21.06.2017 12:46
Kansas, Montana, South Carolina, Georgia – die Republikaner gewinnen bislang jede Wahl. Dabei sind die Umfragewerte Donald Trumps im Keller - „or are they“? Über die Beliebtheit des US-Präsidenten schrieb Lars Quadfasel in konkret 1/17.
Mögen andere von ihren Fehlern sprechen«, heißt es bei Brecht, »ich spreche von den meinigen.« Auf die Umfrage zu den US-Vorwahlen in konkret 5/16 hatte ich geantwortet, ich wünschte mir vor allem, dass einer der beiden »rechts von der Realität« befindlichen Kandidaten, Trump oder Ted Cruz, das Rennen machten und nicht noch ein »gemäßigter Konservativer« die sichere Wahlniederlage im Herbst verhindern würde. Das liest sich im nachhinein natürlich etwas dämlich.
Allein war ich mit der Fehlprognose freilich nicht. In der konkret-Berichterstattung zu den US-Wahlen wurden dem Möchtegern-Mussolini kaum reale Chancen eingeräumt; statt dessen wurde ausführlich nachgewiesen, dass Trumps Kontrahentin Clinton kaum besser sei. Anders als Trump, schrieb Paul Simon in konkret 11/16, der – was Liberale gerne übersähen – »von ›echten Veränderungen‹, also einer besseren Zukunft« spreche, könne Clinton »dem Wunsch der Bevölkerung nach Veränderung« nicht Ausdruck verleihen; und Johannes Simon ergänzte im gleichen Heft, dass, sollte Trump gegen alle Prognosen doch die Wahl gewinnen, dann »wegen der Tatsache, dass er gegen eine unbeliebte, diskreditierte und skandalgeplagte Kandidatin antritt, die weder in der Lage noch willens ist, die tiefe Unzufriedenheit und ökonomische Misere der meisten Amerikaner überhaupt ernst zu nehmen«.
Dergleichen ist auch aus dem Lager der Sanders-Fans zu vernehmen, vor der Wahl und seit der Wahl erst recht. »Bernie«, so der allgemeine Konsens, hätte locker die Mehrheit des auf Protest gebürsteten Wahlvolks gewonnen – was der Senator, bescheiden wie immer, gerne bestätigte, um anschließend als Lehre aus Clintons Wahlniederlage zu schlussfolgern, dass die Zeit der »Identitätspolitik« (im gegebenen Kontext alles von an Colleges ausgebrüteten Sprachregelungen bis zum Kampf gegen rassistische Polizeigewalt) vorbei sei und man sich zukünftig wieder an den Sorgen und Nöten des kleinen Mannes zu orientieren habe. Denn, so sekundierte der Publizist Thomas Frank im »Guardian«, die Unterstützung, die Trump aus der Arbeiterklasse erfahren habe, zeige ja, dass diese zwar kulturell für »konservative Schmeicheleien« empfänglich sein möge, in ökonomischen Fragen aber »weit links« stehe – schließlich habe Trump im Wahlkampf ein Ende des Freihandels und die Rückkehr der Industriearbeit versprochen.
Die Deutung, der zufolge die Demokraten die Wahl verloren hätten, weil sie es mit den Nebenwidersprüchen übertrieben und daher den Deklassierten keine Perspektive geboten hätten, hat längst Eingang in den Mainstream gefunden. Keine Zeitung dies- oder jenseits des Atlantiks, die nicht, der Selbststilisierung Trumps folgend, die Wahl zur Abrechnung der Abgehängten und Entrechteten mit dem »Establishment«, was immer das sein mag, erklärten, und Rührstücke über die »vergessenen Wähler« im Rostgürtel der USA hatten Hochkonjunktur. Dass ein rassistisches, frauenfeindliches Ekel knapp die Hälfte der US-Bevölkerung anspricht, ist eben leichter zu ertragen, wenn man annimmt, dass etwas ganz anderes die Ursache dafür sein muss; eine unfähige und korrupte Gegenkandidatin etwa, ein stummer Aufschrei gegen Armut und Elend. Dumm nur, dass es nicht stimmt.
Trump, schließlich, war nicht nur offenherzig in bezug auf seinen Rassismus, seine Misogynie und seine Verehrung für noch jeden dahergelaufenen autokratischen Herrscher, ob nun Hussein, Putin, Erdoğan oder Kim Jong-un (so jung, und schon seinen Onkel hingerichtet – Respekt!). Er machte auch keinen Hehl aus der von ihm favorisierten Wirtschaftspolitik: drastische Steuersenkungen für die Besserverdienenden, Senkung des Mindestlohns, Rücknahme von »Obamacare«, den zögerlichen ersten Schritten zur allgemeinen Krankenversicherung, Beseitigung von Umweltauflagen und der letzten verbliebenen Gewerkschaftsrechte – die gesamte Palette der Reaganschen Trickle-down-Economics also. Ganz folgerichtig, dass noch jede Untersuchung zum Ergebnis kommt, dass nicht ökonomische, sondern »kulturelle« Zurücksetzungen die Wahlentscheidung für Trump motivierten; dass die Eliten nicht für die Ausbeutung gehasst werden, sondern für den dünnen Firnis der Zivilisation, mit dem sie die Ausbeutung überziehen.1
Es war auch nicht »die Arbeiterklasse«, wie gerne kolportiert wird, die Trump zur Macht verhalf. Trumps Wähler sind im Durchschnitt nicht bloß sehr viel weißer, sondern auch reicher als die Wähler Clintons. Es war freilich ein bestimmtes Segment derselben, dessen Stimmen letztlich ausschlaggebend waren – nämlich, neben dem Kleinstbürgertum und dem »white trash« des entzivilisierten flachen Landes, vor allem ältere, gutsituierte, aber von Abstiegsängsten geprägte Facharbeiter (mit Lenin zu sprechen: die Arbeiteraristokratie); jene Schicht also, die besonders stark von der klassischen amerikanischen Spaltung des Proletariats in eine materiell abgesicherte, ganz überwiegend weiße Arbeiterklasse und ein deklassiertes, mehrheitlich nicht-weißes Lumpenproletariat geprägt ist – und die immer dann, wenn dieser Status gefährdet scheint (ob, wie in den Siebzigern, durch den Aufstieg von Minderheiten oder, wie in der jüngsten Krise, durch die eigene Entwertung), für noch jede Demagogie zu haben ist.2
Dass aus dieser Schicht viele, die in den Siebzigern George Wallace und in den Achtzigern dann Reagan unterstützten, 2008 und 2012 für Obama gestimmt haben, steht dazu nicht im Widerspruch. Es bestätigt nur, dass das Ausleben von Ressentiments fürs Volk ein Luxus ist, den man sich leisten können muss. Während der jüngsten Finanzkrise, der schlimmsten seit 1929, macht der von Demoskopen berichtete Satz »Tell ’em we vote for the nigger« die Runde; nun, wo die Autoindustrie gerettet und die Lage zumindest wieder stabilisiert ist, lässt man sich nicht mehr lumpen. Und wenn der Preis fürs Realisieren der destruktiven Impulse die Trumpsche Verarmungspolitik ist, dann ist das eben der Preis, der für den Spaß zu zahlen ist. Republikaner zu wählen, ist, für die allermeisten Amerikaner, ein bisschen wie die Ausrichtung einer Weltmeisterschaft: Man weiß, dass es einem ökonomisch schadet, aber es fühlt sich einfach gut an. Diesmal schadet es vermutlich etwas mehr, aber es fühlt sich auch noch besser an.
Viel mehr als das: Dass Trump nicht trotz seiner Ausfälle, seiner zwielichtigen Geschäfte und seines schamlosen Gebarens gewählt wurde, sondern deswegen; dass er denen, die quälen wollen, dazu das Plazet gibt, lässt sich eigentlich gar nicht sagen. Ideologiekritik kann nichts enthüllen, wo die Verachtung von Vernunft und Moral unverbrämt sich kundtut; sie kann nicht einsichtig machen, was in sich selbst irrsinnig ist. Vom ökonomischen Sein der USA (die in vielem besser aus der Krise gekommen sind als Europa) führt kein logisch konsistenter Gang zum Trump wählenden Bewusstsein. Was Ideologiekritik vermag, ist allein, den vorschnellen Rationalisierungen entgegenzutreten; dazu drei kleine Fingerübungen.
I. Linke, die Klassenhass unterstellen, wo es sich in Wahrheit um Zivilisationsverachtung handelt, versuchen gerne einmal Trump-Wähler darüber aufzuklären, dass Trump doch selber zum »Establishment«, dem »einen Prozent«, gehört. Was zweifellos wahr ist, aber genauso zweifellos dessen Wähler nicht das kleinste bisschen anficht. Mehr noch, es verfehlt die Ebene, auf der Trumps Anziehungskraft angesiedelt ist. Trump selbst pries sich auf seinen Wahlveranstaltungen oft genug damit an, dass er »ungeheuer reich« sei; aber wie so oft bei dem Mann, handelte es sich auch hier vor allem um Bullshit (und das nicht bloß, weil Trump mit Sicherheit sehr viel weniger reich ist, als er behauptet). Romney 2012, nicht Trump 2016, war der Versuch, die Handelskammer unmittelbar in den Stand des Souveräns zu erheben. Trump hingegen wurde nicht gewählt, um – wie es immer wieder heißt – »den Staat wie ein Unternehmen zu führen«; nicht als erfolgreicher Kapitalist also (dessen Inkompetenz, selbst mit einer so bombensicheren Gelddruckmaschine wie einem Kasino etwas anderes als pleite zu machen, vielmehr legendär ist), sondern als Kapitalistendarsteller.
Dass Politik »Showbusiness für hässliche Leute« sei, wie Gore Vidal einmal schrieb, stimmte selten mehr als im Falle Trumps. Als ungeschlachter Milliardär, dem sein ganzes Vermögen noch nicht einmal ein anständiges Toupet verschafft, geschweige denn ein Quentchen Würde und Geschmack, erfüllt er exakt die Voraussetzungen, die jeder Demagoge erfüllen muss: ganz so zu sein wie die Masse, für die er spricht, aber dabei doch zugleich, anders als diese, insgeheim mit einer stärkeren Macht im Bunde. Nur dass diese Macht im vorliegenden Falle nicht das Kapital ist, sondern die Kulturindustrie.
Den US-Bürgern ein Begriff geworden ist Trump nämlich nicht als Bauherr, sondern als Milliardärscelebrity, die für jeden Scheiß zu haben ist – und vor allem als Star seiner Reality-TV-Show »The Apprentice«. Die Sendung, die eine Gruppe Teilnehmer um einen Praktikumsplatz im Trumpschen Unternehmen konkurrieren ließ, inszenierte das Vertragsverhältnis von Kapitalist und Arbeiter als eine unablässige, von aller betriebswirtschaftlichen Rationalität befreite Orgie aus Gemeinheiten, Piesackereien, Intrigen und sinnlosen Demütigungen, woraus der Teilnehmer mit den wenigsten Skrupeln und der geringsten Selbstachtung als Sieger hervorging – und war für mehr als ein Jahrzehnt ein Hit.
Das Geheimnis des Reality-TV ist nämlich nicht die Identifikation mit den »kleinen Leuten«, den Menschen wie du und ich – sondern mit der kulturindustriellen Apparatur, die sie vorführt. Als Zuschauer kann man sich, endlich einmal, als etwas Besseres wähnen, denen haushoch überlegen, die so erbärmlich bereit sind, sich für ihre 15 minutes of fame zum Affen zu machen; und dabei doch zugleich insgeheim wissen, dass man selbst es genausogut sein könnte, der dort vorgeführt wird. Reality-TV ist die ultimative Art, Selbstverachtung konsumierbar zu machen.
Der Showmaster, der auf alle gleichermaßen herabblickt, ist damit zu allen gleichermaßen gerecht – und somit zum Führer disponiert (denn der Führer, wie Freud in Massenpsychologie und Ich-Analyse darlegt, darf niemanden lieben als sich selbst). Vom Trump des »Apprentice« zu Trump, dem Politiker, ist es daher nur ein winziger Schritt. In seiner neuen Rolle aber konnte Trump das Arsenal, das die Kulturindustrie zur Wirklichkeitszerstörung bereithält, erst ganz entfalten. Ihn, wie viele es tun, einen pathologischen Lügner zu nennen, verharmlost die Sache. Denn während der Lügner, indem er sie gezielt verdreht, doch zugleich der Wahrheit noch die Ehre erweist (käme sie heraus, käme er zu Schaden), kümmert Trump deren Unterschied nicht die Bohne. Die Twitter-Rants, der »Wahlkampfrede« genannte Wortsalat sollen keine Botschaften transportieren, sondern Schlagzeilen machen.
Die von Trump dabei in Anschlag gebrachte Methode kann man vielleicht am ehesten, wie von einigen seiner größten Fans bewundernd proklamiert, als »Trolling« bezeichnen (wie ja überhaupt Trump in mancherlei Hinsicht dem Klischeebild des pickeligen Nerds entspricht, der als Keyboardwarrior bei seinen Eltern im Souterrain wohnt – beide, nur zum Beispiel, wollen nicht, wie der klassische Patriarch von einst, den Frauenkörper kontrollieren, sondern finden Mädchen schlicht und ergreifend igittibäh). Als zeitgemäßer Ausdruck der konformistischen Revolte weidet sich der Internet-Troll, der in Foren nicht kommunizieren will, sondern vor den Kopf stoßen, an der Ohnmacht der Wahrheit, überhaupt des gesprochenen Wortes, die er den anderen vor Augen führt; nur dass Trump die Vorführung vom Internet ins Real Life verlegt. Was das im einzelnen für Konsequenzen hat (Politiker sind schließlich darauf angewiesen, dass zumindest ihren Befehlen Folge geleistet wird), bleibt abzuwarten.
Wie überhaupt abzuwarten bleibt, was der Showmann machen wird, nun, wo die Zeit der Massenaufläufe vorbei ist. Möglich, dass er das Regieren viel zu langweilig findet und die Amtsgeschäfte lieber seinem Vize Pence, einem christlichen Fundamentalisten von altem Schrot und Korn, überlässt. Möglich aber auch, dass Trump findet, dass auch im Präsidentenamt die Show weitergehen muss. Das unübertreffliche Spektakel aber, so erinnert uns Walter Benjamin, ist der Krieg – welch besserer Cliffhanger als die atomare Selbstauslöschung der Menschheit?
II. Immer, wenn mal wieder ein rechter Spinner ins Amt gewählt wurde, entfährt Linken der Stoßseufzer, die Leute hätten »gegen ihre Interessen gestimmt«. Aber im Falle Trumps trifft das die Sache kaum noch. Gegen die eigenen Interessen zu stimmen, ist schließlich Grundvoraussetzung der Demokratie: Wie dem Bürger zwei Herzen in seiner Brust schlagen, das des Bourgeois, der ans eigene Wohl, und das des Citoyen, der ans Wohl der ganzen Klasse denkt, so erst recht bei denen, die über keinerlei Produktionsmittel verfügen: Weil sie als Lohnabhängige angewiesen sind aufs Kapital, das ihnen die Mittel zur Reproduktion gewährt, müssen sie sich auch dessen Kopf zerbrechen und aus Eigeninteresse das eigene Interesse beständig am nationalen Ganzen relativieren. Eine Regierung, die nicht Sorge trägt, dass die nationale Ökonomie am Weltmarkt besteht, Ausbeutung also profitabel bleibt, ist schnell weg vom Fenster; nicht bloß, weil die Ausbeuter es so wollen, sondern weil die Ausgebeuteten es so wollen müssen. (Darum war all die linke Aufregung um Clintons Nähe zum großen Geld so albern – um das zu wissen, brauchte es keine Geheimdossiers, sondern nur die Nachricht, dass sie für die Präsidentschaft kandidiert.)
Zu wählen heißt, sich die Gesellschaft als Ganze zu eigen zu machen; ebendas war der Clou hinter der Einführung des allgemeinen Wahlrechts, das nicht, wie vom alten Engels erhofft, den gewaltsamen Umsturz überflüssig machte (weil ja schließlich die Arbeiterklasse immer die Mehrheit stellt), sondern, ganz im Gegenteil, die Integration des einstmals exterritorialen Proletariats in die bürgerliche Gesellschaft befördern half. Kein Zufall daher, dass die Forderung nach »Demokratisierung« umso beliebter wird, je verbreiteter auch das Schlagwort von den »leeren Kassen« ist: Denn wenn das, was sich im Wahlakt aneignen lässt, bloß noch der Mangel ist, den es demokratisch zu verwalten gilt, dann übernehmen die Wahlbürger mit der Not zugleich auch die Verantwortung für sie. Autonom entschieden wird, unter Bedingungen der Krise, welche Opfer wer zu bringen hat; dementsprechend sehen die Wahlergebnisse dann auch aus.
Die öffentliche Fixierung auf die demokratische Fassade, die beständige Forderung nach Transparenz, das unablässige Aufdecken irgendwelcher täppischer »Skandale«, das Ressentiment gegen Kungelei und Hinterzimmerabsprachen, gewinnen umso mehr die Oberhand, je mehr die tatsächliche demokratische Substanz, der materielle Interessenausgleich, erodiert. In Ländern mit starker demokratischer Tradition (also nicht in Deutschland, wo spätestens seit 1989 nicht mehr CDU oder SPD, sondern der Sachzwang regiert) entschieden Wahlen bis vor kurzem zwar nicht über Sozialismus oder Kapitalismus, aber doch zumindest darüber, wie letzterer am besten zu managen sei. Inzwischen ist selbst in den USA das demokratische Geschäft weitgehend entpolitisiert, bloße Bühne zur Aufführung von Kabalen und anderem Kasperletheater: Kein deutlicheres Symptom dafür denkbar als die wochenlange Aufregung über die tödlich langweiligen Wikileaks-Veröffentlichungen, die keinerlei saftige Affären enthüllten, sondern bloß die Tatsache, dass Clinton einen hyperprofessionalen Wahlkampf führt, in dem noch jeder Witz dreimal vorab von den entsprechenden PR-Experten geprüft wird.
Mit der Wahl Trumps liegen die USA daher voll im Trend des Jahres 2016, das kommende Historiker wohl als dasjenige verzeichnen werden, in dem demokratische Herrschaft endgültig an sich selbst verrückt wurde: der verregnete Sommer der Demokratie. Egal, wo gewählt wurde, es gewann immer die Lumpenbourgeoisie: In der Türkei betrieb der demokratisch gewählte Präsident, mit Unterstützung des Volkes, die Verknastung von Journalisten und Oppositionspolitikern; auf den Philippinen triumphierte ein Gangster, der sich im Wahlkampf mit den von ihm begangenen Morden brüstete; in Kolumbien wurden per Plebiszit Regierung und Guerilla, die nach 40 Jahren endlich ein Friedensabkommen unterzeichnet hatten, zur Aufrechterhaltung des Bürgerkriegszustands gezwungen, den keine der beiden Parteien mehr haben will; und die Briten stimmten ganz ohne Not für die Senkung des eigenen Lebensstandards qua Brexit. Ein Kasper wie Trump ist da gewissermaßen das I-Tüpfelchen.
»Ohne Not« ist hierbei das entscheidende Stichwort. Keiner dieser absurden Entscheidungen, die niemandem nützen, wohnt auch nur ein Gran Notwendigkeit inne; ebendarum erfahren die, die sie treffen, sie als Befreiung. Mit der Demokratie ist es inzwischen wie mit der Bibel: Beide setzen die Freiheit der Menschen voraus, aber realisieren lässt sich diese Freiheit nur im Widersinnigen. Zu Gottes Glorie gehört wesentlich die Tatsache, dass seine Geschöpfe sich Ihm aus freien Stücken unterwerfen, nicht weil sie nicht anders können; aber unter Beweis stellen, dass sie auch anders könnten, kann, seit Adam und Eva, einzig und allein die Sünde, die zu begehen in die ewige Verdammnis, vollendete Unfreiheit, führt. Ganz ähnlich inzwischen der Wahlakt. Weil der Gedanke unabweisbar ist, dass der Austritt aus der EU nur schaden kann oder ein Programm, die letzte verbliebene kapitalistische Supermacht einigermaßen rational zu regieren, ziemlich so aussehen müsste (Obacht, Bernie-Fans!) wie das Clintons, erscheint als einzige Alternative zum Alternativlosen die Katastrophe: das Gleiche, nur noch schlimmer.
Im Unterschied zum sündigen Christen freilich, der allein für sich in die Flammen des Fegefeuers eingeht, sind es im Falle der Trump-Wähler die anderen, die die Konsequenzen zu tragen haben: die zur Existenz in genau der Hölle verurteilt werden, als die dem autoritären Charakter die Welt ohnehin immer schon erscheint.
III. Wenn es darum geht, diejenigen zu beruhigen, die sich von Trumps Wahlsieg bedroht fühlen, wird gerne darauf verwiesen, dass Trump sein ganzes Wahlkampfgerede doch selbst nicht glaube; so wie jüngst von Obama, der erklärte, Trump sei ein Pragmatiker, kein Ideologe. Fragt sich nur, was an der Behauptung beruhigend ist, der neu gewählte Präsident verfüge über keinerlei Prinzipien.
Wahr ist, dass das, was bis vor kurzem noch jeder Republikaner unentwegt beschwören musste – Gott, Freihandel und die Gründungsväter –, in Trumps Reden nicht die leiseste Rolle mehr spielt – ohne dass er etwas anderes an deren Stelle gesetzt hätte als eben: Trump. Weder von Freiheit und Individualismus war die Rede mehr noch von Moral und family values; der Demagoge vermeidet alles, was Anhänger wie Gegner als Anspruch verstehen könnten, woran die Politik zu messen sei. Selbst die Kennzeichnung als »nationalistisch« ist für die Trumpsche Rhetorik zumindest irreführend: Zwar führen Trump und seine Anhänger dauernd das Vaterland im Munde, wenn es ums Einsperren, Abschieben und Schurigeln geht, aber zugleich scheinen sie abgrundtief überfordert damit, auch nur einen Grund dafür angeben zu können, es tatsächlich zu lieben.
Darin besteht vielleicht der bemerkenswerteste Unterschied zu früheren republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Nicht, dass diese nicht immer auch, spätestens seit Goldwater und Nixon, mit rassistischen und anderen Ressentiments kokettiert hätten (wenn auch nie in der von Trump ausgelebten Drastik); aber garniert war dieser spezifisch republikanische Populismus immer mit einer optimistischen, aufbauenden, wenn man so will: patriotischen Botschaft. Reagan, der unübertroffene Großmeister in dieser Art des Messaging, versprach »Morning in America« und nannte die USA »a shining city on a hill«; Trump kann sie nicht tief genug in den Dreck ziehen, als epochaler Loser und globale Lachnummer. In seinen Wahlkampfreden figuriert die Heimat einzig noch als apokalyptisches Notstandsgebiet; gewürzt mit ordentlich doom and gloom und ein paar Angriffen auf Veteranen und ehemalige Kriegsgefangene, wäre es ohne die dazugehörige »Make America Great Again«-Cap schwer, sie von einer x-beliebigen antiimperialistischen Kommandoerklärung zu unterscheiden.
Trumps geheimes Motto, »No Future«, passt haargenau auf eine politische Stimmungslage, in der eigentlich jeder der vier aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten bloß weg, zurück in eine mythisch verklärte Vergangenheit wollte (Clinton in die Neunziger, die Erfolgsjahre ihres Gatten; Sanders in die frühen Siebziger, die Jahre der Vollbeschäftigung, satten Lohnerhöhungen und Nixons Spitzensteuersätzen; Ted Cruz in die Zeit der Mayflower-Landung, als noch puritanische Zucht und Sitte herrschten; und Trump selbst in eine surreale Mischung aus den Hollywood-Fünfzigern, Lalaland und Neandertal). Und es ist vielleicht nicht das Selbstbereicherungsinteresse, nicht die tägliche Flut an Drohungen und Beleidigungen und schlichtem Bullshit, nicht einmal die rassistische Hetze und die Legitimation sexistischer Übergriffe, sondern exakt dieser Nihilismus, der an Trump das Alarmierendste ist: jene »Nach uns die Sintflut«-Haltung, so perfekt auf den Punkt gebracht in der Entscheidung des neuen Kabinetts, der Nasa die Forschungsgelder zur Klimaforschung zu streichen.
Oder, präziser gesagt: Alarmierend ist nicht (zumindest nicht allein) die Tatsache, dass einer wie Trump die Wahl gewinnen kann; dass das Wahlvolk zum Hetzmob regrediert und lieber Blut sehen will als eine geregelte Krankenversorgung – mit derlei ist, in Zeiten der Aufklärungsverdrossenheit, zu rechnen. Aber dass es der herrschenden Klasse nicht einmal gelingt, einen Clown am Kandidieren zu hindern, der unfähig ist, auch nur sein ureigenstes Klasseninteresse zu vertreten; der das, was die USA jahrzehntelang mit Geld, Erpressung, Geheimdiplomatie und militärischer Intervention gegen jede Insurrektion verteidigt haben, nun freiwillig dranzugeben bereit ist: die »westliche Wertegemeinschaft«, das transatlantische Verteidigungsbündnis, die Nonproliferation von Atomwaffen und die Rhetorik von freedom and democracy sowieso – das allerdings gibt Anlass zur Sorge, und nicht zu knapp.
Die Kasper, die antraten, um die Basis bei Laune zu halten, sind bei den republikanischen Vorwahlen ja seit Jahrzehnten eine Institution, ohne dass je einer von ihnen, gegen den Willen der Parteispitze, die Kandidatur errungen hätte. Soviel Verlass ist doch auf das Selbsterhaltungsinteresse der Eliten immer noch gewesen. Seit Brexit, und erst recht seit Trump, gilt das nicht mehr. Und wenn es dem parteiinternen Establishment schon nicht gelungen ist, dem Clown wenigstens das Twittern zu verbieten, so gibt das nicht gerade Anlass zur Hoffnung, dass es ihnen beim Thema Krieg und Frieden besser ergeht. (Es muss ja nicht gleich der rote Knopf sein; ein Handelskrieg mit China, ihrem Hauptgläubiger, wäre für die USA schon ruinös genug.)
Eine revolutionäre Situation, so Lenin, liegt vor, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen. Was aber, wenn es umgekehrt ist – wenn die oben ihrer Herrschaft überdrüssig sind, aber die unten sie nicht gehenlassen wollen? Als Freund der Zivilisation konnte man sich, bis zum 8. November 2016, sicher sein, dass bei allem Blödsinn, den die Amis im Kopf haben mögen, sie doch für eines nicht zu haben sein werden, nämlich Faschismus. Nun nennen fast alle Kommentatoren als letzte Bastion des freien Westens Deutschland. Vertrauenerweckend ist das nicht.
1 Es waren Großkonzerne und Wall Street, die die Sparanlagen von Millionen Amerikanern verpulverten. Es waren aber auch Großkonzerne und Wall Street, die Bundesstaaten wie Indiana, Heimat des neuen US-Vizes Mike Pence, mittels Boykottmaßnahmen dazu zwangen, Gesetze zur legalen Diskriminierung von Schwulen und Lesben wieder zurückzunehmen.
2 Es gehört zu den entscheidenden diskurspolitischen Erfolgen Trumps, den echten Kerl im Blaumann, mit freundlicher Unterstützung der Linken, als Symbol und Repräsentanten »der Arbeiterklasse« reetabliert zu haben – auf Kosten der Kassiererinnen und der jugendlichen Burger-Brater oder Call-Center-Mitarbeiter, der sich mit zwei oder gar drei Jobs durchschlagenden Afroamerikaner/innen und Latinos und der migrantischen Haushaltshilfe ohne Aufenthaltserlaubnis; kurz: der Mehrheit des real existierenden Proletariats.
Lars Quadfasel ist Mitglied der Hamburger Studienbibliothek (studienbibliothek.org)
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