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»Das hat die Arbeiterbewegung traumatisiert«

09.11.2018 11:40

Vor 100 Jahren, mit dem Ende des Ersten Weltkriegs, haben Arbeiterinnen, Arbeiter und Soldaten in Deutschland einen gesellschaftlichen Umsturz gewagt. Vor allem die SPD hat dafür gesorgt, dass daraus nichts wurde. konkret sprach mit Klaus Gietinger, Regisseur und Autor der Bücher Die Leiche im Landwehrkanal und November 1918 (Nautilus-Verlag), über die Gründe für das Scheiterns der Novemberrevolution.

 

konkret: Ihr neues Buch zur Novemberrevolution trägt den Untertitel Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts. Wer hat da was verpasst?

 

Klaus Gietinger: Die Matrosen und Arbeiter haben da einiges verpasst. Zwei ganz zentrale Forderungen waren ja, dass der Militarismus zerschlagen und die Schlüsselindustrien vergesellschaftet werden. Und das wurde nicht umgesetzt.

 

Es wäre leicht möglich gewesen, man hat es bloß verpasst?

 

Der preußisch-deutsche Militarismus hatte zum Ende des Krieges abgewirtschaftet, und man hätte die Oberste Heeresleitung einfach absetzen können. Die hatten ja faktisch keine Macht mehr. Aber Friedrich Ebert und seine Genossen haben mit denen zusammengearbeitet.

Es gab bereits 1917 einen kleineren Aufstand, bei dem aufgrund der schlechten Versorgungslage und der harten Bedingungen an Bord 600 Matrosen für zwei Stunden ihr Schiff verlassen hatten. Die Reaktion: zehn Todesurteile – davon wurden zwei vollstreckt – und insgesamt fast 400 Jahre Zuchthaus- und Gefängnisstrafen. Und was sagt der Ebert dazu? Die Regierung könne fest mit seiner Partei rechnen, und man müsse gegen solche Aufstände mit allen Mitteln vorgehen. Dann fügt er noch hinzu, dass übrigens die USPD, also seine früheren Parteikollegen, eine neue Großdemonstration planen würden. Er betätigte sich also auch noch als Spitzel.

Als die Mehrheitssozialdemokraten schließlich an der Macht waren, haben sie auch den preußischen Kriegsminister, der für das Heimatheer zuständig war, nicht abgesetzt, sondern mit ihm zusammengearbeitet.

Und was sagt Ebert am 9. November 1918? Die Arbeiter seien noch nicht reif für das Programm seiner Partei. Das Schlimmste, was er sich vorstellen kann, wäre, dass das Erfurter Programm, in dem Forderungen nach der Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien an zentraler Stelle standen, durchgesetzt würde.

 

Welche Gründe sehen Sie noch für ein Scheitern der Aufstände?

 

Weder die Kieler Matrosen noch die Soldatenräte in Berlin hatten ein politisches Programm. Die haben sich sehr schnell mit der Entscheidung für eine Nationalversammlung zufriedengegeben. Die anderen Forderungen: Basisdemokratisierung des Militärs – Wahl der Offiziere -, Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien usw. - das wurde von Ebert und Genossen verzögert. Erst als die Basis und die USPD merkten, dass da nichts passiert, kam es zu Streiks und Aufständen.

 

Auch Rosa Luxemburg äußerte sich im Januar 1919 skeptisch über die Chancen eines revolutionären Umsturzes. 

Luxemburg hat sich natürlich gegen Putschismus ausgesprochen. Als es im Januar 1919 zum Spartakus-Aufstand kam, konnte aber niemand genau wissen, ob das gelingen wird oder nicht. Rosa Luxemburg war im Vorfeld sehr zurückhaltend, sie hat sich dann aber doch den Demonstrationen angeschlossen.

Ein Problem waren natürlich die Heimattruppen, die entgegen der Hoffnung der Revolutionäre am Ende doch nicht mitgemacht haben. Wenn man das Militär nicht in der Hand hat, sieht es natürlich schlecht aus.

Das wusste auch die regierende Mehrheits-SPD. Die Oberste Heeresleitung wollte mit Hilfe der  Fronttruppen, die man aus Frankreich zurückholte, am 10. Dezember 1918 einen Putsch durchführen und die Arbeiter- und Soldatenräte zerschlagen. Der einzige in der Regierung, der von diesem Plan wusste, war Friedrich Ebert. Es wäre ihm wahrscheinlich ganz recht gewesen, wenn das funktioniert hätte. Aber der Putsch ist gescheitert, weil die Soldaten, die von der Front kamen, lieber nach Hause wollten, als einen blutigen Bürgerkrieg zu entfachen. Weil man sich also auf die regulären Truppen nicht verlassen konnte, begannen die Sozialdemokraten mit dem Aufbau von Freikorps. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den berühmten Satz des SPD-Politikers Gustav Noske: »Einer muss der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht.«

 

Wie erklären Sie sich die übersteigerte Gewalt, mit der gegen die kommunistischen Aufständischen vorgegangen wurde?

Rational lässt sich das nicht erklären. Friedrich Ebert und Genossen hatten eine wahnsinnige und irrationale Angst vor dem Bolschewismus. Ihre Handlungsmaxime lautete: Wir müssen das Mittel des Terrors einsetzen, bevor uns der Terror der Roten trifft. Das muss man schon fast psychotisch nennen.     

 

Inwiefern haben die Ereignisse nach der Novemberrevolution den Weg zum Nationalsozialismus geebnet?

 

Ein wichtiger Punkt ist für mich diese unglaubliche Brutalität, mit der Noske und seine Freikorps vorgegangen sind. Es wurde gewütet, und es wurden Tausende Leute umgebracht. Das hat die Arbeiterbewegung traumatisiert, das muss man wirklich so sagen. Es herrschte so etwas wie ein vorfaschistischer Zustand.

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