Florian Sendtner
Eine Frau räumt auf
Wird ein Jude gefragt: Ist das wirklich wahr, daß ihr alle schon so intelligent auf die Welt kommt? Antwortet der Jude: Nein, aber die Dummen lassen wir immer gleich taufen! – So elegant und mit links, ohne auch nur seinen Namen zu erwähnen, kann man Sarrazins Geschmarre von jüdischen und anderen Genen abhaken. Adriana Altaras erzählt diesen Witz schon mal zu Beginn einer Lesung aus Titos Brille. Genauso pointiert ist der ganze autobiographische Roman, in dessen Zentrum ihre Eltern stehen: ein Arzt und eine Architektin, die als jüdische Jugendliche in Zagreb um ein Haar unter die Räder der faschistischen Ustascha und der italienischen Besatzer gekommen wären, sich nach ihrer Flucht den jugoslawischen Partisanen anschlossen, 1964 aber vor Tito nach Italien flüchten mußten, weil dem Vater ein Schauprozeß drohte, obwohl er der Legende nach seinerzeit in den Bergen Marschall Titos Brille repariert hat.
Auch die 1960 geborene Tochter findet sich also mit vier Jahren schon in der Emigration wieder – die von Italien in die Schweiz und von dort nach Deutschland führt. Während die Eltern in Gießen wieder eine jüdische Gemeinde aufbauen, wird Adriana Altaras zuerst Schauspielerin und dann Regisseurin, die zum Beispiel die Einweihung des Holocaust-Mahnmals 2005 mit einem eigenen Theaterstück im Maxim-Gorki-Theater »feiert«. Das Stück heißt »Trauer to go« und geht unter anderem den Fragen nach: »Wer wird das Mahnmal putzen? Menschen mit Migrationshintergund? Wer wird es bewachen? Deutsche Schäferhunde?« Hart, aber herzlich bringt Altaras die Dinge auf den Punkt, nichts und niemand ist vor ihrer ironischen Schärfe sicher, am allerwenigsten sie selbst.
Eine Frau räumt auf: eine großangelegte Entrümpelungsaktion, die beim Nachlaß der Eltern anfängt und bei der deutschen Heuchelei in Sachen »Vergangenheitsbewältigung« nicht aufhört. Mehr und mehr auf die Rolle der Jüdin abonniert, spielt Altaras 2009 wieder mal eine entsprechende Nebenrolle in einem Film. Doch die bereits gedrehte Szene, für die sie extra nach Südafrika geflogen ist, wird gestrichen: Sie hätte »die Stimmung verdorben«, erklärt ihr der Regisseur. Adriana Altaras ist um eine Antwort nicht verlegen: »Tja, wenn man dem Holocaust entkommen ist, kann die Stimmung schon mal auf dem Nullpunkt sein ...«
Adriana Altaras: Titos Brille. Die Geschichte meiner strapaziösen Familie. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 272 Seiten, 18,99 Euro