18.09.2012 16:28
Die Zeitgeschichte als Wille und Vorstellung – mit dem Film »Der Dritte Weltkrieg« hat das Œuvre des ZDF-Chefhistorikers Guido Knopp seine vorläufige Vollendung gefunden
Es ist kein Beruf, sondern eine Berufung, kein Auftrag, sondern eine Mission, was Prof. Dr. Guido Knopp antreibt. Bestallt als Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte, hat er sich längst zu Höherem gesalbt: zum Leiter der Zeitgeschichte selbst. Das Dritte Reich sah nie so aus, wie er es zeigte, aber seit der immens erfolgreichen Serie »Hitlers Helfer« dürfte es nicht mehr viele geben, die ahnen oder gar wissen, daß die Nazis etwas anderes gewesen sind als die reichsdeutsche Dependance der Mafia. Erfüllt von einer Ideologie, die man freundlich Revisionismus nennen könnte, eitel wie ein Knopf überdies und versessen darauf, die Bilder der Nazi-Wochenschauen als die glaubwürdigen Dokumente zu servieren, die sie nie gewesen sind, hat der massenhafte Zuspruch, den sein Oeuvre erfährt, Doc Knopp nunmehr um jeden Rest Skrupel gebracht. Er, der die fabelhaften Manipulationsmöglichkeiten des Films wohl begreift, aber nicht reflektiert, fühlt sich am digitalen Schneidetisch als Master of the Universe. Und weil er keine Kritik mehr fürchtet bzw. fürchten muß – frißt sein Sender ihm doch aus der Hand – , hat er sich endlich und freimütig als Anhänger einer Geschichtsschreibung bekannt, der es nicht darum geht, wie etwas zuging, sondern was hätte passieren können, nein, müssen, wäre der Schreiber zugleich der Autor der Geschichte gewesen.
»Der Dritte Weltkrieg – Was uns erspart geblieben ist«, ausgestrahlt zur schönsten Sendezeit am 1. Dezember, bringt die historiographischen Bemühungen Knopps auf den Punkt, dem sie seit Jahren zustreben. Vorgeblich der Film, der zu Zeiten der Friedensbewegung nur in Programmkinos, doch bestimmt nicht im ZDF hätte laufen können, gibt das Stück sich bald zu erkennen als ein Produkt der Obsessionen, die als einziges übrig geblieben sind von jener Bewegung, und der Ressentiments, die Knopps Mission inspirieren.
»Der Dritte Weltkrieg« bricht aus, weil Gorbatschow nach seiner Heimkehr von der 40-Jahr-Feier der DDR gestürzt und von einem General beerbt wird, der mit äußerster Gewalt die Konterrevolution niederschlägt. Es kommt zu einem Schußwechsel am Brandenburger Tor, danach zu einer Blockade Berlins, später schießen sich mitten im Atlantik die feindlichen Flotten in Fetzen, die BRD wird von Truppen des Warschauer Pakts überrannt, die Nato schlägt zurück, der Bolschewik verliert vollends die Nerven und entfesselt den Atomkrieg. Robert Stone, der Regisseur dieser deutsch-amerikanischen Coproduktion, hat mit staunenswerter Virtuosität Archivmaterial und Spielszenen montiert und synchronisiert, um seine »Docu-Fiction« so »authentisch« wie möglich wirken zu lassen – es ist ein Jammer, wieviel Talent und Technik an diesen Mist verschwendet wurden.
Denn natürlich stimmt hier nichts. Weder bestand im Jahr 89 auch nur eine Minute lang die Gefahr, die Sowjetunion könnte sich durch einen Krieg vor ihrer Entmachtung retten, noch wäre dieser Krieg so verlaufen, wie Knopp und Stone ihn simulieren. Im Szenario des Films ist die Zeit für den Erstschlag spätestens mit der Invasion der norddeutschen Tiefebene gekommen, und er wäre von der westlichen Allianz geführt worden. Sogar Joschka Fischer weiß das noch. Was überhaupt an Kritik gegen die USA formuliert wird, ist der dümmste Rest der verwesten Friedensbewegung, der leider zugleich ihre Essenz war: »Vier Jahrzehnte lang«, verkündet Knopp über die eine Idee seines Films, »waren beide deutsche Staaten an der Nahtstelle der Blöcke atomare Geiseln eines potentiellen Krieges, der die Deutschen erst im Massengrab vereint gefunden hätte.« Das habe er noch einmal bewußt machen wollen. Was die Bewohner von Ohio oder Omsk den Deutschen voraushatten, verrät er so wenig wie ehedem Erhard Eppler. Knopp, der seine Nation als eine von Opfern – einst Hitlers, danach der »Blöcke« bzw. des Bolschewismus – imaginiert, setzt fort mit einer Metapher, deren Schrägheit exakt seiner Ideologie entspricht: »Noch vor zehn Jahren waren wir das potentielle Schlachtfeld eines atomaren Krieges.« Ich bin ein Schlachtfeld: Petra Kelly, reborn in Knopp.
Die andere Idee seines perfiden Stücks entstammt dem Fundus der besonders eifrigen Antikommunisten, zu denen er schon gehörte, als er sich noch nicht um Rommel und Keitel verdient gemacht hatte. »Wir erinnern uns noch an die Erleichterung«, erinnert sich Knopp, »die wir im Oktober 1989 empfunden haben, als die Sowjetpanzer in der DDR in den Kasernen blieben.« Die Enttäuschung darüber, daß das Reich des Bösen im Augenblick seiner schwersten Bedrohung eben nicht seine Arsenale auf den Klassenfeind entleerte (wie dies das Reich des Guten zweifellos getan hätte), wird in »Der Dritte Weltkrieg« wenigstens virtuell aufgehoben. Und jene Lüge erhält, nicht nur virtuell, den Schein von Wahrheit zurück, den sie braucht, um die Paranoia ungebrochen gläubiger Antikommunisten wie Knopp, Helm und Stone nicht allzu offensichtlich werden zu lassen. Vom fiktiven Putsch-General, der den nuklearen Overkill auslöst, berichtet der Film, er sei einer jener Soldaten gewesen, die nach der Eroberung Berlins auf dem Reichstag die rote Fahne hißten. Kein Ereignis der deutschen Geschichte nagt mehr an Knopp, soviel ist nun sicher.
»Der Dritte Weltkrieg« hat mit Ulrich Lenze denselben Produzenten wie Heinrich Breloers »Todesspiel« – »nicht ganz zufällig«, wie Lenze selber gern erzählt. Die Verfahrensweise all dieser topmodernen TV-Adaptationen von Real-History-Treatments, in denen der Geschichte, wo sie den Kameras verborgen blieb, mit nachgestellten Bildern auf die Sprünge geholfen wird, ist nicht neu. Der Dokumentarfilm ebenso wie das historische Feature haben sich stets mit fingiertem Material beholfen, wenn das »authentische« Lücken aufwies. Daß die Anwesenheit einer Filmkamera zwangsläufig ein Geschehen mit Künstlichkeit affiziert, daß ein Cinema verité bzw. Reality-TV selbst dann unmöglich bliebe, wenn alle Beteiligten, Akteure wie Beobachter, taub und blind wären, wußte einmal jeder Regiestudent im ersten Semester. Grundsätzlich suspekt ist nicht die Kombination von Mise-en-scène und Dokument, sondern das Medium selbst. In dem Moment jedoch, da die Produzenten einer »Docu-Fiction« sich nicht mehr aufhalten mit Zweifeln an der »Wahrhaftigkeit« ihrer Bilder und vor lauter Zeigelust vergessen, welchen Zwängen und Grenzen sowohl die Herstellung wie die Rezeption von Film unterliegen: verfertigen sie, ob bewußt oder nicht, Propaganda.
Breloer und Knopp haben keine Distanz zu den Bildern, mit denen sie operieren, und darum fallen sie fortwährend auf diese Bilder hinein. Niemand dreht ein Stück wie »Das Todesspiel«, der auch nur ein Quentchen Verdacht hegt gegen das, was seinerzeit die »Tagesschau« zeigen durfte. Ein nicht besonders tiefgründiger Spielfilm wie »Die Truman Show« weiß über die Produktion von Fernsehbildern tausendmal besser Bescheid als unsere mehrmals preisgekrönten »TV-Historiker«. Was natürlich daran liegt, daß »Die Truman Show« aus Hollywood, dem altbösen Feind der hiesigen Kulturkritik, kommt: Dort, in der »Traumfabrik«, hat man stets einen Dreck gegeben auf die »Ehrlichkeit« der Bilder, sich lieber darum gekümmert, Apostel des »authentischen Films« zu veralbern, und gerade der hohen Artifizialität der Inszenierung wegen eine visuelle Grammatik geschaffen, die elastischer, eleganter und auch realistischer die Welt darzustellen vermag als irgendeine andere.
Die neuere deutsche Filmtradition hat sich nicht zuletzt aus der Feindschaft zum laxen, ironischen Umgang des amerikanischen Kinos mit der »Wirklichkeit« der Bilder entwickelt. Den zuständigen Kritikern, die mehrheitlich ihr Besteck in Zeiten zusammenstellten, da »Hollywood« synonym für Lüge stand, eine verhatschte Kameraführung jedoch samt grunzenden und fürchterlich chargierenden Schauspielern als Ausweise des »Ringens um Wahrheit« galten – diesen Kritikern fällt natürlich auch heute nicht auf, daß ein Bild, welches für »authentisch« gelten will, die Spur seiner Entstehung, den technischen und manipulatorischen Apparat, der es erzeugte, heftiger verleugnet (und verleugnen muß) als irgendein Spezialeffekt von Industrial Lights & Magic. »Erschütternd«, schrieb der »Spiegel« anläßlich des »Todesspiels«, »ist vor allem die Szene, in der Breloer zeigt, wie der unglückliche Schleyer ... sitzend in einen Wandschrank gesperrt wird, als wäre er ein Besen.« Kein Zweifel regt sich hier an der »Richtigkeit« der Inszenierung, kein bißchen Unbehagen bei der Unbekümmertheit, mit der das gestellte Bild als »authentisch« ausgegeben wird. Dem Fernsehen, dieser Riesenmaschine zur Vernichtung der Wirklichkeit, wird schon seit längerem nicht mehr mißtraut; die Begeisterung freilich für eine Simulation, die behauptet, wahr zu sein, ist neu.
Breloer wie Knopp (und natürlich auch das Fernsehen) haben von dem rasenden Geschwafel profitiert, das »Ideologie« allein in Faschismus und Kommunismus zu orten vermochte und deshalb Anfang der 90er die herrliche, die entideologisierte Zeit auskrähte. Der Ideologiegehalt gerade des Dokumentarbildes wird seither kaum noch wahrgenommen. Ausgenommen, versteht sich, wo er als »marxistisch« identifiziert und denunziert werden kann. In der ZDF-Reihe »Damals« wird Knopp nicht müde, Zitate aus alten Defa-Wochenschauen als Demagogie zu markieren – mit den Sequenzen, die Goebbels’ Propagandastaffel ihm zur gefälligen Verwendung in »Hitler – eine Bilanz« und »Hitlers Helfer« hinterließ, verfuhr er weit lässiger. Aber warum hätte er sich zu einer Distanz gegen die Selbstdarstellung der Nazis zwingen sollen, die doch gegen Hitlers Helferin Riefenstahl seit langem nicht mehr geübt wird? Wozu denn einen Eiertanz aufführen, um Mißverständnisse zu vermeiden, wenn er schon 1989, im »Spiegel-Spezial – 100 Jahre Hitler«, lauten Mauls verkünden konnte, der Gröfaz habe »in keiner deutschen Tradition« gestanden, und außer Wolfgang Schneider (in KONKRET 10/89) alle glauben wollten, was sie da hörten? Und was, bitte schön, sollen Skrupel, wenn es um einen Kreuzzug geht? Den nämlich führt Guido Knopp.
Frank Schirrmacher, der anläßlich von »Hitlers Helfer« überraschend klare Einsichten in die Ästhetik der Knopp-Filme formulierte (»Fiktionalisierung ist ansteckend. Sie greift über auf das historische Material«), verschweigt bei aller gerechten Empörung über die Leichtfertigkeit des Verfahrens, daß Leute wie er, Schirrmacher, Figuren wie ihn, Knopp, überhaupt erst dreist werden ließen. Als Feuilletonchef der »FAZ« in der »FAZ« zugeben, daß der Mann vom ZDF am Ende nichts anderes will, und zwar auf Biegen und Brechen, als das eigene Blatt für und für, die Normalisierung des deutschen Selbstverständnisses nämlich, das konnte Schirrmacher um so weniger, da ihn etwas ganz anderes stört: »Bald schon«, schreibt er über die historischen Bilder in »Hitlers Helfer«, »wird man nicht mehr wissen, ob sie überhaupt je Geschichte waren.« Ihn, den Laudator Martin Walsers, der im Sinne seines Lehrherrn alles daran setzt, daß die Geschichte eindeutig als Geschichte zu erkennen ist, als vorbei und nun aber wirklich erledigt, wurmt Knopp als Konkurrent im gleichen Marktsegment. Die Ähnlichkeit der ZDF-Serie mit dem »Todesspiel« spricht Schirrmacher gar nicht erst an: Im Kampf gegen die Linke ist weiterhin jedes ästhetische Mittel recht, die Fiktionalisierung voran.
»Der Dritte Weltkrieg«, diese konsequente Fortentwicklung des Knoppschen Fernsehens, von der Simulation der Geschichte hin zur simulierten, von der unbefangenen Präsentation manipulierter Bilder zur totalen Bildermanipulation, mochte ein Test gewesen sein auf weitere Großtaten der virtuellen Historiographie (»Ulbrichts Ulane« z. B. oder »Mielkes Messerwetzer«). Ging aber, besonders bei den Missionskandidaten im Osten, erst einmal gründlich daneben. Die Homepage des ZDF läuft über von E-mails, deren »verärgerte«, »entsetzte« Verfasser den gewesenen Ostblock so plump und tumb, wie Knopp, Helm und Stone ihn zeigen, partout nicht in Erinnerung haben.
Der Missionar weiß, woher das kommt: »Bei einigen Menschen existiert noch Affinität zum alten System. Deswegen mag ihnen die Abrechnung mit der Roten Armee und dem Sowjetsystem auf diese Art und Weise wohl nicht so recht gefallen.« Die Affinität zum älteren System, die bei mehr als einigen Menschen existiert, hatten seine Nazi-Bestiarien hingegen schon deshalb nicht stören können, weil sie mit dem NS-System auf eine Art und Weise abrechneten, die seit Kriegsende Rechtsgrundlage der deutschen Staaten war. Knopp wird sich nicht entmutigen lassen, auch von der eher mageren Rate nicht (trotz massiver Werbung im Vorfeld kam »Der Dritte Weltkrieg« nur auf 4,41 Millionen Zuschauer). Er hat die Wahrheit und dazu einen Sender gepachtet; und einem erklärten Freund der Fallersleben-Hymne (s. KONKRET 6/88) wird weiterhin kein Ton zu laut, kein Bild zu falsch sein.
Guido Knopp weiß ganz genau, wie es war, weil er sich erschreckend lebhaft vorzustellen vermag, wie es, seinem reaktionären Schädel gemäß, gewesen sein könnte, und darum wird er auch schwerlich verstanden haben, daß Markus Wolf nicht am Palaver teilnehmen wollte, das im Anschluß an das, »was uns«, als Film, leider eben nicht »erspart geblieben ist«, ausgestrahlt wurde. Wolf berichtet in einem offenen Brief, den das »Neue Deutschland« am Tag der Sendung veröffentlichte, Knopp habe ihn zur »Diskussion« nur zulassen wollen, wenn er, Wolf, »dem Verlauf des Szenarios grundsätzlich« zustimme. The world according to Knopp! – die Selbstgewißheit des Propheten und Bekehrers muß unermeßlich sein. Anders wäre auch nicht zu erklären, daß er allen feierlichen Ernstes vorgeschlagen hat, »Hitlers Helfer« dem Bestand der Shoah Foundation einzugliedern.
Zwei Tage nach dem Weltkrieg, den die Roten uns nicht gönnen wollten, pflanzte Knopps Abteilung ins Gutenachtprogramm einen Film über die Rothschilds. Überschrift: »Die heimlichen Herren der Welt«. Ganz schön affiniert.
Kay Sokolowsky schrieb in KONKRET 12/98 über Faszination und Quatsch des Geheimen
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