Klaus Walter widmete sich in KONKRET 12-2007 antisemitischen Vorfällen in den unteren Fußballigen sowie der Frage, warum es besser für homosexuelle Fußballspieler ist, unsichtbar zu bleiben.
»Hört endlich auf, euch dauernd zu beschweren!« Mein Zuruf galt gegnerischen Spielern, die ständig beim Schiedsrichter reklamierten. Obwohl doch klar war, daß der es nicht besser konnte. Schließlich spielte hier die Reserve der Bezirksliga Frankfurt. Da muß man froh sein, wenn überhaupt einer pfeift. »Was heißt das? Wir beschweren uns dauernd?« schrie einer zurück, kam auf mich zu und brüllte mir aus nächster Nähe ins Gesicht: »Was meinst du damit: Wir beschweren uns immer?«
Ich kannte ihn, wir hatten oft gegeneinander gespielt, früher in der Ersten Mannschaft, jetzt in der Zweiten, wir waren beide älter geworden. Langsam wurde mir klar, warum er sich nicht beruhigen ließ. Es spielte der SC Weiß-Blau Frankfurt gegen TuS Makkabi Frankfurt. Zwei solide Vereine mit einer gewissen Tradition im Frankfurter Amateurfußball. Der bekannteste Makkabi-Spieler war Friedel Lutz. Der frühere Nationalspieler und spätere Zeugwart der Frankfurter Eintracht ließ seine Karriere beim Bezirksligisten ausklingen. Da war es wieder, das Bild vom reichen Judenklub, der sich einen deutschen Nationalspieler kaufen kann.
Weiß-Blau gegen Makkabi, das heißt immer auch: Deutsche gegen Juden. Da spielt es keine Rolle, daß bei Makkabi mehr Spieler einen deutschen Paß haben als bei Weiß-Blau. Wenn schon die Frankfurter Oberbürgermeisterin den damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde öffentlich fragte, wann er zuletzt »in seiner Heimat« gewesen sei. Petra Roth meinte Israel, Ignatz Bubis lebte jahrzehntelang in Frankfurt. Ich konnte meinem Gegenspieler nicht begreiflich machen, daß mir seine ewigen Reklamationen gegenüber dem Schiedsrichter auf die Nerven gingen, nicht die ewigen Reklamationen der Juden gegenüber den Deutschen. Das war Mitte der Neunziger.
»Der reiche Jude« ist gerade in Frankfurt mehr als eine unbedachte Redensart. Aus dem Protest gegen die Westend-Sanierung entwickelte sich in den Siebzigern ein jahrelanger und mit äußerster Härte geführter Häuserkampf, der die Stadt regelrecht spaltete. Linke Migranten schlossen sich der studentisch geprägten Hausbesetzerbewegung an, auch Frankfurter Bürger zeigten Verständnis. Allerdings mischten sich in die Solidarität mit den Hausbesetzern auch antisemitische Töne. Einige der verhaßten »Spekulanten« waren Juden, darunter Ignatz Bubis. In Rainer Werner Fassbinders Stück Der Müll, die Stadt und der Tod, das 1985 im Frankfurter Schauspiel aufgeführt werden sollte, gibt es die umstrittene Figur des »reichen Juden«, in der Bubis leicht zu erkennen ist. Der Immobilienkaufmann hatte immer wieder gesagt, man dürfe ihn einen Spekulanten nennen, aber nicht einen »jüdischen Spekulanten«. Die Uraufführung von Fassbinders Stück wurde nach heftigen Protesten und einer Bühnenbesetzung abgebrochen, es verschwand vom Spielplan. Die Kampagne gegen das Theaterstück ging in die Geschichte ein als politische Geburtsstunde der Frankfurter Jüdischen Gemeinde.
ein erstes Spiel gegen Makkabi machte ich Ende der Siebziger für den inzwischen aufgelösten FC 66, ein Verein aus einer damals noch so genannten Arbeitersiedlung. Ich war für meine Mitspieler anfangs nur »der Student«. TuS Makkabi kam als designierter Meister, wir standen als Absteiger fest. Sie demütigten uns. Im Tor von Makkabi stand Henry Müller und hatte nichts zu tun. Er genoß einen speziellen Ruf. Begnadeter Torwart, aber faul und unberechenbar. Vornamen und dunkle Haut verdankte das »Besatzungskind« seinem Vater, einem GI, den Nachnamen seiner Mutter, einer »Amihure«, so der Müller-Mythos.
Fußballer mit dunkler Haut waren in den Siebzigern noch eine Sensation. Henry Müller stand tatenlos im Makkabi-Tor, sein Team führte fünf oder sechs zu null, als Ethan, einer seiner Verteidiger, sich einen Scherz erlaubte. Ethan wurde an der Mittellinie angespielt. Anstatt den Spielaufbau seiner Mannschaft fortzusetzen, dreht er ab und rennt mit Ball mutterseelenallein auf Müllers Tor zu. Aus achtzehn Metern schießt er aufs eigene Tor, der Ball fliegt Richtung Winkel. Müller ebenfalls, so gerade eben lenkt er den Ball zur Ecke. Große Heiterkeit bei den Makkabi-Spielern, manche liegen auf dem Rasen vor Lachen. Der Schiedsrichter ist zu blöd oder zu feige, um Ethans Aktion regelgerecht als »unsportliches Verhalten« zu ahnden. Meine Mitspieler sind empört. Als wären wir nicht schon genug vorgeführt worden. Und das von Juden. Ethan wird bedroht. Von Öfen, Rauch und Vergasen ist die Rede. Und von Scheißjuden. Besonnenere Akteure versuchen zu beschwichtigen: Wir haben ja nichts gegen Juden, aber so arrogant müssen sie uns ihre Überlegenheit ja auch nicht vorführen.
Mit vergleichbaren Reaktionen sind heute Vertreter jüdischer Organisationen konfrontiert, die für »Entschädigungszahlungen« an Zwangsarbeiter im Nationalsozialismus kämpfen. Hier und da wird Verwunderung laut, daß da gewiefte Advokaten aus den besten Kanzleien Manhattans mit harten Bandagen die Interessen ihrer Klienten durchzuboxen suchen. Offenbar hatte man devote Bittsteller in KZ-Uniform erwartet.
1903 gründeten deutsch-jüdische Sportvereine Makkabi Deutschland als Dachverband. Die Nazis schlossen Makkabi zunächst aus dem Deutschen Sport-Bund aus, später wurde der jüdischen Bevölkerung jeglicher Sport verboten und Makkabi Deutschland aufgelöst. In den fünfziger Jahren kam es zu den ersten Neugründungen. Der größte Ortsverein in Deutschland ist heute TuS Makkabi Frankfurt mit fast 1.000 Mitgliedern. Die Erste Fußballmannschaft der Männer spielt seit einigen Jahren wieder in der Bezirksliga (siebthöchste Spielklasse), nachdem sie Anfang des Jahrtausends nach mehreren Aufstiegen bis in die Landesliga vorgedrungen war. In der Frankfurter Fußballszene wurde dieser plötzliche Qualitätssprung mit Skepsis verfolgt. Die reichen Juden hatten sich mal wieder den Erfolg erkauft, uns deutschen Vereinen die mühsam und kostspielig ausgebildeten Spieler mit unmoralischen Angeboten abspenstig gemacht. Alon Meyer, der als Sportwart für alle elf Abteilungen des Klubs zuständig ist, widerspricht: »Das ist ein verbreiteter Irrglaube. Die Spieler, die zu Makkabi gekommen sind, waren keine renommierten Spieler aus der Ober- oder Landesliga. Wir sind aufgestiegen mit Kreisliga-A- und Bezirksligaspielern, mit einem Etat, der weitaus niedriger war als der vieler Bezirksoberligavereine. Kein Spieler kommt allein des Geldes wegen zu uns.«
Alon Meyer, 34, ist seit seinem fünften Lebensjahr bei Makkabi. Sein Vater Wolfgang hat den Verein mitaufgebaut und war lange Präsident. Wir verabreden uns zu einem Gespräch nach den antisemitischen Ausfällen beim Kreisligaspiel zwischen Makkabi Berlin und Altglienicke im Herbst 2006. Das Spiel hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht, weil weder der gastgebende Verein Altglienicke noch der Schiedsrichter etwas gegen die antisemitischen Haßtiraden von Zuschauern unternommen hatten. Die Makkabi-Spieler verließen schließlich aus Protest das Spielfeld.
Alon Meyer kennt solche Situationen: »Das beginnt auf dem Platz ganz primitiv: ›Ihr Scheißjuden, euch hat man vergessen zu vergasen‹ oder ›Jungs, gebt mehr Gas, die Gegner brauchen mehr Gas, dann geben sie Ruhe‹. Aber auch bei Rundenbesprechungen gab es Kommentare anderer Vereine: ›Warum will Makkabi am Jom Kippur nicht spielen?‹ Jom Kippur, der Versöhnungstag, ist einer der höchsten jüdischen Feiertage, an dem wir auf keinen Fall spielen, auch wenn uns die Punkte abgezogen werden. Und dann wird gefragt: ›Warum muß das Spiel verlegt werden? Ein jüdischer Feiertag, das ist uns doch egal, wir leben hier in Deutschland.‹ Und das war eine Vorrundenbesprechung der Landesliga, wo man meint, daß es dort etwas kultivierter zugeht.«
Meyer erzählt auch von tätlichen Angriffen, fünf bis zehn Schlägereien pro Saison. Geschlagen, gespuckt und getreten wird auf Fußballplätzen schon immer, nicht jede Prügelei ist rassistisch oder antisemitisch motiviert. Wenn SG Bornheim gegen VfR Bockenheim spielt und es kommt zu Ausschreitungen, dann kloppen sich Deutsche untereinander. Spielt aber Bornheim gegen Croatia, dann heißt es: Länderspiel, Deutsche gegen Kroaten. Dabei kann es gut sein, daß in den Reihen der Bornheimer mehr Kroaten stehen als bei Croatia. Seit Ende der Siebziger sind in Frankfurt – wie in allen westdeutschen Großstädten – zahllose »ethnische« Vereine gegründet worden. Die Balkankriege zogen eine Balkanisierung des Vereinswesens nach sich, jede nach Autonomie strebende Enklave hat ihren Fußballverein. So manches Spiel zwischen bosnischen, serbischen, kroatischen, kosovarischen und herzegovinischen Klubs nimmt sich aus wie die Fortsetzung des Krieges auf dem Platz. Der Deutsche Fußball-Bund feierte die Bildung »ethnischer« Vereine zunächst als Beleg für die gelungene »Integration von Ausländern«. Tatsächlich werden bei türkischen, marokkanischen oder iranischen Klubs bis heute Leute integriert, die anderswo ausgeschlossen sind. Die Vereine leisten kostenlose Sozialarbeit für Randgruppen, um die sich kein Staat schert. Sie stiften ein bißchen Heimat in der Fremde. Die Kehrseite: Vereine und Spieler verstehen sich mehr und mehr als Vertreter ihrer Nation, ihrer Region, ihrer Religion – und werden von ihren Gegnern als solche angesehen. Was früher als bedauerliches Über-die-Stränge-Schlagen im harten Männersport hingenommen wurde, gilt heute als Indiz für das Scheitern von Integration und Multikultur. Mehr und mehr werden Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Spielern oder Mannschaften nach dem Muster von ethnischen und religiösen Konflikten interpretiert – von Außenstehenden wie von den Akteuren selbst. Wenn ich schon sonst nichts habe, dann doch meine Identität – meine Nation, meine Religion. Dafür kann ich zwar nichts, aber stolz darauf bin ich trotzdem.
Manche gesellschaftliche Tendenzen bilden sich auf dem Fußballplatz früher zur Kenntlichkeit aus, meint Alon Meyer: »Beim Fußball kann man am besten einschätzen, welche Stimmung im Volk herrscht. Da kocht schnell alles hoch und kommt raus, es ist nun mal ein ›Proletensport‹, wo die Leute in ihrer Erregtheit schnell zu Ausdrücken greifen und ihr wahres Gesicht zeigen. Beim Tennis oder Basketball ist das selten der Fall.«
Wie in praktisch allen Frankfurter Vereinen spielen bei Makkabi Angehörige verschiedener Nationen und Religionen – auch Muslime, betont Meyer. Wie steht er zu sogenannten ethnischen Vereinen? »Wir haben überhaupt keine Probleme mit denen. Natürlich gibt es schwierige Spiele. Begegnungen mit muslimischen Vereinen sind mit Vorsicht zu genießen, aber auch die beweisen immer öfter, daß es gut gemeinsam geht, wenn beide Seiten aufeinander zugehen, ohne Hemmungen und ohne Vorurteile.«
Neulich wurde Meyer von der Ausländerbehörde angerufen und gefragt, ob Makkabi an einem Ausländerturnier teilnehmen möchte. »Wir müssen immer wieder erklären, daß Makkabi kein Ausländerverein ist. Wir sind ein Verein aus der Jüdischen Gemeinde, das hat mit der Nationalität nichts zu tun, wir sind ein Glaubensverein, das vermischen die Leute gern.«
Der Kapitän von TuS Makkabi, der Frankfurter Türke Cüneyt Yalcin, hört immer mal wieder von gegnerischen Spielern: »Wie kann ein Türke bei den Juden spielen?« Viele wunderten sich, wenn bei Tus Makkabi »zehn Schwarzköpfe« auflaufen, erzählt er. »Ich denke, das wäre nicht so schlimm, wenn es mehrere jüdische Vereine gäbe, aber so gibt’s nur einen und deswegen: immer alle drauf.«
An manchen Sonntagen steht nur ein einziger Jude in der Ersten Mannschaft von Makkabi. So auch im Spiel gegen die Sportfreunde Frankfurt, ein Traditionsverein aus dem ehemaligen Arbeiterviertel Gallus. Im Altfrankfurter Slang heißt das Gallus auch Kamerun. Der bekannteste Sportfreund ist Wolfgang »Itze« Schäfer, der 1985 das entscheidende Tor im DFB-Pokalfinale zum 2:1-Sieg von Bayer Uerdingen gegen Bayern München schoß und anschließend den Pokal über Nacht mit ins Bett nahm. Die Geschichte erzählen sie immer wieder gerne im Kamerun. Der deutsche Traditionsklub von 1904 kommt 2007 fast ohne deutschstämmige Spieler aus. Im Sportfreunde-Block wird hauptsächlich serbokroatisch gesprochen (oder, pardon, kroatoserbisch?).
In der Gruppe steht ein ausgewechselter Spieler und sagt – plötzlich auf deutsch und ziemlich laut: »Der Drecksjude hat Scheißitaliener zu mir gesagt.« Großes Gelächter bei seinen Freunden. Der Scheißitaliener ist wohl Serbe. Oder Kroate? Oder Bosnier? Oder gar Dubrovnikaner? Ja, es gab auch mal einen FC Dubrovnik in Frankfurt.
Und der Drecksjude ist wahrscheinlich ein spanischer Christ. Oder ein türkischer Muslim? Ein bayrischer Buddhist? Es ist schon ein Malheur mit den Identitäten. Was macht der Sportwart von Makkabi, wenn sein Spieler einen anderen als Scheißitaliener beschimpft? Alon Meyer stöhnt. »Wenn wir das mitkriegen, dann wird das intern geahndet.« Was soll er sonst sagen?
Aber kommen rassistische Übergriffe nicht seltener vor, seitdem Gerald Asamoah in der deutschen Nationalmannschaft spielt und es in jedem Verein Spieler gibt, die nicht urgermanisch aussehen? Meyer glaubt das nicht. »Das ist oft situationsbedingt, je nach Lage im Nahen Osten. Oder die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die sich widerspiegelt auf dem Platz. Wenn wir einen Aufschwung erleben, wenn es den Leuten gutgeht, dann fällt das nicht so ins Gewicht. Nicht umsonst konnte im ›Dritten Reich‹ die Situation entstehen, weil es den Leuten so schlechtging. Das ist heute ähnlich.«
Die Situation auf dem Platz wird maßgeblich bestimmt vom Schiedsrichter, dem ärmsten Schwein in den unteren Klassen. Jeden Sonntag »die schwarze Sau«, der Buhmann vom Dienst – und das für ein paar Euro Spesen, Currywurst und Bier. Wer sich das freiwillig antut, muß ein großer Idealist sein oder – auch das gehört zur Fußballfolklore – er hat im richtigen Leben nichts zu sagen und genießt es, für 90 Minuten Chef zu sein. Von dieser Sorte gab und gibt es viele und nicht wenige von ihnen hassen die Scheißausländer dafür, daß sie uns die Arbeit abnehmen, und die reichen Juden sowieso. Entsprechend pfeifen sie dann bei Länderspielen. Wenn also Bornheim gegen Türkgücü spielt und ein weißhaariger deutscher Schiri pfeift, dann gehen viele Türkgücü-Spieler schon mit der Gewißheit auf den Platz, wieder benachteiligt zu werden. Wenn sich die self-fulfilling prophecy bewahrheitet, dann wird der Schiri schnell als Nazi beschimpft, was dann ebenso schnell zum Platzverweis führt. So nimmt das Elend seinen Lauf, Massenschlägerei nicht ausgeschlossen. Aber die alten Nazis sterben aus, und erstaunlicherweise entschließen sich junge Migrantensöhne, Schiedsrichter zu werden. Youcef Ouali ist siebzehn, seine Eltern kommen aus Mazedonien, sein Verein ist Fortuna Frankfurt. Er leitet das Spiel der Reservemannschaften zwischen Makkabi und den Sportfreunden und gibt mir danach das erste Interview seines Lebens.
»Nein, es war kein schweres Spiel. Die rote Karte war klar, der Spieler von Makkabi hat seinen Gegenspieler nach einem Foul als ›Bastard‹ beschimpft. Bastard geht nicht, kleinere Beschimpfungen wie Idiot, Dummkopf oder Dicker, da hört man schon mal weg.« Bei »Dicker« lacht Ouali, er ist selbst ein bißchen dick. Dann schwenkt er wieder ein in Offiziellensprech: »Wir sind alle gleich, egal welche Hautfarbe oder Religion, aber es gibt immer wieder solche Beschimpfungen: Scheißmoslem, Scheißjude, behinderter Christ ...« Und welche Beleidigungen werden mit Platzverweisen bestraft? »Im Fußball fallen nun mal solche Worte. Aber wenn’s in Richtung Diskriminierung oder Antisemitismus geht, also ›Euch hat man vergessen zu vergasen‹ oder ›Scheißjuden‹, das sind Beleidigungen, die wir nicht überhören wollen, können und dürfen, weil wir das nicht aufkeimen lassen dürfen. Das sind die Taten, denen wir rigoros nachgehen.«
Hat er selbst schon mal antisemitische Ausfälle erlebt? »Als Spieler. Meine Mitspieler haben im Spiel gegen Makkabi solche Sachen gesagt. Da habe ich mich sehr geschämt.« Und als Schiedsrichter, wie ist es bei den sogenannten Länderspielen? »Ich hatte mal ein Spiel Eritrea gegen Kickers 16, bei denen spielen viele Kroaten, glaube ich, da gab’s dann mehrere rote Karten, und am Ende hat mich einer von denen schwer beleidigt und getreten. Der wurde dann ein Jahr gesperrt.«
Zum Schluß frage ich den jungen Schiedsrichter, ob es nach den Vorkommnissen in Berlin-Altglienicke neue Anordnungen vom DFB für solche Situationen gab. »Was war da, davon habe ich nichts mitbekommen?«
Im deutschen Profifußball warten sie ja noch immer auf den ersten Schwulen. Seit 1963 haben rund 10.000 Männer in der Bundesliga gespielt – kein einziger davon war homosexuell – offiziell. Er würde auch heute keinem raten, sich zu outen, hat vor zwei Jahren Corny Littmann gesagt; der Präsident des FC St. Pauli ist selbst ein bekannter schwuler Kabarettist. »Einer von elf Profis ist schwul.« Mit dieser Schlagzeile erregte das mittlerweile eingestellte Fußballmagazin »Rund« im Dezember 2006 Aufsehen. Aus Angst vor den Konsequenzen geben sich schwule Profis nicht zu erkennen, behauptete »Rund« und zitierte einen anonymen Spieler: »Ein Outing wäre mein Tod.« Kürzlich bekannte sich der ehemalige Zweitligakicker Marcus Urban öffentlich zu seiner Homosexualität. Er habe seine Karriere vorzeitig beendet, weil er das jahrelange Versteckspiel nicht mehr ertragen konnte.
Und im Amateurfußball? Hier ist der öffentliche Druck geringer, finanzielle Einbußen muß man in den unteren Klassen nicht fürchten. Wie ist das bei Makkabi zum Beispiel, dem toleranten Klub aus der Jüdischen Gemeinde, bei dem Angehörige verschiedenster Nationalitäten und Religionen gemeinsam Sport treiben? Könnte sich ein schwuler Fußballer in Ihrem Verein outen, Herr Meyer? Der Makkabi-Sportwart überlegt. »Ja, ja, da gab’s den einen oder anderen Schwulen, der hat sich dann spätestens nach seiner Fußballkarriere geoutet oder auch während seiner Karriere ...« Sehr überzeugend klingt das nicht.
»Aber in unserem Verein haben wir damit keine Probleme. Ich kann Ihnen jetzt nicht genau sagen, wer in unserem Verein solch eine Richtung aufweist, aber bei uns ist das vollkommen egal.« Glückliches Makkabi. In den Klubs, für die ich gespielt habe, hätte jeder jederzeit genau sagen können, wer im Verein »solch eine Richtung aufweist« – und derjenige hätte wenig Freude an seiner Richtung gehabt. Wenn einer über Jahre nicht mal zur Weihnachtsfeier eine Frau mitbringt, dann ist das schon verdächtig. Ein zu lasches Zuspiel auf dem Platz ist nach wie vor ein »schwuler Paß«. Und nach ein paar Runden Bier wird gerne mal der Text von »We all live in a yellow submarine« abgewandelt: »Thomas Müller ist homosexuell, homosexuell, homosexuell ...« Das sorgt für Heiterkeit im Vereinslokal, wer es nicht lustig findet, wartet still, bis es vorbei ist. Der Geoutete singt am besten selbst mit, wie neulich Mehmet Scholl nach seinem Abschiedsspiel für Bayern München. Da haben sie sich köstlich amüsiert über »Mehmet Scholl ist homosexuell ...«, auch seine Freundin soll mitgesungen haben. Vorher hatte Scholli für Irritation gesorgt. Er ist ja bekannt für seinen fußballeruntypischen Musikgeschmack und hat schon ein paar Indierockalben kompiliert. Aber daß er zu seinem Abschiedsspiel in der Allianz-Arena vor der versammelten Fußballprominenz diesen queeren Haufen schwul-lesbischer Freaks auftreten läßt, der sich auch noch Hidden Cameras nennt (googelt man das, landet man in Sekunden auf schwulen Pornoseiten) – das hat dann doch manchen verstört.
Aber zurück zu Makkabi. Ist ja klar, daß Alon Meyer sich tolerant gibt. Man soll ja nichts Schlechtes denken über seinen Verein. Also fragen wir Kapitän Yalcin, ob er schwule Fußballer kennt. »Ich habe noch nie einen gesehen. Nie davon gehört. Ich glaube, die trauen sich nicht, sich zu outen.« Und wenn sich einer trauen würde, hätte der’s nicht schwer? »Der hätte es auf jeden Fall schwerer. Manche Spieler sind ja nicht so offen für alles, die sagen: »Oh Schwule, hach«, so wachsen die auf. Ich weiß auch nicht, was da los ist, die letzten zehn Jahre ist da irgendwo der Wurm drin.«
Was würde denn passieren, wenn sich bei Makkabi einer outen würde oder mit seinem Freund käme? »Mir wär das egal, solange er (lacht) mich in Ruhe läßt. Ich sag’ immer: Solang du mich in Ruhe läßt, kannst du sein, wie du willst.«
Da ist sie wieder, die Vorstellung, daß ein schwuler Mann im Grunde jeden anderen Mann begehrt. Weshalb man beim Duschen nach dem Spiel immer aufpassen sollte, wenn man sich nach der Seife bückt, man weiß ja nie, wer hinter einem steht. Diese Angstlust-Variante der Homophobie gibt es natürlich auch bei den Profis, bloß sind nicht alle so naßforsch wie Albert Streit. Der Mittelfeldspieler der Frankfurter Eintracht geriet beim Bundesligaspiel gegen den Hamburger SV im September in einen prekären Zweikampf mit seinem Gegenspieler Timothee Atouba. Streit hielt sich an Atoubas Hose fest, und es sah ganz so aus, als wolle er testen, ob der schwarze Mann tatsächlich so mächtig ist im Gemächt, wie immer wieder behauptet wird. (Unvergessen Lothar Matthäus, der am Flughafen den Spielerinnen einer Basketballmannschaft zurief: »Unser Schwarzer hat so’n Langen« und dabei mit entsprechenden Gesten auf seinen kolumbianischen Mitspieler Adolfo Valencia deutete.) Atouba wehrte sich mit einem Ellenbogencheck gegen Streits Kopf. Auf die Frage, warum er seinem Gegenspieler in die Geschlechtsteile gegriffen habe, erklärte Streit, das sei ein normaler Zweikampf gewesen und bekräftigte: »Ich bin doch nicht schwul.« Es klang wie »Ich bin doch nicht blöd« aus der Mediamarkt-Werbung.
Aber es klang auch ein bißchen nach putativer Notwehr. Vielleicht glaubte Streit, sich wehren zu müssen gegen den ominösen Verdacht. Einer, der so filigran spielt, so zart und elegant mit der Kugel umgeht, der so leicht fällt, wenn er attackiert wird von größeren und stärkeren Männern, der als kapriziös und divenhaft gilt, der seine Strähnchen und Hörnchen immer in bester Beckhamscher (Un-)Ordnung hält, so einer gerät schon mal unter Verdacht. So wie vor ihm Marcelinho, Roque Santa Cruz und Scholl, attraktive und filigrane Spieler, aber auch launisch und verletzungsanfällig – Weicheier.
Da ist Gerald Asamoah ein ganz anderer Typ. Der schwärzeste Mann, der je für Deutschland spielte, ein Bündel Kraft auf zwei Beinen, und was er zwischen diesen Beinen trägt, das möchte man gar nicht wissen als weißer Mann, der Angst hat vor des schwarzen Mannes Potenz. Zu Hause bei Schalke 04 lieben sie ihn für seine Spielweise, sie nennen ihn »Kampfschwein« und bewundern die sexuell aufgeladene Selbstgewißheit, die sie in ihrem Asamoah zu erkennen glauben. Logisch, daß er von gegnerischen Fans noch ein bißchen mehr gehaßt wird als andere schwarze Spieler. Im Herbst 2006 entlädt sich dieser Haß in Rostock, als jeder Ballkontakt des eben noch als WM-Held Gefeierten von Affenlauten begleitet wird. Asamoah droht mit Rücktritt aus der Nationalmannschaft, auch das ein Akt von provozierender Selbstsicherheit, schließlich zählt er nicht zu den unersetzlichen Stammspielern. Aber offenbar weiß er um die symbolische Kraft so einer Drohung.
Ein paar Monate nach dem Spiel in Rostock interviewe ich Gerald Asamoah im Bauch des Schalker Stadions. Das heißt nach dem Bier, für das der ehemalige Manager Rudi Assauer in heiter-selbstironischen Ich-bin-ein-Macho-und-ich-steh’-dazu-Spots wirbt. Da trinkt ihm seine Schauspieler-Gattin Simone Thomalla das letzte Bier weg. Wenn Bon Jovi Stadionrock sind, dann ist das Stadionhumor mit postfeministischem Effet. Asamoah erzählt vom Sommermärchen, DJ Asa in der Kabine legt Xavier Naidoo auf, schwarze Deutsche, geliebt in Deutschland. Dann der Rostock-Rückschlag. Ich erwähne die »Rund«-Ausgabe zu Homosexualität. Asamoah lacht.
»Sie lachen! Dabei wurde vorgerechnet, daß es statistisch in jeder Bundesligamannschaft ein bis zwei Schwule geben müßte. Aber offiziell gibt es in 44 Jahren Bundesliga keinen einzigen schwulen Fußballer. Oder kennen Sie einen?« Asamoah lacht weiter: »Ja, ich habe diesen Artikel auch gelesen, aber ehrlich gesagt kenne ich keinen Fußballer, der homosexuell ist. Es könnte vielleicht welche geben, es gibt ja so viele Fußballer, aber ich kenne keinen, und ich glaube auch nicht, daß einer – wenn es einen gäbe – sich dazu bekennen würde.«
»Was würde passieren, wenn ein Spieler von Schalke 04 mit seinem Freund oder Ehemann zur Weihnachtsfeier kommen würde?« Asamoah (lacht noch mehr): »Es würde einfach komisch sein, weil man so was noch nie erlebt hat. Natürlich habe ich schon Homosexuelle gesehen, aber noch keine Fußballer. Deshalb wird das schon ein dickes Ding sein, wenn ein Spieler Hand in Hand mit einem Kerl zu einem Teamtreffen kommt. Aber das wird sich auch kein Spieler trauen.«
»Also würden Sie einem homosexuellen Profi nicht raten, sich zu outen?« – »Na ja, jeder muß wissen, was er tut. Wenn einer sich bekennt, der wird’s am Anfang nicht leicht haben und auf dem Platz bestimmt auch angemacht werden. Auf dem Platz versucht jeder erfolgreich zu sein und mit allen Mitteln den Gegenspieler zu bekämpfen. Und wenn einer den Schwachpunkt des Gegners kennt, dann wird er darauf herumreiten.« Wie würden die Fans reagieren, wenn der Publikumsliebling Asamoah sagen würde: ›Ich hab’ mich in einen Mann verliebt?‹« Asamoah (lacht): »Ich weiß nicht, aber ich glaube, das wird auch nicht passieren.«
Wie sensibel die Bundesligavereine auf das Thema reagieren, das belegt die Reaktion der Schalker Pressestelle. Bei der obligatorischen Autorisierung des Interviews werden möglicherweise mißverständliche oder anzügliche Stellen gestrichen, so weit, so normal. Weniger normal, daß der eifrige Schalker Presseoffizier sich nicht auf Asamoahs Aussagen beschränkt, sondern in den Begleittext eingreift: Jedes »Lachen«, »lacht« und »lacht anhaltend« von Asamoah wird getilgt. Gerald lacht nicht, wenn er über Schwule redet.
Ein paar Monate nach diesem Interview gibt es wieder Ärger um Asamoah. Beim traditionell hochaufgeladenen Ruhrpott-Derby zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund prallt der Schalker Stürmer mit dem Dortmunder Torwart Roman Weidenfeller zusammen – schmerzhaft für beide. Es folgt ein Wortwechsel, man droht ein bißchen, nichts Besonderes in so einem Match. Nach dem Spiel aber behauptet Asamoah, von Weidenfeller rassistisch beschimpft worden zu sein. Den genauen Wortlaut verrät er nicht, aber mit Hilfe von Lippenlesern wird ermittelt, daß Weidenfeller ihn wohl als »schwarzes Schwein« bezeichnet hat. Der Beschuldigte bestreitet eine rassistische Beleidigung, Asamoah besteht auf seiner Version, es kommt zur Verhandlung vor dem Sportgericht. Und zu dem, was der Deutsche Fußball-Bund als salomonisches Urteil auf der Habenseite verbuchen möchte. Weidenfeller wird zu einer Sperre von drei Spielen und einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt. Wofür genau er verurteilt wird, das bleibt unklar. Der Wortlaut seiner Beleidigung wird nicht bekanntgemacht, offenbar haben sich alle Beteiligten auf ein Schweigegelübde geeinigt. Die Funktionäre von Borussia Dortmund werten das Urteil als Beweis dafür, daß Weidenfeller Asamoah zwar beleidigt habe, aber eben nicht rassistisch. Höchstens ein bißchen homophob. Inzwischen haben nämlich weitere Lippenleser herausgefunden, daß Weidenfeller Asamoah nicht als schwarzes, sondern als »schwules Schwein« beschimpft haben könnte – die dritte Variante »Schwabbelschwein« lassen wir mal außen vor. Mit diesem Kompromiß können, so scheint es, alle Beteiligten leben. Weidenfeller hat seine erträgliche Strafe und den Persilschein – er ist kein Rassist. Asamoahs Anzeige wurde verfolgt, der Täter bestraft. Der DFB hat Tatkraft und Entschlossenheit im Kampf gegen Rassismus demonstriert.
Was bleibt, ist der Eindruck, daß die Beleidigung »Schwules Schwein« weniger schlimm und also weniger teuer ist als die Beleidigung »Schwarzes Schwein«. Es gab dann noch ein paar Kommentare, die auf diese Schieflage hingewiesen haben, aber im großen und ganzen schienen doch alle froh zu sein, aus dieser Sache halbwegs unbeschädigt rauszukommen. Schwule lassen sich offenbar leichter und folgenloser beleidigen als Schwarze, weil sie immer noch unsichtbar sind. Wenn jeder Klub zwei, drei schwarze Spieler in seinen Reihen hat, dann richtet sich die Rede vom schwarzen Schwein zwangsläufig gegen die eigenen Leute. Solange es keine sichtbar schwulen Profis gibt, geht das »Schwule Schwein« als Kavaliersdelikt durch. ?
Klaus Walter nahm in KONKRET 5/07 Stellung zur Debatte um die Freilassung ehemaliger RAF-Mitglieder