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14.06.2017 15:51

Die Grundrechtsdemontage in Deutschland geht weiter. Beamte dürfen jetzt auch Sechsjährigen Fingerabdrücke abnehmen. Wieder einmal haben die Innenminister jene „beachtliche Gelassenheit im Umgang mit rechtsstaatlichen Prinzipien“ unter Beweis gestellt, die ihnen Oliver Tolmein in konkret 02/17 bescheinigt hatte.

 

In etwa neun Monaten wird der neue Bundestag gewählt. Bis dahin präsentieren sich die Regierungsparteien als Aktivistenkollektive für den starken Staat. Dass die Innere Sicherheit, vor allem mit Blick auf Flüchtlinge, dabei das herausragende Thema bleiben wird, scheint unvermeidlich. Die Debatte um die elektronische Fußfessel für sogenannte Gefährder mag dabei ein Highlight für die Verfechter der Staatsräson sein, die Freiheitsrechte für genauso disponibel halten wie den Gleichheitsgrundsatz.

Die elektronische Fußfessel wird im Juristendeutsch zutreffender »Elektronische Aufenthaltsüberwachung« genannt. Charakteristisch für sie ist nämlich nicht, dass die Betroffenen sich nicht von einem bestimmten Ort wegbewegen dürfen. Vielmehr unterliegen sie einer permanenten Überwachung und Verhaltenssteuerung. Die elektronische Fußfessel ist daher eine höchst eingriffsintensive Kontrollmaßnahme, die zwar anders funktioniert, aber kaum weniger einschneidend ist als eine freiheitsentziehende Maßnahme. Im Rahmen der Elektronischen Aufenthaltsüberwachung kann den Betroffenen verboten werden, bestimmte Gebiete überhaupt oder zu bestimmten Uhrzeiten zu betreten; sie können aber auch angewiesen werden, ein bestimmtes Areal nicht zu verlassen. Die Ortung der elektronisch observierten Personen erfolgt permanent. Weil diese Rund-um-die-Uhr-Überwachung keine Rückzugsmöglichkeit und keine Privatsphäre übrig lässt, verbietet das Datenschutzrecht den Kontrolleuren, die Informationen, die so gewonnen werden, permanent einzusehen und auszuwerten. Erst wenn der Überwachte gegen eine der Weisungen verstößt, wird in der »Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder« in Bad Vilbel, die für die Fußgefesselten aller Länder zuständig ist, ein Alarm ausgelöst. Derzeit werden in Bad Vilbel etwa 70 Personen, die meisten von ihnen entlassene Sexualstraftäter, observiert. Das System, dessen Kosten sich die Bundesländer teilen, ist auf maximal 500 Personen, die als Probanden bezeichnet werden, eingerichtet.

Verlässt einer der Fußfesselträger beispielsweise das Gebiet, in dem er sich aufhalten darf, wird er von einem Mitarbeiter der Überwachungsstelle angerufen und aufgefordert, unverzüglich in seinen ihm zugewiesenen Bereich zurückzukehren. Diese Aufforderung erfolgt per Handy. Der Mustertext dazu lautet: »Verlassen Sie die Zone sofort. Ich verfolge Ihren Weg hier am Bildschirm. Wenn Sie die Zone nicht unmittelbar verlassen, verständige ich die Polizei.«

Normiert ist die elektronische Fußfessel seit sechs Jahren in Paragraf 68b des Strafgesetzbuchs. Strafvollstreckungskammern können verurteilten Menschen, die nach drei oder mehr Jahren aus der Haft entlassen wurden, nun aber der Führungsaufsicht unterliegen, die Weisung erteilen, »die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen«. Angeordnet wird die elektronische Fußfessel von einem Gericht – auch das, weil sie einen gravierenden Eingriff in die Grundrechte darstellt.

Die Vorstellung, ein solcher Grundrechtseingriff ließe sich auch für sogenannte Gefährder legitimieren, erfordert an sich schon eine beachtliche Gelassenheit im Umgang mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Zwar ist es im Einzelfall durchaus möglich, dass auch in die Rechte von Menschen eingegriffen wird, die keine Straftat begangen haben – die Anforderungen sind in einem solchen Fall aber vergleichsweise hoch. Je schwerer der geplante Eingriff, desto höher. Das sollte Bundesinnenminister de Maizière, der mittlerweile Gefallen daran findet, als »harter Hund« bezeichnet zu werden, und Bundesjustizminister Maas, der sich für die Personifizierung eines liberalen Rechtsstaats hält, präsent sein, schließlich hat das Bundesverfassungsgericht erst im April 2016 die Ermächtigungsnormen des BKA-Gesetzes analysiert und dabei einige zentrale Bestimmungen – vor allem § 20g BKAG, der die Überwachung außerhalb der Wohnung und den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung erlaubt –, als teilweise verfassungswidrig qualifiziert.

Verfassungswidrig ist das BKA-Gesetz in dem Teil, der den Einsatz von Überwachungsmaßnahmen bei einer Person regelt, »bei der Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 begehen wird«, vorliegen. Dazu gehört vor allem die Bildung terroristischer Vereinigungen. Es ist diese Vorschrift, die erlauben sollte, in die Grundrechte von »Gefährdern « einzugreifen, um sie daran zu hindern, Straftaten zu begehen. Zu unbestimmt, »nicht normenklar« befanden die Verfassungsrichter. Wenn Straftaten verhütet werden sollen, muss »ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar (sein)«. Und weiter: »In bezug auf terroristische Straftaten kann der Gesetzgeber statt dessen aber auch darauf abstellen, ob das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begeht.«

Das wird in der Regel nicht möglich sein – zumal die Polizei meist kein Interesse haben wird, »Gefährder«, die sie erkannt hat, festzusetzen – die heimliche Ermittlungsarbeit bietet ja viele Möglichkeiten, Erkenntnisse zu sammeln oder geheimdienstlich wie auch immer zu intervenieren. Der Fall des mutmaßlichen Attentäters Anis Amri, soweit er bekannt ist, zeigt das eindrücklich. Amri war weit im Vorfeld des Anschlags monatelang observiert worden, das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern hatte ihn zeitweise im Visier – übrigens angeblich unter 14 verschiedenen Namen. Ein V-Mann berichtete, dass Amri verkündet habe, er wolle in Paris Kalaschnikows für Anschläge in Deutschland besorgen, auch, dass er die Tötung von Ungläubigen gut finde, fand Eingang in die Polizeiakten – das BKA beurteilte die Zuverlässigkeit dieser Berichte als »kritisch«, konkret fiel Amri nicht durch Anschlagsplanungen auf, sondern durch Drogenhandel in kleinem Stil. Also wurde die Überwachungsmaßnahme eingestellt.

Sicher wäre Amri also kein Kandidat für die elektronische Fußfessel gewesen. Und selbst wenn: Sie kann die Begehung von Straftaten nicht verhindern, sie macht es lediglich einfacher, die Spur des Verdächtigen nach der Tat nachzuvollziehen. Als wirksames Mittel der Prävention scheidet sie damit genauso aus, wie viele der anderen Maßnahmen, die in den letzten Monaten die öffentliche Diskussion beherrschten: vom »Gesetzentwurf zur bereichsspezifischen Regelung der Gesichtsverhüllung«, über das »Gesetz zum Einsatz mobiler Videotechnik«, bis zur geplanten »Verlängerung des Ausreisegewahrsams « und den »Erleichterten Voraussetzungen für die Abschiebehaft«.

Dass all diese Maßnahmen zur Prävention nicht taugen, weil sie nicht aus einer Analyse der Bedrohung gewonnen worden sind, sondern diese ersetzen, ändert allerdings nichts daran, dass sie aufs Ganze gesehen in hohem Maße wirksam sind: Sie demontieren die Grundrechte und zeigen, dass alles, was Straftatenverhütung und Strafverfolgung angeblich im Wege steht, abgeräumt werden kann und soll. Die bereits recht gut mit Zwangs-, Straf- und Präventionsmaßnahmen ausgestattete wehrhafte Demokratie rüstet weiter auf.

 

Oliver Tolmein ist Rechtsanwalt und lebt in Hamburg  

 

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