28.07.2017 10:29
Der deutschen Automobilindustrie geht die Muffe. In konkret 1/17 beschrieb Ralf Schröder, wie Chinas Plan, in Zukunft auf Elektroautos umzusteigen, die deutschen Benzinapostel und Verbrennungsphilister schockte. Mittlerweile haben Frankreich, Britannien und Norwegen ähnliche Vorhaben geäußert und damit, wie Badischen Neuen Nachrichten besorgt feststellen, „die mächtigen deutschen Premiumhersteller mit leichter Hand unter Druck“ gesetzt.
Ende Oktober kam aus Fernost eine Meldung, die hierzulande eine Welle der Empörung auslöste. Es ging um den Plan der chinesischen Regierung, die eigene Bevölkerung ein bisschen besser vor giftigen Schadstoffen zu schützen und die eigene Autoindustrie besser für die Zukunft aufzustellen.
Zur Debatte stand ein Gesetzesvorhaben, das erst in Umrissen sichtbar war, aber folgende Kolportage auslöste: Ab 2018 solle auf dem chinesischen Automarkt ein Zertifikatsystem gelten. Als dessen Währung seien Kreditpunkte vorgesehen, die es für Elektroautos (vier Punkte) und für Plug-in-Hybride (zwei Punkte) gebe. Im ersten Jahr müssten die Produzenten für acht Prozent ihrer in China abgesetzten Autos Kreditpunkte sammeln, 2019 für zehn Prozent, 2020 für zwölf Prozent. Hersteller, denen das nicht gelingt, müssten entweder ihre Produktion drosseln oder bei der Konkurrenz Kreditpunkte kaufen, ähnlich wie beim Handel mit Emissionsrechten. Zusätzlich geht es um den Transfer von Technologie: Um in China produzieren zu können, mussten ausländische Autohersteller bisher eine von drei Kernkompetenzen an den – zwingend vorgeschriebenen – einheimischen Joint-Venture-Partner übertragen. Künftig sollen es alle drei sein.
Der chinesische Plan ist, zumindest in der kolportierten Version, unter zwei Gesichtspunkten bemerkenswert. Der erste betrifft das innere und äußere Design der globalen Marktwirtschaft. Bei diesem hat, seit die Moderne losging, der Westen unangefochten die Richtung und das Kleingedruckte vorgegeben. Das trifft auf die Krawattenpflicht zu, auf die Organisation der staatlichen Apparate, auf die Ästhetik der Kunst und der anderen Waren und nicht zuletzt auf die Formatierung der materiellen und psychischen Bedürfnisse. Die Dominanz in Afrika, Asien und anderswo kam zunächst aus den Gewehrläufen der Kolonialsoldaten; später betreute das abendländische Bürgertum die Eliten der nachholenden Gemeinwesen mental und finanziell so intensiv, dass seine Gedanken überall zu den Gedanken der Herrschenden und der Abhängigen wurden.
Kaum irgendwo hat sich die westlich geprägte Tauschwertproduktion umfassender in den globalen gesellschaftlichen Alltag eingeschrieben als auf dem Gebiet der Mobilität. Hier strukturiert das Kraftfahrtwesen auf der Grundlage seiner Verwertungsinteressen seit hundert Jahren die Zeit, den Raum und die gebaute Lebenswelt. In Form des privaten Automobils ist es zuständig für Identitätsstiftung, soziale Integration, Distinktion und erotische Affekte. Weltweit, und nicht zuletzt unter den Neureichen der aufholenden Staaten, gilt der fette und gepanzerte SUV als blechgewordene Version des Refrains »Eure Armut kotzt mich an«. Weltweit nutzen junge Männer an ihren Karossen spezielle Sound-Booster, um zu zeigen, dass sie mehr Beachtung verdienen – »V8-Sound für alle« nennt sich das Röhren der Hirsche in den Worten von »Auto-Bild«. Weltweit führend dabei, solche Bedürfnisse zu bedienen, ist die hiesige Autoindustrie.
Auch wenn die Initiative der chinesischen Regierung keineswegs darauf zielt, die befriedende Wirkung des Kraftfahrtwesens zu brechen, bricht sie doch mit der lange geübten Tradition, die westliche Tauschwertproduktion bis in ihre stofflichen Details hinein nachzuahmen. Einen solchen Eingriff in die globale Hierarchie der abendländisch kommandierten Produktions- und Konsummuster hat sich bisher kein Akteur der früheren Peripherie leisten können, und schon gar nicht auf einem solch zentralen Gebiet der Realwirtschaft. Dass es ausgerechnet die »Schlitzaugen« (EU-Kommissar Oettinger) wagen, die spezifisch deutsche Halluzination des sauberen Verbrenners weltöffentlich und womöglich per Gesetz in Zweifel zu ziehen, lässt die hiesigen Benzinapostel und Dieseljünger schäumen. So sehr, dass die »Zeit« sich zu folgendem Hinweis veranlasst sah: »Ein souveräner Staat wie China darf selbstverständlich Elektromobilität fördern und dazu auch solche Quoten einführen.«
Dies führt zum zweiten Gesichtspunkt, der die chinesische Idee zum Ereignis macht: Sie blamiert vollends das schräge deutsche Selbstbild, Vorreiter beim globalen Umweltschutz zu sein. »Merkel setzt Meilenstein für die Bewahrung der Schöpfung«, titelte exemplarisch dafür 2008 die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach der Rede der Kanzlerin beim Bonner Weltnaturschutzgipfel. Weiter hieß es wie zu Kaisers Zeiten: »Die Bundeskanzlerin hat wieder die Initiative ergriffen und der internationalen Staatengemeinschaft – wie beim Klimaschutz – erneut ein Vorbild gegeben. Dafür verdient sie unser aller Lob.« Ähnlich übel ging die Selbstbeweihräucherung bis heute weiter, ungeachtet der Tatsache, dass Deutschland regelmäßig fast alle der selbst- oder von der EU gesetzten Ziele beim Umweltschutz verfehlt und auch künftig verfehlen wird.
Obwohl ein Einwohner Chinas im Durchschnitt nur rund 6,7 Tonnen CO2 pro Jahr verursacht und damit weit weniger als der statistische Deutsche (8,9) oder US-Amerikaner (17,02), setzen die Chinesen deutlich entschiedener beim Gifthauptverursacher Verkehr an. Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey kam im Juli 2016 zu diesem Ergebnis: »China entwickelt sich immer mehr zum Vorreiter bei der Elektromobilität: Beim Ranking der wichtigsten Herstellerländer für Elektrofahrzeuge führt das Land erstmals vor Japan. Deutschland liegt bei den wichtigsten Produktionsländern weiterhin auf Platz drei vor den Vereinigten Staaten. Auch als sich entwickelnder Markt ist China ausgesprochen dynamisch und belegt nun hinter Norwegen, Niederlande und Frankreich Platz vier.« Hinzu kommt ein weiterer Faktor, den die »Welt« bereits vor zwei Jahren entdeckte: »In China rollen Millionen Elektro-Roller durch die smoggeplagten Großstädte. Täglich kommen Zehntausende hinzu. Bei uns wird die Idee von Politik und Unternehmen ignoriert. Warum eigentlich?«
Weil die kapitalistische Planwirtschaft, die ihre Politik an den Verwertungsstrategien der mächtigsten Konzerne und Finanzgruppen ausrichtet, in Deutschland bis jetzt voll auf der Ölspur unterwegs ist. Davon zeugten auch die Kommentare zur chinesischen Elektro-Offensive. »Ein neuer Gesetzentwurf aus China schreckt die deutschen Autohersteller auf: Schon ab 2018 soll offenbar eine Quote für Elektroautos gelten. Damit wäre China deutlich ehrgeiziger als die Bundesregierung«, schrieb die »FAZ« Ende Oktober. »Ab 2018: Quote für E-Autos schockt deutsche Autobauer«, titelte »Spiegel Online«. Der Schock wird durch die Erkenntnis hervorgerufen, dass die hiesigen Autobauer voraussichtlich nicht fähig sein werden, die geplanten Quoten zu erfüllen.
Dass womöglich die Ära zu Ende geht, in der über die globale automobile Zukunft maßgeblich in Wolfsburg, Untertürkheim und München entschieden wurde, bekräftigte recht mitleidslos auch ein Kommentar der »Zeit«. Chinas Förderung der Elektromobilität sei deutlich »radikaler« als die hiesige. Schon ab 2018 feste Quoten für Elektroautos zu definieren, »ist hart und trifft die deutsche Branche besonders schwer. Das hat sie sich aber selbst zuzuschreiben. Viel zu lang hat sie sich der Elektromobilität nur halbherzig gewidmet und lieber weiter auf den Diesel gesetzt – auch mit der inzwischen bekannten Trickserei – und auf Plug-in-Hybride, die nach nur wenigen Kilometern doch wieder auf den klassischen Benzinbetrieb wechseln.«
Die Nervosität in der hiesigen Branche basiert vor allem darauf, dass China nicht irgendein Automarkt ist. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Pkw-Absatz rund um Peking und Shanghai mehr als versechsfacht, in Europa fiel er derweil um sieben Prozent. Weltweit legten die Pkw-Verkäufe in den vergangenen zehn Jahren um 45 Prozent zu, wobei ohne den chinesischen Markt das Plus gerade einmal acht Prozent betragen hätte. Der VW-Konzern verkauft aktuell mehr als 35 Prozent seiner Autos in China, bei BMW und Daimler sind es ungefähr 20 Prozent – wobei der deutsche Anteil am chinesischen Automarkt insgesamt zuletzt leicht gesunken ist.
Angesichts des Bangens, das die Pekinger Elektropläne in den hiesigen Konzernzentralen auslösten, schien es eine glückliche Fügung, dass der Berliner Wirtschaftsminister für Anfang November eine Reise nach China geplant hatte. »Sigmar Gabriel kämpft in Peking um Chinas Automarkt«, titelte »Derwesten.de«, das News-Portal der Funke-Mediengruppe. Ziel des Ministers sei es, eine »Benachteiligung der deutschen Industrie bei Elektroautos zu verhindern«. Gabriel habe dem chinesischen Industrieminister Miao Wei von der »großen Sorge in Deutschland« berichtet und im Gegenzug die Mitteilung erhalten, es sei noch nichts beschlossen. Eine entsprechende Anfrage des deutschen Botschafters hatte Miao Wei zuvor vier Monate lang unbeantwortet gelassen.
Dass sich die Bundesregierung als Türsteher der hiesigen Autoindustrie versteht, hatte sie mit der üblichen Selbstverständlichkeit zuletzt wieder einmal im Skandal um die gefälschten Abgaswerte von VW-Dieseln gezeigt. Im Dezember 2015 verhinderte Verkehrsminister Dobrindt im Kabinett einen Gesetzentwurf, der geschädigten Verbrauchern in solchen und anderen Fällen künftig Sammelklagen ermöglichen sollte. Als Dobrindt im vergangenen Juli ankündigte, auf Bußgelder gegen VW zu verzichten, stellte sich heraus, dass sein Ministerium eine EU-Vorschrift von 2007, die solche Sanktionen möglich machen sollte, ohnehin nie umgesetzt hat.
Am meisten nach Tankstelle riecht in den Debatten über die Zukunftsfähigkeit der nationalen Autoindustrie Matthias Wissmann, ehemaliger Verkehrsminister unter Helmut Kohl und seit 2007 Präsident des mächtigen Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Wissmann schwärmte Mitte November nicht nur von den hohen ökologischen Qualitäten der künftigen synthetischen Verbrennungskraftstoffe, sondern ballte auch die grüne Faust in Richtung Osten: »Ein Elektromotor ist besonders dann sinnvoll, wenn der Strom, mit dem er angetrieben wird, aus erneuerbaren Energien stammt. In China mit dem Kohlestrom zum Beispiel ist das praktisch nicht möglich, dort kann also ein Diesel oder Benziner umweltfreundlicher als ein E-Auto sein.«
So geht Propaganda, die sich hinter der Zapfsäule verbarrikadiert. Wie die Lage im Bereich der erneuerbaren Energien wirklich aussieht, hat die »Frankfurter Rundschau« vor einigen Wochen auf der Basis der aktuellsten Zahlen dokumentiert: »Vor allem die Chinesen haben die Zeichen der Zeit erkannt. Bei der Windkraft und Solarenergie ist das Land führend, seit die Regierung in Peking die Erneuerbaren-Industrien im vergangenen Jahrzehnt mit großen Subventionen aus dem Boden stampfen ließ.« Im Jahr 2015 habe China alleine rund 36 Prozent aller globalen Investitionen in erneuerbare Energien gestemmt. Die Headline der Analyse lautete: »Die neue Nummer eins«.
Für solche Nachrichten haben Wissmann und seine Autoleute keine Antenne. In ihrer Welt spielt Deutschland eh außer Konkurrenz.
Ralf Schröder schrieb in konkret 11/16 über die Deutsche Bank
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