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Tractatus joachim-herrmannicus

27.11.2019 12:56

Notgedrungen musste das bayerische Innenministerium eine Neubewertung des Amoklaufs am Münchner Olympia-Einkaufszentrum vornehmen. Heraus kam ein Stück echter deutscher Qualitätsprosa.

Von Florian Sendtner

Geschlagene 16 Monate plagte und quälte sich der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zusammen mit seinen 900 Beamten ab, um ein Stück echt deutscher Qualitätsprosa zu verfertigen. Der Fall war aber auch vertrackt.

Der 18jährige gebürtige Münchner David S. hatte am 22. Juli 2016 beim Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen erschossen und anschließend sich selbst. Was Täter und Opfer gemeinsam hatten, war ihr Migrationshintergrund. Nur dass der neunfache Mörder persische Eltern hatte und sich somit nach nationalsozialistischer Rassentheorie als „Arier“ halluzinieren konnte, während die von ihm erschossenen für ihn allesamt „Kakerlaken“ und „ausländische Untermenschen“ waren, sprich: Deutschtürken/Griechen/Kosovaren, ein Sinto, ein Rom. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, verwendete David S. ein Foto des rechtsextremen norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik als Facebook-Profilbild und schlug am fünften Jahrestag der Anschläge von Oslo und Utøya zu.

Die Münchner Staatsanwaltschaft und das bayerische Landeskriminalamt konnte er damit nicht beeindrucken. War David S. nicht immer wieder in psychiatrischer Behandlung gewesen? Soll er nicht in der Schule gemobbt worden sein? – Klarer Fall eines unpolitischen Amoklaufs! Als die Stadt München drei wissenschaftliche Gutachten einholte, die unabhängig voneinander auf einen rechtsextremen, rassistischen Anschlag erkannten, verstand das LKA das als Vorwurf gegenüber der Polizei, auf dem rechten Auge blind zu sein, und ließ sich seine Haltung von einem Gegengutachten bestätigen.

Doch mittlerweile war herausgekommen, was den Ermittlern entgangen war: David S. war, zusammen mit hunderten anderen Rassisten, Mitglied des Anti-Refugee-Club auf der Plattform Steam, wo er unter anderem mit dessen Gründer William Atchison chattete, der ihm einen Heldennachruf schrieb und im Dezember 2017 in New Mexico seinerseits zwei Schüler ermordete, weil sie Hispanics waren. David S., der psychisch gestörte, unpolitische Amokläufer und Einzeltäter – die Story war so vielfach widerlegt, dass der bayerische Landtag im Juni 2018 einstimmig eine Neubewertung seitens des Innenministeriums verlangte.

Und an der feilten also 900 Beamte und ein Minister 16 Monate herum. Heraus kam dieses einzigartige Elaborat deutscher Polizeijuristenprosa, das dreizehn Seiten lang die alte Mär vom Amoklauf eines Psychopathen wiederkäut. Der Gipfel der Perfidie ist, dass die "Neubewertung" von einem "aufgrund persönlicher Erfahrungen entwickelten Rassismus" bei David S. spricht. Was man ja nur so verstehen kann: Die Opfer von David S. gehörten einer Gruppe an, die es sich irgendwie selber zuzuschreiben hat, dass sie ins Visier des Mörders geriet. Auf den folgenden Seiten erfolgt dann unvermittelt die Einstufung des Neunfachmords „nach abschließender Würdigung aller Umstände als Politisch Motivierte Gewaltkriminalität – rechts“. Auf der letzten Seite („Fazit“) ist der Text dann allerdings wieder im alten Fahrwasser.

Florian Sendtner

 

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