20.08.2013 15:00
Wenn de mortuis nihil nisi bene gesagt werden dürfte, müßte man über den toten Claus Jacobi schweigen. Und das wäre doch auch nicht recht. Deshalb hier in memoriam einige Auftritte des ehemaligen Chefredakteurs vom „Spiegel“, von der „Welt am Sonntag“, der „Welt“ und Redaktionsdirektors der „Bild“-Zeitung, des „großen Journalisten“ mit „Sinn für das Feine“, dessen „Wesen so elegant war wie seine äußere Erscheinung, er hatte Stil und Manieren“ (Nachruf des Verlags), in der KONKRET-Rubrik Gremlizas Express und in Tomayers ehrlichem Tagebuch
September 1998
Jeden Samstag gehen Weltreiche an syphilitischer Aufweichung zugrunde, stürzt die Menschheit sich wie die Lemminge ins Verderben. Wenn Claus Jacobi ein weiteres Kapitel seiner Apokalypse für den interessierten Realschüler aufschlägt, erwartet den »Bild«-Leser ein wahrer Betriebsausflug nach Saudumm und Gonorrha:
Das große Narrenschiff, auf dem wir alle durch Raum und Zeit reisen, steuert einen traumschönen Archipel an. Dort ist alles erlaubt und nichts verboten. Es ist das Paradies der Narren. Wir Deutsche haben es auf der Kreuzfahrt zu diesem Ziel schon weit gebracht.
Wie weit? So weit:
Eine protestantische Bischöfin ließ sich mit einem wegen Kokainbesitzes frisch verurteilten Liedermacher ablichten. Theaterstücke trugen Titel wie »Shopping & Ficken« oder »Ich lecke das Deodorant einer Nutte«. Fast nichts ist verboten.
Kanther, Schily, hergehört! Und ein Gesetz eingebracht, das die Ablichtung von Bischöfinnen neben wegen Kokainbesitzes frisch verurteilten Liedermachern sowie den Gebrauch der Worte Ficken und Nutte unter Strafe stellt. Ausgenommen davon bleibt natürlich der Text der Bordellanzeigen, mit deren Erlös die »Bild«-Zeitung das Honorar ihres Apokalyptikers finanziert.
Arbeitslosen-Unterstützung wurde nach Mallorca überwiesen. Der Staat richtete Fixerstuben für Junkies ein. Soldaten konnten Mörder genannt werden. Joschka Fischer ist bald Staatsmann. Schwule und Lesben hielten Paraden ab (bei der Bundeswehr hapert es da ein bißchen).
Schmarotzer, Verseuchte, Pazifisten, Perverse ... Alle an die Wand? Kopf kürzer? Unterm Führer, jedenfalls, hätt's sowas nicht gegeben. Auch nicht die vielen Undeutschen, die Kriminellen, die Gottlosen, und mit Kommunisten hat der nicht lange gefackelt:
Deutschland hat seit 1990 mehr Menschen aufgenommen als USA, Kanada und Australien zusammen. Jugendliche Gewalttäter durften auf Kosten der Steuerzahler mit Betreuern Abenteuer-Urlaub in fremden Kontinenten machen. Ob Jesus- Verspottung oder Abtreibung, PDS oder Parlamentarier-Flüge mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr - nahezu alles ist erlaubt ... In unserer permissiven Gesellschaft wird kaum noch etwas geächtet.
Natürlich ging auf der Vergnügungsfahrt ins Paradies vor Übermut so manches über Bord des Narrenschiffes. Im Kielwasser treiben eine Kiste alter Werte und ein paar Körbe Tugend, ein Besteck für Manieren, ein Flugblatt mit den zehn Geboten und ein Sextant - zum Bestimmen des Kurses.
Zwischen den Kisten alter Werte, den Körben Tugend und den zehn Geboten schwimmt ein Notizblock, auf den ein Redakteur des »Spiegel« einst die Maxime journalistischer Tätigkeit notiert hatte, zu der ihn sein Chefredakteur immer wieder ermahnte: »Wenn einer am Boden liegt - drauftreten!« Der Mahner war aber kein anderer als der Claus Jacobi. Er war, wie man sieht, nicht immer so heilig wie heute, aber eins muß man doch sagen: Nie hätte er sich Arbeitslosen-Unterstützung nach Mallorca überweisen lassen! Allenfalls mal eine Abfindung nach Sylt.
März 2004
Wieviele Soziologen haben nicht schon versucht, sich und der Welt zu erklären, was jenen Typus des Homo sapiens ausmacht, den eine zivilisiertere Welt als Kraut oder Boche zu verachten und zu fürchten gelernt hat. Dabei ist es, die richtige Versuchsanordnung vorausgesetzt, ein Kinderspiel. Man nimmt die Samstagsausgabe der »Bild«-Zeitung, Seite zwei, unten, wo Claus Jacobi „Mein Tagebuch« hinmacht, und liest:
Stalingrad. Heute vor 62 Jahren kapitulierte die 6. Armee unter Generalfeldmarschall Paulus in Stalingrad. 90.000 Mann (darunter 24 Generäle) gerieten in Gefangenschaft, 160.000 Mann waren gefallen, verhungert oder erfroren. Nur wenige von ihnen hätten sich vermutlich vorstellen können, daß 62 Jahre später eine Wanderausstellung durch deutsche Lande ziehen würde, um Mitschuld der Wehrmacht an NS-Verbrechen im Krieg nachzuweisen.
Rüde. Nicht die Stadt, sondern ich soll die Losung meines Retrievers beseitigen. Aber Purdey zahlt Steuer, und er braucht keine Kita, geht nicht zur Schule, verlangt kein Bafög, erhält keine Arbeitslosen-Unterstützung, nutzt keine Straßen ab, erwartet keinen Polizeischutz, will nicht von Minister Struck am Hindukusch verteidigt werden, bezieht keine Filmförderung und seine Abgase verpesten die Luft nicht. Wozu zahlt er Steuer?
Das ist er, der deutsche Mann.
April 2005
Einem Hamburger Millionär, der im Alter von 92 Jahren gestorben ist, weint sein Freund Claus Jacobi in Springers Lokalanzeiger hinterher:
Er begegnete Hitler und Göring; der letzte Herrscher der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, schüttelte ihm die Hand. Zu seinen engsten Freunden zählten Curd Jürgens, der Landgraf von Hessen und Axel Springer. Was für ein Leben ...
Wenn er mich fragt: ein verpfuschtes.
Oktober 2006
»Was der Seeteufel einst Adolf Hitler erzählte«, erzählt der Claus Jacobi … in seinem »Bild-Tagebuch«:
Die Philatelie der Post hat diese Woche einen frankierten Umschlag herausgebracht, der für 90 Cent an den Geburtstag des deutschen Kriegshelden Felix Graf Luckner (1881-1966) erinnert. Denn der »Seeteufel« erblickte gestern vor 125 Jahren das Licht der kaiserlichen Welt. Im Ersten Weltkrieg war er Kommandeur des ruhmbedeckten Hilfskreuzers »Seeadler«. Ich lernte ihn nach dem Zweiten Weltkrieg auf meinem ersten Segeltörn ins Ausland in Malmö kennen. Hitler, so erzählte er mir damals, habe ihn einmal gefragt, warum er zwischen den Kriegen so oft auf kleineren Schiffen um den Globus gesegelt sei. Er habe geantwortet, in Seenot stiegen die Leute doch sowieso auf kleinere Schiffe über, da sollte man sie am besten gleich nehmen. Das habe Hitler eingeleuchtet und sichtlich gefallen. Als ich ihm erstmals begegnete, zerriß der Seebär mit seinen Pranken zwar immer noch Telefonbücher, aber er lebte schon vornehmlich in der Vergangenheit und lehrte mich Lessings schönen Sechszeiler, den ich seither so gern habe, wie er ihn wohl hatte: »Gestern liebt’ ich,/ Heute leid ich,/ Morgen sterb ich:/ Dennoch denk ich/ Heut und Morgen/ Gern an gestern.«
Noch lieber denkt der Jacobi heut und morgen an vorgestern, obwohl ihm die Ungnade einer zu späten Geburt versagt hat, selber in Uniform beim Tee mit dem Führer zu plaudern, sondern ihm nichts ließ als damit anzugeben, daß er Leute kennt, die es getan haben, und darunter zu leiden, daß es Subjekte gibt, denen Kaffeeklatsch mit den Mördern der europäischen Juden nicht so recht gefallen will, wogegen der Jacobi in einem seiner nächsten »Bild«-Tagebücher unter dem Titel
Der trübe Strom des schlechten Gewissens der Deutschen ...
bewegende Klage führen muß:
Ich stoße auf einen Brief des Journalisten Friedrich Sieburg an seinen Freund Hans-Georg von Studnitz. »Wir müssen uns damit abfinden«, heißt es da, »daß jede Lüge und Verunglimpfung verbreitet werden kann, wenn sie auf dem trüben Strom des schlechten Gewissens der Deutschen dahintreibt.« Das wurde 1962 geschrieben. Und heute?
Friedrich Sieburg war der Kulturkorrespondent der »Frankfurter Zeitung« und ihrer Nachfolgerin, der »Frankfurter Allgemeinen«, in Paris. Er hatte 1941 – also drei Jahre nach der Reichspogromnacht und am Beginn des deutschen Vernichtungskriegs – einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP gestellt. Jacobi wird, wie alle Freunde solcher Nazis, sagen, das sei kein Grund für schlechtes Gewissen – wer nicht ins KZ habe kommen wollen, dem sei keine andere Wahl geblieben. Nun hat sich aber in Sieburgs Nachlaß ein Bescheid der NSDAP von 1942 gefunden, in dem die Partei Sieburgs Aufnahmeantrag ablehnt und also ihren Arsch vor der Nase des Frankfurter Schöngeists zukneift. Was keine weiteren Folgen hatte als etwa die, daß Sieburg seinen Spaziergang durch die Blutbäder der großen Zeit trockenen Fußes fortsetzen konnte, Seit’ an Seit’ mit seinem Kameraden Hans-Georg von Studnitz, einem Mitarbeiter jenes Außenministers Joachim von Ribbentrop, der am 15. Oktober 1946 in Nürnberg als erster der deutschen Kriegsverbrecher durch den Strang hingerichtet wurde, was sein Studnitz als Reporter der Wochenzeitung »Die Zeit«, in deren Redaktion womöglich noch mehr Nazis saßen als nebenan bei Springer, mit dem Urteil belegte, daß die Nürnberger Prozesse die Elite des deutschen Volkes treffen und die Deutschen zu einer führungslosen Herde machen sollten.
Die Elite des deutschen Volkes, die da in Nürnberg auf der Anklagebank saß, wurde angeführt von Hermann Göring, Albert Speer, Rudolf Heß, Martin Bormann und Julius Streicher. Weil aber jede Lüge und Verunglimpfung verbreitet werden kann, wenn sie auf dem trüben Strom des schlechten Gewissens der Deutschen dahintreibt, wurde der deutsche Elitejournalist Studnitz daraufhin zum Pressechef der Lufthansa und später zusammen mit seinem Nazikameraden Giselher Wirsing in die Redaktionsleitung der evangelischen Wochenzeitung »Christ und Welt« berufen. Geachtet von jedermann oder noch jedem anderen Nazi konnte er am abendlichen Kaminfeuer (wie der Hamburger Presseanwalt Heinrich Senfft berichtet) »höchst amüsant über die Nazizeit erzählen«, und zwar ohne auf Führer-Anekdoten anderer Nazis angewiesen zu sein, wie es der Claus Jacobi leider ist.
Im März 2006 schrieb Ernst Cramer, Vorstandsvorsitzender der Axel-Springer-Stiftng, einen Brief an KONKRET, betreffend Tomayers ehrliches Tagebuch:
Sehr geehrter Herr Tomayer,
in Ihrem Tagebuch zitieren Sie aus Briefen, die Claus Jacobi in »Bild« vom 28. Januar 2006 veröffentlichte. Ich persönlich finde in Jacobis Text einige Redewendungen, die ich so nicht verwendet hätte. Sie aber machen daraus eine »naziselige Frontschweinerei« und ernennen diesen zu einem »Freund und Vertrauten der vielen Mitläufer des Nazi-Terrors«.
Das ist, besonders da Sie es besser wissen müssen, eine Unverschämtheit. Weder aus diesem Text noch aus der Vita Jacobis läßt sich irgend etwas konstruieren, daß diesem Ihrem Vorwurf auch nur nahekommen könnte. In meiner Rede, die Sie in Ihrem »Offenen Brief« ansprechen, habe ich auch gesagt: »Ich warne auch die Nachgeborenen. Viele davon sprechen nicht nur ihre Väter und Großväter schuldig, sondern verkünden vollmundig, so etwas wäre bei ihnen völlig unmöglich gewesen. Niemand aber sollte über andere urteilen, der den Verlockungen nicht selbst ausgesetzt war.«
Dieser letzte Satz war für Leute wie Sie gedacht. Sie waren, als der nationalsozialistische Spuk besiegt wurde, gerade mal sieben Jahre alt, sind also ein Nachgeborener. Und haben nicht auch Sie ein wenig später »weggeschaut«, wenn auch bei einem anderen Totalitarismus? Nur ein Fanatiker (oder ein Dummkopf, was Sie nicht sind) konnte nach den Millionenmorden Stalins (z. B. an den Kulaken) noch ein gutes Wort für den Kommunismus finden, auch wenn ich weiß, daß viele Kommunisten zu den eingefleischtesten Hitler-Gegnern gehörten – und das trotz des Hitler-Stalin-Abkommens von August 1939. Hoffentlich fällt Ihnen das nächste Mal etwas Besseres ein.
Ernst Cramer
Horst Tomayer antwortete:
Betrifft: Verlockungen seitens des nationalsozialistischen Spuks und anderes in Ihrem Brief vom 15. März*
Sehr geehrter Herr Professor Cramer!
Sie irren. Ich zitiere in KONKRET 3/06 nicht »aus Briefen, die Claus Jacobi in ›Bild‹ vom 28. Januar veröffentlichte«, sondern aus dessen allsamstäglicher Kolumne »Mein Tagebuch«.
In diesem gepolsterten und besonnten Unterstand gab Jacobi am 31. Januar 2004 bekannt:
„Heute vor 62 Jahren kapitulierte die 6. Armee unter Generalfeldmarschall Paulus in Stalingrad. 90.000 Mann (darunter 24 Generäle) gerieten in Gefangenschaft. 160.000 Mann waren gefallen, verhungert oder erfroren. Nur wenige von ihnen hätten sich vermutlich vorstellen können, daß 62 Jahre später eine Wanderausstellung durch deutsche Lande ziehen würde, um Mitschuld der Wehrmacht an NS-Verbrechen im Krieg nachzuweisen.“
Am 12. Dezember 2005 setzte er das da ab:
„Ob ich in diesem Lande über unsere Kolonien oder Kriege lese – ungestillt erscheint die Lust der Deutschen an der Erniedrigung der eigenen Vergangenheit, bis hin zu Bismarck und dem Alten Fritz. Eine Eigenschaft, die bei uns stärker ausgeprägt auftritt als bei anderen.“
Am 28. Januar dieses Jahres kommentierte er den vom Bundeswehrbeauftragten reklamierten Erholungsbedarf der Deutschland auch im Hindukusch Verteidigenden:
„Ach, herrje, die armen Burschen! Wie mögen sich ihre Väter und Großväter bloß durch zwei Weltkriege gemogelt haben?“
Sie, Herr Professor Cramer, meinen, bei solchen Hervorbringungen erkennen zu dürfen auf »Redewendungen, die ich so nicht verwendet hätte«. Meine bergkristallklare, unwiderlegbare Bewertung dieser »Redewendungen« … als die »naziselige Frontschweinerei eines Freundes und Vertrauten der vielen Mitläufer des Naziterrors« widert Sie an. Nur – wie hätte es denn der Buchenwald-KZler, US-Soldat, Springerstiftungsvorstandsvorsitzende und Bundestagsredner zum Tag der Auschwitzbefreiung, den Friede Springer links untergehakt hat, lieber vom Jacobi, den die Verlegerin rechts an sich drückt? Mensch Cramer, begeben Sie sich doch nicht künstlich unter das Niveau des dümmsten Textexegeseerstsemesters: Die Augen auf und brutalstmöglich erkannt, wes Geistes Kind der Springer-Kamerad Jacobi ist, der dieses schweinische Bild von der Schändung des Gedenkens an die nix als wie unschuldig erfrorenen, verhungerten und sonstwie gefallenen und verhafteten Landser und Generäle von Stalingrad seitens der Wehrmachtsausstellung aufruft, hiebei heftelmacherisch sorgfältig separierend das spezifische Nazikriegsverbrechen mit Gas vom quasi handwerklich ehrlichen Gangundgäbekrieg mit Panzer, Bomber und Kanone.
Sie sprechen vom »nationalsozialistischen Spuk«. Das, Herr Professor Cramer, ist mieses Deutsch. Ihr Buchenwald war doch kein arisches Halloween. Und wie Sie in diesem Zusammenhang auf »Verlockungen« kommen, Mann, Mann: Es geht doch hier nicht darum, daß ich dem Jacobi seine Pimpfenuniform vorwerfe, sondern daß diese Range am Rande zum Greise unbelehrbar ees treibt in (ich saachma:) herrenschweinischster Manier: »Väter und Großväter«, die sich »durch zwei Weltkriege gemogelt haben«: Jetzt mal ehrlich, Herr Professor Cramer, kann ees unterm Himmel Herrenschweinischeres geben? Im übrigen bitte ich Sie, mich nicht einen Nachgeborenen zu nennen. Bin Hotte Tomayer und kein Nachgeborener. Und bitte, mir auch nicht mit dem Totalitarismusdeal zu kommen. Weise denselben scharf von mir….
MfG
H. T.
Ins Archiv der konkret-News geht es hier entlang.