26.03.2013 12:42
Joachim Gauck war auf Gedenktour im italienischen Sant’Anna di Stazzema, jenem italienischen Dorf, in dem eine SS-Einheit am 12. August 1944 etwa 560 Menschen, mehrheitlich Frauen und 116 Kinder, tötete. Bis heute hat kein deutsches Gericht gegen die wenigen noch lebenenden Täter Anklage erhoben. Warum auch? Es genügt völlig, den dauerbetroffenen Joachim Gauck auf die Opfer von einst und ihre Nachkommen loszulassen. Mit einer schmierigen Umarmung, einem feuchten Händedruck und ein paar herrenmenschlichen Worten macht er alles wieder gut.
KONKRET sprach in der Novemberausgabe 2012 mit der Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, die den Verband der Opfer von Sant’Anna di Stazzema in Deutschland juristisch vertritt, über die Einstellung des Verfahrens.
konkret: Zehn Jahre lang wurde »umfangreich und äußerst aufwendig« ermittelt. Das Ergebnis: Es wird kein Verfahren gegen die noch lebenden acht Beschuldigten geben. Warum nicht?
Heinecke: Die Staatsanwaltschaft hat argumentiert, daß es sich bei dem SS-Massaker nicht um das Tötungsdelikt Mord – der einzige Tatbestand, der nicht bereits verjährt wäre – gehandelt habe. Weder das Mordmerkmal der »niedrigen Beweggründe« noch das der Grausamkeit sei erfüllt gewesen. Niedrige Beweggründe hätten deshalb nicht vorgelegen, weil ein Massaker nicht vorab geplant worden sei. Das Mordmerkmal der Grausamkeit wurde ausgeschlossen, weil die Beschuldigten ihre Opfer in einer Weise zu Tode brachten, die nicht über das zur Tötung notwendige Maß hinausgegangen sei.
Was halten Sie von dieser Argumentation?
Das ist natürlich äußerst zynisch. Ich halte die Argumentation rechtlich für falsch und glaube, daß in diesem Fall niedrige Beweggründe nachgewiesen werden können. Außerdem kann gezeigt werden, daß zumindest eine Person, nämlich der in Hamburg lebende Gerhard Sommer, zur Tatzeit der Kompaniechef der SS-Einheit war und den Befehl zu dem Massaker gegeben hat. Dafür gibt es Zeugen, die damals Angehörige der SS-Einheit waren. Für eine Anklage hätte das allemal gereicht.
Aber der Staatsanwaltschaft reichte es nicht?
Sie argumentierte weiter, daß die Taten im Fall Sant’Anna nicht individuell zugeordnet werden könnten. Sehen Sie, es gibt zwei Aspekte: Einmal hätten die Taten die genannten Mordmerkmale aufweisen müssen. Zweitens muß nach deutschem Recht ein Tatbestand individuell zugeordnet werden können, um von einer strafrechtlichen Verantwortung ausgehen zu können.
Es gab Fälle, bei denen dieser Nachweis nicht relevant war. In Verfahren gegen RAF-Mitglieder zum Beispiel.
Da ging es um Beihilfehandlungen, die bis hin zur psychischen Beihilfe in Abwesenheit reichten. Wenn man die aktuelle Rechtsprechung mit den damaligen Verfahren gegen RAF-Mitglieder vergleicht, läßt sich eine ganz erhebliche Schieflage feststellen. Was für mich, unabhängig von diesem Vergleich, aber besonders relevant ist: Es gibt im Fall Sant’Anna Akten, aus denen klar hervorgeht, wer sich wann wo und in welcher Position befunden hat. Wenn sich dann ergibt, daß eine bestimmte Person zum Tatzeitpunkt am Tatort war und die Befehlsgewalt hatte und Zeugen einen Schießbefehl auch noch bestätigen, dann kann ich mir weitere juristische Umwege sparen. Was in einem möglichen Prozeß herauskäme, würde sich zeigen. Im Fall von Sant’Anna di Stazzema griff die Staatsanwaltschaft dem jedoch vor und ließ nicht einmal ein Verfahren zu.
Wie erklären Sie sich das?
Mit Blick auf den verantwortlichen Oberstaatsanwalt, Bernhard Häußler, ist das einigermaßen klar. Der hat nicht nur die Leute, die gegen Stuttgart 21 protestiert haben, verfolgt. Er hat auch gegen einen Versandinhaber ermittelt, der Produkte vertrieb, denen ein in den Papierkorb geworfenes Hakenkreuz – also ein antifaschistisches Signet – aufgedruckt war. Damals hat er behauptet, es handele sich um einen Verstoß gegen den Paragraphen, der das Zeigen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verbietet. Das ist einfach nur absurd. Wer eine solche Haltung hat, die auch während des gesamten Ermittlungsverfahrens deutlich wurde, ist nicht besonders an einer Aufklärung der verbrecherischen Vorgänge in Sant’Anna interessiert. Für meine Mandantschaft kann ich sagen, daß diese über den Inhalt der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart entsetzt war. Wir haben jetzt Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Baden- Württemberg eingelegt.
Es gibt also weiterhin juristische Mittel?
Die gibt es zwar, aber die Zeit drängt. Sämtliche Beschuldigte, aber eben auch die Überlebenden des Massakers, auch mein Mandant, sind alt. Man weiß nicht, wie lange man noch die Chance haben wird, diese Geschehnisse aufzuarbeiten.
So geht die Aufarbeitung deutscher Vergangenheit: In der Regel wird damit gewartet, bis die Täter gestorben sind.
Das stimmt zwar, aber es gab ähnliche Fälle, beispielsweise das Massaker von Falzano di Cortona. Dieser Fall wurde 2008/09 vor dem Münchner Landgericht verhandelt. Aus Rache für einen Partisanenüberfall sind dort völlig unschuldige Menschen zusammengetrieben und umgebracht worden. Das Landgericht hat zu Recht das Mordmerkmal des »niedrigen Beweggrundes« angenommen und ist vom Bundesgerichtshof bestätigt worden. Eine entsprechende Argumentation hätte ich auch hier erwartet. Aber die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat es nicht gewollt.
Die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft legt nahe, daß das Massaker nicht geplant gewesen sei. Eigentlich habe man bloß nach Partisanen und Zwangsarbeitern gesucht.
Die Phantasie, die der Oberstaatsanwalt Häußler da hat walten lassen, muß man erst mal haben. Unter den Menschen, die in Sant’- Anna di Stazzema zusammengetrieben wurden, war niemand, der Partisan hätte sein können.
In der Pressemitteilung heißt es dazu, daß man den Bewohnern ein Ultimatum gestellt habe. Sie sollten sagen, wo sich Partisanen aufhalten.
Man muß sich das einmal vorstellen: Da saßen Frauen und Kinder auf dem Kirchvorplatz – wem soll denn ein solches Ultimatum gestellt worden sein? Es war für die SS-Angehörigen vor Ort offensichtlich, daß das Töten dieser Menschen ein Kriegsverbrechen war. Wie kam es zu den Massenerschießungen, zum Verbrennen von Menschen bei lebendigem Leib? Es geschah auf Befehl, und dieser Befehl war ersichtlich verbrecherisch. Er durfte nicht befolgt werden. Es muß also bei den Tätern, Mitglieder einer SS-Einheit, eine innere Haltung gegeben haben, die diesen Befehl befürwortet hat. Die Motivation zum grausamen Töten mit gemeingefährlichen Waffen – Maschinengewehren – und aus einer auf unterster Stufe stehenden Gesinnung erfüllt gleich drei Mordmerkmale. Dieses Massaker war Mord, und es ist nicht verjährt.
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