24.06.2019 13:07
Was rechtsradikales Gedankengut angeht, wimmelt es bei der deutschen Polizei nur so von Einzelfällen. Von Svenna Triebler
Im August vergangenen Jahres erhielt die Frankfurter Anwältin Seda BasayYildiz, die unter anderem durch ihre Vertretung von Hinterbliebenen im NSU-Prozess und des als islamistischer Gefährder eingestuften Sami A. bekanntgeworden ist, per Fax ein mit »NSU 2.0« unterzeichnetes Drohschreiben; die Verfasser nannten ihre Privatadresse und drohten mit der Ermordung ihrer Tochter. Derartiges gehört inzwischen fast schon zum Alltag von Personen des öffentlichen Lebens, deren Aktivitäten, Herkunft oder Aussehen den Hass von Rechtsradikalen auf sich ziehen, und hätte für sich genommen wohl keine größere mediale Aufmerksamkeit erregt.
Schlagzeilen machte der Fall denn auch erst im Dezember, als bekanntwurde, dass gegen fünf Beamte eines Frankfurter Polizeireviers ermittelt wird, die in einer Whatsapp-Gruppe Hitler-Bilder, Hakenkreuze und rassistische Parolen ausgetauscht hatten. Auf diese Gruppe wiederum waren die Fahnder gestoßen, als sie ein beschlagnahmtes Handy und die Festplatte einer Polizeibeamtin untersuchten, von deren Dienstcomputer kurz vor dem Versenden des Drohschreibens die privaten Daten der Anwältin abgerufen worden waren. Inzwischen wurden die Ermittlungen auf weitere Beamte ausgeweitet, darunter ein Polizist aus Osthessen, der die Nazigruppe »Aryans« mit polizeiinternen Daten versorgt haben soll.
Drohbriefe erhielten im Dezember 2017 auch Angehörige der linken Szene in Berlin sowie Menschen, die der Absender dafür hielt, etwa SPD-Mitglieder und Journalisten. Darin wurde damit gedroht, Namen und Adressen an Neonazis weiterzugeben, zudem enthielten die Schreiben Fotos von einigen der Betroffenen, die aus erkennungsdienstlichen Maßnahmen des Berliner Landeskriminalamts stammten. Die Vermutung lag nahe, dass es sich um einen Racheakt aus Polizeikreisen handelte: Kurz zuvor waren auf dem linken Onlineportal Indymedia Bilder von Beamten veröffentlicht worden, die bei einem gewalttätigen Einsatz in den von Autonomen bewohnten Häusern in der Rigaer Straße aufgenommen worden waren. Tatsächlich stellte sich ein Polizeibeamter aus Berlin als Verfasser der Drohbriefe heraus, im Dezember 2018 akzeptierte er einen Strafbefehl über 3.500 Euro wegen Verstoßes gegen das Berliner Datenschutzgesetz. Vorbestraft ist er damit nicht.
Die Mörderbande des NSU wiederum hat nicht nur im Umfeld der hessischen Polizei ihre Sympathisanten: Ein Angehöriger eines Sondereinsatzkommandos aus Sachsen, das vergangenen September beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Erdoğan in Berlin im Einsatz war, wählte als Decknamen für sich und einen Kollegen den Namen des NSUMitglieds Uwe Böhnhardt. Die beiden Beamten wurden vom Dienst entbunden, es laufen Disziplinarverfahren. Der Präsident des LKA Sachsen bezeichnete den Vorgang in einer Presseerklärung als »vollständig inakzeptabel« und sorgte sich nicht zuletzt, dass die »gute Arbeit und das Ansehen meiner Beamten« beschädigt werden könnten.
Wohlgemerkt: Es handelt sich um dasselbe LKA, dessen Mitarbeiter sich in ihrer Freizeit schon mal an Pegida-Demonstrationen beteiligen und Journalisten attackieren. Auch die meisten der sächsischen Polizeischüler, über deren rassistische Einstellungen 2017 ein ehemaliger Mitschüler gegenüber dem Magazin »Neon« berichtete, dürften mittlerweile verbeamtet sein. Und dann war da noch der Polizeipanzer »Survivor R«, der in seiner sächsischen Ausfertigung zunächst nicht nur eine kriegstaugliche Ausrüstung zu bieten hatte, sondern auch in Frakturschrift bestickte Sitze samt einem Logo, das sich stark an NS-Symbolik anlehnte – in Auftrag gegeben hatte die Spezialanfertigung das Innenministerium des Freistaats.
All diese Vorfälle – zählte man noch Beispiele auf wie etwa das demonstrative Nichtstun der Einsatzkräfte bei Nazi-Krawallen, »Reichsbürger« in Uniform oder die Tatsache, dass von den zehn Polizisten und Polizeibeamten, die als Abgeordnete im Bundestag sitzen, sechs der AfD angehören, fände dieser Artikel kein Ende – sind strenggenommen noch kein Beweis dafür, dass rechtsradikales Gedankengut im Polizeiapparat zur Tagesordnung gehört. Dafür bräuchte es fundierte Studien, aber das Forschungsinteresse zu dieser Problematik ist in Deutschland gleich Null.
Nun ist die Definition, was als rechtsradikal gilt, ziemlich eng gesteckt; um hierzulande als Nazi durchzugehen, muss man schon Adolf Hitler persönlich sein oder zumindest von Kopf bis Fuß mit faschistischen Symbolen tätowierter Skinhead (es sei denn, der begeht eine Gewalttat, dann hat er »psychische Probleme«). Die »Zeit« etwa lässt einen Beamten zu Wort kommen, der bis vor einem Jahr selbst auf dem betreffenden Revier in Frankfurt gearbeitet hat: Rassistische Vorurteile seien dort allgegenwärtig – schließlich liege die Wache ja auch an einem Schwerpunkt der Drogenszene, viele Dealer kämen aus Nordafrika –, eine rechtsextreme Gesinnung dagegen nicht.
Keine Nazis also, nur gewöhnliche Rassisten. Und Rassismus ist bekanntlich eine völlig normale Reaktion auf Begegnungen mit Kleindealern – und nicht etwa die Frage nach den Verfehlungen der Drogenpolitik oder der Gedanke, dass die jungen Männer möglicherweise auch lieber einer legalen und in jeder Hinsicht weniger unsicheren Beschäftigung nachgehen würden.
Gehen wir also der feinen Unterscheidungen halber davon aus, dass es sich bei richtig, wirklich waschechten Rechtsradikalen im Polizeidienst um eine, sagen wir, Häufung von Einzelfällen handelt. Nicht weni- ge davon dürften einem Club der einsamen Herzen der besonderen Art angehören: Im August 2017 ließ die Generalbundesanwaltschaft wegen des Verdachts auf die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat Wohn- und Geschäftsräume von sechs Personen in Mecklenburg-Vorpommern durchsuchen. Sie sollen geplant haben, in einem wie auch immer gearteten Krisenfall die Macht zu übernehmen und politische Gegner zu ermorden; bei den Durchsuchungen wurden Listen mit persönlichen Daten von über 5.000 Menschen gefunden, darunter zahlreiche Politiker aus dem linken Spektrum. Unter den Beschuldigten: ein Kriminalpolizist.
Und offenbar handelt es sich hier nur um eine Zelle eines weitverzweigten rechten Netzwerks, auf das Recherchen der »Taz« zu dem Fall stießen. Organisiert über Chatgruppen, Reservistenverbände der Bundeswehr Rechtsdiener Was rechtsradikales Gedankengut angeht, wimmelt es bei der deutschen Polizei nur so von Einzelfällen. Von Svenna Triebler und einen Verein namens Uniter e.V. sollen sich demnach unter maßgeblicher Führung eines Mitarbeiters des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) mit dem Decknamen »Hannibal« zahlreiche gleichgesinnte Gruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf einen »Tag X« vorbereiten, an dem sie zu den Waffen greifen wollen. Viele Beteiligte gehören der sogenannten PrepperSzene an, in der man sich, unterfüttert zumeist von einem paranoid-rechten Weltbild, auf einen Zusammenbruch der Gesellschaft vorbereitet. Mitglieder des Netzwerks sind Soldaten, Reservisten, sogenannte Verfassungsschützer – und wiederum zahlreiche Polizisten.
Ein Terrornetzwerk inmitten staatlicher Institutionen mit Zugriff auf Personendaten und die Waffenarsenale des Staates sowie weitgediehenen Umsturzplänen: Tagelang handelten die Schlagzeilen von nichts anderem, eine Talkshow zum Thema jagte die nächste, zwischendurch allenfalls abgelöst vom Frankfurter Polizeiskandal, der Innenminister kündigte Gesetzesverschärfungen an … – ’tschuldigung, kleiner Scherz, es geht ja nicht um besoffene jugendliche Schläger mit Migrationshintergrund. Wenig beunruhigt zeigte sich etwa der parlamentarische Staatssekretär Peter Tauber (CDU) in einer Anhörung des Verteidigungsausschusses: Im Prinzip könne man ja auch seine Großmutter mit ihren Einweckgläsern im Keller als Prepper bezeichnen. Ob die alte Dame wohl auch Waffen hortet?
Als Erklärung für solche Nonchalance böte sich zum einen an, dass die politisch Verantwortlichen klammheimliche Sympathien hegen oder sich zumindest auf der sicheren Seite wähnen, sollten all die Einzelfälle ihre Pläne in die Tat umsetzen. Oder aber, will man solches nicht unterstellen, liegt es am reflexhaften geistigen Strammstehen vor Uniformträgern, das zu den Grundlagen der deutschen Leitkultur gehört? So bedeutet zum Beispiel eine Verschärfung der Polizeigesetze, wie sie in fast allen Bundesländern ansteht, nicht etwa eine verschärfte unabhängige Kontrolle der Exekutive, sondern eine Einladung zu noch mehr Machtmissbrauch, als er bisher schon geschieht. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) meinte nach Bekanntwerden der Vorfälle in Frankfurt – während längst noch nicht abgeschlossener Ermittlungen – ganz genau zu wissen, dass es keine Anhaltspunkte für ein rechtes Netzwerk bei der Polizei gebe. Wenige Wochen zuvor hatte die »Taz« ihre »Hannibal«-Recherchen veröffentlicht.
Svenna Triebler schrieb in konkret 1/19 über den Stand der »Aufstehen!«-Bewegung
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