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04.07.2013 13:23

Film des Monats

PROMISED LAND

Regie: Gus Van Sant; mit Matt Damon, Frances McDormand; USA 2012 (Universal); 106 Minuten; seit 13. Juni im Kino

Steve Butler und Sue Thomason reisen durchs Hinterland der USA und überreden Farmer, ihr Land für Fracking herzugeben, also für das Herausspülen von Gas- und Ölvorkommen mittels giftiger Chemikalien. Doch im Musterkuhdorf McKinley begegnen sie unerwartet starkem Widerstand, angeführt von einem alten Lehrer und einem jungen Ökoaktivisten. Mit welchen Tricks und Emotionen der Kampf um das »Promised Land« ausgefochten wird, davon erzählt Gus Van Sants neuer Spielfilm.

Matt Damon hat sich die Rolle des alerten Steve selbst auf den Leib geschrieben: ein All-American-Boy, der aus der Provinz stammt und sich einbildet, sie zu hassen. Denn er will ganz nach oben, dorthin, wo man Gummistiefel allenfalls trägt, wenn sie von Gucci sind. Die Eröffnungsszene zeigt ihn beim Waschen von Gesicht und Händen; wir werden ihn noch einige Male dabei beobachten. Aber so leicht geht der Schmutz der Geschäfte nicht ab und die alte Krume erst recht nicht. Und damit die Zuschauer sogleich kapieren, daß er ein verachteter Handlanger der Konzernstrategen ist, muß er den Nachnamen Butler spazierenführen.

Damons vergebliche Versuche, Dämonie in sein Gesicht zu zwingen, wirken nur deshalb nicht peinlich, weil ihm Frances McDormand zur Seite steht: Eine großartige Komödiantin wie sie läßt neben sich jeden gut aussehen. Einen tieferen dramaturgischen Grund als diesen hat ihre Rolle als Sue Thomason übrigens nicht. Es mangelt dem Film komplett an Tiefe, er ist so platt wie das gelobte Land, das er feiert. Konsequent überrascht die Pointe im Finale allein durch Überraschungsarmut.

Luis Buñuel berichtet in Mein letzter Seufzer, daß er 1930 eine »synoptische Tabelle über den amerikanischen Film« erfand: »Auf einer großen Pappe oder Holzplatte brachte ich, mittels Schnüren leicht zu bewegen, mehrere Rubriken an. Die erste Rubrik zum Beispiel für das Milieu … Die zweite Rubrik betraf die Epoche, die dritte die Hauptfiguren und so weiter – es waren etwa fünf Rubriken.« So konnte Buñuel die Handlung jedes Hollywood-Films, ohne ihn anzusehen, skizzieren und Produzenten, die ihm was von »einmaligen« Wendungen in ihren neuen Werken vorschwärmten, eiskalt ernüchtern: Buñuel erriet den Witz sofort. Die Regelverstöße im gediegenen Hollywood-Film sind nämlich nie welche, sie tun bloß so. Buñuel glaubte, sein Apparat sei irgendwann verlorengegangen. Ich denke, daß er ihm geklaut wurde und immer dann aus dem Schrank geholt wird, wenn das amerikanische Mainstreamkino sich an schweren Themen versucht.

Das Tableau für »Promised Land« dürfte wie folgt sortiert gewesen sein. Rubrik 1 (Sujet): Finanzspekulation / Umweltverschmutzung / Rassismus. Rubrik 2 (Ort): Slum / Fabrik / Hinterm Mond. Rubrik 3 (Held): Ehrgeiziger Journalist / Anwalt / Geschäftsmann. Rubrik 4 (Gegenspieler): Aufrechter Journalist / Wissenschaftler / Gewerkschafter. Rubrik 5 (Heldin): Hübsche – keinesfalls aufreizende! – Arbeiterin / Journalistin / Lehrerin. Nun ein wenig mit den Fäden gespielt, und fertig ist das gutgemeinte, gut gefilmte, gut gespielte, bis zum Erbrechen gutherzige Stück. Glauben Sie nicht, daß ich mich lustig mache! Das Presseheft zu »Promised Land« notiert, Damon und sein Co-Autor John Krasinski seien lange unschlüssig gewesen, welche Umweltsauerei sie anprangern wollten. Los ging es mit Windrädern (!), dann erwog das dynamische Duo Kohlebergbau, Erdölförderung sowie Lachszucht in Alaska, ehe Fracking ins Spiel kam und obsiegte. Einig waren die Strippenzieher sich allerdings, bei egal welchem Aufhänger »die gleichen Themen und Charakterstudien einzusetzen«.

So viel Beliebigkeit ließe sich besser aushalten, hätte sie zynische Motive. Ein Feelgood-Movie über verseuchte Äcker und krebserregendes Grundwasser: Das wäre vielleicht was geworden, wenn Sacha Cohen die Sache in die Hand genommen hätte. Doch Damon und seiner Kompagnie war es um Höheres zu tun. »In diesem Film geht es um das Ideal von Amerika und darum, wie wir es im Hier und Jetzt noch immer erreichen können«, sagt Krasinski. »Wir glauben nicht nur, daß die Dinge besser werden, sondern auch, daß der Weg, der uns dorthin führt, von allen gemeinsam gegangen werden soll.« Kein Wunder bei solchen Weltverbesserern, daß die USA seit bald 240 Jahren auf eine Revolution verzichten.

Nun erwartet ein denkender Mensch im Kino Authentizität zuletzt. Wenn aber auf der Leinwand ein politisch’ Lied angestimmt wird, sollte es in einem gewissen Verhältnis zur Wirklichkeit des Publikums stehen. »Promised Land« schert sich keinen Deut darum. Das Städtchen McKinley sieht so idyllisch aus wie eine Reklame des Fremdenverkehrsamts. Von den Verheerungen, welche die Agrarindustrie auf dem Land anrichtet, bemerkt man nichts. Die Eingeborenen haben das Herz am rechten Fleck, ohne jemals eine rechte Parole zu schwingen; Rednecks und Tea-Party-Unterstützer existieren in diesem Traumland nicht. (Schwarze allerdings auch nicht.) Die Grundehrlichkeit dieser Idealamerikaner lernt Steve Butler kennen, als er am Limonadenstand eines kleinen Mädchens ein üppiges Trinkgeld spendieren will. Die brave Farmerstochter besteht darauf, das Wechselgeld nicht zu behalten: Was 25 Cent koste, sei einen Dollar nicht wert. Das gibt dem Kapitalisten heftig zu denken und uns einen weiteren Grund, den Saal vorzeitig zu verlassen.

Man weiß auch ohne Buñuel-Maschine, was kommen wird, man hat es einfach zu oft gesehen: Der Saulus wird vom hohen Roß fallen, sein schändliches Gewerbe aufgeben und sich zur Weisheit der Armut bekehren. Wie in »Meuterei auf der Bounty«, »Alexis Sorbas«, »Die glorreichen Sieben«, »Local Hero«, »Under Fire«, »Wall Street«, »Der mit dem Wolf tanzt«, »Schindlers Liste«, »Gran Torino« … Die ganze Liste wäre ein Lexikon wert. Verwerflich ist jedoch nicht das Ausbeuten eines Archetyps in »Promised Land«, sondern die Angst seiner Macher vor starken Bildern und Worten, ihr Wunsch, nur keinem wehzutun. Der Film ist dermaßen halbgar und windelweich, als wolle er die Befürworter des Fracking mit einer Umarmung zur Einkehr bewegen oder wenigstens verstummen lassen. Weshalb ein begabter und gelegentlich subtiler Regisseur wie Gus Van Sant sich dem Geeier und Geseier des Drehbuchs so willenlos ergeben hat, kann wohl nur sein Finanzberater erklären.

Dies ist ein Hollywood-Film, der es leichtmacht, Hollywood zu hassen. Und das kann niemand gutheißen, der die Alternative, zumal das deutsche Kino kennt. Doch angesichts von »Promised Land« muß man leider einem alten Meister zustimmen. David Lynch klagte kürzlich: »Es scheint, daß heutzutage alles billiger wird. Die Bilder sehen billiger aus, die Töne klingen schwächer. Wir leben in einer Wegwerfkultur.« In der Filme über Umweltsünden selber welche werden

– Kay Sokolowsky –

 

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