03.01.2013 15:51
PARADIES: LIEBE
Regie: Ulrich Seidl; mit Margarete Tiesel, Peter Kazungu; Österreich/Deutschland/Frankreich 2012 (Neue Visionen); 121 Minuten
Wie in der Kunst überhaupt haben die Kategorien des Jugendund des Alterswerks im Film weniger eine chronologische als eine qualitative Bedeutung. Die Kunstgeschichte pflegt sich unter Jugendwerken unreife, aber mutige Experimente vorzustellen, in denen der Individualstil des Künstlers roh und unvermittelt zum Ausdruck kommt, jedoch noch nicht zum Timbre gereift ist. Alterswerken dagegen wird attestiert, von jener abgeklärten Versöhnung mit der Welt zu zeugen, die in Wahrheit oft Ausdruck von Resignation oder Senilität ist. Gemessen an diesen Kriterien, haben die meisten bedeutenden Regisseure ihr Jugend- und ihr Alterswerk verfehlt. Alfred Hitchcocks letzte Filme unternehmen einen Aufbruch in die zynische Gegenwart, die in seinen früheren Werken nur indirekt vorkommt, während der alte Woody Allen sich allenfalls insofern mit der Welt versöhnt hat, als sein Individualstil von den Stereotypen der Kulturindustrie absorbiert wurde. Ingmar Bergman hatte seine reifste Zeit in der Lebensmitte, Roman Polanski drehte kaum je bessere Filme als zu Beginn seiner Laufbahn, und die Größe von Eric Rohmer besteht darin, daß er sich sein Leben lang gleichgeblieben ist.
Der Österreicher Ulrich Seidl, noch vor wenigen Jahren ein Mann aus der Schmuddelecke der Avantgarde und mittlerweile als »Kultregisseur« beworben, scheint mit seiner »Paradies«-Trilogie, deren erster Teil im Januar in die Kinos kommt und deren zweiter bei den vergangenen Filmfestspielen in Venedig zu sehen war, die Absicht zu verfolgen, sich zum repräsentativen Enfant terrible zu mausern. Dafür spricht nicht nur der Trilogiecharakter, dem das Odium von Hochkultur und Gesamtkunstwerk anhaftet, sondern auch der Rekurs auf die biblische Rhetorik. Um »Liebe« geht es im ersten Teil, um »Glaube« im zweiten, die »Hoffnung« bleibt dem dritten vorbehalten. Natürlich wird das biblische Motiv parodistisch eingesetzt. Nicht nur verkehrt Seidl die Reihenfolge von »Glaube« und »Liebe«, auch der biblische Primat der Liebe ist mehr als zweifelhaft. Und das Paradies ist in seinen Filmen kein utopischer Ort, sondern ein Freizeitpark. Gemeinsam ist allen drei Teilen die Auseinandersetzung mit dem Wellneßtourismus, der das Reisen nicht als private Beschäftigung, sondern als sinnliche und spirituelle Selbstoptimierung praktiziert. In »Paradies: Glaube« geht es um den Erleuchtungstourismus von Kirchen und Sekten, im letzten Teil soll der jugendliche Gesundheitskult im Mittelpunkt stehen, »Paradies: Liebe« handelt, am konventionellsten fast, vom Sextourismus.
Themenfilme waren auch Seidls frühere Arbeiten, deren Qualität darin lag, weder als Dokumentar- noch als Spielfilme rubrizierbar zu sein. Am drastischsten zeigte sich das in »Tierische Liebe«, seinem Film über das zoophile Verhältnis von Österreichern zu ihren Haustieren, und in »Models«, einem so berührenden wie abstoßenden Blick ins Modelleben jenseits des Glamour-Betriebs. Seine Praxis, nur mit Laien zu drehen, die eine ihrem eigenen Dasein ähnliche, jedoch nicht identische Rolle einnehmen, hat Seidl allerdings spätestens mit »Import Export« (siehe KONRET 10/07), seinem Film über Arbeitsmigration, verwässert. Auch in seiner »Paradies«-Trilogie treten neben Laien Schauspieler auf, etwa Maria Hofstätter, mit der er mehrfach zusammengearbeitet hat. Entscheidender ist jedoch, daß die Filme nun im Gegensatz zu Seidls beklemmend stagnierenden Frühwerken eine bündige Handlung und eine Spannungsdramaturgie besitzen. Wie in »Import Export« gibt es in »Paradies: Liebe« eine Mittelpunktfigur, die etwa fünfzigjährige Teresa, eine sexuell frustrierte Alleinerziehende, die in Kenia mit Freundinnen die Sexdienste schwarzer Männer in Anspruch nimmt. In fast klassischem Aufbau erzählt der Film von ihrer Verunsicherung, ihren glücklosen Exzessen, einigen Augenblicken der Erfüllung und ihrem Fall, der nur deshalb nicht tragisch genannt zu werden verdient, weil sich ihm kein Sinn abgewinnen läßt. Sonst kommen die inzwischen konventionellen Seidl-Motive vor: fette, alte, kränkliche Körper, die jedem Schönheitsideal spotten, minutenlange Tableaueinstellungen, häßliche Innenräume in megaoutem Farbdesign, quälend lange freudlose Sexszenen und ziellose Dialoge, die im Grunde nicht einmal Monologe sind. Auch die Zartheit, mit der Seidl seinen Figuren in schambehafteten Situationen begegnet, prägt fast jede Szene.
Daß man am Ende von »Paradies: Liebe« trotzdem nicht nur Enttäuschung, sondern Ärger verspürt, hat zwei Gründe. Der eine ist prinzipiell, der andere spezifisch. Zum einen ist der Film ein unfreiwilliges Dokument für das immer schnellere Altern der Avantgarde. Wenn Teresa ihren wulstigen Körper in einem schäbigen Himmelbett räkelt und die Frauenleiber an der primitiven Strandbar wie auf dem Grill aufgereiht vor sich hinbrüten, wirken die Szenen, die trotz perfekten Bildaufbaus etwas Zufälliges haben, nur wie Zitate aus früheren Seidl-Filmen. Und wenn man den aus der Übung gekommenen Frauen bei ihren Avancen zusieht, denen die schwarzen Männer mit gelangweilter Routine begegnen, erinnert das an die Selbsterniedrigung in »Bauer sucht Frau«, an die kulturindustriell normierte Devianz also, der Seidls frühere Filme mit unerbittlichem Ernst widerstanden, indem sie sich ihr ähnlich machten. Zum anderen ist »Paradies: Liebe« bis in die Handlungsdetails hinein eine mißglückte Reprise von Laurent Cantets »In den Süden«, dem atemberaubenden Film mit Charlotte Rampling als greiser Sextouristin in Afrika. Wer gesehen hat, wie Rampling ohne tabubrecherisches Pathos mit spröder Grazie alle Klischees des Themas an sich abprallen läßt, kann nicht umhin, sich einzugestehen, daß Seidls Arbeit mit »echten Menschen« hinter Ramplings artifizieller Authentizität in jeder Hinsicht zurückfällt. Aber vielleicht nimmt er nach Vollendung seiner Trilogie wieder einen billigen Film ohne Drehbuch und Dramaturgie in Angriff. Schließlich ist er jung genug, um sich zu verändern.
– Magnus Klaue –
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