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Brangelina ist nicht mehr

22.08.2017 12:36

Kofferwörter sind meist hässlich und selten witzig. Peter Krupka über ungekonnte Wortspiele und angewandte Sprachverhunzung.

Wer Kofferwörter produziert, gilt als kreativ und witzig, genauer, er hält sich für kreativ und witzig, und so freut sich der Werbetexter ungemein, wenn er ein Wort wie schuhverlässig herausgegurgelt hat. Kofferwörter sind hässlich und allenfalls angestrengt witzisch. Ich habe Kofferwörter bereits vor zwei Jahren kategorisch verboten (konkret 8/15), es sei denn die von Könnern produzierten. Erfolglos natürlich.

Erfreulicherweise sind einige der besonders hässlichen den Bach runtergegangen. Brangelina hat sich aufgelöst, noch bevor die schwierige Frage der grammatischen Zuordnung geklärt werden konnte (Sollte das Wort als Plural oder als Singular benutzt werden? Ist es in adjektivischen Verbindungen zugelassen, und wenn ja, in welchen?). Brangelina mochte sich nicht mehr, es hat sich getrennt und aufgelöst, der eine Teil kümmert sich um die Kinder, der andere um Filme und Frauen. (Hoffentlich droht keine Wiedervereinigung als Braniston!) Erfreulich ist auch, dass trotz Erdogan nicht wieder der alte Hut Demokratur hervorgeholt wurde. Trotzdem: Das Kofferwort lebt weiter, obwohl die Bezeichnung als schlichtes Kompositum ebenso hässlich ist wie die Sache selbst.

Wenn Freud in seiner Abhandlung Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten Heine zitiert mit dem Kofferwort famillionär, nennt er die Wortverbindung treffend Verdichtung. Und in dieser Art Verdichtung sieht der Optimist eine Technik des Witzes. Dass diese Verdichtung sich zur global angewandter Sprachverhunzung entwickeln würde, konnte der gute Freud nicht vorhersehen.

Warum ich mich aufrege? Weil die Zunahme von Witzischkeit den Verlust von Witz nach sich zieht. Auf ein witziges Sprachspiel kommen 5.000 Witzischkeiten, also schändliche Sprachschludereien. Der Dreck, den die Journaille (hübsche Verdichtung, treffend und witzig, von Karl Kraus) heute so produziert, ist Humus für Sprachverrohung und Bedrohung für Denken, Urteilsfähigkeit und Ästhetik. Ein schlechter Witz kann immerhin erfrischend sein, schlechter Witz niemals.

Apropos Journaille: Willi Winkler, bedeutender Journalist einer bedeutenden süddeutschen Zeitung, hat 2012 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk Bedeutendes über Kofferwörter geäußert. Mit seinem Gesprächspartner Stephan Karkowsky gerät er ins Schwärmen. Karkowsky: „Der Germanist Hermann Paul nennt die Bildung von Kofferwörtern Kontamination. Er versteht darunter den Vorgang, dass zwei Synonyme oder irgendwie verwandte Ausdrucksformen sich nebeneinander ins Bewusstsein drängen. Das ist doch hübsch. Man sieht förmlich die Drängelei im Kopf. Zwei Bedeutungen, ein Wort.“ Winkler fährt fort: „Diese Kofferwörter sind nur eine Folge davon, dass man Sachen zusammendenken kann. Und für Journalisten … ist das einfach eine Erleichterung. Wenn ich drüberschreiben kann: Smog oder Merkozy oder was, weiß jeder sofort, was gemeint ist. Wenn Sie mich jetzt aber fragen sollten, was ich von Grexit halte, da bin ich nicht davon überzeugt ... Griechenland wird im deutschen Sprachbereich mit dem Vokal I bezeichnet. Im Englischen ist es im Vordergrund, es wird so ähnlich ausgesprochen, Greece, aber man sieht die zwei Is.“  

Was sich der Winkler da so zusammendenkt! Mein Bäcker redet auch manchmal dummes Zeug. Aber mir ist noch nie aufgefallen, dass er die Grundlagen seines Handwerks durcheinanderbringt, indem er Hefe mit Mehl verwechselt. Winkler dagegen redet von Lauten und Buchstaben, als ob sein Hauptberuf ein anderer wäre. Da Winkler dem dämlichen Kofferwort Brangelina Geniales abgewinnen kann („Brangelina ist eine geniale Erfindung.“), weil es, wie Merkozy, Erleichterung bringe, tippe ich auf Produktion oder Vertrieb von Rizinusöl als gelerntes Gewerbe.

Die Verdichtung ist als Sprachspiel das einzige, das die Grammatik bricht, während alle anderen allenfalls an der Sprachnorm knabbern. Daher bedarf es ganz besonderer Fähigkeit und Sorgfalt, um eine witzige Verdichtung zu schaffen. Für die Kreativen, Werbetexter und Journalisten findet man im Internet Verschmelzer, Generatoren für Portmanteaus und Kofferwörter, so dass nicht einmal mehr die eigene Peristaltik angeregt werden muss.

In den meisten Fällen ist eine (zugegeben: zuweilen sperrige und unökonomische) Aus-Schreibung und Aus-Sprache sinnvoller als die Verwitzischung in einem gut fassbaren Kürzel. Beispiel gefällig? Bitte! Wenn wir uns die Frage stellen, ob ein Austritt Englands aus der EU ohne das grässliche Kofferwort Brexit hätte geschehen können, so kenne ich mindestens zwei Menschen, der dies für unmöglich halten. Mich und noch jemand. Brexit bedeutet: Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirlands aus dem Bereich der Europäischen Union infolge nationaler Idiotie (kurz für Deppen: Brexit aus Bridiotie bzw. Brexit by Bridiocy).

Wenn wir uns nun einen englischen Pub vorstellen, in dem die Entscheidung über den britischen Exitus schließlich gefallen ist, so gab es nur zwei Möglichkeiten der Argumentation, 1. die plakative:

Joey, what do you think about Brexit? 

- Brexit? Very good, of course! Cheers!! 

2.  die analytische:

- Joey, what do you think about an exit of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland out of the European Union as a result of national idiocy?

- Exit of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland out of the European Union as a result of national what?

- Idiocy!

-  Idiocy? No, never! Cheers!!

Ein grausiger Höhepunkt der Kofferwort-Manie ist der Titel eines Buches, das so erfolgreich ist, dass zwei weitere Bücher folgten, ein Film gedreht wurde sowie eine 6teilige Fernsehserie, alle drei betitelt: das Pubertier! Das Pubertier ist ein lästiger Teenager, der – wurscht. Das Wort ist Dreck, die Bücher sind Dreck, der Film ist Dreck, die Serie ist Dreck. (Woher ich das weiß, ohne je eines davon näher beäugt zu haben? Ich bin Hellseher!) 

Warnhinweis: Falls irgend ein konkret-Leser, horribile dictu,  den Büchern, dem Film oder dem TV-Event näher getreten sein sollte als auf Spei- und Spuckweite, schreibt er mir bis zum nächsten Mal als Strafarbeit eine unfreie Erörterung zum Thema: „Warum ist Pubertier ein grässlicher Titel und widerlich als Buch und als Film und als TV-Serie, während zum Beispiel die Verdichtung Die drei Chronöre* hübsch und witzig ist?“ Er kann natürlich ein anderes Antistück wählen, da bin ich nicht pingelig, zum Beispiel meine Lieblingsverdichtung Patridiot. Aber ich will niemand beeinflussen.

 

* Die drei Chronöre Horst Tomayers („Die „Brandenburger Woche“ über Marit Hofmann, Christoph Hofrichter und Fritz Tietz, die regelmäßig öffentlich "Das Wort Hottes" vortragen.)

 

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