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Der Nationalfeierfilm "Das Wunder von Bern" wird in Hamburg als Musical aufgeführt

09.12.2014 13:58

Marit Hofmann  

Steht auf, wenn ihr Deutsche seid 
Sönke Wortmanns »Das Wunder von Bern« ist der Spielfilm zur Debatte um den »Bombenkrieg« gegen die Deutschen.

 

Eigentlich hatte sich Peter Lohmeyer ja um eine Rolle als Fußballspieler beworben: »Bei der Besetzung konnte ich ja noch verstehen, daß ich nicht die Konstitution von Helmut Rahn habe. Aber daß ich keinen der Fußballer spielen sollte, war für mich erst einmal schwer einzusehen.« Strikt zurückweisen mußte er die Behauptung des Regisseurs und ehemaligen Profikickers Sönke Wortmann, daß es keine Schauspieler gebe, die Fußball spielen können: »Das stimmt ja nicht. Ich habe zum Beispiel beim VFB Stuttgart gespielt – wenn auch nur in der C-Jugend.« Für die Fußballszenen in »Das Wunder von Bern« hat Wortmann trotzdem lieber Fußballer ohne Schauspielerfahrung engagiert, und tatsächlich wirkt die nachgestellte Choreographie des WM-Finales von 1954 erstaunlich echt. Die Dialoge der Ballspielerspieler fallen dafür um so hölzerner aus, aber das ist ja auch bei erfahrenen Mimen wie Lohmeyer nicht anders. 

Immerhin bekam Lohmeyers Sohn Louis eine Hauptrolle mit Kickeinlagen, und für den Vater wurde eigens eine Szene eingebaut, in der er seine Ballkünste erproben darf. In seine Rolle als Kriegsheimkehrer – der erst seine Familie tyrannisiert und dem Sohn den Kontakt zu seinem Idol Helmut Rahn verbieten will, aber schließlich einträchtig mit ihm zum WM-Endspiel nach Bern fährt – hat sich Vater Lohmeyer dann doch noch prima eingefühlt: »Man muß sich immer wieder vorstellen, was diese Leute erlebt haben an Sinnlosigkeit, an Verzweiflung, an Angst. Die Geschichten der Heimkehrer haben mich schon fasziniert.« 

Den Regisseur offenbar auch. Der als Mischung aus biederem Heinz-Erhard-Schwank und rührseligem Melodram inszenierte Nationalfeierfilm verklärt die Legende, Deutschland habe mit dem überraschenden WM-Sieg 1954 doch noch den Krieg gewonnen.  

Die mit Marschmusik unterlegten Spielszenen aus dem Wankdorf-Stadion montiert Wortmann mit den Reaktionen am Stammtisch daheim, wo Kriegsversehrte und Trümmerfrauen mitfiebern. Sogar die Frau eines Reporters, die vor der WM Fußball für ein Spiel hielt, in dem »24 Männer einem Ball hinterherlaufen«, gerät in den Siegestaumel: »Aus den Ungarn machen wir Schaschlik!«  

In der parallelgeführten Familiengeschichte entwickeln die Söhne (der älteste haut in die DDR ab) nach und nach Mitgefühl mit dem Nazi-Vater, der wegen eines Kriegstraumas arbeitsunfähig ist. Denn wie die Enkel, die heute die Kriegsgeschichten ihrer Großeltern forterzählen, ist auch Wortmann endlich erwachsen geworden. Die »sozialpolitische Wichtigkeit« des »Wunders von Bern« habe er erst »mit 17, 18 überrissen, in meiner linksradikalen Zeit – und da fand ich es natürlich Scheiße. Nicht den sportlichen Erfolg, sondern den Taumel danach.« Heute erinnert sich Wortmann mit Kopfschütteln an derartige Jugendsünden: »Ich habe mich mit meinem Vater aufs Blut gefetzt, weil ich ihm persönlich den Zweiten Weltkrieg in die Schuhe geschoben habe – zu Unrecht natürlich.« Heute könnten die versöhnlichen Söhne seiner Generation auch das Leid der Täterväter sehen. Da ist es nur konsequent, daß der Rebell i. R. auch die Vergangenheit des ehemaligen Reichstrainers und NSDAP-Mitglieds Sepp Herberger unterschlägt. Er wolle die Figur nicht desavouieren, erklärte Wortmann in Locarno. Im Film ist Herberger der moralisch erhabene, gütige Übervater.  

Daß Vater und Sohn Lohmeyer auf dem Weg aus dem Ruhrpott nach Bern über Alpenpässe fahren müssen, mag dagegen als, nun ja, künstlerische Freiheit durchgehen. Doch das Kunstwerk endet in einer Idylle der werktätigen deutschen Feldarbeiter vor untergehender Sonne (das Wirtschaftswunder läßt grüßen) – soviel Kitsch und sowenig deutsche Selbstkritik waren nicht nur ausländischen Kritikern bei der Uraufführung in Locarno Grund zur Häme.  

Der Tod Helmut Rahns, der wie Fritz Walter die Premiere des Films nicht mehr erlebte, beschwor in Deutschland noch einmal – keine schlechte PR für Wortmanns »Wunder« – einen nationalen Gedenktag herauf. Neben Gerhard Schröder, für den der Stürmer ein »großes persönliches Vorbild« war, erinnerte sich Peter Boenisch in »Bild« an Rahns entscheidenden Schuß. Der Rundfunk-Reporter Herbert Zimmermann habe ihm später anvertraut: »›Das war mein wichtigstes Tor‹, als hätte er es geschossen. Er war verwundet aus dem Krieg gekommen. Ritterkreuzträger. Ein tapferer Soldat, kein Nazi. Für ihn war dieses Tor von Helmut Rahn die Befreiung vom Krieg.«  

Sönke Wortmann glaubt, beim Finale 1954 sei »etwas entstanden, was es heute noch gibt: daß eine deutsche Nationalmannschaft nie aufgibt«. Ein deutscher Filmemacher leider auch nicht. »Jetzt ist dieses Gefühl wieder da, fast wie damals ... Dieser Glaube an sich selbst, diese mentale Stärke, das geht alles auf 1954 und Helmut Rahn zurück.«  

Nicht nur Adidas unterstützt diesen, dem Productplacement durchaus nicht abgeneigten Film, sondern auch der Deutsche Fußball-Bund, der im kommenden Jubiläumsjahr mit Ausstellungen an das »Wunder von Bern« erinnern will. Denn »nach diesem phantastischen Auftreten der deutschen Spieler zollte die internationale Szene den Helden von Bern großen Respekt. Das durch den Krieg leidgeprüfte deutsche Volk begann langsam wieder, etwas Selbstvertrauen zu tanken, und gewann den Glauben an sich zurück.« Der Kanzler, der die filmische Entsprechung zu Jörg Friedrichs Der Brand und Günter Grass’ Geschichte vom Untergang der Wilhelm Gustloff schon vorab gesehen hat, dürfte an dieser Art der »Vergangenheitsaufarbeitung« Gefallen finden. Und wer weiß, vielleicht landet »Das Wunder von Bern« schon bald auf dem Lehrplan – als würdiger Nachfolger der Heimkehrersaga »Soweit die Füße tragen«, die in den letzten Jahren in vielen Schulklassen zur Veranschaulichung des Geschichtsunterrichts auf dem Programm stand.  

Eins hat Wortmann allerdings nicht bedacht: Wenn Lohmeyer sein Gesicht in Falten wirft und in Tränen der Rührung ausbricht, kann der Zuschauer nicht anders als losprusten. Denn deutsche Schauspieler können nun mal nicht nur nicht Fußball spielen, sie können auch nicht schauspielen.

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