20.06.2013 15:17
NACH DER REVOLUTION
Regie: Yousry Nasrallah; mit Bassem Samra, Menna Shalabi; Frankreich/Ägypten 2012; 122 Minuten (24 Bilder); seit 30. Mai im Kino
»Die hatten voll die reaktionären Sprüche drauf, dann haben sie uns verprügelt.« Die junge Frau, die in die wackelige Kamera brüllt, ist stocksauer. Kein Wunder: Am Frauentag, 8. März, haben Islamisten ein Frauentreffen gesprengt. »Anständige Frauen sind verschleiert«, schreit als nächstes der Imam.
Yousry Nasrallah steigt furios mit viel Lärm und Aufregung in seinen Film ein, als habe es eben einen Terroranschlag gegeben. Nach einem Schnitt landen wir in der NGO der Freiheitskämpferin Reem: Verschleierte und unverschleierte Frauen diskutieren, wie es mit der Politik rund um den Tahrir-Platz weitergehen soll. Wo stehen die Menschenrechte in den arabischen Ländern, was ist mit den unfreien unteren Klassen? Dann gibt es richtig Krieg: Ein aufgebrachter Mob stürmt das Demogelände, schlägt, vergewaltigt und mordet – die »Schlacht der Kamele« vom 2. Februar 2011.
Man lernt die andere Seite kennen: Mahmoud, Pferdeführer für Touristen an den Pyramiden, hat mitgeprügelt: »Sie haben uns gesagt, die Demonstranten wollen unser Land zerstören.« Seit dem Präsidentensturz bleiben die Touris weg, keiner hat mehr Arbeit. Das sagen jedenfalls die lokalen Patriarchen, die sich mit Gangstermethoden an der Macht halten. Die Tiere sterben wirklich, die Armut ist real. Egal, woher sie kommt, meinen Leute wie Mahmoud, Ordnung soll wieder her.
Das Drehbuch führt Reem und Mahmoud zusammen. Küsse über Klassengrenzen hinweg. Politik trifft Privates, an den beiden werden die Standpunkte illustriert. Auch das Private ist politisch: Mahmoud, da wundert sich Reem doch, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Doch seine Frau Fatma findet Reem ebenfalls interessanter als das Eheleben. Selbst sie geht mal gucken auf dem Tahrir-Platz, malt Schilder, ruft: »Essen, Freiheit und Würde fordern wir!« und lernt ganz neue Leute kennen.
Oben gegen Mitte gegen unten; Mann mit und gegen Frau, schon die Kinder kämpfen. Die Revolution schürt nicht nur, aber auch: Mißtrauen. War es überhaupt eine? Nasrallahs Film ist voller guter Ideen, schöner Menschen und dokumentarischem Realismus. Ein besonderes Kapitel widmet er der Gentrifizierung am Fuße der Pyramiden. Die Armen, die dort wohnen, sollen weg. Sie stören die Aussicht. Spätestens hier findet der Film seine universell verständliche Sprache.
– Jürgen Kiontke –
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