14.08.2017 11:42
In Charlottesville ist der Teilnehmer einer rechtsextremen Kundgebung mit seinem Auto in die Gegendemonstranten gerast und hat eine Frau ermordet. Donald Trump beklagte daraufhin Gewalt „von vielen Seiten“. Johannes Simon schrieb in konkret 1/17 über Trumps autoritären Nationalismus.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass Nixon wirklich die Wahl gewonnen hat. Ich kenne niemanden, der für ihn gestimmt hat!« So soll die Theaterkritikerin Pauline Kael auf Nixons Wahlsieg 1972 reagiert haben. Das Zitat ist falsch, wird aber von Konservativen immer wieder bemüht, um die Abgehobenheit der »liberalen Eliten« zu illustrieren, die einfach keine Ahnung hätten, wie »echte Amerikaner« ticken. So ganz unrecht hatten sie damit nie – das gilt besonders auch fürs Jahr 2016. Der Schock des Trump-Siegs sitzt tief im liberalen Lager. Wer sind diese Leute, fragt man sich, die eine rassistische Witzfigur zum Präsidenten gemacht haben? Man hatte sie schließlich gewarnt. Hillary Clintons Wahlkampf bestand fast ausschließlich darin, Trump als einen Extremfall zu inszenieren, der mehr mit Putin und dem Ku-Klux-Klan zu tun hat als mit der ehrwürdigen Tradition des amerikanischen Konservatismus. »Das ist nicht Konservatismus, wie wir ihn kennen. Er ist kein normaler Republikaner«, sagte sie in einer vielbeachteten Rede. Vielmehr stehe Trump für »eine gerade entstehende rassistische Ideologie, die man Alt-Right nennt«. Wichtigstes Beweisstück war und ist Trumps Wahlkampfleiter und Chefstratege Stephen Bannon, der seine Nachrichtenseite »Breitbart News« als »Plattform der Alt-Right« bezeichnete. Clinton nannte ein paar Schlagzeilen von »Breitbart«. Eine hieß: »Hängt sie hoch und seid stolz: Die Konföderierten-Flagge verkündet ein glorreiches Erbe.« Eine andere: »Soll dein Kind lieber an Feminismus oder an Krebs erkranken?«
Vermutlich hat sich niemand mehr über Clintons Rede gefreut als Milo Yiannopoulos, der Mann, von dem die meisten der von Hillary genannten Überschriften stammen. Als bekanntester Kommentator bei »Breitbart« ist er ein sehr unwahrscheinlicher Champion der völkischen Rebellion. Die selbsterklärte »gefährliche Schwuchtel« ist ein junger, stylischer schwuler Brite mit blondierten Haaren. Für seine Fans ist er die »Queen of the Alt-Right«, die für sie in den Kampf gegen Feminismus und die politisch-korrekte Meinungsdiktatur zieht. Er tourt durch amerikanische Universitäten, hält Vorträge darüber, dass Transsexuelle psychisch krank sind, dass Frauen nur lesbisch werden, wenn sie keinen Mann abkriegen, und spendet den wahren Opfern der Unterdrückung – den weißen Männern – Trost und Hoffnung: »Die Zeiten, in denen man uns einfach Rassisten nennen kann, sind vorbei!«
Ein neuer Tag bricht an in Amerika, denn »Daddy« (wie Yiannopoulos Trump nennt) hat die Macht übernommen. Beim Nominierungsparteitag der Republikaner sprach Milo unter dem Banner »Gays for Trump«; außerdem dabei waren der »Pick-up-Artist« und »Männerrechtler« Daryush Valizadeh (auch »Roosh V.« genannt) sowie Richard Spencer, der gelackte »white supremacist«, der kurz nach Trumps Wahlsieg bei einer Rassistenkonferenz in Washington »Heil Trump« schrie und aus dem Publikum mit Hitlergruß zurückgegrüßt wurde. Das ist das merkwürdige Internetphänomen »Alt-Right« auf einem Punkt: Frauenhass, Rassismus und Schamlosigkeit als Prinzip.
Richard Spencer, der von der »weißen Rasse« als Fundament der europäischen Zivilisation spricht und den »weißen Ethnostaat« fordert, prägte den Begriff »Alternative Right« bereits 2010. Ab 2015 tauchte das merkwürdige Wort »Cuckservative« in den rechten Medien auf, als Beleidigung für Konservative, die sich dem liberalen Mainstream andienen. Amerikanische Journalisten, die inzwischen wie überlastete 20jährige wirken, die ausschließlich über Twitter berichten, machten sich sofort auf Spurensuche. Was sie fanden – und in die Öffentlichkeit hievten –, war eine »Subkultur« von Online-Trolls und Twitter-Nazis, die Feminismus genauso hassen wie das konservative Establishment. »Cuckservative« war ein zentraler Code der Alt-Right und erfasst ziemlich gut das weiße, männliche Ressentiment, das sie antreibt: Das Wort ist einem populären Porno-Genre entlehnt, in dem ein schwächlicher Mann zusieht, wie seine Frau Sex mit einem anderen, meist schwarzen Mann hat (»Cuckold« heißt »Betrogener«).
Ein anderer »Meme« der Alt-Right ist der Comic-Frosch »Pepe«, der zum inoffiziellen Symbol der Trump-Revolution avancierte. Er stammt aus der Online-Community »4chan«, dem Sumpf, aus dem auch die Alt-Right kroch. Dort treffen sich Nazis, verwahrloste Nerds und immer wieder auch waschechte Amokläufer, um sich über ihren Hass auf die Welt auszutauschen. Als Richard Spencer seine Rede mit »Heil Trump« beendete, wandte er sich noch mal ans Publikum und schrie: »Pepe!« Alt-Right ist ein Begriff, der viel in einen Topf schmeißt. Bezeichnet man damit den offen xenophoben Nationalismus und die allgemeine Verrohung, die sich mit Trump in der amerikanischen Rechten ausbreitet, liegt man nicht ganz falsch. Gleichzeitig ist Alt-Right ein verniedlichendes Label, das Nazis wie Richard Spencer nutzen, um sich in die Öffentlichkeit trauen zu können. Unterstützt werden sie dabei von substanzlosen Provokateuren wie Yiannopoulos, der Spencer als »gefährlich klugen Intellektuellen« verharmlost, dabei aber stets aufpasst, dass er sich nicht selbst direkt mit offenen Rassisten gemeinmacht.
Die Alt-Right fügt sich in das global wachsende Verlangen, die egalitären Prätentionen des Liberalismus abzuschütteln, die »Hypermoral« und die Political Correctness zu überwinden. Für die moderne Rechte ist jeder noch so zaghafte Versuch, die Welt zu einem etwas zivilisierteren Ort zu machen, Teil eines repressiven Lügengebäudes. Wie im Film »Matrix« müsse man die »rote Pille« nehmen, um die Wahrheit zu sehen: Macht, Privilegien und Herrschaft sind natürlich, alle Versuche, sich dagegen zu wehren, pervers. Der von den »Männerrechtlern« stammende Begriff der »roten Pille« meint die Erkenntnis, dass Frauen minderwertige Wesen sind, die sich starken Männern unterwerfen wollen; für Martin Sellner, Chef der österreichischen Identitären, ist es die »Multikulti-Meinungsdiktatur«, die überwunden werden muss, der ungarische Ministerpräsident Orbán spricht von der »Diktatur der liberalen Intellektuellen«, der mit der Wahl Trumps eine erste Niederlage beigebracht worden sei.
Richard Spencer versucht offensichtlich, so etwas wie ein amerikanischer Martin Sellner zu werden, der bei harmlos wirkenden Auftritten Faschismus in den Mainstream trägt. Doch haben die hiesigen Identitären den Vorteil, dass sich ihr »Ethnopluralismus« kaum von den Ressentiments des Durchschnittsdeutschen unterscheidet. Spencer hat es nicht so leicht, er kann sich nicht hinter »Identität« verstecken, sondern muss offen von der »weißen Rasse« sprechen. Damit wird er in den USA kaum eine Chance haben. Seine Erwartung, Einfluss auf Trump nehmen zu können, outet ihn als Witzfigur. Trump ist ihm und den anderen »white supremacists«, die sein Erfolg ermutigt hat, nichts schuldig; auf Nachfrage hat er sich von ihnen distanziert und ignoriert sie im Übrigen.
Stephen »Steve« Bannon ist leider keine Witzfigur. Der »Breitbart«-Chef und wichtigste Berater des nächsten US-Präsidenten ist der Architekt von Trumps Wahlsieg. Vor Monaten prognostizierte er, dass Trump in den entscheidenden »Rustbelt«-Staaten des deindustrialisierten Mittleren Westens gewinnen könnte, und richtete den Wahlkampf entsprechend aus. Er inszenierte Trump als Volkstribun, als Anführer einer »Bewegung« der Vergessenen und Verachteten im Kampf gegen eine korrupte, arrogante Elite. Damit war Clinton die perfekte Gegnerin. Hat man vor der Wahl oft gehört, Trump sei der einzige Kandidat, gegen den Hillary eine Chance habe, weiß man jetzt, dass das andersherum auch stimmt. So wie die häufig tatsächlich über die Stränge schlagenden Tugendwächter an amerikanischen Colleges es Milo Yiannopolous leichter machen, seine schäbige Pseudorebellion aufzuführen, war Clinton ziemlich nah dran an der rechten Karikatur einer Elite, die mit wohlfeiler Rhetorik von Toleranz und Diversity verschleiert, dass durchschnittliche Amerikaner für sie kaum mehr sind als Hindernisse, die es im Wahlkampf zu überwinden gilt.
Für Bannon ist Trumps Wahlsieg eine Zeitenwende: »Wir werden eine vollkommen neue politische Bewegung aufbauen«, sagte er »Hollywood-Reporter«. »Die Konservativen werden am Rad drehen. Ich pusche einen billionenschweren Infrastrukturplan. Es wird so aufregend wie in den Dreißigern, größer als die Reagan-Revolution – Konservative plus Populisten, in einer ökonomischen, nationalistischen Bewegung.« Doch wer ihn da beim Wort nimmt, geht ihm womöglich auf den Leim. Bannon ist in erster Linie Propagandist, kein Ideologe. Und Trump, »Breitbart News« und die »softe« nationalistische Alt-Right, die sie repräsentieren, sind eine neue ideologische Mutation der amerikanischen Rechten. Der christlich grundierte Konservatismus mit seinem Pathos von Freiheit und Verfassung, der mit Reagan an die Macht kam und sich in der Tea Party radikalisierte, scheint Geschichte zu sein – gestorben, als Trump die Bühne betrat und Ted Cruz feuerte. Doch der Schein trügt. Trump ist nur der populistische Zeremonienmeister der konservativen Elite, ein Entertainer, der denselben alten Tea-Party-Dreck verkauft.
Bannon wuchs in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf, seine Eltern wählten die Demokraten. Zum konservativen Nationalismus kam er, als er in den späten Siebzigern als Marineoffizier im Persischen Golf stationiert war und mitbekam, wie sich der Demokrat Carter vom Iran vorführen ließ. Reagan war und bleibt ein Held für ihn. Nach dem Besuch der Harvard Business School und einigen Jahren bei Goldman Sachs machte sich Bannon als Investmentbanker in Hollywood selbständig und begann, politische Filme zu produzieren. Der erste, bei dem er selbst Regie führte, war ein kitschiges Heldenepos über Reagan, bei dessen Premiere er 2005 den begeisterten Andrew Breitbart traf, einen damals noch unbekannten konservativen Journalisten. Die beiden trafen sich in ihrer Auffassung von Politik als Kulturkampf. »Politik liegt stromab von der Kultur«, wie Breitbart oft zitiert wird. Bannon half mit Geld und Managementerfahrung, als sein Freund begann,
»Breitbart News« aufzubauen, und saß von Anfang an mit im Vorstand. »Breitbart News« wurde rasch eine Größe in der konservativen Medienwelt. Mit finanzieller Unterstützung einiger anonymer Investoren (unter anderem vermutlich Hedgefonds-Manager Richard Mercer, der auch in Ted Cruz investierte) avancierte die Seite zu einem medialen Schlägertrupp der Rechten. Erste Lorbeeren verdiente man sich mit einem Angriff auf Acorn, eine Organisation, die seit den Siebzigern für die Rechte von Minderheiten und sozial Schwachen kämpft. Ein als Zuhälter verkleideter konservativer Aktivist ging für »Breitbart« zu einem Acorn-Büro und versuchte, Steuertipps für sein »Unternehmen« zu erhalten. Die mit versteckter Kamera gefilmten Videos wurden – stark manipuliert – bei »Breitbart« veröffentlicht. Gerichte sprachen Acorn später von jeglichem Fehlverhalten frei, doch bis dahin hatten die rückgratlosen Demokraten, allen voran Barack Obama, schon ein Gesetz unterzeichnet, das jede Finanzierung Acorns durch die Regierung beendete. Acorn musste schließen, und Breitbart wurde als »Medienrebell« gefeiert.
Eine besondere Obsession Breitbarts war Occupy Wall Street. Er unterstützte Bannon, als dieser den Film »Occupy Unmasked« drehte, der zeigen wollte, dass hinter der Bewegung eine knallharte Verschwörung stünde, die das Ziel habe, die »amerikanische Regierung zu zerstören«. Bevor er nach Breitbarts Tod 2012 direkt die Leitung von »Breitbart News« übernahm, drehte Bannon eine Reihe von Dokumentationen, die ihm das Lob seines Förderers einbrachte, er sei »die Leni Riefenstahl der Tea Party«.
Diese Filme waren opportunistische Propagandastücke, doch es lohnt sich, sich zum Beispiel »Generation Zero« von 2010 anzuschauen. Bannon nannte den Film sein wichtigstes politisches Statement; er zeigt vermutlich, was Bannon – der Medienberichten zufolge mal vorschlug, das Wahlrecht auf Menschen mit Grundbesitz zu beschränken – meint, wenn er Amerika wieder »groß machen« will. Der durchgehend mit dräuend apokalyptischer Musik unterlegte Film beginnt mit dem Immobilienkollaps 2008, der als existentielle Krise inszeniert wird, die enthüllt habe, wie dünn das Eis sei, auf dem die amerikanische Gesellschaft steht. Dann eine Rückblende: Die Wurzel der Fäulnis sei die kulturelle Dekadenz, die seit den Sechzigern am Fundament der westlichen Zivilisation nagt, als Hippies, Minderheiten und Linke es gewagt hatten, traditionelle Werte und Hierarchien in Frage zu stellen. Finanzblasen und der wuchernde Sozialstaat seien gleichermaßen das Resultat dieser zersetzenden, progressiven Kulturrevolution. Die teilweise harsche Kritik an Wall Street überrascht, doch hat sie einen erkennbar reaktionären Drall. Dem korrupten Filz aus politischem Establishment und Finanzkapital wird ein echter, traditioneller Kapitalismus entgegengesetzt, der freie Märkte und tugendhafte, »judeo-christliche« Werte kombiniert.
Das ist klassischer amerikanischer Konservatismus, wie er sich in der Tea Party radikalisierte. Nach dem Schock der Immobilienkrise, in der über vier Millionen Häuser zwangsversteigert wurden, war dieser Diskurs zu einem apokalyptischen Nationalismus der gehobenen weißen Mittelschicht mutiert. Der Kampf der »ideologisch reinen« Tea Party gegen das Parteiestablishment war aber immer auch ein Konflikt zwischen Kapitalfraktionen. Multinationale Konzerne wünschen sich kompetentes politisches Management und unterstützen deshalb gemäßigte Republikaner und die Demokraten. Hinter der Tea Party standen vorrangig Hinterwäldler-Kapitalisten – »Mittelstand« würde man in Deutschland sagen, wenn auch ein mitunter milliardenschwerer –, die jeden Eingriff der Regierung als unzulässige Beschränkung ihrer persönlichen Macht auffassen.
Die Anführer dieser Plutokratenfraktion sind die Brüder Charles und David Koch, die seit ihrer Jugend in der paranoid-extremistischen John Birch Society für eine radikal rechtslibertäre Wende kämpfen. Sie entsprechen ebenfalls dem Typus Familienunternehmer, allerdings ist ihr Unternehmen, Koch Industries, der zweitgrößte privatgeleitete Konzern der USA, mit 100.000 Angestellten und einem Jahresumsatz von 115 Milliarden Dollar. Sie haben in den letzten acht Jahren eine informelle politische Maschinerie errichtet, die Wahlkampf macht, Gesetze schreibt und die Republikanische Partei stetig nach rechts treibt. Die Kochs sind auch Gründer und Hauptunterstützer der Gruppe Citizens United, die die meisten Filme von Bannon finanzierte (und 2010 vor dem Obersten Gerichtshof die Aufhebung jeglicher Beschränkungen für Wahlkampfspenden erkämpfte). Der Chef von Citizens United, David Bossie, der als Produzent von Bannons Filmen fungierte, war schon vor Bannon in Trumps Wahlkampfteam gewechselt.
»Breitbart News« war stets Teil dieser Strömung, die ihren kompromisslosen Klassenkampf gegen Sozialstaat, Steuern und Gewerkschaften als populistische Rebellion inszenierte. Bevor Trump auf den Plan trat, unterstützte »Breitbart« die Tea-Party-Fraktion: Michele Bachmann, Ted Cruz und vor allem Sarah Palin. Doch bei den Kongresswahlen 2014 schien der Tea-Party-Hype endgültig erschöpft. Das Parteiestablishment hatte, so schien es, die Kontrolle zurückgewonnen. Aus dieser Zeit stammt eine verbitterte E-Mail, die Bannon an den »Breitbart«-Korrespondenten in Washington schickte: »Die Parteiführung sind alles Fotzen«, schrieb er. »Wir sollten einfach durchdrehen. Lass die Graswurzeln den Hass aufdrehen, das ist das einzige, was die dazu bringt, ihre Pflicht zu tun.«
Die rechtslibertäre Tea Party war eine Sackgasse. In einer Rede, die Bannon 2014 im Vatikan hielt, malte er eine reaktionäre Bewegung aus, die Erfolg haben könnte. Der Westen sei fast unrettbar dekadent, er habe seine »judeo-christlichen« Werte verraten und zöge geschwächt in den kommenden Kulturkampf gegen den Islam. Das einzige, das uns retten könne, sei eine nationalistische Revolte, in der das Volk gegen die »globale Davos-Klasse« aufsteht. Der Feind sind die »Globalisten«: die global agierende Oligarchie im Verbund mit den urbanen »metrosexuellen Blasen«. Mit ihrer Zwillingsobsession – Freihandel und kulturelle Progressivität – haben sie Nation und Volk verraten, sowohl wirtschaftlich wie kulturell. Das eröffnet die Möglichkeit für einen rechten Populismus, der aus dem konservativen Ghetto ausbricht und auch die »Arbeiterklasse« anspricht.
»Breitbart News« hatte Trumps rohen Anti-Establishment-Stil längst praktiziert und sprang als erster auf den »Trump Train« auf. Vor allem »illegale Einwanderer« wurden ein Schlüsselthema. Bei »Breitbart« war der Kulturkampf von christlichem Kitsch befreit und auf das Wesentliche reduziert: Ressentiments gegen arrogante liberale Eliten, extreme Islamophobie und zahllose Horrorstorys über mexikanische Immigranten. Die Seite veröffentlicht kaum Meinung, sondern vor allem Nachrichtengeschichten, die geschickt mit den Ressentiments der Leser spielen. »Uns geht es vor allem um diese rollenden Narrative«, erzählte ein »Breitbart«-Redakteur »Bloomberg.com«, »Einwanderung, IS, Rassenunruhen, und was wir ›den Kollaps traditioneller Werte‹ nennen«. Das Ziel ist, den täglichen, durch das Internet beschleunigten Nachrichtenzyklus zu bestimmen. Damit ist »Breitbart« essentieller Teil des rechten Medienkosmos. Vor allem die einflussreichen Talk-Radio-Shows greifen gern auf »Breitbart«-Storys zurück. Zusammen mit dem Fernsehsender Fox-News bilden sie eine Art konservative Parallelöffentlichkeit, die große Teile der Bevölkerung der USA fast völlig den Mainstreammedien entfremdet hat.
»Unsere Vision – Andrews Vision – war immer, eine globale, populistische, Anti-Establishment-Nachrichtenseite zu schaffen«, sagte Bannon. Heute hat »Breitbart« bereits Außenstellen in Jerusalem und in London, wo Nigel Farages rechte Hand, Raheem Kassam, Chefredakteur ist. Nun will man auch nach Deutschland und Frankreich expandieren. In Deutschland könnte die Seite eine echte Lücke in der rechtsradikalen Medienwelt füllen. Hiesige rechte Internetseiten und Magazine produzieren vor allem Ideologie und Meinung, müssen aber für den täglichen Nachrichtenkampf auf Facebook noch weitgehend auf Mainstreamquellen zurückgreifen. So wie man in England der Rechtspartei Ukip dient, würde »Breitbart« hierzulande wohl so etwas wie ein Hofberichterstatter der AfD werden.
Ist dies das Fanal zu einer internationalen nationalistischen Revolution? Der Ökonom Mark Blyth spricht von einem »globalen Trumpismus«, nach der Wahl twitterte er: »Die Ära des Neoliberalismus ist vorbei. Die Ära des Neonationalismus hat gerade begonnen.« Doch viel spricht dafür, dass zumindest in den USA eine wirkliche Zeitenwende nicht stattgefunden hat. Bannons populistische Strategie hat in Trump fraglos ein perfektes Vehikel gefunden, doch die wenigsten Trump-Wähler haben bewusst für einen autoritären Nationalismus gestimmt. Es waren kaum mehr als die 50 Millionen Amerikaner, die bei jeder Wahl eben die Republikaner wählen. Trump hat eine freischwebende populistische Revolte inszeniert, in der jeder sehen konnte, was er sich ersehnte. Die Evangelikalen, die radikale Tea Party, die offenen Rassisten und, ja, ein kleiner Teil der mythischen »weißen Arbeiterklasse« – aber auch mehr Afroamerikaner und Latinos, als vor vier Jahren für Mitt Romney gestimmt hatten: Sie alle dachten, Trump stünde auf ihrer Seite. Die meisten von ihnen haben keine Ahnung, was »Alt-Right« überhaupt bedeutet.
Inzwischen zeichnet sich ab, dass der wirkliche Gewinner die Oligarchie ist. Goldman Sachs, die Koch-Fraktion und das Parteiestablishment: Alle sitzen sie mit am Tisch. Statt einen neuen Populismus zu praktizieren, gehen die Republikaner mit Trump nur einen weiteren Schritt zum offen geführten Klassenkampf. Der Fraktionsführer im Kongress, Paul Ryan, galt einmal als radikalste Personifizierung dieser Entwicklung. Sein Budgetentwurf, dem jetzt nichts mehr im Weg steht, sah unter anderem vor, 125 Milliarden Dollar beim »Food Stamp«-Programm zu kürzen, das für Millionen Familien der letzte Schutz vor Hunger ist (14 Prozent aller US-Haushalte galten 2015 als »ernährungsunsicher«). Jetzt sitzt Stephen Bannon im Weißen Haus, der sich mal über Ryan beklagte, weil der ihm »ständig seinen sentimentalen Sozialkatholizismus unter die Nase reibt«.
Johannes Simon schrieb in konkret 12/16 über die Leaks im US-Wahlkampf
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