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06.09.2013 13:43

CAN'T BE SILENT

Regie: Julia Oelkers; Deutschland 2013 (Neue Visionen); 87 Minuten; seit 15. August im Kino

»Viele Deutsche wissen nicht, was in Deutschland passiert.« Der Musiker Revelino, der im Asylbewerberheim schmachtet, stellt klar: »Es gibt Menschen, die überrascht sind, wenn wir sagen, daß wir mit fünf oder sechs Personen in einem Raum leben.« Und zwar jahrelang.

Still sein geht nicht: Daß er dies in eine Kamera erzählt, ist seinem Talent als Musiker geschuldet. Der Musiker Heinz Ratz, Teil der Band Strom und Wasser, besuchte um die 80 Flüchtlingsheime auf der Suche nach tonaler Kompetenz. Er wollte nicht nur spielen, sondern dies auch politisch tun. Seitdem ziert der Zusatz »feat. Refugees« den Bandnamen. Künstler wie Revelino fanden in Ratz’ Projekt eine Wirkungsstätte. Man praktiziert, es ist naheliegend, einen Multikultistilmix.

Regisseurin Julia Oelkers hat die Musiker während einer Tournee porträtiert. Wie sieht ihr Alltag aus, wie können sie sich bewegen? Über die jeweiligen Hintergründe der Flucht verraten die Bilder wenig – das wäre ausbaufähig. Statt dessen die Gegenwart: Ohne Musik, sagen die Flüchtlinge aus Gambia, Rußland, Exjugoslawien und Afghanistan, wären sie schon tot. Die Residenzpflicht wird für diesen einen Abend aufgehoben. Das Publikum kommt zahlreich. Anschließend wieder die Anstalt. Oder die Gefängniszelle: Auf dem Bahnhof falle man mit schwarzer Hautfarbe auf und werde sofort kontrolliert, sagt Sänger Sam.

Am Hinterausgang der Asylblöcke befinden sich breite Treppen – damit die Abschiebung, die immer morgens um drei stattfindet, nicht durchs Haus abgewickelt werden muß. Es wird gefesselt und aus dem Fenster gesprungen. Die Band bietet einen Kurzurlaub von der Isolation. Die Kamera folgt Ratz und seinen Musikern auch ins Bundeskanzleramt. Die Ausländerbeauftragte Maria Böhmer verteilt ihre Integrationsmedaillen. Ratz sagt: Ich bin kein Freund der deutschen Asylpolitik. Er spricht nicht von Heimen, sondern von Lagern. Mit den Auszeichnungen wandert man davon. Es ist ein Witz und doch nicht: Zwei Wochen später kommt der Abschiebebescheid.

Sam sagt: »Eine Sache ist wirklich schwer für mich zu verstehen: Wenn du auf der Bühne stehst, klatschen alle, tanzen und sind happy. Aber wenn du die gleichen Leute irgendwann später wieder triffst, bist du jemand völlig anderer für sie. Wenn du nicht auf der Bühne stehst, sehen sie in dir nur den Flüchtling.« Oelkers Film ist ein bedrückendes Dokument über schwer verständliche Zustände.

– Jürgen Kiontke –

 

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