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Überzeugungstäter

13.07.2012 15:08

Vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuß sagte der Abteilungsleiter »Rechtsextremismus« des Landesamtes für Verfassungsschutz Schrader: »VS-Chef Roewer ist in der 6. Etage der Verfassungsschutzbehörde einmal Fahrrad gefahren.« In dieser und den bisherigen Aussagen im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuß erscheint der Verfassungsschutz als staatlich finanzierte Satireorganisation. Dass es den braunschwarzen Verfassungsschützern jedoch ernst ist, beschrieb Peer Heinelt in KONKRET 1/12 anhand der historischen, politischen und ideologischen Grundlagen der Arbeit des deutschen Verfassungsschutzes.

Von Peer Heinelt

Betrachtet man das 2003 gescheiterte NPD-Verbotsverfahren oder die jüngsten Enthüllungen über das Netzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund«, gewinnt man den Eindruck, die sogenannten V-Leute des Verfassungsschutzes dienten weniger der Informationsbeschaffung denn der Steuerung der genannten Organisationen. Von den Vertretern des bundesdeutschen Inlandsgeheimdienstes wird dies auch mehr oder weniger offen eingestanden. So meinte etwa Wolfgang Cremer, anno 2000 Leiter der Abteilung »Rechtsextremismus« im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), daß insbesondere die »Funktionäre« extrem gewalttätiger Nazigruppen wie »Blood & Honour« oder »Hammerskins« enge »Kontakte zu einer großen Zahl von Skinheads anderer Cliquen« hielten und »den Verfassungsschutzbehörden wertvolle Interna liefern« würden. Da der Inlandsgeheimdienst gleichzeitig an einem »langen und kontinuierlichen Einsatz« ebendieser Funktionäre interessiert sei, werde »jede Maßnahme« unterlassen, »die die Zusammenarbeit zwischen Behörde und der Quelle in der Szene offenbaren könnte«: »Aus diesem Grund messen alle Verfassungsschutzbehörden der Abschirmung ihrer Quellen eine besonders hohe Bedeutung zu, auch wenn dies gelegentlich das Unverständnis der Polizei hervorruft.« Deutlicher wurde nur der Verfassungsschützer Hans Joachim Schwagerl in seinem 1968 erschienenen Handbuch für Theorie und Praxis. Über den »gezielten V-Mann-Einsatz« heißt es hier: »Die Führung der V-Leute erfolgt nicht nur nach dem Prinzip der laufenden Erkenntnisgewinnung aus dem Objekt, sondern kann vorübergehend zu einem aktiven Einsatz führen, um durch die Stimme oder Meinung des V-Manns die Beschlüsse eines verfassungsfeindlichen Gremiums in einem dem Auftraggeber gewünschten Sinne zu beeinflussen. ... Dieses sog. ›Hochspielen‹ eines V-Mannes gehört ... zur ›hohen Schule‹ der V-Mann-Führung.«

Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Schwagerls Handbuch bekleidete Hubert Schrübbers den Posten des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dem vormaligen NS-Staatsanwalt, der bei den von ihm initiierten »Hochverratsprozessen« gegen Antifaschisten immer wieder langjährige Zuchthausstrafen gefordert hatte, galt die gerade von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilende NPD als »deutschtümelnde« Partei ohne »klares politisches Konzept«. Gegen den Kommunismus indes führte Schrübbers nach eigener Aussage einen »politischen Krieg«, wobei er insbesondere die Staatspartei der DDR ins Visier nahm: »Die SED ist überhaupt der eigentliche Träger des Kampfes gegen die Bundesrepublik. Sie stellt den Generalstab, der die Angriffsmethoden plant, und die zentrale Kommandostelle, die ihre Durchführung leitet.« Instruiert von der SED, arbeiteten dann laut Schrübbers die vom Verbot der KPD gänzlich unbeeindruckten westdeutschen Kommunisten daran, »eine revolutionäre Ausgangslage zu schaffen, die zielstrebige Umsturzaktionen möglich macht«:

Ständige Verleumdungen – auch mit gefälschten Dokumenten – und Diffamierung als Imperialisten, Revanchisten und Militaristen, die nach Atomwaffen streben, Zersetzung der Bundeswehr, Verdächtigung der Sicherheitsorgane und ständige Diffamierung führender Persönlichkeiten sind die hierfür eingesetzten Mittel. Gleichzeitig unternehmen sie unablässige Versuche, die Bevölkerung in ihrem Sinn zu beeinflussen, vor allem die Arbeiter, um die erforderliche Massenbasis für politische Aktionen zu gewinnen. Jeder innenpolitische Konflikt, wie Streiks, Meinungsverschiedenheiten über Notstandsgesetze, der Vietnamkrieg, Abrüstungsfragen usw. sind willkommene Gelegenheiten zur Agitation, um eine Kluft zwischen Regierung und Bevölkerung aufzureißen.

Folgerichtig waren für Schrübbers Friedenskomitees, Ostermarschierer und die Vereinigungen der NS-Verfolgten und antifaschistischen Widerstandskämpfer lediglich kommunistische »Hilfsorganisationen«.

Zutreffend bezeichnete der von 1961 bis 1965 amtierende Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU), der bereits 1931 der NSDAP beigetreten war und sich einen Namen als Nazijurist gemacht hatte, die Bediensteten des Verfassungsschutzes als »Frontkämpfer bei der Bekämpfung des Staatsfeindes«. Ganz ähnlich äußerte sich auch der Journalist Hans Detlev Becker, vor 1945 HJ-Funktionär und Angehöriger der NS-Militärspionage, nach 1945 zunächst Chefredakteur des »Spiegel« unter Rudolf Augstein, ab 1961 dann Generalbevollmächtigter des »Spiegel«-Verlags. In einer Publikation des Bundesinnenministeriums mit dem schönen Titel Verfassungsschutz, aus der auch die zitierten Äußerungen des BfV-Präsidenten Schrübbers stammen, ließ Becker wissen, daß bei der Bekämpfung des kommunistischen Feindes in Ost und West so ziemlich jedes Mittel recht ist:

Staatssicherheitsschutz ... kann Abwehrmethoden erfordern, die den Angriffsmethoden entsprechen: Wo ein mikroskopischer Punkt unter der Briefmarke schriftliche Spionage-Instruktionen enthält, können gesetzlose Postkontrollmaßnahmen angebracht sein; wo verschlüsselte Informationen über Funk und Rundfunk empfangen werden, hat der Schutz des Fernmeldegeheimnisses keinen verfassungsadäquaten Inhalt mehr; zur Bekämpfung technischer Spezialisten der Geheimkommunikation sind Spezialisten recht, mögen sie ihr beklemmendes Handwerk bei Gestapo-Chef Heinrich Müller, SD-Chef Reinhard Heydrich oder des Satans Großmutter gelernt haben.

In der Tat wurden etliche »Spezialisten« aus dem Terrorapparat des Dritten Reichs direkt in das 1950 gegründete Bundesamt für Verfassungsschutz übernommen. Besonders engagiert bemühten sich der seit 1951 amtierende Vizepräsident des BfV, Albert Radke, und der Leiter der Abteilung IV (Spionageabwehr) der Behörde, Richard Gerken, um die Wiederrespektive Weiterverwendung ihrer alten Kameraden. Radke hatte dem NS-Regime als Verbindungsoffizier des für die militärische Spionage zuständigen Amtes Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) gedient und in dieser Funktion unter anderem die Verbindung zur Geheimen Staatspolizei gehalten; nach der Besetzung Tschechiens durch deutsche Truppen und der Proklamation des slowakischen Satellitenstaates gehörte nicht zuletzt die Deportation der dort lebenden Juden in die nationalsozialistischen Vernichtungslager zu seinen Aufgaben. Gerken entstammte wie sein Vorgesetzter Radke dem Spionageapparat der Naziwehrmacht und hatte sich in den von Deutschland okkupierten Niederlanden insbesondere um die Verfolgung und Ermordung antifaschistischer Widerstandskämpfer verdient gemacht; um die Jahreswende 1944/45 wechselte der nunmehr zum SS-Hauptsturmführer Geadelte in das Amt IV (Gegnerforschung und -bekämpfung/Gestapo) des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA).

Zu den von Radke und Gerken Reaktivierten zählte unter anderem eine solch illustre Persönlichkeit wie Oberregierungsrat Erich Wenger, dem die Leitung der Gruppe »(Informations-)Beschaffung« im Amt IV des BfV anvertraut wurde. Wenger war am 1. März 1933 der SS beigetreten und gehörte danach zwei Jahre lang der »Leibstandarte Adolf Hitler« an. Die ebenfalls im März 1933 gegründete »Leibstandarte« unter dem Kommando des SS-Offiziers Josef (Sepp) Dietrich diente dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes als Privattruppe und ermordete 1934 im Rahmen der Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putsches zahlreiche Angehörige der als Konkurrenz zu Wehrmacht und SS angesehenen SA. Wenger wechselte 1935 zur Berliner Gestapo und wurde vier Jahre später in das Amt IV des RSHA übernommen, wo er es bis zum SS-Hauptsturmführer und Kriminalrat brachte. Während des Zweiten Weltkriegs fungierte Wenger an der deutschen Botschaft im besetzten Paris als Verbindungsoffizier zum Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD; im Sommer 1944 durfte er dann selbst ein Kommando zur Bekämpfung französischer Partisanen führen. Im BfV kursierte die eingängige Formel »Ohne Wenger kein Verfassungsschutz«; seinen Vorgesetzten im Bundesinnenministerium galt Wenger als »das beste Pferd im Stall«. Letzteres verwundert nicht weiter, betrachtet man die Biographie des Urhebers der zitierten Äußerung: Ministerialdirigent Rudolf Toyka fungierte vor 1945 im deutsch besetzten Polen als »Sicherheitsbeauftragter« des dortigen »Generalgouverneurs« Hans Frank, der sein Sicherheitsbedürfnis durch die Vernichtung von Juden und Kommunisten befriedigte.

Als 1963 publik wurde, daß der Verfassungsschutz die Telefongespräche zahlreicher Bundesbürger abgehört hatte, geriet auch die Personalpolitik des BfV ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik. Wer nun glaubt, Innenminister und Verfassungsschützer hätten sich deshalb kleinlaut und zerknirscht gezeigt, irrt gewaltig. Am 28. August 1963 gab das Bundesministerium des Innern folgende offizielle Erklärung ab:

Es gibt nur wenige Kräfte, die den schwierigen Aufgaben des Verfassungsschutzes genügen. Ein dringendes Sicherheitsbedürfnis wird in nicht zu verantwortender Weise aufs Spiel gesetzt, wenn die von der öffentlichen Kritik betroffenen ehemaligen SS-Angehörigen aus dem BfV entlassen würden. Diese Leute sind an der Aufklärung mehrerer bedeutender Spionagefälle in den vergangenen Jahren beteiligt gewesen. Es gibt auch keine rechtlichen Handhaben, sie aus dem Amt zu entfernen, da sie sich keiner Dienstvergehen schuldig gemacht, sondern sich im Gegenteil bewährt haben.

Bewährt hatte sich neben Schrübbers, Gerken, Radke, Wenger & Co nicht zuletzt Amtmann Johann(es) Strübing. Der vormalige SS-Hauptsturmführer im Amt IV des RSHA war maßgeblich an der Liquidierung der antifaschistischen Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/ Harnack beteiligt, die bei den Repressionsbehörden des Dritten Reichs unter der Bezeichnung »Rote Kapelle« firmierte. Strübing, der selbst Häftlinge gefoltert hatte, rühmte sich gegenüber seinen Kollegen im BfV, durch seine Tätigkeit für die Gestapo etwa 70 Menschen »aufs Schafott gebracht« zu haben. Auch für ihn galt selbstverständlich der von Innenminister Höcherl via Presseagenturen am 8. September 1963 lancierte »unkomplizierte Hinweis«, daß die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes »nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unterm Arm« herumlaufen könnten.

Politische Konsequenzen hatte die sogenannte Telefonabhöraffäre von 1963 nicht; ein Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages begnügte sich mit dem ebenso sibyllinischen wie nichtssagenden Urteil, »Mißbräuche« der Befugnisse des Verfassungsschutzes seien »nicht festgestellt« worden, könnten aber auch »nicht ausgeschlossen« werden. In der Folge des Geheimdienstskandals kam es lediglich zu einigen personellen Umgruppierungen: Mitarbeiter wie Richard Gerken, die ohnehin das Rentenalter erreicht hatten, gingen in Pension; andere, wie Erich Wenger, wurden an andere Bundesbehörden versetzt. Eine strafrechtliche Verfolgung wegen in der NS-Zeit begangener Verbrechen mußte keiner der Betroffenen befürchten. Hubert Schrübbers blieb bis 1972 Präsident des BfV, dann ersetzte ihn der vormalige Nazijurist Günther Nollau, der 1942 der NSDAP beigetreten war und seit 1965 die Abteilung III (Linksextremismus) des BfV führte.

Nichtsdestotrotz empfanden die im BfV verbliebenen alten Kameraden das im Gefolge der Telefonabhöraffäre eingeleitete Revirement als persönliche Schmähung. Noch 1981 zeigte sich der vormalige Offizier der Naziwehrmacht Hendrik van Bergh, der von 1961 bis 1974 die »Öffentlichkeitsarbeit« der Behörde verantwortet hatte, schwer empört:

Der Hinauswurf der »ehemaligen Ehemaligen«, der Kriminalbeamten der ersten Republik, von den Nazis in die SS vereinnahmt wurden und dann ihre Kenntnisse und Erfahrungen in den Dienst der zweiten Republik stellten, war zuerst und vor allem eine menschliche Tragödie und eine politische Schweinerei, das heißt, ein glatter Verstoß gegen die primitivste Form einer Fürsorgepflicht des Dienstgebers. Die Betroffenen haben sehr darunter gelitten, verstanden die Welt nicht mehr und leiden noch heute darunter.

Das Unverständnis ist nachvollziehbar, hatte die Telefonabhöraffäre doch keinerlei Einfluß auf die politische Ausrichtung des bundesdeutschen Inlandsgeheimdienstes. Der Skandal war schon seit einigen Jahren Geschichte, als der Verfassungsschützer Hans Joachim Schwagerl in seinem bereits erwähnten Handbuch für Theorie und Praxis eine »Kriminologie des Verfassungsfeindes« entwarf, die – ersetzte man den Begriff »Verfassung« schlicht durch »Staat« – in weiten Teilen auch von Reinhard Heydrich und seinen Mannen aus dem Reichssicherheitshauptamt stammen könnte. Präsentiert werden hier bestimmte »Tätertypen«, die nach Ansicht des Autors das »verfassungsfeindliche Kollektiv ... auf dem Gebiet des Linksradikalismus« konstituieren.

An erster Stelle steht bei Schwagerl der »kommunistische Überzeugungstäter«: »(D)ieser Typ (hat) in der Regel eine harte Jugend erlebt, stammt oft aus kinderreichen Familien. Die wirtschaftlichen Sorgen haben ihn schon frühzeitig die ›Notwendigkeit des Klassenkampfes‹ gelehrt. ... Berufe wie Bergmann, Industriearbeiter, Handwerker und Gewerbetreibende sind hier häufig vertreten.« Eine »besondere Spielart des Überzeugungstäters«, so Schwagerl weiter, sei der »Apparatschik«, der »ohne Rücksicht auf Familie und Beruf fanatisch Aufträge und Ziele der Partei zu verwirklichen trachtet«. Bei ihm handele es sich um den »Typ des intelligenten, seelenlosen Funktionärs«, der die ihm gestellten Aufgaben auch dann erfülle, »wenn es gegen seine Freunde oder gar gegen seine Angehörigen geht«: »Diese Typen sind die Antreiber und Kontrolleure. ... Für die freiheitliche demokratische Grundordnung stellen sie ohne weiteres die gefährlichsten Gegner dar. Sie sind die Wühlmäuse im Untergrund, jederzeit bereit, unserem demokratischen Staat Nachteile zuzufügen und unerbittlich zuzuschlagen.«

Ein Täterkollektiv aber wäre kein solches, verfügte es nicht über jede Menge devoter »Handlanger«, die Schwagerl in erster Linie unter »politischen Wirrköpfe(n) und Schwärmer(n)« ausmacht:

Die politischen Schwarmgeister müssen deshalb als gefährlich angesehen werden, weil sie oft im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, sei es als Hochschullehrer, Wissenschaftler oder Theologen, und über eine bestimmte Resonanz verfügen, die nicht unbedingt primär auf dem politischen Sektor liegen muß. Sie haben aber die Möglichkeit, auf eine Zuhörerschaft, meist junge Menschen, einzuwirken, ihre konfusen politischen Ideen zu verbreiten und die Zuhörer kraft ihres beruflichen Ansehens zu beeindrucken. ... Sie treten offen für Frieden und Freiheit ein, sehen in der kommunistischen Lehre nur das kleinere Übel gegenüber den Auswirkungen des Kapitalismus. Wir finden sie in der kommunistischen »Friedensbewegung« und in anderen kommunistischen Tarnorganisationen.

Gegenüber der geballten Aggressivität des »kommunistischen Kollektivs« und seiner »Handlanger« erscheinen bei Verfassungsschützer Schwagerl neonazistische Aktivitäten nachgerade als fehlgeleitete Streiche pubertierender Jungs, wobei es sich bei den Tätern seiner Ansicht nach ohnehin fast ausschließlich um »Einzelgänger« handelt:

Diese Einzelgänger treten als Urheber von politischen Störungen oder antisemitischen Aktionen, als Verfasser von nationalistischen Hetzschriften und ähnlichen Pamphleten auf. ... Typisch für sie sind Schmieraktionen nazistischer und antisemitischer Art (Beleidigungen, Bedrohungen, Friedhofsschändungen und Besudeln von Synagogen) oder sonstige Handlungen zur Verherrlichung des NS-Regimes. ... Sie lassen sich vorwiegend von Emotionen leiten. In ihnen stecken starke Vorurteile, sie fühlen sich entrechtet und verkannt. ... Vielfach treten noch reizauslösende Faktoren hinzu, die zur Tatausführung beitragen, wie die emotionelle Beeinflussung in politischen Versammlungen, Aufzügen, durch Marschmusik, Fahnen, Fackelzüge, Streit und Alkohol.

Die geschilderten Auffassungen, die die Arbeit des BfV strukturieren, haben sich bis heute nicht wesentlich geändert. So stellt der amtierende BfV-Präsident Heinz Fromm in der aus Anlaß des 50jährigen Bestehens seiner Behörde erschienenen Festschrift unverdrossen kommunistischen Kollektiven neonazistische »Einzeltäter« gegenüber: »Grausame Höhepunkte der politischen Gewalt waren die blutigen Attentate der von marxistisch-leninistischen Denkmustern bestimmten RAF-Terroristen, insbesondere die Mordserie im ›deutschen Herbst‹ 1977. ›Revolutionäre Zellen‹ praktizierten den sog. Feierabend-Terrorismus. Doch auch Rechtsextremisten wie Gundolf Köhler, Odfried Hepp, Walther Kexel, Karl Heinz Hoffmann, Manfred Roeder und andere versuchten in den achtziger Jahren mit schweren Anschlägen, unsere politische Ordnung zu destabilisieren.« Daß Karl Heinz Hoffmann eine nach ihm benannte »Wehrsportgruppe« anführte, der auch Gundolf Köhler angehörte, als er 1980 auf dem Münchner Oktoberfest das blutigste Attentat in der Geschichte der BRD verübte, verschweigt Fromm – ebenso wie die Tatsache, daß der Rassist Manfred Roeder 1980 nicht allein, sondern mit Hilfe der von ihm gegründeten »Deutschen Aktionsgruppen« bei einem Brandanschlag auf ein Flüchtlingswohnheim in Hamburg zwei Vietnamesen ermordete.

Auch die von Verfassungsschützer Schwagerl 1968 zur Verharmlosung des rechten Terrors bemühte »emotionelle Beeinflussung« der Täter durch Alkohol und persönliche Affekte erfuhr noch mehr als dreißig Jahre später eine Neuauflage: »Wenn betrunkene Skinheads beim Anblick eines Farbigen diesen spontan zusammentreten, kann das schwerlich Gegenstand einer Vorausmeldung des Verfassungsschutzes sein«, ließ anno 2000 der seinerzeitige Pressechef des BfV, Hans-Gert Lange, wissen.

Nach wie vor bildet der Antikommunismus die wesentliche ideologische Arbeitsgrundlage des Verfassungsschutzes. Öffentlich beklagt der von der Behörde engagierte »Extremismusforscher« Uwe Backes die gesellschaftliche »Erosion des antiextremistischen Konsenses«, die seiner Ansicht nach einem weitverbreiteten »Wohlwollen gegenüber den von der extremen Linken propagierten Zielen« geschuldet ist. Der »Linksextremismus« wiederum zeichnet sich nach Auffassung von Backes Kollegen Eckhard Jesse dadurch aus, daß er stets versucht, »den Kapitalismus für alle Übel der Welt verantwortlich (zu) machen«. Gerne präsentiert sich Jesse in diesem Zusammenhang als Opfer gezielter Diskriminierung: »Was die Thematik des politischen Extremismus angeht, so steht der Rechtsextremismus weitaus mehr im Blickpunkt als der Linksextremismus. Das gilt für die (Politik-)Wissenschaft, die Publizistik und auch für die Politik. ... Die zwischen links und rechts vergleichende Extremismusforschung spielt noch immer nicht die ihr zustehende Rolle. Und die Literatur zum Rechtsextremismus ist weitaus umfangreicher als die zum Linksextremismus. Die Quantität sagt allerdings nichts über die Qualität aus. ›Antifaschistische‹ Schriften nehmen einen großen Platz ein.« Wohlgemerkt: Der Begriff Antifaschismus steht bei Jesse in Anführungszeichen.

Von hier bis zur Apologie von Rassismus und Neofaschismus ist es nur ein kleiner Schritt. So bescheinigt Uwe Backes in einem Aufsatz für eine Publikation des Verfassungsschutzes der Partei Die Republikaner (REP), »kein Entwicklungsprodukt des rechtsextremen Lagers« zu sein. Das öffentliche Bekenntnis des Parteigründers und vormaligen SS-Mitglieds Franz Schönhuber zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit wird als »freimütig« gelobt, während die rassistische Hetze der REP zur »populistischen Propaganda« mutiert, die »verbreitete Ängste und Vorurteile auszubeuten sucht«. Über die Parteimitglieder schreibt Backes, sie seien »unter liberal-demokratischen Rahmenbedingungen sozialisiert worden« und hätten die entsprechenden Normen »zumindest in Teilen internalisiert«. Kein Wunder, daß der »Extremismusforscher« auch die »Junge Freiheit«, das Wochenblatt für die Naziintelligenz, für ein durchaus seriöses Medium hält, das in den letzten Jahren »viel von seiner ursprünglichen polemischen Radikalität verloren« habe und »informativer geworden« sei.

Was Selbstdarstellung und Imagepflege angeht, ist der Verfassungsschutz indes durchaus lernfähig. Ende 2010 teilte der Inlandsgeheimdienst mit, seine Geschichte der Jahre 1950 bis 1975 untersuchen und dabei die »NS-Bezüge früherer Mitarbeiter« besonders berücksichtigen zu wollen. Die Behörde folgte damit dem Beispiel des Auswärtigen Amts, des Bundeskriminalamts (BKA) und des Bundesnachrichtendienstes (BND), die bereits ähnliche Projekte in die Wege geleitet respektive erledigt haben. Sehr viel Neues dürfte allerdings nicht zu erforschen sein; der Historiker Patrick Wagner etwa attestierte der »Führung der Sicherheitsbehörden« in der BRD schon vor etlichen Jahren eine »personelle Kontinuität von nahezu 100 Prozent«. Der Wahrung der Kontinuität kam nicht zuletzt zugute, daß zwischen den bundesdeutschen Repressionsdiensten ein reger Personalaustausch stattfand und die Behördenleitungen keinerlei Berührungsängste mit veritablen Massenmördern hatten.

So wechselte beispielsweise der vormalige NS-Staatsanwalt Ernst Brückner, der zuvor die zum Schutz von Bundeseinrichtungen geschaffene »Sicherungsgruppe Bonn« des BKA geleitet hatte, 1954 ins BfV, wo er es bis zum Vizepräsidenten brachte. Oberster Ermittler der »Sicherungsgruppe« war seit 1952 der vormalige SS-Hauptsturmführer Theodor Saevecke, der 1939 mit einem Mordkommando am deutschen Überfall auf Polen teilgenommen und 1942 tunesische Juden zur Zwangsarbeit gepreßt hatte. In seiner Eigenschaft als Gestapo-Chef von Mailand ließ er im August 1944 fünfzehn antifaschistische Widerstandskämpfer öffentlich erschießen. Für dieses Verbrechen wurde Saevecke am 9. Juni 1999 in Turin zu lebenslanger Haft verurteilt – selbstverständlich in Abwesenheit, da die BRD bekanntlich seit ihrer Gründung die Auslieferung von Kriegs- und Naziverbrechern verweigert.

Es dürfte den personellen wie den ideologischen Kontinuitäten zu verdanken sein, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz sich bereits mit der Ausschreibung seines Geschichtsprojekts das Monopol auf Interpretation und politische Bewertung der eigenen Historie gesichert hat. Wer forschen wollte, mußte zuvor der Behörde seine Loyalität beweisen: Interessierte Wissenschaftler hatten sich einer »erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen« zu unterziehen, die unter anderem die Befragung sogenannter Bürgen über Freizeitgestaltung, Auslandsreisen, sexuelle Präferenzen und Trinkgewohnheiten der zu Überprüfenden beinhaltete.

Constantin Goschler und Michael Wala vom Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum haben den Job schließlich bekommen – sie haben offenbar weder etwas zu verbergen, noch hat der Verfassungsschutz etwas von ihnen zu befürchten.

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