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Die Sache mit dem Holocaust

27.01.2015 16:28

Kultur Kolumne
 

Wo es keinen Respekt vor dem Heiligen und dem für den menschlichen Zugriff Unverfügbaren gibt, dort gibt es auch keinen Respekt vor dem Menschen.« Gezeichnet im Namen der evangelischen und der katholischen Kirche: Bischof Dr. Wolfgang Huber und Erzbischof Dr. Robert Zollitsch. Zum 70. Jahrestag der »November-Pogrome« von 1938 schieben die zwei Gottesmänner die Ermordung der europäischen Juden auf eine den Aberglauben bekämpfende Aufklärung.  

Was so schamlos daherkommt, entbehrt nicht der Konsequenz: Die christliche Vorstellung, daß das, was kein Mensch je geschaut hat, das Göttliche sei, führt unweigerlich zu einer Sakralisierung des in den Lagern erfahrenen Leids. Dies Leid hat ja kein Mensch geschaut, sondern bloß der Jude, der Kommunist, der Zigeuner und der Homosexuelle. Die Sakralisierung des Holocaust mystifiziert ein Grauen, das den realen Tod von Millionen bedeutete, und spricht dem Überlebenden abermals eine Persönlichkeit ab. Wer, beispielsweise, in Elie Wiesel nicht die talentfreie Betriebsnudel sieht, die er nun mal ist, tut ihm unrecht – nicht trotz, sondern wegen Auschwitz.  

»Was die Deutschen begangen haben, entzieht sich dem Verständnis«, schrieb Adorno 1951, und vermutlich wäre ein erleichtertes Aufatmen durch Deutschland gegangen, wenn er statt dessen geschrieben hätte: »Was Deutsche begangen haben ...« Isoliert klang der Satz wie die offizielle Erlaubnis, endlich das Denken einzustellen; im Zusammenhang meinte er das Gegenteil: daß es in Deutschland nicht zu viel Aufklärung gegeben hatte, sondern zu wenig.  

Adornos dialektische Weltsicht, die sich in Auschwitz endgültig bestätigt hatte, ist in Deutschland verhaßt. Was nicht Propaganda ist, gilt als elitär. Liest man Adorno aber nur zur Hälfte, dann taugt sogar seine Negative Dialektik plötzlich zu etwas:  

Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: Ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.  

Einmal vom dialektischen Kontext befreit verkam dieses Diktum so sehr zum Klischee, daß noch der dümmste pazifistische Kriegstreiber es für sich vereinnahmen konnte.  

Der deutsche Umgang mit der Vergangenheit erinnert an Geldwäsche, die aus Verbrechen gewonnenes Kapital gereinigt unter großen Gewinnen wieder in Umlauf bringt. Vereint arbeiten Politik, Wissenschaft, Medien und die Kirchen mit Hilfe von »Historisierung«, »Gedenken«, »Aufarbeitung« und anderen durch öffentliche Gelder geförderten Lügen an der »Normalisierung«. Auf dem Weg dorthin erfreuen sich Klezmer, Jiddisch und das Tragen eines Davidsterns großer Beliebtheit. Man schmückt sich mit Relikten ebenjener Kultur, über deren Verschwinden man im Innersten erleichtert ist. Legitimiert durch Ohrringe aus echtem Auschwitz-Zahngold, liest man dem Überlebenden die Leviten. Der durchschnittliche deutsche Israel-Reisende ist von seiner Überzeugung, Auschwitz sei eine moralische Besserungsanstalt gewesen, nicht abzubringen und entsprechend verstört, wenn der ihm beim Deutsch-Jüdischen Kaffeekränzchen gegenübersitzende Überlebende erklärt, den Amir Peretz habe er nicht wählen wollen, der sei »so dunkel«.  

Die Vereinnahmung des Leids, das die eigenen Eltern über die Opfer gebracht haben, hat nicht die Realisierung der Ungeheuerlichkeit des Verbrechens und der eigenen Verantwortung zur Folge, sondern deren Leugnung und eine Vertiefung in persönliche Beschwerden wie Harndrang und Langeweile, die das Leid der Opfer banalisieren. Der Jude ist zum beliebtesten Accessoire der deutschen Medien geworden, wo jeder in dem Ruf stehen möchte, mal einen in der Familie oder im Keller gehabt zu haben, und ihm, wenn er alt ist und ausgedient hat, auch gerne einen Preis verleiht.  

Es sei, schreibt der Komiker Oliver Polak, gerade in Mode gekommen, »seine jüdischen Wurzeln aus dem Betonloch freizupinkeln, in das vorherige Generationen sie verzweifelt eingegossen haben«. Der im tiefsten Niedersachsen aufgewachsene Polak, der sich für nichts – nämlich Fernsehserien, Popmusik und die schauerlichste aller Unterhaltungsformen, den Zirkus – interessiert, schreibt in seinem gerade erschienenen Buch Ich darf das, ich bin Jude (Kiepenheuer & Witsch) ein paar Dinge, die man sonst als 30jähriges Landei nicht versteht und erst recht nicht veröffentlicht. Aber Polak hat die »große Welt« nur scheinbar als Praktikant bei der Stefan-Raab-Show und als Moderator beim Disney-Club kennengelernt. Daß er diesem Land, seinen Institutionen und Medien nicht recht traut, hat einen guten Grund: Polak ist Sohn eines Überlebenden. Weil der Vater weiß, daß das Spiel »Deutscher Schlagball« früher »Krieg« geheißen hat, weiß der Sohn, warum Springers Rassismus gerade Israel ausnimmt, nennt er die Bundeswehr einen »Debilenhaufen« und beschreibt den deutschen Provinzler als jemanden, der »gerne in Gesellschaft trinkt – am liebsten in der von Kindern«.  

Dabei hatte er dem Leser im Vorwort noch ein »ganz unverkrampftes Miteinander« versprochen: »Treffen wir doch für die Dauer der Lektüre folgende Vereinbarung: Ich vergesse die Sache mit dem Holocaust – und Sie verzeihen uns Michel Friedman.« Schon im nächsten Absatz aber imaginiert er ein klassisches Ghetto für Katholiken und stellt klar, daß hier, Gott sei Dank, gar nichts vergessen wird.  

Der Vergleich der engsitzenden Röcke von Mariah Carey mit einer Phimose zeigt zwar die Spuren, die der deutsche Kulturbetrieb auch beim ehemaligen Viva-Moderator Polak hinterlassen hat. Trotzdem hat der Autor verstanden, daß Viva verspricht, was der Puff hält, und umgekehrt. Ob er irgendwann noch zu der Einsicht kommt, daß das Verhältnis von Puff und Presse, Puff und Wohltätigkeit, Puff und Kirche, Puff und Vertriebenenverbänden dasselbe ist?  

Natürlich reden die Einwände gegen die Vereinnahmung des Holocaust durch den Kulturbetrieb nur scheinbar jener Kritik am sogenannten Holocaustkitsch und der »Holocaust-Industrie« das Wort, die in jedem Erinnern das Wirken der »Weisen von Zion« erkennen will, das noch aus den Opfern Kapital zu schlagen versucht. Das aus der deutschen Geschichte erwachsene Gefühl der Befangenheit und Verantwortung wird als philosemitische Persönlichheitsstörung abgetan, eine bedenklichere Form des Antisemitismus als der unbedenkliche und ehrliche Judenhaß dessen, der den Philosemiten enttarnt.  

Die deutsche Gedenkkultur (Huber und Zollitsch, nicht Polak) ist eine Form des Vergessens, die ein gutes Gewissen macht. Entscheidend ist die Qualität der Öffentlichkeitsarbeit: Wo der Blick der Welt auf Deutschland fällt – im Berliner Zentrum, auf dem EM-Fußballfeld – , muß, um das internationale Agieren der deutschen Wirtschaft sicherzustellen, demonstriert werden, daß Deutschland der »Meister der Aufarbeitung« ist. »Indem noch der Völkermord in engagierter Literatur zum Kulturbesitz wird, fällt es leichter, weiter mitzuspielen in der Kultur, die den Mord gebar.« Sagt Adorno.

- Fritzi Busch -
 

 

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