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Kein Grund zu feiern

23.05.2013 12:57

Anläßlich des 150. Geburtstages der Sozialdemokratie bat KONKRET Ex-Parteimitglieder um Grußworte an die SPD.

Ultrapragmatiker

Die sogenannten Ostverträge, Entspannung im Kalten Krieg waren Anfang der Siebziger Grund genug einzutreten. Dann hagelte es Gründe auszutreten: Berufsverbote, Aufrüstung, Raketenstationierung, Helmut Schmidts Wende zum Neoliberalismus. Wer nicht blauäugig war, erwartete nichts anderes. Das war und ist die SPD. Erst als der Freund, Mentor und Genosse Karl-Heinz Hansen wegen eines Beitrags für KONKRET rausgeschmissen wurde, bin ich auch gegangen.

Zwanzig Jahre danach gab Generalsekretär Olaf Scholz das Programmziel »demokratischer Sozialismus« zum Abschuß frei. Sonst täte man ja so, als ob eine andere Lebensform als der Kapitalismus denkbar wäre. Die sogenannte Linke in der SPD war darauf so empört, daß Frau Nahles den Scholz einen »Ultrapragmatiker« nannte. So sind sie.

– Werner Heine, KONKRET-Autor


Wer hat uns verraten? Degeneraten

Zu der Partei fällt mir nichts mehr ein: Von Bebel hängt nur der Hut noch am Haken. Darunter nichtet das Nichts der Degeneraten: Peer Goldmund, Gerd Gazprom, Thilo Rassist und Konsorten …

– Karl-Heinz Hansen, ein Gewesener (Mitglied des Deutschen Bundestages) bis 1981

 

Sozialdemokratie peervers

Die deutsche Sozialdemokratie ist eine traditionsbewußte Partei, deren über weite Strecken ruhmreiche Geschichte einen großen Schatten auf ihren gegenwärtigen Zustand wirft und auch die politischen Zukunftsperspektiven düster erscheinen läßt. Selten, ja vielleicht nie zuvor wirkte die Partei so rat-, saft- und kraftlos wie heute.

Obwohl die SPD weit über 100 Jahre lang eine Partei der kleinen Leute war, hat sie mit Peer Steinbrück einen Kanzlerkandidaten gekürt, der als Mann des großen Geldes erscheint. Es ist kaum anzunehmen, daß die Ortsvereinsmitglieder engagiert für einen Spitzenkandidaten in den Wahlkampf ziehen, der sich von Angela Merkel primär dadurch unterscheidet, daß er zuletzt mit von Banken, Stadtwerken und anderen Institutionen bezahlten Reden erheblich mehr Geld verdiente als die Bundeskanzlerin.

Daß sich die SPD ohne nennenswerten Widerstand auf Steinbrück einschwören ließ, zeigt nur zu deutlich, wie wenig sie aus den Erfahrungen mit ihren Altkanzlern Helmut Schmidt und Gerhard Schröder sowie ihrem eigenen Niedergang seit dessen »Agenda 2010« und den sog. Hartz-Gesetzen gelernt hat. Klarer als Steinbrück hat kein Sozialdemokrat je die Abkehr von der ursprünglichen Parteiprogrammatik, den Bruch mit dem Sozialstaatsgebot unserer Verfassung sowie die Hinwendung der Parteirechten zum Neoliberalismus formuliert: »Soziale Gerechtigkeit muß künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muß sich Politik kümmern.«

Mit einem solchen Kanzlerkandidaten gibt es keine Rückkehr zu den sozialdemokratischen Parteitraditionen und Grundwerten wie der sozialen Gerechtigkeit. Der SPD fehlen visionäre Konzepte und Alternativen zum bisherigen Regierungskurs. Um eine Aufbruch- bzw. Wechselstimmung zu erzeugen, müßte sie die aufgrund der globalen Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise bestehende »Mehrheit links von der Union« (Willy Brandt) mobilisieren.

– Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler an der Universität zu Köln, verließ die SPD 2005 aus Protest gegen die Agenda-Politik; letzte Buchveröffentlichungen: Armut in einem reichen Land, Armut im Alter (beide Campus) und Krise und Zukunft des Sozialstaates (VS)

 

Sie war immer gut zu mir

1962 trat ich in die SPD ein. Das war nach Godesberg, aber ich hatte Grund zur Dankbarkeit. Das sozialdemokratisch regierte Hessen, wo ich aufwuchs, war so etwas wie das deutsche Schweden. Früher als in anderen Bundesländern war dort das Schulgeld für Gymnasien abgeschafft worden. Als ich 1964 in den SDS ging, hätte ich das nicht gedurft, denn 1961 hatte die SPD die gleichzeitige Mitgliedschaft in ihr und in diesem Verband verboten. Aber im Ortsverein Frankfurt/Main-Westend, der für mich zuständig war, kümmerte man sich nicht darum. In einem Leserbrief an die »Frankfurter Rundschau « empörte ich mich darüber, daß Erich Ollenhauer von Bundeswehr zu Grabe getragen wurde. Der SDSler Peter Märthesheimer, Tutor des Walter-Kolb-Studentenhauses, das nach einem sozialdemokratischen Frankfurter Oberbürgermeister benannt war, wunderte sich: Ich müsse doch wissen, was von der SPD zu halten sei. Ob ich etwa Illusionen habe? Auf der Uni las ich Marx, und in Marburg bei Wolfgang Abendroth hörte ich Dinge, die nicht im Godesberger Programm standen. Der SDS kritisierte die allmähliche Annäherung der SPD an die Notstandsgesetze.

Aber Wolfgang Abendroth sagte, aus der Partei trete man nicht aus, sondern man verhalte sich so, daß man ausgeschlossen werde, wie er 1961/62. Dazu fand ich keine richtige Gelegenheit. 1966 schickte ich mein Parteibuch zurück, wegen der Großen Koalition. Hätte Peter Märthesheimer das gewußt, wäre er wohl erneut über meine Aufgeregtheit erstaunt gewesen. Aber ich war im Ausland und deshalb Abendroths besänftigendem Einfluß entzogen.

Nach meiner Rückkehr bekam ich eine Einladung zur Mitgliedersammlung des Marburger Kreisverbandes, die ich mir mit einem schnöden Brief verbat. Der örtliche Parteivorsitzende, damals links, als Oberbürgermeister später auf dem rechten Flügel, nannte das töricht: Diese Informationsquelle hätte ich mir doch offenhalten sollen. Ich habe der SPD nichts vorzuwerfen. Sie war immer gut zu mir und trägt keine Schuld an meinen Häutungen.

– Georg Fülberth, Politikwissenschaftler und KONKRET-Autor, seit 1974 DKP-Mitglied

 

Die SPD schafft sich ab

Seit der Gründung des allgemeinen deutschen Arbeitervereins und seiner Neukonstituierung als Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist diese politische Kraft aus der europäischen Geschichte nicht wegzudenken: Es war diese SPD, die die geschlagene Großmacht Deutschlands nach 1918 mit allen Mitteln als Nationalstaat zusammenhielt, es war diese SPD, die schon auf verlorenem Posten die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz des Reichkanzlers Adolf Hitler verweigerte. Es war diese SPD, die in den sechziger Jahren die DDR geradezu umarmte und damit letzten Endes zum Untergang brachte.

Es war aber auch ein führendes Mitglied der SPD, nämlich August Bebel, der in seiner Villa am Zürichsee den britischen Militärattaché empfing, um ihn über Aufbau und Ausbildung der kaiserlichen Marine umfassend ins Bild zu setzen. Es war die Fraktion der SPD, die ihren eigenen Reichskanzler Hermann Müller, der pflichtgemäß einen Antrag auf Bau des Panzerschiffs »Deutschland« eingebracht hatte, im Reichstag stürzte, womit sie den kollektiven Selbstmord der demokratischen Parteien einleitete.

Mich ärgerte die Haltung des Parteipräsidiums nach Erscheinen von Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab außerordentlich: Aufgrund seiner schlicht falschen Auslassungen unter anderem über Genetik rückt er der Erbgesundheitslehre der Nationalsozialisten bedenklich nahe. Wohlgemerkt, Sarrazin ist kein tobender Neonazi, sondern ein Berufsbeamter und früherer Finanzsenator des Landes Berlin; und es geht hier nicht allein um herablassenden Umgang mit Einwanderern, sondern um die Kränkung von Millionen Menschen in Deutschland. Mir kann nicht gleichgültig sein, daß das Präsidium des Parteivorstandes der SPD zuerst mit allen Mitteln Ortsvereine ermutigt, Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin anzustrengen, um sie dann mit derselben Hast zu unterdrücken. Deshalb bin ich 2011 aus der Partei ausgetreten.

– Mehmet Tanriverdi, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland (Bagiv e.V.)


Kalter Entzug

Ees war Anfang der Siebziger in Charlottenburg zu Westberlin. Alles organisierte sich, da wollte ich auch. Aber in die linksradikal-studentischen Organisationen traute ich mich nicht. Ich wurde SPD-Mitglied. Dann kam der Radikalenerlaß unter Willy Brandt. Ich war perplex, stand doch meine Gattin im Studium zur Volksschullehrerin. Stante pede beschloß ich die Mitgliedsbeitragssäumnis bis zum Exzeß und wurde soo die SPD auf kaltem Wege wieder los.

– Horst Tomayer, KONKRET-Hausdichter

 

Dankesgrüße an Lassalle?

Die SPD, so will es das Parteimanagement, feiert in diesem Jahr ihr 150jähriges Bestehen, 1863 sei sie in Leipzig gegründet worden. Konstituiert hat damals Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV). Es ließen sich andere Geburtstage der deutschen Sozialdemokratie wählen: 1869 in Eisenach die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) unter August Bebel und Wilhelm Liebknecht oder 1875 in Gotha der Zusammenschluß von Lassalleanern und »Eisenachern« zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) oder auch 1890 in Halle die Neugründung nach dem Ende des verfolgerischen Sozialistengesetzes, nun unter dem Namen Sozialdemokratische Partei, mitsamt dem dann 1891 in Erfurt beschlossenen neuen Programm.

Gab es sie überhaupt – »die Geburtsstunde« der SPD? Und existierte historisch, wenn man auf politische Inhalte den Blick richtet, »die« deutsche Sozialdemokratie? Als eine Partei, in der Rosa Luxemburg wirkte? Oder als die, in der Gustav Noske Karriere machte?

Im Bundestagswahljahr 2013 hat sich der SPD-Vorstand für das Lassalle-Jubiläum entschieden. Ein passender Anlaß, dieser Partei für ihre weiteren Lebensjahre Glück zu wünschen? Welche Gedanken im Willy-Brandt-Haus mit der Wahl des Geburtsdatums der Partei verbunden waren, wissen wir nicht. Unwahrscheinlich ist, daß die organisierte Erinnerung an den Gründer des ADAV dazu dienen könnte, für den aktuellen Spitzenkandidaten der SPD mit einem historischen Persönlichkeitsbild Reklame zu machen. Ein Dramenautor, Frauenheld, zeitweiliger Gefängnisinsasse, der aus amourösen Gründen zum Duell herausgefordert hat und dadurch zu Tode gekommen ist – dieses Profil läßt sich nicht so recht mit Steinbrück assoziieren. Aber vielleicht besteht eine politische Verwandtschaft?

Lassalle, der ideell durchaus vielseitig war, hatte einige programmatische Angebote für sein Publikum, den »Arbeiterstand«: Zunächst einmal forderte er das allgemeine gleiche Wahlrecht. Für Männer jedenfalls. Das ist seit längerem eingeführt, inzwischen sogar für Frauen; Steinbrück wird diese Errungenschaft nicht rückgängig machen wollen, auch wenn er angesichts der demoskopischen Lage vermutlich Zweifel an der Kompetenz des Wahlvolkes hat, insbesondere des weiblichen. Praktisch läßt sich sagen: Ob nun Lassalle oder Steinbrück, das Thema gibt nichts mehr her, alle dürfen wählen, was sie damit erreichen, ist eine andere Sache.

Sodann verlangte Lassalle die Einrichtung von Produktivgenossenschaften für Arbeiter, mit staatlicher Förderung, damit diese aus dem »ehernen Lohngesetz« sich lösen könnten, über das Existenzminimum hinauskämen. Möglicherweise war dieses Projekt nicht so ernst gemeint, eher zur agitatorischen Verwendung gedacht; aber wie auch immer, Steinbrück braucht das nicht, in seinem Wahlprogramm tritt ja der gesetzliche Mindestlohn auf.

Interessanter sind die Vorstellungen, die Lassalle über das geeignete Politiksystem hatte. Otto von Bismarck, mit dem er konspirierte, hat ihm attestiert: »Er war durchaus nicht Republikaner, er hatte eine sehr ausgeprägte nationale und monarchische Gesinnung.« Und Lassalle hatte 1863 an Bismarck geschrieben, wahr sei, »dass sich der Arbeiterstand instinktmäßig zur Diktatur geneigt fühlt«; allerdings müsse er davon überzeugt werden, dass »dieselbe in seinem Interesse ausgeübt« werde. Preußen-Deutschland als autoritäres Staatswesen, mit einer sozialen Komponente, legitimiert durch Volkswahlen und so fähig zur Machtentfaltung nach außen – das war der lassalleanische Entwurf in jener »Geburtsstunde der Sozialdemokratie«, die nun gefeiert werden soll. Ob Steinbrück der richtige Mann wäre, ihn in die Postmoderne zu übertragen, sei dahingestellt.

Historisch betrachtet: Als 1914 Führer der deutschen Sozialdemokratie und der dieser nahestehenden Gewerkschaften sich für das Bündnis mit den politischen, industriellen und militärischen Machteliten entschieden und den »Kriegssozialismus« propagierten, konnten sie an die Ideenwelt von Lassalle anknüpfen. Beiseite geräumt hatten sie damit die programmatische Substanz des Erfurter Programms der Sozialdemokratie, die Einsicht in den Konflikt der Klassen und das Postulat des Internationalismus.

Das »Geburts«-Ereignis 1863 – zu jubilieren gibt es da nichts. Einer SPD, die Lassalle als ihren Erzeuger würdigt, ist nicht zu gratulieren.

– Arno Klönne, seit 1961 einer der Sprecher der Ostermarsch-Kampagne; Mitherausgeber der Zweiwochenschrift »Ossietzky«; Autor von Die deutsche Arbeiterbewegung (DTV); ab 1952 SPD-Mitglied, ausgetreten nach der Herbert-Wehner-Rede für die Nato-Politik 1961, erneut Mitglied 1971, endgültiger Austritt 2004 in Reaktion auf Schröders Agenda-Politik

 

Süßer Trost

Im Hause meines ersten »Arbeitgebers«, Rudolf Augstein, herrschte Schlipspflicht, und die Mitgliedschaft in der SPD oder einer Gewerkschaft galt als piefig, unfein, nicht »Spiegel«-like. Was blieb einem wie mir anno 1968 übrig, als zur täglichen Konferenz der Ressortleiter in einer Jacke von Levi’s zu erscheinen sowie der sozialdemokratischen Partei und der IG Druck und Papier beizutreten?

Ausgetreten aus der Partei bin ich in der Nacht vom 9. November 1989, als sich die Abgeordneten der SPD im Bundestag erhoben, um zur Feier des Mauerfalls zusammen mit denen der CDU/CSU, der FDP und (bis auf drei Ausnahmen) der Grünen das Deutschlandlied zu singen – wie zuletzt im Mai 1933 im Reichstag zusammen mit der NSDAP nach der »Friedensrede« des Führers und Reichskanzlers. Ein halbes Jahr später, im Juli 1990, schrieb ich dem Vorsitzenden meiner inzwischen umbenannten Gewerkschaft: »Ich trete aus der IG-Medien aus, weil ich nach den Erklärungen von Ernst Breit und anderen hohen DGB-Funktionären, sie wollten die Vereinigung der Gewerkschaften der BRD und der DDR noch schneller herbeiführen als die staatliche Vereinigung, damit rechnen muß, während des Urlaubs oder einer Reise, also quasi über Nacht, etwas zu werden, was nie werden zu wollen oder zu müssen den Sinn meiner Arbeit ausgemacht hat: Mitglied eines gesamtdeutschen Vereins.«

Was ich in den gut zwanzig Jahren dazwischen gemacht habe? Im Ortsvereinsvorstand der Gewerkschaft gestänkert und immer wieder zur Wahl des mir damals kleiner erscheinenden Übels aufgerufen, denn eine Wahlkabine sei kein Beichtstuhl – also Augen zu und durch! Heute tröstet mich, daß ich selber es nie geschafft habe, mich an meinen schlauen Rat zu halten.

– Hermann L. Gremliza, KONKRET-Herausgeber

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