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"Du bist die Wahl"

05.09.2013 15:50

Aller Voraussicht nach wird die Wahlbeteiligung bei den kommenden Bundestagswahlen wieder mal sinken – vielleicht sogar erstmals unter 70 Prozent. Mit einer Flut von Kampagnen für den Gang zum Kreuzchenmachen soll das verhindert werden.

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat mit über 140 Prominenten Wahlaufrufe aufgenommen, die den Radiosendern zur Verfügung gestellt wurden. Von Mario Barth über Peter Kloeppel bis Florian Silbereisen sind alle dabei. Auch Fußballer Philipp Lahm fehlt nicht; er erklärt dem Zuhörer staatstragend: "Es geht um mehr als einen Titel. Es geht um die nächsten vier Jahre. Es geht um die Demokratie und die Zukunft unseres Landes." Neben den Spots mit Prominenten bietet die Bundeszentrale für politische Bildung auch ein komplettes "Journalisten-Kit" an, um die Aufbereitung der Wahl bürgernah zu gestalten. In diesem Paket lassen sich "Praxis-Beispiele von Radiomachern, Recherche-Tipps und handfestes Wahlwissen" finden.

Eine weitere Kampagne hat den höflich formulierten Titel "Geh wählen!" Die ProSiebenSat.1 Media AG betreibt nach eigener Aussage eine echte Programmoffensive zur Bundestagswahl 2013. So wurde die Berichterstattung zur Wahl verdoppelt. Der Vorstandsvorsitzende Thomas Ebeling sagte zu den Gründen, man wolle "vor allem junge Menschen auch für vermeintlich schwierige Themen wie Umweltschutz, Toleranz oder eben auch Politik begeistern." Edmund Stoiber ist als Parteivertreter und Vorsitzender des ProSiebenSat.1-Beirats ebenfalls in die Kampagne eingebunden. "Demokratie", sagt Stoiber, "ist kein Selbstläufer, sie braucht engagierte Mitmacher." Und weiter läßt er wissen, daß speziell die jungen Leute "in ihrer Sprache" erreicht werden müssen, damit sie erkennen, "daß allein mit Privatleben ihre Probleme nicht zu lösen sind".

Anderen geht der bloße Aufruf an die Bürger, zur Wahl zu gehen, allerdings nicht weit genug. Die Studenten Martin Speer und Vincent-Immanuel Herr ließen sich in der "Zeit" über ihre obskuren Vorstellungen von einem Bestrafungssystem für Nichtwähler aus. "Wer nicht wählen will, soll zahlen" schlagen sie vor. Natürlich ist das eine schöne Idee, um ein paar Millionen Euro zu verdienen. Aber das ist gar nicht ihr Primärziel. Speer und Herr wollen schlicht Schaden abwenden, von "unserem Gemeinwesen". Das Wahlrecht "verkümmern zu lassen, ist nicht nur dämlich und nutzlos, sondern auch schlicht unverantwortlich", meinen sie.

Bereits im Juni startete der Bundestag eine Kampagne für höhere Wahlbeteiligung unter dem Motto "Du bist die Wahl". Auf den zugehörigen Plakaten finden sich mehr oder minder bekannte Personen nebst mehr oder minder fetzigen Sprüchen. Die Schlagersängerin Linda Hesse ("Ich bin ja kein Mann") wird mit der selbstironischen Aussage "Nicht alle mögen meine Stimme. Aber sie zählt. Deine auch." zitiert. Und Schauspieler Raúl Richter (RTL-Seifenoper "GZSZ") darf, damit er auch richtig zugeordnet werden kann, "Ich wähl’ Gute Zeiten. Und du?" sagen. Am aussagekräftigsten ist der Spruch, der dem Boxer Firat Arslan in den Mund gelegt wurde: "Wer auch mal austeilen will, geht wählen." Ohne an die Wut der Wähler und den Willen zur Abstrafung der "politischen Klasse" zu appellieren, kann eine solche Kampagne wohl nicht mit positiver Resonanz rechnen. Ein auf Krawall gebürsteter Wähler ist schließlich immer noch besser als ein Nichtwähler.

Wozu nur dieser ganze Aufwand? Speer und Herr behaupten, daß die "Parteien grundsätzlich auch kein Interesse daran (haben), alle Wahlberechtigen an die Urnen zu locken". Stimmt das? Was würde geschehen, wenn "der gesamte Bundestag von nur ein paar tausend Leuten gewählt werden" würde, wie im Horrorszenario der beiden Studenten? Wäre es den Parteien wirklich egal? Wohl eher nicht. In der Bundesrepublik erfolgt die Parteifinanzierung nämlich nach den tatsächlich abgegebenen gültigen Stimmen für die jeweilige Partei. Zwischen 70 und 85 Cent gibt es für jede Stimme. Die Kampagne des Bundestags könnte also auch lauten: Du bist die Parteispende!

- Johannes C. Reinhardt -

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