27.07.2017 11:12
„Wagners Humor ist böse.“ - Barrie Kosky inszeniert als erster jüdischer Regisseur „Die Meistersinger“ in Bayreuth und zwar als das, was sie sind: ein antisemitisches Propagandawerk. Über Richard Wagners judenfeindlichen Schenkelklopfer schrieb Rainer Trampert in konkret 09/02.
Dieses Jahr sind die »Meistersinger von Nürnberg« im Programm. Kein Drachentöter, kein Walkürenritt und keine Götterdämmerung, gelang doch dem Schöpfer tatsächlich ein Werk der Heiterkeit, wie es im Vorwort zum Libretto heißt. Wagner und ein Lustspiel? Was war mit ihm geschehen? Unser Genius war in die Jahre gekommen und nach eigenem Bekunden am Geist einer ruhig lächelnden Resignation gesundet. Diese Gemütsverfassung beflügelte ihn, seinem eigenen Wesen mit den Kräften des Humors zu begegnen. Inspiriert von der Abhandlung über den altdeutschen Meistergesang jenes Jacob Grimm, der schon in Siegfried deutliche Spuren des Übermenschlichen aufgespürt hatte, wollte Wagner nun dem Übermenschen des Schwertes den der Kultur folgen lassen.
Schusterpoet Hans Sachs war der auserwählte Hüter deutschen Kulturerbes. Im Vertrauen: Hans Sachs war Wagner selbst. Er war so sehr der Hans, daß er seine Briefe damals mit Sachs unterschrieb. Er wollte aber nicht nur sich, sondern auch Nürnberg ein Denkmal setzen. Wagner hatte gehört, daß jüdische Intellektuelle sich seit dem Mittelalter in Europa eingenistet hätten, um die deutsche Kultur zu plündern. Nur die Bürger Nürnbergs hatten sich seit dem 15. Jahrhundert gegen die Ansiedlung von Juden gesperrt. Wie friedsam treuer Sitten, getrost in Tat und Werk, liegt nicht in Deutschlands Mitten, mein liebes Nürenberg, singt Sachs.
Auch 1933, im Jahr der Machtergreifung, wurden die »Meistersinger« aufgeführt. In der Pause hielt Goebbels eine Rundfunkansprache. Das Werk ist die Inkarnation unseres Deutschtums schlechthin. In ihm ist alles enthalten, was die deutsche Kulturseele erfüllt. Was der Jude ist, hat uns Richard Wagner gelehrt. Hören wir auf ihn.
Stimmt das? Und wo bleibt die Heiterkeit? Für die Volksbelustigung hatte Wagner sich eine komische Figur ausgedacht: den hinkenden Juden Sixtus Beckmesser. Wie weit ihr Humor darüber hinausgeht, kann nur die Oper selbst zeigen.
Nürnberg, Mitte des 16. Jahrhunderts. Wir haben Glück. Die Meistersinger sitzen gerade zusammen. Schuster, Bäcker, Zinngießer und andere, die sich der Wahrung des deutschen Liedguts verschrieben haben. Goldschmiedemeister Pogner erhebt sich: Daß wir im weiten deutschen Reich die Kunst einzig noch pflegen, und daß mit hohem Mut wir schätzen, was schön und gut. Sachs und die anderen: Das heißt ein Wort! Ein Wort ein Mann! Da sieht man, was ein Nürnberger kann!
Pogner teilt den anderen mit, daß seine Tochter Eva ihren Gatten selber wählen darf. Er muß nur deutsch, ein Meistersinger sein und den Sängerwettstreit zu Nürnberg gewinnen. Das schränkt die Auswahl zwar ein auf einen. Geht aber nicht anders, weil Kultur sich sauber fortpflanzen soll. Obwohl Eva eine ansprechende deutsche Jungfrau ist, sind leider nur zwei Männer aufzutreiben, die sie begehren. Der stolze deutsche Ritter Walther von Stolzing, der aber noch kein Meistersinger ist, und Beckmesser, der schon Meistersinger ist, obwohl er nur scheußliche Laute von sich gibt. Wagner meinte, Juden könnten sich nur mitteilen mit schrillendem, summsendem und murksendem Lautausdruck und verwirrrtem Geplapper.
Deshalb muß Beckmesser immer unsinniges Zeug singen. Nun gilt es Kunst, daß mit Vergunst, ohn’ all schädlich gemeinen Dunst, ihm Glücke des Preises Gewunst, wer begehr mit wahrer Inbrunst, um die Jungfrau zu frein. Zum Totlachen oder? Muß aber sein, damit auch im Jahre 2002 noch begriffen werden kann, was der Verfall der Rassen durch unrichtige Vermählungen anrichten kann. Der Jude führt noch mehr im Schilde. Er unterstellt dem großen Sachs, es ebenfalls auf Eva abgesehen zu haben, und will unbedingt verhindern, daß der sich nun erwerbe, des Goldschmieds reiches Erbe. Er ist nicht nur hinter der blonden Jungfrau, sondern auch hinterm Geld her. Wer hätte das gedacht. Walther muß jetzt erst mal Meistersinger werden. Er singt über den Frühling. Wie klar und schön er das kann. So rief der Lenz in den Wald, daß laut es ihn durchhallt; und wie in fernen Wellen der Hall von dannen flieht, von weither naht ein Schwellen, das mächtig näher zieht; es schwillt und schallt, es tönt der Wald. ... Das Blut, es wallt mit Allgewalt, geschwellt von neuem Gefühle.
Der Meister hat in mühevoller Arbeit dem Juden ein schlechtes und dem Walther ein schönes Lied schreiben wollen. Man findet aber beim besten Willen nicht heraus, welches Lied schlechter ist. Zum Glück weiß das der Hans. Des Ritters Lied und Weise, sie fand ich neu, doch nicht verwirrt. Kein Wunder, meint Walther, denn Herr Walther von der Vogelweid’, der ist mein Meister gewesen.
Germanische Wurzeln. Beckmesser taucht bei Sachs auf und stellt ihm sein Liebeslied für Eva vor. Kein schönes Lied. Den Tag seh‘ ich erscheinen, der mir wohl gefall’n tut; da faßt mein Herz sich einen guten und frischen Mut. Da denk ich nicht an Sterben, lieber an Werben um jung Mägdeleins Hand.
Gefallen tut? Der kann das einfach nicht. Geradezu schauderhaft ist, daß er lieber um eine arische Jungfrau wirbt als an seine Mission zu denken: das Sterben. Alle lachen, weil er den Ton, den er immer zärtlich zu halten sich bemüht, kurz und heftig ausstößt, was das Komische seines Vortrages sehr vermehrt. Wie schön klingt da ein germanisches Liebesduett. Walther mit zärtlichem Blick auf Eva: Mit allen Sinnen Euch zu gewinnen! Ist’s mit dem Schwert nicht, gilt es als Meister Euch zu ersingen. Für Euch Gut und Blut. Eva, noch zärtlicher: Mein Herz, sel’ger Glut, für Euch liebesheil’ge Hut!
Beim Juden nur Konfusion, hier Poesie. Glut und Hut folgt auf Gut und Blut. Kann der Jude nicht so gut. Beckmesser verläßt die Werkstatt und singt draußen weiter, schreiend und atemlos hastig. Ein Meister ruft aus dem Fenster: Wer heult denn da? Plötzlich springt ein wack’rer Schusterlehrling mit einem Knüppel bewaffnet aus dem Fenster und wirft sich auf Beckmesser. Der will fliehen. Er wird eingeholt, festgehalten und verprügelt.
Die Szene wird lange ausgekostet, immer Beckmesser auf der Flucht und der Lehrling immer wieder ihn einholend, festhaltend und prügelnd. Die Nachbarn kommen aus ihren Häusern und beginnen die in der Operngeschichte nie wieder erreichten Duette. Ein Nachbar: Ei seht! Auch Ihr hier? Zweiter Nachbar: Was sucht Ihr hier? Erster: Geht’s Euch was an? Zweiter: Hat man Euch was getan? Erster: Euch kennt man gut! Zweiter: Euch noch viel besser! Erster: Wieso denn? Zweiter: Ei so! Er schlägt ihm ins Gesicht. Der Erste: Esel! Er schlägt zurück. Alle Nachbarn schlagen sich und singen dabei: Keilt euch wacker – Haut die Racker – Maßabzwacker – Schlagt sie nieder! – Krach! Hagelwetterschlag! – Plautz, hast auf die Schnauz – Dort Metzger Klaus kenn ich heraus – Mein! Dort schlägt sich mein Mann! – Der Vater! Ach sie hau‘n ihn tot.
Man könnte meinen, daß mit einem Stamm, der sich gegenseitig umbringen möchte, weil jemand falsch gesungen hat, irgend etwas nicht stimmt. Ist aber ‘ne Metapher. Wir sollen an die dämonische Kraft des Juden glauben, der die friedsam Treuen durcheinanderbringt. Während die Deutschen sich jetzt gegenseitig mißhandeln, versucht Beckmesser, jämmerlich zerschlagen, eilig durch die Menge zu flüchten.
Ordnung kehrt erst ein, als ein besonders starker Hornruf des Nachwächters ertönt. Das wirkt auf alle mit einem panischen Schrecken. Die Deutschen können noch so wild sein, wenn der Nachtwächter kommt, herrscht Ordnung. Was wäre geschehen, wenn der Wächter, das Symbol des Staates, sie zum Pogrom ermuntert hätte? So weit sind wir noch nicht. Das kündigt sich aber an. Dazu müssen wir wissen: Wagner hatte einen Weltenbrand ausgemacht, der zwei Ursachen haben soll: den Fluch des Goldes, mit dem schon der Zwerg Alberich die Stammesbrüder Siegfried und Hagen in den Zwiespalt getrieben hatte, und: Wenn gleiches Blut an der Fortpflanzung gehindert werde. Wonach Beckmesser trachtet. Aber Hans hat die Lösung. Wahn! Wahn! Überall Wahn! – Nun muß es Prügel regnen, mit Hieben, Stoß und Dreschen den Weltenbrand zu löschen.
Hier begegnet uns der, wie es im Vorwort heißt, geheime Zauber der Meistersinger-Dichtung. Nur das Pogrom kann den Weltenbrand noch löschen. Beckmesser schleicht wieder durch die Gasse und betritt die Werkstatt von Sachs. Wie er das macht, ist zum Kaputtlachen. Er hinkt vorwärts, zuckt aber zusammen und streicht sich den Rücken. ... Als ob er von allen Seiten verfolgt wäre, taumelt er fliehend hin und her. Am Fenster stehen Menschen und lachen ihn aus. Er vernimmt die Verhöhnung der Weiber und Buben und schmeißt das Fenster zu. Sein Blick fällt auf das von Sachs zuvor beschriebene Papier. Es ist das von Walther gedichtete Liebeslied. Beckmesser klaut es. Jüdische Kunstplünderung. Sachs erwischt den Dieb, erlaubt ihm aber, das Lied beim Sängerwettstreit vorzutragen. Sein Plan: Der Jude und der Arier singen dasselbe Lied. Der Jude wird das Lied so jämmerlich vortragen, daß alle erkennen, wie sehr ihre Kultur von ihm bedroht ist. Beckmesser nimmt tanzend Abschied, taumelt und poltert ... stürzt hinkend und strauchelnd, geräuschvoll durch die Ladentür. An dieser Stelle können sich Stoiber, Schrempp, Gottschalk, Westerwelle und Claudia Roth nicht mehr halten vor Lachen.
Der Sängerwettstreit beginnt, so ähnlich wie später die Reichsparteitage. Voran Fahnenträger, die vor der Singerbühne die Fahnen aufpflanzen. Die Lehrbuben feierlich in Reih und Glied. Oben steht der Führer Sachs, und alle singen das berühmte Wacht auf, es nahet gen den Tag, es endet mit Heil Sachs! Heil Sachs! Heil Nürnbergs teurem Sachs! Heil! Heil!
Beckmesser muß als erster singen. Er schreitet unsicher auf den Rasenhügel und schwankt. Die Buben lachen. Das Volk stößt sich gegenseitig lustig an: Wie, der? ... Ach, der kann ja nicht mal stehn. Gott, ist der dumm! Er fällt fast um! Er beginnt seinen Gesang mit süßlich verzierten Absätzen ... gänzlich behindert und mit wachsender Verwirrung ... Aus dem kühnen germanischen Text macht er: Morgen ich leuchte in rosigem Schein, von Blut und Duft geht schnell die Luft; – wohl bald gewonnen wie zerronnen – im Garten lud ich ein – garstig und fein. Die Meistersinger: Ist er nur toll? Sein Lied ist ganz von Unsinn voll. Beckmesser ... stürzt wütend fort.
Der Jude ist geflüchtet. Dem Volk genügt die Vertreibung aber nicht. Es singt voller Vorahnung: Der bekommt seinen Lohn, bald hängt er am Galgen; man sieht ihn schon – den Galgen der neuen Zeit. Der geheime Zauber der Dichtung. Wieder könnte man meinen: Was ist bloß los mit einem Volk, das jemanden, der nicht gut singen kann, gleich ermorden will. Wir sollen aber denken: Der verwirrte Stamm hat im Mordkomplott gegen den Juden seinen inneren Frieden gefunden und kann sich endlich zu hoher Kultur aufschwingen. Sachs: Das Lied ist schön; nur ist’s auf den ersten Blick zu ersehn, daß Beckmesser es entstellt. Doch schwör ich, daß es Euch gefällt, wenn es ein Germane singt.
Walther beschreitet festen Schrittes den Blumenhügel. Dann singt er dasselbe Lied auf deutsche Weise. Aber weil sich auch diesmal nicht ergründen läßt, welche Interpretation schlechter ist, bietet Hans sich wieder an, um uns aus der Klemme helfen.
Ein Meisterwerk ... von Walther gedichtet und gesungen. Nun wissen auch die Meistersinger, was sie denken müssen. Jawohl! Es ist ein ander Ding, ob falsch man oder richtig sing’.
Und wieder hat der arische Naturgesang über jüdisches Kunstplagiat gesiegt. Eva kriegt ihren Walther und Hans Sachs sich vor Pathos nicht mehr ein. Die Kunst, im Drang der schlimmen Jahr‘ blieb sie doch deutsch und wahr ... Habt acht! Uns dräuen üble Streich’! Zerfällt erst deutsches Volk und Reich, in falscher welscher Majestät kein Fürst bald mehr sein Volk versteht; und welschen Dunst mit welschem Tand sie pflanzen uns in deutsches Land. Was deutsch und echt, wüßt’ keiner mehr, lebt’s nicht in deutscher Meister Ehr’ ... die heil’ge deutsche Kunst. Das Volk ruft in höchster Erregung immer wieder Heil! Heil! Heil! Ende.
Keiner lacht mehr. Die deutsche Elite erhebt sich ergriffen, und der Beifall wird zum Orkan. Eliten kommen und gehen. Eines aber bleibt in Deutschland gleich. Sie pilgern jedes Jahr da hin. In diesem Jahr gab es leider einen Zwischenfall, der von den Medien totgeschwiegen wurde. Möllemann hatte für die »Meistersinger« keine Einladung erhalten. Er drohte, sich in die Luft zu sprengen, und zwar irgendwo in Israel. In Windeseile boten die anderen Parteiführungen ihre Einladungen an, weil sie befürchteten, daß der angedrohte Akt der FDP zu viele Stimmen bringen würde.
Leicht gekürzte aus Rainer Trampert und Thomas Ebermann: Sachzwang und Gemüt. Sarkastische und analytische Texte über die Republik, die Welt und unsere Nachbarn. Siehe S. 37
Rainer Trampert schrieb in KONKRET 8/02 eine WM-Tragödie
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