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Der Mörder ist immer der Oberst

12.03.2014 10:34

Wer steckte hinter dem Lockerbie-Attentat? Ghaddafi oder doch der Iran und Syrien? Über die Ungereimtheiten der offiziellen Version, fehlgeleitete Ermittlungen und darüber wie sich innerimperialistische Konkurrenz in die freie Wahl des ideellen Gesamtterroristen übersetzt schrieb Winfried Wolf in KONKRET 6/96 einen Beitrag, der 18 Jahre nach seiner Veröffentlichung nicht an Aktualität verloren hat - im Gegenteil.

 

Erinnert sich noch jemand an den Abschuß des iranischen Airbus durch den US-amerikanischen Kreuzer»Vincennes« im Juli 1988 über dem Persischen Golf? Wohl kaum. Die 290 Opfer waren iranische Pilger und Pilgerinnen auf dem Weg nach Mekka. Teheraner Regierungskreise hatten damals »Rache am blutbefleckten Himmel« angekündigt.  
Erinnert sich noch jemand an die Explosion des PanAm-Jumbos über Lockerbie, Schottland, am 21. Dezember 1988? Sicherlich! Immerhin handelte es sich um 259 »weiße« Opfer, die von Europa nach Nordamerika pilgerten; die Flugroute Frankfurt – London, London – Schottland – New York ist Westeuropäern vertraut.  
Erinnert sich noch jemand an den Fast-Abschuß der Kohl-Regierung im Frühjahr 1989 anläßlich der Aufdeckung des deutschen Engagements beim Bau einer Giftgasfabrik in Rabta, Libyen? Unwahrscheinlich, da Kohl auch diese Krise »intelligent aussaß«. Immerhin gab es damals einige Aufregung über die CDU-CSU-FDP-Unterstützung für ein Regime, das u.a. zur Vernichtung des Staates Israel aufrief und von deutschen Unternehmen mit Kenntnis der Bundesregierung mit chemischen Massenvernichtungswaffen versorgt wurde. Damals schien eine von Linken unterstützte Kampagne erstaunlich erfolgreich zu sein. Innerhalb eines Vierteljahres gaben Genscher und Kohl klein bei und präsentierten einen regierungsamtlichen Bericht, in dem all die Schweinereien eingestanden wurden, die sie zunächst vehement abgestritten hatten.  
Allerdings nahmen sich damals die Ressourcen linker Gruppen geradezu lächerlich aus im Vergleich mit den entscheidenden Kräften, die diese Kampagne betrieben: Da war die »New York Times«, deren Leitartikler William Safire am 2. Januar 1989 mit der Parole »Es gibt ein Auschwitz im libyschen Wüstensand« die publizistische Offensive gestartet hatte. Auch wenn dieses Engagement gegen die deutsche Regierung und deren Libyen-Deal durchaus berechtigt war, so müssen doch die einflußreichen ungebetenen »Bündnispartner« zu denken geben. Auf Basis gründlicher Recherchen zum Lockerbie-Attentat, die der britische »Guardian« Ende Juli 1995 veröffentlichte, und eigener Untersuchungen soll hier die Annahme begründet werden, es habe einen Zusammenhang zwischen den drei genannten Ereignissen gegeben, der durch die »neue Weltordnung« mit ihren alten Widersprüchen, etwa der Konkurrenz zwischen der Bundesrepublik und den USA, gestiftet worden ist.
 
Die bis Sommer 1990 geltende Version für das Lockerbie-Attentat lautete: Es wurde ausgeführt durch die Gruppe »Popular Front of the Liberation of Palestine – General Command« (PFLP-GC), die, angeführt von Ahmed Jibril und mit Sitz in Damaskus, enge Beziehungen zum Iran unterhalte. Letzten Endes habe es sich um die vom Teheraner Mullah-Regime angekündigte Rache für den Abschuß des Airbusses über dem Persischen Golf gehandelt. Seit dem Einmarsch des Irak in Kuweit im Sommer 1990 gilt als neue offizielle Version: Es handelte sich um ein von Libyen veranlaßtes und gesteuertes Attentat. Die Belege für die neue Version sind dürftig. Libyen hat mehrmals erklärt, daß die beiden Beschuldigten sich in einem neutralen Land einer gerichtlichen Auseinandersetzung stellen würden. Der schottische konservative Abgeordnete Allan Stewart erhielt in Tripolis sogar die Zusage, daß schottische Richter nach britischem Recht den Prozeß durchführen könnten – allerdings auf neutralem Boden. Stewart stieß im Londoner Unterhaus auf eine Mauer des Schweigens und legte sein Parlamentsmandat nieder. Die US- und die britische Regierung bestehen darauf, daß ein solcher Prozeß in den USA oder in Großbritannien stattfinden müsse.  
Im übrigen hat der »Guardian« eine verblüffend einfache Frage gestellt: Warum beschuldigte die US-Regierung die beiden Angestellten der libyschen Fluggesellschaft erstmals namentlich, als diese sich in Libyen aufhielten? Warum wartete sie nicht ab, bis diese routinemäßig mit Air Libya im westlichen Ausland eintrafen, um sie dort zu verhaften und ihnen den Prozeß zu machen?  
Dafür, daß seit Mitte 1990 wieder gilt: »Der Mörder ist immer der Oberst« (in Tripolis), gibt es eine einfache Erklärung: Nach dem irakischen Einmarsch in Kuweit und dem Beschluß des Westens, gegen den Irak einen für den Umgang mit der Dritten Welt exemplarischen Krieg zu führen, mußten Fronten begradigt werden: Syrien war als Kriegspartei gegen den Irak zu gewinnen, u.a. um die Bedrohung Israels zu reduzieren. Tatsächlich war die syrische Armee mit eigenen Truppen auf seiten des Westens am zweiten Golfkrieg beteiligt. Der »Guardian«: »Im November 1990 nahm Großbritannien sogar wieder diplomatische Beziehungen mit Syrien auf. Ahmed Jibril, den jeder für den für Lockerbie Verantwortlichen hielt, lebte immer noch in Damaskus. Der gleiche Diktator, Assad, war immer noch im Amt, er saß demselben terroristischen Regime vor, ließ dieselben Foltermethoden in seinen Gefängnissen anwenden ... Aber nun handelte es sich um einen Verbündeten des Westens ...«  
Der Iran mußte isoliert werden. Tatsächlich hielt sich das Mullah-Regime aus diesem Konflikt heraus, obgleich der »Satan USA« vor der Haustür des Iran gegen ein Land mit mehrheitlich schiitischer Bevölkerung aufmarschierte. So hieß der ideelle Gesamtterrorist eben erneut Ghaddafi, von dem bereits Ronald Reagan hatte verlauten lassen, er werde ihm »die Eier abschneiden«. Seither gibt es einen Handelsboykott gegen Libyen. Daß aber auch der nicht ganz ernst gemeint sein kann, ist daran zu erkennen, daß ausgerechnet die Ölgeschäfte Libyens von diesem Boykott ausgeschlossen sind.
 
Bisher gibt es keine offizielle amtliche Untersuchung des Lockerbie-Attentats, geschweige denn ein Gerichtsverfahren, obgleich die Angehörigen der damals Getöteten und die Gesellschaft, bei welcher die Fluglinie PanAm versichert ist, dies fordern. Seit einem Telefonat, das US-Präsident Bush am 11. Januar 1989 mit der britischen Premierministerin Thatcher führte, wird der Fall »low key« gehandelt: Der ehemalige britische Transportminister Cecil Parkinson sagte in einer TV-Sendung, daß Thatcher eine Lockerbie-Untersuchung »abgeblockt« habe und nicht einmal sein Vorschlag, einem Richter des Obersten Gerichtshofs Einsicht in die Akten zu gewähren, akzeptiert worden ist. Das ganze Thema sei zur »closed area« erklärt worden.  
Tatsächlich gibt es im Fall Lockerbie mindestens drei Fakten, die stutzig machen: – Britische und US-Behörden erhielten mehrere Warnungen, denenzufolge auf ein US-Flugzeug ein Attentat geplant sei. Die präziseste Warnung, die der »Guardian« erst 1995 enthüllen konnte, erhielt eine US-Behörde am 2. Dezember 1988. Ihr Wortlaut: »Eine Gruppe von Palästinensern, die nicht mit der PLO assoziiert ist, plant Attacken auf US-Ziele in Europa. Diese Ziele sind spezifiziert als PanAm-Flugzeuge und US-Militärbasen.«
– Im Boeing-Jumbo befanden sich vier hohe US-Beamte, darunter, so u.a. das »Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt«, der »Leiter der CIA-Station in Beirut«. –  Unter den Trümmern des PanAm-Jumbos fand der Farmer Jim Wilson einen Koffer, »gefüllt mit Zellophan-Paketen mit weißem Puder«. Er ging davon aus, es handele sich um Drogen.  
Die Warnungen wurden ignoriert. Die von der schottischen Polizei zusammengestellte Liste der identifizierten getöteten Passagiere wurde manipuliert. Der – beschlagnahmte – Koffer taucht in den dürftigen offiziellen Lockerbie-Berichten nicht mehr auf; der Name des Besitzers, der sich auf dem Koffer fand, ist auf der offiziellen Passagierliste nicht aufzufinden. Mehrere Reporter und Autoren, die diesen Spuren nachgingen, sowie der Arzt Dr. Fieldhouse, der gleich nach dem Unglück die Leichen identifiziert hatte, wurden bei ihren Recherchen behindert, von offiziellen Stellen in Großbritannien und in den USA bedroht und beruflich schikaniert.
 
Die US-Fluggesellschaft und deren Versicherung stellten eigene Nachforschungen an und beauftragten damit die New Yorker Agentur Interfor. Ein Jahr nach dem Attentat legte diese einen internen Bericht vor, dessen entscheidende Schlußfolgerungen Paul Foot und John Ashton im »Guardian« folgendermaßen zusammenfaßten:
– Seit Sommer 1988 versuchte die US-Regierung, eine Reihe von in Beirut festgehaltenen US-Geiseln freizubekommen, und befand sich zu diesem Zweck in geheimen Verhandlungen mit den Entführern, denen Verbindungen zur PFLP-GC und nach Teheran nachgesagt wurden. Tatsächlich sprach Ronald Reagan kurz vor dem Lockerbie-Attentat vor der Uno von einer »bevorstehenden Lösung des Geiseldramas«. –  
Als Gegenleistung war den Entführern gestattet worden, zwei Koffer mit Rauschgift per US-Jet in die USA zu transportieren und dort zu verkaufen. CIA-Personal eskortierte die heiße Fracht. Der Interfor-Bericht nennt den Namen eines CIA-Offiziers, Major Charles McKee, der gegen einen solchen Deal mit »narco-terrorists« protestiert habe. McKee wurde beim Lockerbie-Absturz getötet. –  
Die Entführer in Beirut spielten ein doppeltes Spiel oder ermöglichten ein solches: In Frankfurt, wo die Koffer in den Zubringerflug nach London verladen wurden, konnte eine PFLP-GC-Gruppe einen der Rauschgift-Koffer gegen den Koffer austauschen, in dem sich die Bombe befand. Beide Koffer wurden in Frankfurt, wie mit den US-Stellen vereinbart, nicht untersucht. Tatsächlich meldete die »Frankfurter Rundschau« nach dem PanAm-Absturz, »mehrere Kilo Postsendungen« – es handelte sich um US-Militärpost – seien »nicht kontrolliert« worden.
 
Wenige Wochen vor dem Lockerbie-Attentat, im Oktober 1988, hatte das BKA mit der Aktion »Herbstlaub« einen Schlag gegen »palästinensische Terroristen« geführt: Bei Razzien in 16 Wohnungen (u.a. Sandweg, Frankfurt) fand man laut BKA »das größte Waffen- und Sprengstofflager, das je von Terroristen in der Bundesrepublik angelegt wurde« – u.a. 5 Kilogramm des Plastik-Sprengstoffes Semtex und einen Toshiba-Recorder, mit Semtex gefüllt und versehen mit einem Zünder, der in großer Flughöhe ausgelöst wird. Ein baugleicher Recorder mit demselben Sprengstoff präpariert – so die bis 1990 offizielle Version – soll den PanAm-Jet zerlegt haben. Von 16 verhafteten Personen wurden noch im gleichen Monat 14 wieder auf freien Fuß gesetzt. Gegen zwei erging Haftbefehl. Der führende Kopf, zunächst mit seinem Kriegsnamen Haj Hafez Kassem Dalkamoni genannt, später als Hafez Kassem Hussein identifiziert, wird als Nummer 2 in der PFLP-GC-Hierarchie beschrieben. Er wurde 1991 zu 15 Jahren Haft verurteilt und sitzt in einem hessischen Gefängnis ein.  
Dalkamoni und seiner Gruppe wurden gleich nach ihrer Festnahme u.a. Anschläge auf US-Militärzüge in den Jahren 1987 und 1988 zur Last gelegt. Es handelte sich übrigens um Aktionen, die zunächst der RAF zugeschrieben worden waren. Unter den Freigelassenen befand sich Marwan Khressat, von britischen Ermittlern als »Bombenbauer« bezeichnet. Höflich nennt der »Guardian« die raschen Freilassungen »mysteriös«. Die Autoren gehen – ebenso wie der Interfor-Bericht – davon aus, daß diese PfLP-GC-Leute oder eine mit ihnen zusammenhängende andere Gruppe in der BRD den Koffertausch auf dem Frankfurter Flughafen organisierte. Hierzu existieren Berichte, in denen Personen benannt werden, die beim Frankfurter Bodenpersonal arbeiteten und sich nach dem Lockerbie-Unglück über Zypern in den Nahen Osten absetzten.  
Nach dem Lockerbie-Attentat klagten US- und britische Behörden über die mangelhafte Kooperationsbereitschaft deutscher Behörden. Unter anderem wollten britische und amerikanische Ermittler die Vorgänge auf dem Frankfurter Flughafen klären und dort verdächtige Personen verhören. Das wurde ihnen nicht gestattet. In einem BBC-Interview, das eine Woche nach dem PanAm-Absturz geführt wurde, wurde der Sprecher des Generalbundesanwalts, Alexander Prechtel, nach möglichen Zusammenhängen zwischen dem Bombenfund in Frankfurt, der Freilassung der »palästinensischen Terroristen« und dem Lockerbie-Attentat gefragt. Prechtels Antwort: »Gegenstand unseres Falles ist nicht der PanAm-Fall. Und sie wurden schon vor Monaten freigelassen, Ende Oktober. Es gab keine Beweise dafür, daß ein Bombenanschlag auf ein Flugzeug geplant war.« Prechtel erklärte dies nach dem Fund der Semtex-Bombe samt barometrischen Zeitzündern und der Feststellung, wer damit zu hantieren beabsichtigte: eine Gruppe, die Aktionen gegen US-Einrichtungen in der BRD durchgeführt hatte ...  
Am 13. April 1989 kommt es in Neuss zu weiteren Razzien in Wohnungen, die u.a. dem freigelassenen PFLP-GC-Mann Khressat zugerechnet werden. Erneut werden Semtex und als Luftbomben präparierte Recorder sichergestellt, wie sie im Fall des Lockerbie-Attentats genutzt wurden. Der »Guardian« schlußfolgert 1995: »Jetzt hatte keiner mehr Zweifel, daß (der freigelassene) Khressat die Bombe gebaut hat, die den Weg in den PanAm-Jet fand.« Dabei scheinen die beiden Autoren noch nicht einmal gewußt zu haben, was der »Spiegel« bereits ein Jahr zuvor (Nr. 16/94) enthüllt hatte: Khressat war ein V-Mann des Bundesnachrichtendien-stes (BND). Der »Spiegel«-Bericht zitiert aus Protokollen von abgehörten Telefonaten Dalkamonis, die auf geplante Flugzeugattentate schließen ließen. So soll das Abhörprotokoll am 24. Oktober 1988 festgehalten haben, »daß Dalkamoni drei mechanische Wecker und möglicherweise einen Digitalwecker... kaufte«. Schließlich deckt das Blatt auf, Khressat werde verdächtigt, »1970 und 1972 zwei Anschläge auf Jets der Swissair und der israelischen El Al mit vorbereitet« zu haben.  
Der »Spiegel«-Bericht ist ebenso aufschlußreich wie inkonsequent: Das kurz darauf erfolgende Lockerbie-Attentat wird nur en passant erwähnt; die Aktion selbst jedoch als »Desaster« bezeichnet.
 
Unsere Version des Tathergangs und seiner Vorgeschichte lautet demnach: Die US-Behörden schlugen Warnungen vor einem Attentat auf ein US-Verkehrsflugzeug in den Wind, weil sie sich aufgrund ihres internen Agreements mit der PFLP-GC sicher wähnten und die heiße Fracht selbst begleiteten. Jibrils PFLP-GC spielte jedoch ein doppeltes Spiel und nutzte die Chance, den iranischen Racheauftrag durchzuführen. Der Koffertausch wurde in Frankfurt durch eine Gruppe der PFLP-GC – oder durch eine mit Jibril verbundene Gruppe – vorgenommen. Deutsche Stellen wußten von solchen Planungen oder gar von dem Doppelspiel mehr, als sie den US-Behörden sagten. Andere mußten sehr genau informiert gewesen sein: Der südafrikanische Premier Pic Botha, der auf diesen Flug gebucht war, ließ kurzfristig umbuchen.  
Wäre es so abgelaufen, dann hätte es nach Lockerbie zu erheblichen Spannungen zwischen der BRD und den USA kommen müssen. Genau dies ist feststellbar: Elf Tage nachdem der PanAm-Jumbo in knappen 10.000 Metern Höhe auseinandergebrochen war und wenige Tage nachdem deutsche und britische Zeitungen darüber berichtet hatten, daß die deutschen Behörden kein besonderes Engagement bei der Aufklärung der Vorgänge auf dem Frankfurter Flughafen erkennen ließen, erschien der bereits zitierte Artikel Willian Safires in der »New York Times«. Safire am 2. Januar 1989: »Germany can’t ignore Auschwitz-in-the-Sand.« Erstmals wurde eine größere Öffentlichkeit über die deutsche Unterstützung für eine Giftgasfabrik in Rabta, Libyen, informiert. Wochenlang tobte eine wahre internationale Medienschlacht, in die sich auch der »Spiegel«-Herausgeber Augstein mit allerlei nationalistischen Sottisen einschaltete.  
Die Bundesregierung aber stritt alle Vorwürfe ab – um ein Vierteljahr später in einem Regierungsbericht alles zugeben zu müssen: Involviert in Rabta war keineswegs nur ein kleiner »Todeskrämer« namens Hippenstiel-Imhausen. Dessen Firma erhielt großzügige Regierungs-Subventionen. Und das Unternehmen, das das entscheidende Giftgas-Knowhow geliefert und dies konspirativ verschleiert hatte, war das Staatsunternehmen Salzgitter.  
Der Zeitpunkt, zu dem in den USA die Berichterstattung über die Lybien-Connection der Deutschen gestartet wurde, war bewußt gewählt worden. Im Verlauf der Rabta-Untersuchungen wurde bekannt, daß die US-Regierung Bonn bereits seit mehreren Jahren auf die entstehende Giftgasfabrik in Rabta hingewiesen hatte. Einem Vertreter von Medico International und mir übermittelte man schon im September 1988 alle wesentlichen Details der Rabta-Geschichte. Sie klang so unglaublich (oder war so heiß), daß sie niemand publizieren wollte.  
Die deutsch-amerikanische Krise erreichte im Mai 1989 einen Höhepunkt. A.M. Rosenthal, früherer Chefredakteur der »New York Times«, schrieb damals Klartext zu den Hintergründen der Spannungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA: »Es ist diese Angst: Die Bundesrepublik wird die Bresche Gorbatschow benutzen, um auch in Mittel- und Osteuropa die führende Wirtschaftsmacht zu werden ... Dann ... werden die ostdeutschen Kommunisten ihre strengen Kontrollen über die dortige Halbnation lockern ... Die Lücke zwischen der west- und ostdeutschen Gesellschaft wird sich verengen. Die beiden deutschen Staaten werden Wiedervereinigung verlangen – und mit ihrer geballten Stärke und dem sowjetischen Partner auch erreichen ... Die deutsch-sowjetische Allianz wird keine militärische Macht einsetzen müssen, um sich Bahn zu brechen in der Welt ...«  
Die innerimperialistische Konkurrenz, auf die Rosenthal hier aufmerksam machte, ist durch die »Wende« überdeckt worden. Die Regierungen in Washington, London und Paris mußten zähneknirschend den deutschen Gang der Geschichte hinnehmen.
 
Quellen:  
Paul Foot und John Ashton, »Body of Evidence« in: »Guardian« vom 29.7.1995. BBC-Radio 2.1.1989, »The World at One« (Übersetzung durch Bundespresseamt 3.1.1989); Winfried Wolf, Händler des Todes – Bundesdeutsche Rüstungs- und Giftgasexporte im Golfkrieg und nach Libyen, Frankfurt/M. 1989; »Frankfurter Rundschau« 3.1.1988; »Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt« 6.1.1989; »Spiegel« 16/1994, 1/94, 2/1989, 19/89; »Süddeutsche Zeitung« 21.4.1989; »Die Welt« 7.1.1989; »Neue Ruhr Zeitung« 4.1.1989; »Observer« 30.7.1989; »International Herald Tribune« 10.10.1988; »Zeit« 6.1.1989.
 
Winfried Wolf schrieb in KONKRET 2 und 3/96 über deutsche Herrenmenschdiplomatie 

 

 

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