04.12.2013 13:39
An den gegenwärtigen Protesten in der Ukraine ist maßgeblich eine Partei beteiligt, die der Boxer Vitali Klitschko im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung aufgebaut hat. In KONKRET 10/2012 schrieb Jörg Kronauer über Klitschkos Rechtsausleger.
Eines hat bislang noch kein Wahlkampf in der Ukraine geschafft: das überaus gesunde Verhältnis der ukrainischen Bevölkerung zu den politischen Parteien im Land zu erschüttern. »Vertrauen Sie den politischen Parteien?« will das Kiewer Razumkow-Institut regelmäßig im Rahmen einer repräsentativen Umfrage wissen. Das Ergebnis ist ermutigend. Im vergangenen Jahrzehnt hat die Zahl derjenigen, die den Parteien »völlig« vertrauen, noch nie die Fünf-Prozent-Hürde überschritten. Rechnet man diejenigen hinzu, die nicht unhöflich erscheinen möchten und mit »eher ja« antworten, dann kommt man bei den »Ja«-Voten insgesamt auf meist deutlich unter 20 Prozent. Größere Schwankungen ergeben sich nur bei denjenigen, die den Parteien »eher nicht« oder »überhaupt nicht« vertrauen. Sie pendeln jeweils um die 40-Prozent-Marke; »überhaupt nicht« steht dabei üblicherweise gegen Ende einer Legislaturperiode vorn. Insgesamt sind konstant vier Fünftel der ukrainischen Bevölkerung überzeugt: »Vertrauen« haben die politischen Parteien nicht verdient. Das bezieht sich ausdrücklich nicht auf eine, sondern auf sämtliche Parteien, die bei den ukrainischen Parlamentswahlen am 28. Oktober um Sitze in der Werchowna Rada, dem Obersten Rat, kämpfen.
Wer die deutsche Medienberichterstattung über die Ukraine einigermaßen regelmäßig verfolgt, weiß: Im Osten des Landes, dort, wo die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Russisch statt Ukrainisch spricht, gibt es milliardenschwere Oligarchen, die sich eigens eine politische Partei halten. Mit der »Partei der Regionen« des gegenwärtigen Staatspräsidenten Wiktor Janukowitsch versuchen sie, die Kiewer Politik zu kontrollieren. In der Tat: In der Ukraine gibt es keine öffentliche Parteienfinanzierung, mit Mitgliedsbeiträgen allein läßt sich nicht Politik machen; statt dessen ist »die Annahme unbegrenzter Spenden von Privatpersonen und Unternehmen« völlig legal, erläuterte im März die Fachpublikation »Ukraine-Analysen«. Die größten Parteien seien daher abhängig von wohlhabenden Finanziers – also von Personen wie Rinat Achmetow, deren Interessen sie dann verträten. Achmetow, der mit seinem Firmengeflecht erhebliche Teile der ukrainischen Schwerindustrie kontrolliert, ist mit einem Vermögen von geschätzt 15 bis 20 Milliarden Euro der reichste Oligarch des Landes. Seit 2006 ist er für die »Partei der Regionen«, die er bereits zuvor finanziert hat, Abgeordneter im ukrainischen Parlament – wobei aktive Parlamentarier behaupten, ihn dort kaum je gesehen zu haben.
Oligarchen wie Achmetow sind in aller Regel nicht nur an Absatzmärkten im Westen und daher an nicht übermäßig strapazierten Geschäftsbeziehungen in die EU interessiert, sondern auch an günstigen Energielieferungen aus Rußland und deswegen an einem guten Verhältnis zu dessen Regierung. Das genügt in Deutschland in der aktuellen politischen Großwetterlage, um ihnen eine prorussische Haltung vorzuwerfen. Zuletzt empörten sich westliche Beobachter, daß nicht nur der neue Verteidigungsminister, sondern auch der neue Chef des Inlandsgeheimdienstes SBU ursprünglich aus Rußland kamen und erst spät ukrainische Staatsbürger wurden. Sind sie russische Einflußagenten? Beobachter meinen, das sei nicht zwingend der Fall: Staatspräsident Janukowitsch wolle zur Zeit die Stellung seiner Familie in der »Partei der Regionen« stärken, müsse deswegen alte Seilschaften zurückdrängen und benötige daher eine Hausmacht, die in Kiew nicht gänzlich festgelegt sei – zum Beispiel Russen eben. Wie auch immer: Die »Partei der Regionen«, die 2007 34,7 Prozent der Stimmen erhielt und derzeit laut Umfragen 28 Prozent und die damit erneut Platz eins erreichen kann, wird in Deutschland als »prorussisch« und »oligarchisch« bekämpft.
Welche Alternativen gibt es? Fragt man deutsche Politikerinnen und Politiker, dann rufen sie »Julia Timoschenko!« und bekommen leuchtende Augen. Timoschenko ist offener für deutsche Anliegen als Janukowitschs Fraktion; sie gehörte zu den prowestlichen Kräften der »Orangenen Revolution«, die Ende 2004 die Regierungsgewalt in Kiew an sich zogen. Exzessiv werden daher in deutschen Medien die Prozesse gegen Timoschenko und ihre Inhaftierung angeprangert, die auf die Entmachtung der »Orangenen« Anfang 2010 folgten. Anfang September hat Timoschenko sich in einem Presseinterview für den Einsatz Berlins bedankt: Nach einem Bandscheibenvorfall hätten sich Ärzte aus Deutschland »mit Unterstützung der deutschen Regierung« und »praktisch mit Gewalt« Zugang zu ihrer Gefängniszelle verschafft, um sie zu behandeln. Aus der Haft heraus kandidieren darf sie dennoch nicht. Ihre Partei »Vaterland« kommt im Bündnis mit weiteren Oppositionsgruppierungen zur Zeit auf gerade einmal 25 Prozent: Die ukrainische Bevölkerung ist von ihr trotz aller Verehrer im Westen nicht wirklich überzeugt.
Der Grund liegt auf der Hand. Timoschenko gehört wie Achmetow zum Milieu der ukrainischen Oligarchen, die in den neunziger Jahren nicht nur riesige Vermögen angehäuft, sondern es auch geschafft haben, sich in einem Jahrzehnt regelloser Kämpfe um Geld und Macht gegen ihre Rivalen durchzusetzen und zu überleben. Kam Achmetow aus der Schwerindustrie, so machte Timoschenko zunächst in der Energiebranche Karriere. Ihr Ziehvater Pawlo Lasarenko trieb es so weit, daß er in den Vereinigten Staaten wegen Geldwäsche zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Timoschenko wirft die ukrainische Justiz unter anderem Veruntreuung in dreistelliger Millionenhöhe vor. Und nicht nur das: »Julia wird bezahlen«, will ein Zeuge von dem Auftraggeber eines Mehrfachmords am 3. November 1996 erfahren haben, durch den ein ostukrainischer Oligarch aus dem lokalen Konkurrenzkampf entfernt wurde. Was immer damals wirklich geschah: »Ein Ende der Repressionen gegen die Opposition« forderten kaum 20 Prozent der ukrainischen Bevölkerung, berichtete die Konrad-Adenauer-Stiftung Ende August verärgert; selbst »die Empörung« über Timoschenkos Ausschluß von der Parlamentswahl sei »sehr verhalten« ausgefallen. Der Gedanke, sich in den Machtkämpfen zwischen den Oligarchenfraktionen auf eine Seite schlagen zu sollen, liegt der überwiegenden Mehrheit der Ukrainer/innen offenbar fern.
Besorgt um die Wahrung deutscher Interessen in der Ukraine, hat die CDU-nahe Konrad- Adenauer-Stiftung nach dem Sturz der »Orangenen« Anfang 2010 neue Schritte eingeleitet: Sie habe, plauderte Ende 2011 der NRW-Landtagsabgeordnete Werner Jostmeier (CDU) aus, keinen Geringeren als Boxchampion Vitali Klitschko »beauftragt, in der Ukraine eine christlich- konservative Partei ... zu etablieren«. Klitschko hatte während der Umbrüche Ende 2004 Gefallen an der Politik gefunden, 2006 bei den Bürgermeisterwahlen in Kiew kandidiert, auf Anhieb rund 26 Prozent erzielt und war ins Stadtparlament eingezogen. 2010 gründete er – laut Jostmeier im Auftrag der Adenauer-Stiftung – die Partei »Ukrainische Demokratische Allianz für Reform«, deren Kürzel Udar als Wort sinnigerweise »Schlag« bedeutet. In der Tat gehört es seit je zur politischen Folklore im ukrainischen Parlament, Debatten gelegentlich in Form von Prügeleien auszutragen – ein Brauch, der Klitschkos Udar natürlich gewisse Vorteile verschafft.
Klitschko werden laut Umfragen gute Chancen eingeräumt, zur drittstärksten Kraft in der Ukraine zu werden. Das liegt gewiß nicht nur daran, daß die Adenauer-Stiftung Udar unterstützt; letztes Jahr lud sie den Boxchampion und ein paar seiner Mitstreiter etwa zu einem Kommunalpolitik-Crashkurs ausgerechnet bei der CDU Thüringen ein. Entscheidend ist, daß Klitschko nicht zum verhaßten Oligarchenmilieu gehört. Allerdings zeichnet sich bereits ab, daß seine politischen Aktivitäten notwendig enge Beziehungen zu den oligarchischen Seilschaften mit sich bringen. Auf der Udar-Liste kandidieren inzwischen auch Personen aus den dubiosen Netzwerken der Gashandelsfirma RosUkrEnergo und ein ehemaliger Leiter des Inlandsgeheimdienstes SBU. Schaden wird es Klitschko aber sicher nicht, daß er in Deutschland auch über die Adenauer-Stiftung hinaus bestens vernetzt ist. Als er Anfang 2012 nach Berlin kam, um sich von CDU-Politikern beraten zu lassen, traf er sich der Stiftung zufolge auch mit »ranghohen Mitarbeitern des Bundeskanzleramts und des Auswärtigen Amts«.
Gefährlich werden könnte den prodeutschen Kräften um Timoschenko und Klitschko womöglich die erst im März 2012 etablierte Partei »Vorwärts Ukraine«. Gründerin Natalia Korolewska gehörte zuvor der Partei »Vaterland« an und machte mit der Forderung, deren Frontfrau Timoschenko den Friedensnobelpreis zu verleihen, auf sich aufmerksam. Nach verlorenen Führungskämpfen trat sie jedoch aus und organisierte sich mit »Vorwärts Ukraine« ihren eigenen Wahlverein. Zwar bescheinigen Medien ihr, es in Sachen Glamourfaktor nicht mit Timoschenko aufnehmen zu können; doch dafür ist der Kandidat auf dem Listenplatz Nummer zwei, der Fußballstar Andrej Schewtschenko, nach der EM sicherlich geeignet, in puncto Popularität gegen Udar-Chef Klitschko zu bestehen. Kandidat Nummer drei auf der Liste von »Vorwärts Ukraine« bestätigt einmal mehr, daß Showeffekte im ukrainischen Wahlkampf sehr erwünscht sind, da den Parteien ohnehin niemand vertraut: Ostap Stupka ist ein landesweit bekannter Filmschauspieler, Sohn eines der prominentesten ukrainischen Schauspieler überhaupt. Dabei verheißt »Vorwärts Ukraine« tatsächlich eine gewisse Spannung: Beobachter sind überzeugt, daß die neue Partei insgeheim mit Janukowitsch und seiner Oligarchenfraktion paktiert und Timoschenko und Klitschko Stimmen abjagen soll, um einen Machtwechsel zu verhindern.
Bleibt noch das wohl unangenehmste Spektrum der ukrainischen Politszenerie – die Faschisten. Sie haben gegenwärtig ihre stärkste Formation in der Partei Swoboda (»Freiheit«), die ideologisch an die »Organisation Ukrainischer Nationalisten« (OUN) anknüpft, einen Verband von NS-Kollaborateuren, der nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in der Bundesrepublik und den USA überwintern konnte; einzelne OUN-Aktivisten wurden ab 1991 in der Ukraine selbst wieder aktiv. Swoboda führt Gedenkveranstaltungen für die »Ukrainische Aufstandsarmee« (UPA) durch, den militärischen Arm der OUN, der im Zweiten Weltkrieg Massaker an bis zu 100.000 Polinnen und Polen christlichen wie jüdischen Glaubens verübt hat. Swoboda verehrt den OUN-Anführer Stepan Bandera, dessen Trupps sich beim Einmarsch der Wehrmacht in Lemberg am 30. Juni 1941 am Massenmord an den Jüdinnen und Juden in der Stadt beteiligten. Lviv – so heißt das ehemalige Lemberg heute – ist ein Zentrum der neuen Bandera-Verehrung, die sich in zahlreichen neuen Bandera-Denkmälern in der Westukraine ausdrückt, dort, wo die ukrainischen Faschisten ihre Hochburgen haben.
In Lviv hat Swoboda bei den letzten Regionalwahlen 2010 mehr als ein Viertel aller Stimmen erhalten. Im landesweiten Durchschnitt werden selbst derartige Ergebnisse kaum ausreichen, um die Fünf-Prozent-Hürde zu knakken. Allerdings kann Swoboda sich Hoffnung auf Mehrheiten für einige Direktkandidaten machen, die dann in die Werchowna Rada einzögen. Das verdankt die Partei einer Absprache mit Timoschenkos Oppositionsbündnis, das in nur 190 von 225 Wahlkreisen eigene Direktkandidaten aufgestellt hat und die übrigen 35 Kreise Swoboda überläßt. Je nach Wahlausgang sind damit im künftigen ukrainischen Parlament prodeutsche Abstimmungserfolge denkbar, die nicht nur auf den Voten von »Vaterland« und Udar beruhen, sondern auch auf den Sympathien von Anhängern alter NS-Kollaborateure – dank Julia.
Jörg Kronauer schrieb in KONKRET 9/12 über den syrischen Bürgerkrieg
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