zum Zwecke der besseren Optik beim Sex – bei dem Packer so ich-bezogen ist, daß er das bißchen Liebe auch mit Masturbation erledigen könnte. Wie kommt er nur zurück ins wahre Leben? Vielleicht jemand umlegen, denkt er wie ein American Psycho-Bateman im Wartestand. (Ob Packer das Buch wohl kennt?) Vielleicht reicht auch schon ein gezielter Schuß in die eigene Hand.

Nanosekunden, Rendite-Junkies, Superrechner: Wen wundert’s, daß sich Cronenberg von diesen Themen angezogen fühlt – hat er doch schon mit »Crash« (1996) die nichtsnutzigen Reichen aufs Korn genommen. Damals fuhren sie noch Autos zu Schrott und nicht die Weltwirtschaft.

»eXistenZ« (1999) war ein weiterer Versuch, den Hochreichtum zu visualisieren. Hier geht es um die Verdienstmöglichkeiten in der Spielebranche, im Verlauf der Handlung kann sogar die Mensch-Maschine-Schranke überwunden werden: Konsolen werden aus Fleisch gezüchtet. Ein besseres Beispiel seines surreal-paranoiden Schaffens – wenig aus Cronenbergs Werkstatt ist so gelungen.

Bei »Cosmopolis« hakt es schon in der Herangehensweise: Für das Drehbuch habe er alle Dialoge aus DeLillos Roman herausgeschrieben, sagt der Regisseur, und dann die Lücken aufgefüllt. Hä? Dann hätte er das Buch doch gleich ganz abschreiben können! Genauso schaut sich sein Film dann auch an – wie abgeschrieben. Eins zu eins. Variationen Fehlanzeige. Die Literaturverfilmung als Hörspiel mit Bildern.

Dem Kapitalistengesülze, streckenweise leicht ermüdend, weil der Art, wie es auch auf jeder Firmen-Homepage unter dem Menüpunkt »Our Vision« zu lesen ist, wird viel Raum zur Entfaltung gelassen – gut 100 Minuten schaut man Menschen beim Schwafeln zu. Dem Vernehmen nach ist Kino durchaus was für die Augen – möchte der Regisseur das Publikum beim E-Mail-Checken nicht zu sehr stören? Auch augenfällig: Die Handlung datiert buchgetreu aufs Milleniumsjahr – ein Update auf die Finanzkrise 2.0 hätte die Sicht aufs große Ganze wahrlich nicht getrübt.

Der Regisseur findet keine neue Optik für seinen Stoff, weil er sich wenig auf die Materie einläßt. Vielleicht liegt’s auch daran: Der steigende Yuan, der stagnierende Dollar – die allgegenwärtige Hochfinanz scheint wenig verwertbare Motive zu bieten. »Wall Street«, das war auch nur die Gier im Gesicht von Michael Douglas; »Margin Call« waren die Statements der Lehman-Banker, wie liebevoll sie für ihre Kinder und Autos sorgen. Was ließe sich vom langweiligen Finanzsektor zeigen? Bildschirme, Männer in Anzügen, Frauen in hohen Schuhen? Pornofilme gibt’s bekanntlich schon.

Also filmt man die altbekannten Zynismen jener brutal gezeichneten Akteure ab, die der Kapitalismus heutzutage im Kino so generiert: »Unser System ist sicher«, »Wir sind bedeutend«, »Kaufen!«, »Ich liebe Informationen«, »Optimismus ist ein Programm«, »Da hilft nur Krieg«, »Der Schmerz reicht für alle.« Beziehungsweise: »Meine Prostata ist asymmetrisch.« – »Meine auch.« So viel Ansprache und so wenig Bewegung war selten.

Cronenbergs Blutsauger bleibt ein blasses Geschöpf. Wo die erste halbe Stunde noch recht rat(t)ional anfängt und einen gewissen Einfallsreichtum auffährt, hängt der Film alsbald ganz unmodern wie eine defekte DVD: Die Handlung stockt, ruckelt, am besten fängt man von vorne an. Roadmovie, ein bißchen festgefahren – wie die derzeitige Kapitalismuskritik, könnte man sagen. Na, da ist er ja doch noch, der Anschluß ans Heute.

Immerhin schafft es der Held zum Friseur.

 – Jürgen Kiontke –

 

 

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