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02.05.2013 11:25

The Court

Regie: Michele Gentile/Marcus Vetter; mit Luis Moreno-Ocampo, Angelina Jolie; Deutschland 2013 (Bukera); 86 Minuten; ab 2. Mai im Kino

Luis Moreno-Ocampo mag keine normale Sitzhaltung. Lieber fläzt er oder lümmelt sich auf seinem Bürostuhl. Der erste Chefankläger in der Geschichte des seit 2002 tätigen ständigen Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag gibt sich hemdsärmelig, offenbar denkt er, so ein Image passe gut zu einem Kämpfer gegen die Völkerrechtskriminalität. Der nach neun Jahren mittlerweile von der Gambianerin Fatou Bensouda abgelöste Argentinier - Typ: Macher mit leichter Tendenz zum Macker - ist der Protagonist der Dokumentation „The Court“, einer Mixtur aus Porträt und Behörden-Homestory, die Michele Gentile und Marcus Vetter mit Ausschnitten aus mehreren 1.000 Stunden Beweismaterial zu Kriegsverbrechen angereichert haben. Dazu hatten sie exklusiven Zugang.

Im Mittelpunkt steht der Prozeß gegen den kongolesischen Warlord Thomas Lubanga Dyilo, der im Sommer 2012 - sechs Jahre, nachdem er in Den Haag inhaftiert worden war - zu einer 14jährigen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er gewaltsam Kindersoldaten für Kriegsverbrechen seiner Miliz im Bürgerkrieg gegen die Bevölkerungsgruppe der Lendu rekrutiert hatte. Es ist der erste Fall, den das Gericht (das strukturell nichts zu tun hat mit den jeweils wiederum unterschiedlich organisierten Sondergerichtshöfen für Ruanda, Sierra Leone, Ex-Jugoslawien et al.) zum Abschluß bringen konnte.

Gentile/Vetter bieten zwei Zugpferde auf: für den starfixierten Kinogänger die menschenrechtsaffine Schauspielerin Angelina Jolie, für KONKRET-Leser (jedenfalls die, die keine Jolie-Fans sind) Benjamin Ferencz, den Chefankläger in einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse, dem sogenannten Einsatzgruppenprozeß. Sowohl der heute 93jährige, ein Vorkämpfer des IStGH und ein Buddy Moreno-Ocampos (in einer kitschigen Sequenz im Abspann sieht man sie beim Chillen in Miami), als auch Jolie sind während des Verfahrens gegen Lubanga zeitweilig anwesend.  

Die Glamourweltfigur Jolie ist kein Fremdkörper, denn auf bildlicher Ebene hat „The Court“ die Anmutung eines Spielfilms. In der Hinsicht haben „wir“ - NDR, SWR und Arte haben hier „unsere“ Gebühren investiert - nicht am falschen Ende gespart. Die Kameraleute, Christian Haardt sowie die Regisseure, haben stets ein gutes Auge für das reizvoll Beiläufige, für ungewöhnliche Perspektiven und für die herausfordernden, giftigen Blicke der im Gerichtssaal konkurrierenden Juristen. Das Lawbiz ist halt auch dann ein Showbiz, wenn‘s um Kriegsverbrechen geht.

Den Hochglanz brechen offenbar aus dem Kongo stammende Bilder von Erschießungen auf offener Straße auf, außerdem verpixelte, im Ton verzerrte Aufnahmen von Zeugenaussagen. Obwohl die Initiative für den Film von Moreno-Ocampo ausging, kommt der IStGH - bei aller Sympathie, die Gentile/Vetter der Institution entgegenbringen - nicht nur gut weg. Dramaturgisch geschickt plaziert ist etwa das Fazit des Gerichts in der Lubanga-Sache, das Verfahren habe sich sehr in die Länge gezogen, weil man zu viel Zeit gebraucht habe, um festzustellen, daß die Zeugenaussagen teilweise unbrauchbar gewesen seien. Zweifel an der Schuld des promovierten Psychologen Lubanga gebe es aber nicht.

Sonstige Formen an der aus unterschiedlichen Lagern kommenden Kritik am IStGH – nicht zuletzt an dessen eingeschränktem Tätigkeitsfeld, da unter anderem die USA, China, Rußland und Israel aus unterschiedlichen Gründen das Gericht nicht anerkennen - werden nur angerissen. Wer eine kompakte Auseinandersetzung mit den Schwächen des Gerichtshofs erwartet, landet im falschen Film. Dessen Ziel scheint es zu sein, dem Zuschauer mithilfe einer opulent inszenierten Dokumentation das vordergründig dröge Völkerstrafrecht schmackhaft zu machen. Die Website zum Film paßt zu der Strategie: Einerseits werden die handelnden Personen so ins Bild gesetzt, als würden sie von Schauspielern verkörpert, andererseits sind Links zu Gerichts-PDFs im Angebot. Der Glaube, das Konzept könne aufgehen, wirkt aber etwas naiv.

René Martens

 

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