15.11.2012 14:54
Große Ereignisse werfen ihre Schattenvoraus«, orakelt ein Sprecher der Bundespolizei in der jüngsten Ausgabe der Hauspostille des früheren Bundesgrenzschutzes. Gemeint ist die Vorbereitung auf das inzwischen jährlich stattfindende »European Union Police Forces Training« (EUPFT), das in diesem Jahr erneut Polizeien aus den meisten EU-Mitgliedsländern zum Aufstandsbekämpfungstraining versammelt. Nach Frankreich und Italien ist Deutschland erstmals Ausrichter des polizeilichen Spiels ohne Grenzen.
Das Polizeimanöver auf dem Truppenübungsplatz im brandenburgischen Lehnin wird in zwei Staffeln abgehalten. Nach der ersten zehntägigen Einheit im Juni folgt eine zweite Mitte Juli. »Von Vicenza nach Lehnin«, frohlockt Bundespolizist Andreas Bebensee, Pressesprecher der eigens für das diesjährige Event eingerichteten »Besonderen Aufbauorganisation «. Die Kunst- und Industriestadt Vicenza im Norden Italiens war letztes Jahr Austragungsort des EUPFT-Trainings, in dem sechs Wochen lang 639 Polizisten aus 19 Ländern über italienische Übungsplätze gescheucht wurden. Mit großem Aufwand wurden martialische Szenarien durchgeprobt, die gemeinsam von italienischen Carabinieri, der spanischen Guardia Civil, der französischen Gendarmerie und deutschen Bundespolizisten bewältigt wurden. Mobilisiert waren zudem Polizisten aus Österreich, Belgien, Zypern, der Tschechischen Republik, Estland, Finnland, Griechenland, Litauen, Malta, Holland, Polen, Portugal, Großbritannien, Rumänien und Slowenien. Von italienischer Seite waren neben Angehörigen der Carabinieri auch die Polizia di Stato und die Guardia di Finanza beteiligt.
Das Szenario mit Dutzenden brennender Autos, militanten Demonstranten, Geiselnahmen und Bombenanschlägen war von 15 Carabinieri unter Regie des Oberleutnants Leonardo Albesi zusammengestellt worden, der nach Ende der Übung wieder nach Afghanistan verschwand. Ein Blick auf die trainierten »Missionslagen « von 2008 und 2009 zeigt, welche Operationen auf der Wunschliste zukünftiger gemeinsamer EU-Polizeieinsätze stehen: »Evakuierung von EU-Bürgern«, »Bekämpfung von Menschenhandel«, »Schutz einer Sportveranstaltung «, »EU-Staatsbesuch«, »Schutz von öffentlichen Gebäuden und Personen« sowie die »Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung«. Nach Berichten von Anwohnern ähnelte Vicenza einem wochenlangen Rollenspiel von Wehrsportgruppen; mit Sturmhauben maskierte Polizeisoldaten fuhren schwerbewaffnet mit gepanzerten Fahrzeugen durch Stadt und Region. Dabei blieben die Einwohner selbst lange Zeit im unklaren über den Charakter des Polizeimanövers; sie vermuteten zunächst einen Antiterroreinsatz.
Multilaterale Aufstandsbekämpfung
Vicenza ist Standort des Hauptquartiers der »European Gendarmerie Force« (Eurogendfor), deren Gründung auf eine multilaterale Übereinkunft einzelner EU-Mitgliedsstaaten zurückgeht. Die Einrichtung der paramilitärischen EU-Polizei war 2004 in Nordwijk (Niederlande) von den Verteidigungsministern Frankreichs, Italiens, Spaniens, Portugals und der Niederlande beschlossen worden. Eine Mitgliedschaft in der privilegierten Truppe setzt die Existenz von Gendarmerien voraus, die unter militärischem Kommando stehen beziehungsweise gestellt werden können – unter anderem ein Ausschlußkriterium für deutsche Polizeien. 2008 trat Rumänien als Vollmitglied bei, die Türkei erhielt Beobachterstatus. Polen und Litauen avancierten 2007 und 2009 zu Partnerländern. Neben dem »Ständigen Hauptquartier« betreibt die Eurogendfor in Vicenza die Polizeiakademie »Centre of Excellence for Stability Police Units« (CoESPU), in der etwa Polizeien afrikanischer Länder in europäischer crowd control unterrichtet werden.
Die Errichtung der Eurogendfor folgt dem innerhalb der EU-Sicherheitszusammenarbeit üblichen Muster, die grenzüberschreitende Repression zunächst unter einzelnen Ländern zu verabreden und später auf EU-Ebene zu hieven. Ihre Einrichtung außerhalb des EU-Rechtsrahmens kann als Schachzug interpretiert werden, um auf juristische und ethische Bedenken von EU-Staaten, die über keine Gendarmerien verfügen, keine Rücksicht nehmen zu müssen. Weil die Eurogendfor kein offizielles Organ der Europäischen Union ist, ist das EU-Parlament kaltgestellt. Eine etwaige Kontrolle kann nur über die Parlamente der beteiligten Staaten erfolgen.
Als Aufgabenbereich gilt die gesamte Bandbreite militärpolizeilicher »Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung« etwa nach Kampfeinsätzen oder Katastrophen – dazu gehören kriminalpolizeiliche Arbeit, Aufbau und Beratung lokaler Polizeikräfte, Grenzüberwachung, geheimdienstliche Tätigkeit, Ermittlungen, Spurensicherung, Strafverfolgung, Schutz von Eigentum. Operationen der Eurogendfor können unter das Mandat von EU, Uno, OSZE sowie Nato gestellt werden oder, nach dem Lissabon- Vertrag, auf Anfrage der Regierung eines EUMitgliedsstaats auch auf dessen Territorium stattfinden. Über den endgültigen Einsatz entscheidet ein »Interministerielles Komitee« (Cimin), in dem sich politische und militärische Repräsentanten der beteiligten Staaten organisieren. Die Eurogendfor operierte bereits im Kosovo, in Afghanistan und zuletzt in Haiti.
Zunächst waren die jeweiligen nationalen Kontingente der zivil-militärischen Polizeitruppe nur für die jeweiligen Missionen zusammengekommen. Dieses Jahr nun hat das italienische Parlament (mit nur einer Enthaltung) den Weg zur kasernierten Einheit freigemacht. Nun fehlt nur noch ein Votum der französischen Parlamentarier, um zukünftig bis zu 3.000 EU-Polizisten permanent in Vicenza zu stationieren und damit verfügbar zu halten. Frankreich und Italien, die über eine lange Tradition von Polizeien mit militärischem Status verfügen, dominieren den Aufbau. Ein Drittel der Offiziere und Stabsfeldwebel im Hauptquartier sollen Angehörige der italienischen Carabinieri sein.
Deutsche Polizei unter militärischem Kommando?
Deutsche Polizisten können gegenwärtig nicht Teil der Eurogendfor werden, da sie bisher nicht unter militärischem Kommando agieren dürfen. Um dem abzuhelfen, hatte die für ihren zivil-militärischen Eifer bekannte »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) kürzlich eine neue Studie vorgelegt. Unter dem Titel Gendarmerieeinheiten in internationalen Stabilisierungsmissionen – Eine Option für Deutschland schlagen die Verfasser vor, zukünftig Truppen der Bundespolizei oder der GSG 9 unter militärisches Kommando zu stellen. Sollte der hierfür erforderliche »robuste Selbstschutz«, der beispielsweise den Einsatz automatischer Waffen gegen Aufständische einschließt, politisch nicht durchsetzbar sein, könnte statt dessen die »Militärpolizei der Bundeswehr funktional erweitert « werden. Feldjäger hätten in Afghanistan gezeigt, daß ihr »militärischer Status nützlich « sei und sie daneben grundlegende polizeiliche Aufgaben erfüllen können. Den Militärs mangele es allerdings an »kriminalpolizeilichen Fähigkeiten«.
Die Studie rät der Bundesregierung, für die Ausweitung polizeilicher Auslandseinsätze enger mit der Eurogendfor-Akademie in Vicenza zusammenzuarbeiten und von den dortigen »internationalen Standards für Gendarmeriefähigkeiten « zu profitieren.
Die Bundespolizei baut inzwischen auf dem Stützpunkt St. Augustin zwei Auslandshundertschaften auf. Bereits 2007 deutete der ehemalige Staatssekretär August Hanning an, »eine Einheit, die auch im Inland eingesetzt wird, auf Auslandseinsätze mit Zusatzqualifikationen vorzubereiten«. Auch Ex-Innenminister Schäuble hatte 2007 »Polizeieinsätze robusten Charakters« angekündigt. Laut SWP-Studie sei eine Unterstellung dieser Auslandshundertschaften unter militärisches Kommando allerdings mittelfristig nicht machbar, weshalb der Aufbau einer vollkommen neuen Einheit empfohlen wird. Politisch drohe Deutschland ein Bedeutungsverlust in der Nato, sollte die Bundesregierung nicht beispielsweise mit »einigen hundert Gendarmen« in Afghanistan aushelfen. Die USA hatten hierfür unter anderem auf dem Nato-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden mehr Polizeisoldaten gefordert. Frankreich ist in Afghanistan für den Aufbau der Nato-Trainingsmission »NTM-A« mit »robusten Polizeieinheiten« verantwortlich, die im Erfolgsfalle zur Bereitstellung weiterer ähnlicher Kräfte führen soll. Allerdings verweisen die SWP-Strategen auf Hindernisse einer uneingeschränkten Verwendung des Militärs etwa gegen »Warlordismus«. Soldaten seien auf »letale Gewalt« und »Ausschaltung eines gegnerischen Ziels« spezialisiert. Die damit zu erwartenden Kollateralschäden im militärpolizeilichen »Kampf gegen das organisierte Verbrechen« seien der Zivilbevölkerung im Einsatzgebiet und der Heimatfront schwer zu vermitteln.
Für den Fall, daß in Deutschland Proteste gegen die Aufweichung der Trennung von Polizei, Geheimdiensten und Militär laut würden, gibt die SWP-Studie vorsorglich Argumentationshilfen. Demnach seien die Bedenken leicht zu zerstreuen, da sich der etwaige Gendarmerie- Einsatz von Bundespolizisten auf eine »Auslandsverwendung« beziehe, die im Trennungsgebot nicht berücksichtigt sei. Es gebe darüber hinaus kein grundsätzliches verfassungsrechtliches Verbot einer Gendarmerie, sofern Funktion und Wirkungsweise nicht »nach innen gerichtet« seien. Weil die Bundespolizei keine Streitkraft ist, müsse auch der Bundestag nicht konsultiert werden. Eine »reflexartige Kritik« sei ohnehin nicht gerechtfertigt, da der Bundesgrenzschutz bis 1972 ohnehin eine »paramilitärische Polizei par exellence« gewesen sei.
Rabatz in Rauhberg
Außer den Eurogendfor-Mitgliedern unterhält nur noch Bulgarien eine zivil-militärische Gendarmerie. Das in Lehnin ausgerichtete »European Union Police Forces Training« bietet jedoch auch den übrigen EU-Polizeien die Möglichkeit, im Dunstkreis der EU-Polizeisoldaten zu operieren. Im Gegensatz zur Gendarmerietruppe sind die Manöver des EUPFT eingebettet in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und durch Beschlüsse des Europäischen Rats beziehungsweise der Kommission gedeckt.
Die für die Organisation des EUPFT eingerichtete »Besondere Aufbauorganisation« stöhnt über »enorme personelle und logistische Ressourcen « bei der Vorbereitung und Organisation des Manövers. Die Planung ist in Einsatzabschnitte unterteilt, darunter Übungsanlagen, Administration, Logistik, Luft, Polizeiärztlicher Dienst und Öffentlichkeitsarbeit. Letzterer wird für die Presse (wie auch für Militärund Polizeiführer) einen eigenen Ortstermin reservieren; es soll Medienvertretern zudem möglich sein, einzelne Etappen der 15 »Missionslagen « zu begleiten.
Laut Auskunft des Polizeisprechers werden Bundespolizisten als Komparsen benötigt, die als Aufständische oder Demonstranten agieren, um sich dann von ihren EU-Kollegen überwältigen, verdreschen, abdrängen, verhaften oder vielleicht erschießen zu lassen. In einer Presseerklärung wird beschwichtigt, daß die »besondere Verhältnismäßigkeit bei allen polizeilichen Maßnahmen« im Vordergrund stehe und die Einsätze »unter besonderer Berücksichtigung der Menschenrechte (insbesondere im Zusammenhang mit Frauen)« ausgeführt würden.
Zur ersten Staffel des Trainings in Lehnin sind nach Angaben der Bundespolizei 320 Beamte aus 13 europäischen Ländern angereist, darunter neben den Mitgliedsstaaten der Eurogendfor ausschließlich Polizeien aus Osteuropa. Laut Polizei-Pressestelle werden 15 »Missionslagen « geübt, die zu großen Teilen Szenarien innerhalb der EU durchspielen, darunter »Banküberfall « oder »Personenschutz von Politikern«. Ein Pressesprecher begründet die Notwendigkeit des EUPFT mit dem Nato-Gipfel in Straßburg, bei dem es zu Straßenschlachten und brennenden öffentlichen Gebäuden kam. Deutsche Polizisten waren mit Wasserwerfern zu Hilfe gerufen worden und sorgten für die Trennung der Demonstrationen auf deutscher und französischer Seite.
Das rund 25 Kilometer südwestlich von Potsdam gelegene Lehnin ist in Militärkreisen bekannt für Übungen im städtischen Gelände und bietet laut Bundeswehr einen »realistischen Eindruck vom Ortskampf«. Der fiktive Ort »Rauhberg« umfaßt 70 Häuser, Kanalnetz, Unterführungen, Bahnhof, Reisebüro, Schule und Flugplatz. Gefechtslärm kommt aus Lautsprechern, während elektrisch gesteuerte Ziele beschossen werden können. Ausgebrannte Panzer verschaffen der Kulisse das Flair eines echten Kriegsschauplatzes. Auch zu Lehnin als herausragendem Übungsplatz für die städtische Aufstandsbekämpfung hatte sich die »Stiftung Wissenschaft und Politik« bereits geäußert. Weil »Military Operations on Urban Terrain« (Mout) in militärischen Planungen ein immer größeres Gewicht zukommt, wird eine Zunahme entsprechender Manöver in Lehnin ausdrücklich befürwortet.
Stolz rapportiert der »Platzkommandant« des Truppenübungsplatzes gegenüber der Lokalpresse, daß regelmäßig »Soldaten verschiedener Länder« den Häuserkampf in Brandenburg trainieren. Die europaweit einmalige Anlage sei auch bei polizeilichen »Spezialkräften« beliebt.
Matthias Monroy schrieb in KONKRET 3/10 über »intelligente Strafverfolgung«
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