04.11.2013 14:50
Regie: Erwin Wagenhofer;
mit Schülern und Hirnforschern;
Deutschland 2013 (Pandora);
109 Minuten; ab 31. Oktober im Kino
Da ich Opa bin, bin ich auch gefordert, die Eltern davon abzubringen, nur die Anforderungen der Schule im Auge zu haben und die Enkel nicht machen zu lassen, was in ihnen steckt. Diese meine von der überzeugenden und ausgesprochen sehenswerten Dokumentation beförderte Einsicht kommt allerdings im Film nicht vor. Wohl aber wendet er sich manifestartig gegen die Kreativvernichtung durch Pisa und die Beflissenheit, mit der das weltweit geltende wirtschaftsorientierte Bildungssystem junge Menschen zu Mitgliedern der Leistungsgesellschaft drillt – am liebsten ohne eigene Haltung. Erwin Wagenhofer hat damit seine mit »We Feed the World« und »Let’s Make Money« begonnene Trilogie vollendet. »Alphabet« ist der Paukenschlag, jetzt was gegen die ausschließliche Elitebildung und den Leistungsdruck zu tun, die spätestens am ersten Schultag anfangen. Statt dessen gelte es, das riesige Kreativpotential, mit dem jedes Kind zur Welt komme, zu fördern.
Wagenhofer bedient sich dabei nicht einer indoktrinierenden Argumentationskette, sondern stellt in aller Ruhe Positionen einer Reihe (teils prominenter) Personen und durchaus vom Mainstream abweichender Wissenschaftler vor, denen das Wort nicht abgeschnitten wird. Respekt! Der Film weicht damit von der stressigen Dokumentarfilmmontage ab, die hinter jedem Satz einen Schnitt macht, um das, was Interviewpartner zu sagen haben, zur Illustration für das Allwissen des Regisseurs zu degradieren, der halt der Beste sein will. Nur der Beste zu sein, oben in den Charts, gegen alle anderen – das ist bekanntlich das Ziel der neoliberalen Leistungskultur. David Foster Wallace hat das beispielhaft für das Unwesen der US-Tennisakademie beschrieben. Wär schön, das erste Drittel seines Romans Unendlicher Spaß mit dem Film zusammenzudenken.
Wagenhofer begleitet am Anfang einen deutschen Pisa-Koordinator auf einer China-Reise. Wir sehen einen Schüler, Pisa-Bester, aber offenbar emotional verkümmert und einer der jugendlichen Selbstmordkandidaten – auch in dieser Hinsicht ist China Spitze.
Gegenbeispiel ist ein Spanier mit sowohl Down-Syndrom als auch Universitätsabschluß, der mit den anderen zusammen bestehen will. Vom Hirnforscher bis zum Personalvorstand rufen alle dazu auf, von unten her das etablierte Bildungssystem zu ändern. Haltung zeigen! Sich bewegen! Aktiv werden! Los, in die Puschen! Das ist es! Opa fängt damit an.
– Dietrich Kuhlbrodt –
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