11.12.2013 12:51
Das hat Nelson Mandela nun wirklich nicht verdient: Nach dem Tod des ehemaligen südafrikanischen Staatschefs überschlägt sich die hiesige Journaille in Elogen, die beispielsweise unter solche Überschriften gedruckt sind: "Der bunteste Staatsmann der Welt" (Welt), "Der großmütige Revolutionär" (Zeit), "Der Gigant der Geschichte" (Münchner Abendzeitung). Es ist noch gar nicht lange her, da wurde hierzulande ganz anders über Mandela und das Apartheid-Regime gesprochen und geschrieben. Daran erinnert für KONRKET Jürgen Ostrowsky.
Helden- und Heiligenverehrung für Nelson Rolihlahla Mandela allenthalben. Daß dabei manches „vergessen“, unterschlagen oder verschwiegen wird, ist nicht so erstaunlich – wohl aber, wie gelenkig Politiker und Kommentatoren ihre Einschätzung der derzeit gefälligen Sichtweise anzupassen vermögen.
Südafrika sei „ein nahezu ideales kapitalistisches Land“, schwärmte der Präsident der Börse von Johannesburg im Propagandamagazin des Apartheidsystems, „South African Digest“ (9. Januar 1970), und zwar wegen des „überwältigenden Wohlwollens der Regierung gegenüber dem privaten Unternehmertum“. Mehr noch: „Südafrikas Weltanschauung und Politik ist eindeutig antikommunistisch, und das Land ist somit ein Bollwerk westlicher Zivilisation in Afrika“, wie es in einer Broschüre des Informationsministeriums vom April 1972 hieß. So sah man es auch im „freien Westen“ und investierte großzügig – Konzerne, aber auch mittelständische Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland zählten zu den bedeutendsten Kapitalanlegern in Südafrika.
Gegen dieses System der „Apartheid“, das keineswegs nur aus getrennten Parkbänken oder dem Verbot von „Mischehen“, sondern vor allem aus Landraub (87 Prozent genehmigte sich die weiße Minderheit) sowie der Verwandlung der landlosen Afrikaner in Zwangsarbeiter bei völliger Rechtlosigkeit bestand, organisierte sich Widerstand. Er wurde gleichbedeutend mit dem African National Congress (ANC), der 1960 verboten wurde, und der immer lauter artikulierten Losung „Free Nelson Mandela!“ für dessen prominentesten politischen Gefangenen.
Das profitable Herrschaftssystem Apartheid galt es natürlich zu verteidigen. Der Geschäftsführer des Porzellanherstellers Rosenthal (SPD-Vorzeigeunternehmer) sah bei der Einweihung eines Zweigwerks in Südafrika 1965 eine goldene Zukunft voraus: „Bei der Firma Rosenthal in Bayern ... verdient ein Arbeiter in zwei Stunden das, was mancher (Afrikaner) in einer Woche verdient. ... Auf diese Weise kommen wir zu sehr interessanten Preisen.“
Noch 1987 befand Franz Josef Strauß, als CSU-Säulenheiliger gleichsam das personifizierte Pendant zur Mandela-Verehrung, daß „eine aufgezwungene Formalgleichheit (gemeint war das Wahlrecht für alle, J.O.) weder der Gerechtigkeit noch der Freiheit dient, sondern dem Chaos den Weg bahnt“ und sogar „die Gefahr eines Blutbades herauf(beschwört), wie es der afrikanische Kontinent noch nicht erlebt hat. ... Wer Südafrika ständig auf die Anklagebank setzt und die sofortige Verwirklichung von Maximalforderungen erzwingen will, öffnet das Tor zu Bürgerkrieg, Gewalt und Niedergang.“
Denn, das war ja klar: „Ich warne vor allem, die Handschrift der kommunistischen Konfliktstrategie und die Technik der totalen Machteroberung zu bagatellisieren.“ Wer war gemeint? Der ANC und sein Bündnis unter anderem mit der seit 1950 verbotenen KP Südafrikas. Deren „Ziel“ sei „die totale Destabilisierung des Landes, die totale Machteroberung ... und die Schaffung eines marxistisch-leninistischen Einparteienstaates mit Ausschaltung, Vertreibung und notfalls Vernichtung der Weißen.“ (Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Südafrika, Bd. 1, München 1987, S. 193).
Das lag auf der Linie der im Bundestag vertretenen Parteien. Ludwig Erhard wurde auf seiner Visite in Südafrika deutlich: „In Deutschland und in Südafrika ist ein ähnlicher Geist am Werke“ („Afrika Post“, Organ der Deutsch-Südafrikanischen Gesellschaft, Nr. 12/1956). Bundespräsident Lübke kam denn auch 1959 bei einem Südafrika-Besuch zu dem Befund: „Ich weiß das Rassenproblem hier in guten Händen“, und: „Afrika ist die Flankendeckung Europas. Wenn Afrika kommunistisch wird, dann ist auch Europa in die Zange genommen.“ (Freimut Duve (Hg.): Kap ohne Hoffnung, Reinbek 1965, S. 91).
Knapp zehn Jahre später lieferte Außenminister Willy Brandt, noch so eine „Ikone“, auf einer Afrika-Botschafter-Konferenz diese Rechtfertigung der bundesdeutschen Position, die gegen die längst von der Uno-Mehrheit geforderten Sanktionen gegen das Apartheid-Regime stand: „... die Bundesrepublik (habe) als Industrieland ein legitimes Interesse am Handelsverkehr mit Südafrika, Angola und Rhodesien ... Handel sei keine Schande, und Vorwürfe deswegen müsse die Bundesrepublik eben tragen“ („FAZ“, 29.3.1968). Notabene: Angola war damals noch portugiesische Kolonie, und „Rhodesien“ hatte sich 1967 per Minderheitsentscheid der weißen Siedler zu einer Kopie Südafrikas umgestaltet. Die „FAZ“ kommentierte, „daß das wirtschaftliche und soziale Potential des südlichen Afrika – nicht zuletzt aus strategischen Gründen – nicht gefährdet werden dürfe.“
Die Gefahr jedoch drohte, als in Südafrika sowohl die Demokratische Massenbewegung (MDM) begann – die durchweg Forderungen des ANC vertrat – und, neben Streiks und internationaler Boykottbewegung, auch Aktionen des bewaffneten Flügels des ANC Wirkung zeigten. Die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD warnte 1981: „Kommunismus kann in Afrika vor allem deshalb Fuß fassen, weil er den Widerstand gegen das Apartheidsystem als einen letzten Rest des europäischen Kolonialismus unterstützt.“ Und: „Deshalb sieht die Sowjetunion ihre Interessen eher in einer langfristigen Auseinandersetzung durch dosierte Förderung der Guerillabewegungen gewährleistet als in einer schnellen Revolution“ (Friedrich-Eber-Stiftung: Optionen für die Bundesrepublik Deutschland, S. 21)
In der Folge eierten die Sozialdemokraten und die mit ihr auf verheerende Weise verbandelten Gewerkschaften herum. Man knüpfte z.B. Kontakte zu den vom Regime neu zugelassenen Gewerkschaftsführungen, die jedoch bereits zum ANC auf Distanz gegangen waren. Dies erwies sich am Ende jedoch als vergeblicher Spaltungsversuch. Die „Jusos“ der SPD stürzten sich als Solidaritätsobjekte auf alles Erdenkliche – um nur nicht den ANC zu unterstützen –, trotzkistische Gruppen taten es ihnen gleich.
Aus der Universität Freiburg kamen bücherweise Konzepte, wie man das Ausbeutungssystem Südafrikas retten könne. Die Lösung: eine Art Kantonalsystem für die angeblich verschiedenen afrikanischen Bevölkerungsgruppen sowie für die Minderheiten der „Mischlinge“ und Indischstämmigen und, klar, die Weißen, mit gewichteten Stimmrechten. Dieses Modell gefiel auch Graf Lambsdorff, einem verurteilten Generalsekretär der FDP, der es in der Illustrierten „Quick“ ausbreitete.
Es half bekanntlich alles nichts. In einem „Deal“, mit dem der Sieg des ANC durch Konzessionen der noch Denkfähigen in der weißen Minderheit auf die Ebene rein politischer Reformen reduziert wurde, blieb das ökonomische System Südafrikas erhalten. Die Weißen wurden, insofern sie Täter waren, verschont, und der ANC erhielt die politische Macht, die viele seiner neuen Mitglieder für sich zu nutzen wußten.
Wäre es anders gekommen, hätte der ANC, wie es die „Freiheitscharta“ von 1955 vorsah, „Bodenschätze, Banken und die Monopolindustrie in den Besitz des ganzen Volkes“ übergeben – die Elogen auf den toten Nelson Mandela wären ausgeblieben.
- Jürgen Ostrowsky -
Ins Archiv der konkret-News geht es hier entlang.