09.08.2012 10:16
Spucke aus Säure, Kinder fressen, der Hinterkopf so lang wie Onkel Sams Hut – und immer nackt: Das Kinomonster Alien bringt alles mit, um eine schöne Parabel auf die Krisen und Grausamkeiten der fremden, d.h. unserer Welt zu sein – eine andere können wir nicht denken. Finanzdebakel im System! Ausbeutung! Erwachsenenunterhaltung!
Gleich zu Beginn der düsteren Weltallsaga 1979 sprühten Feuilletonisten und Popphilosophen vor Ideen, was es denn mit dem sprachlosen Bazillus in Übermenschengröße auf sich habe: Ein Abbild des hemmungslosen militärisch-industriellen Komplexes sei die Geschichte von dem Wesen aus einer anderen Welt, dem Trabanten LV 426. Das andere Wesen, Sigourney Weaver als coole Raumschiffpilotin Ripley, war aus der anderen Welt des Feminismus entlaufen; ein Mit-Alien im Geiste allemal. Dies war die Düsternis: In Ridley Scotts »Alien«-Film regnet es die ganze Zeit, auch im Raumschiff.
Säuretier frißt Säugetier: Lagen beim Einstiegsfilm die Stärken im Szene-und Klamottendesign – ein ausgemachter Unterwäschefilm, man trug Feinripp –, während sich der Weltraumbeutegreifer die meiste Zeit in den Kombüsenregalen versteckte, wurden die Außerirdischen im zweiten Teil von James Cameron richtig gefährlich und vor allem sehr sichtbar: Die US-Marines wurden angegriffen, in Teil drei gleich die Mönche: keine Waffen, nur Intelligenz. David Finchers Interpretation der parasitären Ökonomie war dunkel genug, um die neunziger Jahre zu ver-sinn-thetisieren. Teil vier von Jean-Pierre Jeunet war schräg genug, um im Gedächtnis zu bleiben: Außerirdisch unterwegs zu sein bedeutete krumme Geschäfte und einen schnellen Tod als Futter.
Leider hat man sich entschieden, diese lose Serie mit lächerlichen Film-Crossovers zu demontieren. Zwei Alien-trifft-Predator-Filme waren die Folge, einer spielte in einer amerikanischen Kleinstadt. Sieht so die Zukunft aus, babyfressende Mischwesen treiben ihr Unwesen in einem Provinzgymnasium? Was ist mit Teilchenphysik, schwarzen Löchern, kilometerlangen Raumschiffen? Nö. Mief aus der Umkleidekabine.
Viele armselige SF-Filme folgten, »Battleship« hieß der letzte: Man spart sich den Drehbuchautor, der Plot entstammt dem Pentagon-Büro in Hollywood. Kein Wunder, daß man sehnlichst auf das groß angekündigte »Alien«-Prequel »Prometheus« wartete, mit abermals Ridley Scott im Regiestuhl.
Nun ist der Film da. Verselbständigt soll er sich haben, keine reine Aliensaga mehr, sondern was Neues sein. Und Scott steigt recht bildgewaltig ein. Ein großer grauer Humanoide nimmt eine quecksilberartige Substanz zu sich, zerbröselt in seine Einzelteile und verschwindet im Fluß. Wir sehen auf Zellebene, wie sich die Bindung der Proteine löst, wieder vervollständigt und als Baustein des Lebens regeneriert: Selbstauflösung als Teil eines Besiedlungsprogramms.
»Matrix«-Raumschiffe, »Avatar«-Wasserfälle, »Herr der Ringe«-Gebirge: Man hat den Eindruck, dieser Film werde die phantastischen Entwürfe des Kinos der letzten Jahre reflektieren. Auch die Geschichte würde es hergeben: Im Jahr 2089 stoßen die Menschen bei Ausgrabungen auf Spuren, die auf den Lifebuilding-Prozeß hinweisen. Kommt uns besuchen, sagen die großen Freunde auf den uralten Bildern in den Höhlen. Wir erwarten euch. Die Menschheit ist froh. Von dieser Welt zu sein, hat sie ohnehin nie geglaubt, sich immer für etwas Höheres gehalten.
Die Expedition wird ausgerüstet, schläft sich zwei Jahre durchs All und ins richtige Sternbild. Der wachhabende Android David (Michael Fassbender) ist, welch schöne Idee, ein Kinofreak: Er bringt die Haare in die richtige Ordnung, schaut in den Spiegel und kann sie alle auswendig - die Sätze, die Peter O’Toole in »Lawrence von Arabien« spricht. Er ist sein Vorbild, denn er vermittelt zwischen den einen und den anderen für die große Sache. So sieht auch David seine Aufgabe und hat fleißig Außerirdisch (Indogermanisch) gelernt. Ausgestattet hat das Schiff ein Billionär. Der steinalte Mann erhofft sich Hilfe von den Engineers getauften riesenhaften Schöpfern. Wenn sie Leben initiieren können, dann auch Weiterleben.
Leben vor dem Tod und danach, Reisen zwischen den Sternen, der erste Kontakt, 3D-Kino: Die Themen sind groß in »Prometheus – Dunkle Zeichen«. Man muß sich schon alle erdenkliche Mühe geben, um diesen Film zu versauen. Aber es hat geklappt. Es verwundert schon, wie schnell »Prometheus« nach dem furiosen Einstand immer kleiner wird. Nachdem die Crew auf dem avisierten Mond Spuren der Schöpfer gefunden hat, verläuft sich die Handlung in den labyrinthischen Gängen eines prähistorischen Raumschiffs. Nun soll es wahrscheinlich aufs Publikum ankumpelnd wirken, wenn die wissenschaftlichen und sonstigen Fachkräfte ein Haufen Idioten sind. Mal ehrlich: Man raucht nicht auf einem interstellaren Flug und auch nicht, wenn man kaum genug Luft hat, weil die Atmosphäre auf dem Trabanten dieselbe ist wie im Auspuff vom Opel Manta. Sehen künftige Geowissenschaftler aus wie heutige Profifußballer – mit Iro und 25 Tätowierungen?
Alien stammt vom schnöden Tintenfisch ab, und bei Kontaktaufnahme heißt’s gleich Kopf ab. Wenig wird im Zukunftsfilm Zukünftiges gedacht. Weder die stark eingeschränkte Handlung noch die überarbeitungswürdigen Effekte leuchten ein. Das Außerdirdische bleibt blaß und schweigsam. Das Maul reißt der Weltraumbioschrott nur wie altbekannt zum Essen auf. Das Orchester setzt uns Hörner auf, bis auch unsere Ohren fallen mögen. Ach, wie traurig!
Ein einziges Mal nur tritt dieser Film überzeugend aus sich selbst heraus: Wenn der Kapitän ein Nickerchen macht und sich dabei in eine karierte Decke wickelt. Seht her, kommentiert es sich hier ironisch – egal, was da komme, auf dem Weg zu den letzten Fragen: Der Mensch wird sich in die ewige karierte Decke wickeln, und wenn’s draußen urknallt und scheppert.
Warum hat man diese Perspektive nicht beibehalten, warum, warum, warum? Das ist die zentrale Frage in dieser Weltraumoper. Beantwortet wird sie an keiner Stelle.
Eine weitere Anwendung des Frageworts gesellt sich hinzu: Warum ist das Science-Fiction-Genre absolut kein Medium mehr, um Möglichkeiten zu denken?
Wahrscheinlich, weil das ganze Kino bis zum Hals in der Krise steckt. Würde die andere Welt tatsächlich hier aufschlagen, Alien würde am Popcorn ersticken. l
– Jürgen Kiontke –
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