08.06.2017 11:54
Während sich der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zuspitzt, arbeitet die hiesige Propaganda an einem positiven Bild der Golfdiktatur.
Von Paul Simon
Seit mehr als zwei Jahren kämpft im Jemen eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition gegen die Huthi-Rebellion. Die sunnitischen Golfstaaten gehörten zuletzt zu den größten Waffenimporteuren der Welt und verfügen über hochmoderne, vor allem amerikanische Militärtechnologie. Doch trotz einer anhaltenden See- und Luftblockade ist der Widerstand der jemenitischen Huthi, in denen die Golfstaaten einen Brückenkopf des Regionalfeindes Iran sehen, ungebrochen, und eine Lösung des Konflikts scheint ferner denn je.
Ende April hat Jan Egeland, Generalsekretär der Norwegischen Flüchtlingshilfe, das Kriegsgebiet besucht. »Ich bin zutiefst erschrocken darüber, was ich im von Krieg und Hunger verheerten Jemen gesehen habe«, steht in seinem Bericht. »Die Welt überlässt sieben Millionen Männer, Frauen und Kinder langsam, aber sicher der Hungersnot … Diese Katastrophe ist menschengemacht von Anfang bis Ende.« Sogar die wichtige humanitäre Versorgung über den Hafen von Hudaida sei gefährdet. »Die von den Saudis angeführte und vom Westen unterstützte Koalition hat angedroht, den Hafen anzugreifen. Durch seine Zerstörung würde die Versorgung von Millionen hungernder Zivilisten zusammenbrechen.«
»Saudi-Arabien – viel besser als sein Ruf« betitelte der ARD-Nahost-Korrespondent Carsten Kühntopp seinen »Tagesschau«Kommentar zum Staatsbesuch Angela Merkels Anfang Mai und forderte einen unvoreingenommenen Blick auf die Golfdiktatur. Für viele gelte die nämlich immer noch als »ein Land religiöser Fanatiker«, »die mit ihren Petrodollars blutige Konflikte überall in der Region befeuern« und »Frauen als rechtlose Mündel halten«. Doch diejenigen, »die am lautesten gegen die Saudis wettern«, schreibt der ARD-Korrespondent, »sind häufig die, die das Land am wenigsten kennen. Anstatt fundierter Urteile bieten sie überholte Vorurteile.«
Wer sich jetzt fragt, wie man denn zu »fundierten Urteilen« über einen Staat gelangen soll, in dem es keine freie Presse gibt, der jede Opposition mit Terror unterdrückt, dafür aber jedes Jahr Millionenbeträge an westliche PR- und Lobbyfirmen überweist, der ist offenbar kein ARD-Korrespondent. Zwar dürfen nur sehr wenige Ausländer nach Saudi-Arabien einreisen (unabhängige Journalisten ebenso wie Juden schon mal gar nicht), doch die deutsche Presse war mit an Bord, als nun eine Delegation der deutschen Industrie mit ihrer Kanzlerin im Schlepptau zu Gesprächen zu den Saudis reiste. Und Kühntopp beobachtete dort Erfreuliches: »Saudi-Arabien ist ein Land im Umbruch.« Auch optimistische, freudige Menschen habe er getroffen: »Egal, mit wem man in Saudi-Arabien spricht – überall hört man: Ja, es hat sich in letzter Zeit viel zum Guten geändert. Und viele Menschen fügen dann hinzu: Nein, es geht uns noch nicht schnell genug und nicht weit genug, aber die Richtung stimmt.« Vor allem Wirtschaftsreformen machen Hoffnung: »Mit der vor einem Jahr beschlossenen ›Vision 2030‹ hat sich Saudi-Arabien einen Umbau seiner Wirtschaft verordnet, eine Diversifizierung weg vom Öl – und damit einhergehend eine Öffnung der Gesellschaft.« Was der ARD-Korrespondent nicht erwähnte, sind die großen Chancen, welche die Modernisierung der saudischen Wirtschaft besonders für deutsche Unternehmen birgt. Siemens hat in Riad ein umfassendes Geschäftsabkommen vor allem zur Entwicklung der Infrastruktur abgeschlossen, und SAP wird die Regierung bei der Digitalisierung unterstützen. Saudi-Arabien will künftig selbst kein Erdöl mehr verbrauchen, womit die deutsche »Energiewende« sich als Exportartikel bezahlt macht: So sollen unter anderem deutsche Firmen den Aufbau von Photovoltaik-Anlagen oder Hybrid-Gaskraftwerken übernehmen. Auch Vertreter der Deutschen Bahn waren mitgereist, denn eine Konzerntochter betreut den Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Mekka und Medina. Und all das soll erst der Anfang sein, versprach das saudische Wirtschaftsministerium.
In diesem Zusammenhang von einer »Öffnung der Gesellschaft« zu sprechen, sind zynische Public Relations, denn niemand plant politische Liberalisierungen oder eine Einschränkung des islamistischen Staatsterrors. Doch »Reformer« gibt es in Saudi-Arabien wirklich, und sie sind getrieben von objektiven Zwängen. Seit Jahren ist der Ölpreis niedrig, was an den gewaltigen saudischen Vermögensreserven nagt. Außerdem sind die USA, unter deren Militärschutz Saudi-Arabien seit Jahrzehnten steht, durch den massiven Einsatz des Fracking-Verfahrens selbst zu einem der größten Ölproduzenten der Welt aufgestiegen und stellen so auch die Macht der Ölkartelle in Frage. Trump will zwar die Allianz mit Saudi-Arabien vertiefen und hat die Bildung eines festen, um die sunnitischen Golfstaaten, Ägypten und Israel herum gruppierten, antiiranischen Militärbündnisses angeschoben, doch gleichzeitig gefordert, Saudi-Arabien solle mehr der Kosten des Militärschutzes selbst tragen.
Der Ölstaat muss sich also modernisieren und unabhängiger vom Erdöl werden. Angekündigt sind vor allem Privatisierungen, etwa von Anteilen am staatlichen Erdölkonzern Aramco, um Kapital für zukunftsträchtige globale Investitionen zu gewinnen, sowie der Aufbau alternativer heimischer Wirtschaftszweige, wie etwa der Rüstungsindustrie und des religiösen Tourismus. Auch die Beteiligung saudischer Bürger am Arbeitsmarkt soll gesteigert werden. Diese »Saudifizierungskampagne« führte bereits zur Ausweisung von Millionen von Migranten, wird aber dem Westen gegenüber mit der Behauptung angepriesen, sie werde zur Erhöhung der Frauenarbeitsquote auf 30 Prozent beitragen.
Natürlich kommen die saudischen »Reformer« aus der alten Elite – auch wenn sie jetzt von Consultingfirmen wie McKinsey beraten werden. Trotzdem lässt sich die These vertreten, dass die Veränderungen an der ökonomischen Basis auch eine Umwälzung der repressiven gesellschaftlichen Verhältnisse begünstigen könnten. Schon jetzt gibt es Entwicklungen, die den islamistisch- fundamentalistischen Überbau aushöhlen: Die junge Generation – 70 Prozent der saudischen Gesellschaft ist unter 30 – ist besser gebildet und nicht zuletzt dank des Internets kosmopolitischer als je zuvor. Das gilt auch für Frauen, von denen laut Regierung mehr die Universität besuchen als Männer.
Als man Angela Merkel in Riad einen Fototermin mit Unternehmerinnern ermöglichte, zeigte sich darin wohl dennoch vor allem ein bemerkenswertes Gespür der Saudis für die Art von Bildern, die ihnen eine deutsche Regierungschefin dankt. Besonders zwei diplomatische Zugeständnisse zeugten bei Merkels Besuch von Fingerspitzengefühl: Die Kanzlerin konnte unverschleiert auftreten, und Saudi-Arabien verzichtete auf Anfragen nach neuen Waffenlieferungen aus Deutschland. Ein Minister: »Die Beziehungen zu Deutschland sind uns sehr viel wichtiger als der Streit um Waffenexporte.« Im Gegenzug werden in Deutschland saudische Soldaten und Grenzpolizisten ausgebildet.
Paul Simon schrieb in konkret 5/17 über Donald Trumps Wirtschaftspolitik
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