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Tomayers ehrliches Tagebuch

22.02.2013 13:28

Aufgrund der vielen Nachfragen, warum unser geliebter Hausdichter Horst "Hotte" Tomayer alias Opa Pulpo für konkret 3-2013 keinen Tagebucheintrag verfaßt hat, präsentieren wir hier und heute einen Auszug aus seinem Tagebuch der Märzausgabe 1997. Darin: Philosophisches über griechischen Fußball, Schopenhauer (der heute übrigens auch noch Geburtstag hat), Zukunft und Vergangenheit. Des Hausdichters Abstinenz wird Opa himself Euch bei nächster Gelegenheit erläutern.
 
Lieber Franz Beckenbauer!
 
Das letzte Mal sahen wir uns an einem weißblauen Julisonntag des Jahres 71 auf dem Fußballplatz meines Heimatvereins, des Ammersee-B-Ligisten »SpVgg Wildenroth«. Sie waren anläßlich der kirchlichen und weltlichen Einweihung unsres neuen Sportlerheims mit Warmwasseranschluß extra zu uns aufs Land gekommen mit ihrem international berühmten FC Bayern München, zu einem Freundschaftsspiel, und Sie erteilten uns mit 14 zu 1 eine weißgott standesgemäße Lektion. Unvergeßlich bleibt mir Ihr 6 zu 1, das Sie, die ganze Leichtigkeit Ihres Liberodaseins zelebrierend, in der 53. Minute erzielten, zum Entzücken der 2.000 Zuschauer. Nach dem Spiel kamen wir kurz ins Gespräch und entdeckten Gemeinsamkeiten. Beide warn wir in früher Jugend Auszubildende gewesen, im Versicherungsgewerbe, Sie bei der Allianz, ich bei der National. Das begossen wir kameradschaftlich mit einem kühlen Weizen. Dann rief Trainer Udo Lattek Sie und die Mannschaft zum Bus und - wir verloren uns aus den Augen. Ich kehrte in meine kleine Endreimschmiede zurück, Sie bestiegen den goldenen Waggon des Ruhms, wurden Weltmeister, Teamchef, nochmals Weltmeister und schließlich Präsident des FC Bayern. Doch vor kurzem begegneten wir uns wieder. Als ich die »Bild«-Zeitung aufschlug, sahen Sie mich an, auf einer Fotografie, die Sie vor ihrer neuen, 800 Quadratmeter geraumigen Alpenresidenz hoch über den Dächern Kitzbühls zeigt. Aber Ihr Blick war nicht mehr so burschikos wie einst, sondern kam aus vom Grübeln über den Sinn des Lebens unterdunkelten Augen. Wie das, durchfuhrs mich, doch dann las ich in der Ihnen gewidmeten Folge der »Bild«-Serie »Die Mächtigen der Liga« Ihre Einlassungen zur momentanen Befindlichkeit:  
 
»Was mich am wenigsten interessiert, ist meine persönliche Zukunft. Ich lerne aus der Vergangenheit. Ich habe gerade Sofies Welt gelesen, diesen dicken philosophischen Schinken. Sokrates, Aristoteles, Platon und diese Leute haben sich vor zweitausend Jahren Gedanken gemacht, da sind wir noch auf den Bäumen gesessen und haben uns vor den Wildschweinen gefürchtet. Seither haben sich nur ganz wenige weiterentwickelt. Ich gehöre auch zum großen anderen Teil. Wenn ich zum Beispiel einen Schopenhauer lese - ich verstehe ihn nicht. Da muß ich meine Beschränktheit zugeben ... «  
 
Ja, lieber Franz Beckenbauer, Sie sind mir ja gelungen! Wolfgang Schäuble hat Sie, als Garant für die Wiederwahl seines Herrn anno 98, als Deutschlands ersten Sportminister vorgemerkt, und was tun Sie? Sie gehn mit Ihrer intellektuellen Krisis gassi, dekuvriern sich haarscharf am Harakiri vorbei mit dem flagellantisch herausgeprügelten Bekenntnis: »Ich mache seit 33 Jahren Fußball, weil ich nichts anderes kann, und gehe vor einem Schopenhauer, der nie zur Weisheit eines Doppelpasses oder der rechtzeitigen Einwechslung Witeczeks fand, mea Beschränktheit, mea maxima Beschränktheit ausrufend, in die Knie«?! Aristoteles, Platon, Sokrates - na und? Wo steht der griechische Fußball heute? Glauben Sie im Ernst, daß Kanzler Kohl, der immerhin die Geschicke eines 80-Millionen Volkes und Exportweltmeisters lenkt, sich mit dem Kantschen Ding an sich auskennt? Was sollen denn diese ganzen Spitzfindigkeiten gegen die solide Wucht von 37 Prozent mehr verkaufter Hemdchen mit der Klinsmann-Nummer drauf? Schluß, lieber Franz Beckenbauer, mit diesem Herumgegrüble, und zurück ins Leben, denn nur da spielt die wahre Musik. Ich bin Ende März wieder in der Wildenrother Gegend, weil die drei Kamine meines alten Hauses neu aufgemauert werden müssen. Nach Kitzbühl wärs ein Katzensprung. Die Einladung zu einem Gedankenaustausch in Ihrer schönen Bergabsteige, sei es nun über Versicherung, Fußball, Schopenhauer oder Lebensabend und ein evtl. Leben nach dem Tod« schlüge ich gewiß nicht aus. Lassen Sie bitte hören von sich.

 

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