Aktuelles

tl_files/hefte/2019/abo919start.jpg

To watch this video, you need the latest Flash-Player and active javascript in your browser.

Tomayers Video-Tagebuch

No-Go-Area Deutschland

Filmkritiken

Termine

Aus aktuellem Anlass

Transparenz als Spektakel

20.11.2019 13:23

"Die Idee, man habe es bei Assange mit einem Mann der Linken oder auch nur der Aufklärung zu tun, erschien immer schon einigermaßen weit hergeholt." Lars Quadfasel in konkret 8/19 über den Fall Julian Assange und das paranoide Weltbild der Wikileaks-Macher.

Die Verhaftung Julian Assanges in der ecuadorianischen Botschaft in London und seine drohende Auslieferung an die USA haben unter Linken und Liberalen im wesentlichen zwei Reaktionen ausgelöst: Schadenfreude bei den einen, Heldenverehrung bei den anderen. Die Schwierigkeit, so scheint es, besteht darin, zwei Gedanken zur gleichen Zeit zu denken: dass das US-amerikanische Vorgehen ein Skandal ist – und dass dieser Skandal Assange noch lange nicht zu einem Märtyrer der guten Sache macht.

Lautete nämlich die ursprüngliche Anklage, die gleichzeitig mit seiner Verhaftung publik gemacht wurde, lediglich auf Computerkriminalität – Assange soll Chelsea Manning, die Wikileaks 2010 interne Berichte über das Vorgehen der Streitkräfte in Irak und Afghanistan zugespielt hatte, bei der Verwischung ihrer digitalen Spuren unterstützt haben –, so änderten die seither ergänzten Anklagepunkte den Sachverhalt erheblich. Vorgeworfen wird Assange nun  nicht mehr nur seine Beteiligung an der Beschaffung von Staatsgeheimnissen, sondern auch, und vor allem, deren Veröffentlichung; letzteres nämlich erfülle, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, den Tatbestand der Spionage gegen die USA. Damit wäre der Strafverfolgung nicht bloß von Whistleblowern wie Manning und Edward Snowden, sondern auch aller mit ihnen zusammenarbeitenden Medien und Journalisten Tür und Tor  geöffnet.

Zwar gehen die meisten Verfassungsrechtler davon aus, dass das Manöver an der im ersten Zusatz der US-Verfassung verankerten und in den USA traditionell robust ausgelegten Meinungs- und Pressefreiheit scheitern wird. Gewähr dafür besteht freilich nicht: Keine US-Regierung hat es je darauf ankommen lassen, die Sache bis zum Obersten Gerichtshof durchzufechten. Seit Nixon mit dem Versuch, die Veröffentlichung der Pentagon Papers per einstweiliger Verfügung zu verhindern, schon in der ersten Instanz scheiterte, hat bislang noch jeder Präsident es vorgezogen, lieber stillschweigend hinzunehmen, dass »Washington Post« oder »New York Times« mal wieder peinliche Staatsinterna auf den Titelseiten ausbreiten, statt sich vor Gericht als versuchter Pressezensor zu blamieren.

Trump freilich, der mit Putin über die Ermordung von Journalisten scherzt und alle Medien, die nicht »Fox News« heißen, als »Feind des Volkes« tituliert, kennt derartige Skrupel nicht. – Zwar betont die leitende Staatsanwaltschaft, dass die Presse von den Ermittlungen gegen Assange rein gar nichts zu befürchten habe: Bei Wikileaks, so die Behauptung, handele es sich nämlich keineswegs um ein journalistisches Unterfangen, und von daher drohe auch kein Präzedenzfall. Die Internetplattform habe vielmehr ihre Dokumente ganz wahllos und unredigiert veröffentlicht, leiste also keinerlei nachweisbare redaktionelle Arbeit. Was einerseits in der Sache nicht ganz falsch, andererseits aber kaum ein Grund zur Entwarnung ist: Denn die Entscheidung darüber, ab welcher Qualität Journalismus beginnt, möchte man doch lieber nicht einer verfolgungswilligen Regierung und ihrem verlässlich reaktionären Verfassungsgericht überlassen.

Die böse Ironie der Geschichte freilich ist, dass sich Assange seine Lage durchaus selbst mit eingebrockt hat. Wie viele Stimmen die Wikileaks-Interventionen während der US-Präsidentschaftswahlen Hillary Clinton gekostet haben, wird sich wohl kaum je feststellen lassen. Dass sie darauf angelegt waren, ihr maximalen Schaden zuzufügen, ist hingegen unwiderlegbar; Wikileaks selber hat sich stolz dazu bekannt. Dementsprechend begann die Veröffentlichung der sogenannten Podesta Files, der gehackten E-Mails von Clintons Wahlkampfmanager, genau eine Stunde, nachdem das berühmt-berüchtigte Access Hollywood-Tape, in welchem Trump sich seiner sexuellen Übergriffe brüstet, auf allen Fernsehanstalten zu sehen war und dessen Wahlkampagne endgültig in den Abgrund zu reißen schien. Und um den reichlich dünnen Inhalt so lange wie möglich in den Schlagzeilen zu halten, zog sich die Enthüllungsshow – hier mal ein paar Mails, da mal ein paar Mails – über Wochen hin.

Begründet wurde die Parteinahme seitens Wikileaks mit der damals unter professionellen Supertopcheckern äußerst beliebten Behauptung, Trump, als der hart rechte America First-Kandidat, neige weniger als seine Konkurrentin zu militärischen Abenteuern. Rückblickend betrachtet, scheint der brillante Plan freilich nur mäßig aufgegangen zu sein: Nach drei Jahren Amtszeit ist unter dem friedliebenden Isolationisten und seinem außenpolitischen Beraterteam aus Fernfuchtlern, Endzeitaposteln und Folterspezialisten die Zahl ziviler Todesopfer durch Dronenangriffe drastisch gestiegen; von den periodisch ausgestoßenen Drohungen, dieses oder jenes Land in Schutt und Asche zu legen, gar nicht erst zu reden. Kein Wunder also, wenn eine linke Regierung in Lateinamerika sich unter diesen Umständen zweimal fragt, ob die Beherbergung des aufgeblasenen Dilettanten, der einem den Trump beschert hat, wirklich den diplomatischen Hussle mit den USA wert sei.

Zumal die Idee, man habe es bei Assange mit einem Mann der Linken oder auch nur der Aufklärung zu tun, immer schon einigermaßen weit hergeholt erschien. Assange selbst hat nie etwas Derartiges verlauten lassen. Was seine politische Selbstverortung betrifft, so besteht seiner Ansicht nach die »letzte Hoffnung« für die Menschheit im libertarianism, einer im anglophonen Raum unter BWL-Studenten, Werbefuzzis und anderen angehenden Schnöseln recht beliebte Ideologie, welche sich durch besonders markige Parolen für unregulierte Märkte hervortut und dabei ungeheuer rebellisch tut; hierzulande würde man wohl von Anarchokapitalismus sprechen. Die Schlagseite nach ganz rechts ist darin, allem Freiheitsgetöse zum Trotz, immer schon angelegt.

Wenn nämlich alles, was es braucht, die individuelle Autonomie zu verwirklichen, die unsichtbare Hand des Marktes ist, dann haben es die, die bei deren unbestechlichem Wirken auf der Strecke bleiben, auch nicht anders verdient. Weswegen es nur konsequent erscheint, dass Assange, als er 2013 kurzzeitig auf den Gedanken verfiel, in seinem Heimatland Australien politisch Karriere zu machen, ein Wahlbündnis seiner neugegründeten Wikileaks-Partei nicht etwa mit den Grünen schloss, sondern mit den Faschisten von Australia First. (Nach einigem Aufschrei wurde die Angelegenheit kurzentschlossen zum Missverständnis erklärt und das Parteiprojekt bald darauf ganz aufgegeben.)

Dieser Ideologie entspricht auch das Wirken von Wikileaks. Das World Wide Web fungiert dabei quasi als idealer Markt, auf dem die mündigen Bürger sich ihrer Informationen bedienen – und damit als das positive Gegenstück zum Feindbild Staat: hier die strahlende Freiheit, dort die finsterste Bevormundung, der man freilich mit einem Download ein Schnippchen schlagen kann. Wie aber der libertarianism die Bürokratie dafür hasst, zum Wohle des Ka-pitals die Freiheit des Kapitalisten zu beschränken, gleichermaßen also die Abhörmaßnahmen wie die Umweltauflagen, die Zensurbehörde wie die Sozialfürsorge, so trifft auch Wikileaks mit seinen Enthüllungen höchstens einmal zufällig ins Schwarze. Den Geheimdepeschen über vertuschte US-Kriegsverbrechen im Irak stehen so zahllose Flops gegenüber; wenn nicht Schlimmeres.

Ein großspurig als »Klimagate« bezeichneter Skandal etwa entpuppte sich als interne Debatte einiger Klimaforscher über die richtige Präsentation von Daten, wird aber bis heute von Leugnern der globalen Erderwärmung als Beweis eines perfiden Täuschungsmanövers ins Feld geführt. Die mit viel Tamtam angekündigten AKP-Leaks enthielten keinerlei brisante Informationen aus dem Machtzentrum der türkischen Islamistenpartei, nur einige Bürgeranfragen an lokale Funktionäre, dafür aber die Wählerverzeichnisse ganzer Regionen, mit vollständigen Namen und Anschriften; ein anderes Mal wiederum gab Wikileaks die Daten saudi-arabischer Aids-Kranker an die Öffentlichkeit.

Das beruht nicht bloß auf Schlamperei, sondern entspricht exakt der selbstgesetzten Mission, alles, worüber der Staat exklusiv verfügt, stattdessen in den Kreislauf der Datennetze zu speisen. Was dann weiter damit geschieht, liegt in der Macht der Konsumenten. Als bei der Veröffentlichung der Irak-Dokumente der anfangs mit Wikileaks kooperierende »Guardian« darauf drängte, aus Sicherheitsgründen Informationen über die mit der US-Armee kooperierenden Irakis sorgfältig zu redigieren, kündigte Assange die Zusammenarbeit mit der Bemerkung auf, »Verräter« – Menschen also, deren Verbrechen darin bestand, an der Seite der Besatzungsmacht als Lehrer, Übersetzer oder ortskundige Führer ein besseres Leben für sich und ihr Land aufbauen zu wollen – hätten es sich selber zuzuschreiben, wenn ihnen etwas zustoße.

Wahrscheinlich ist es das, was Wikileaks die Hochachtung linker wie rechter
Antiimperialisten einträgt: Die Bereitschaft, ganz buchstäblich über Leichen zu gehen,
erscheint als Ausweis echter Radikalität im Namen der Sache. Nur interessiert Assange und seine Mitstreiter das, was die Fans als Sache in Wikileaks hineinprojizieren, ob nun der Kampf für die »unterdrückten Völker« oder der für die einzig wahre Religion, in der Regel nicht die Bohne. Aus den programmatischen Schriften spricht zwar eine Sicht der Welt als einem einzigen Geflecht konspirativer Machenschaften, aber das wirkliche Opfer dieser Verschwörungen – und zugleich der einzige, der brillant genug ist, sie mit ihren eigenen Mitteln zu besiegen – ist Assange selbst.

Egal, um was es geht, um das ecuadorianische Botschaftspersonal, um Hillary Clinton oder um schwedische Staatsanwältinnen, stets fügt sich eins zum anderen und liefert den Beweis, dass alle Welt es auf ihn abgesehen hat. (Über die beiden Frauen, die ihn in Schweden der Vergewaltigung bezichtigten, ließ Assange verlautbaren, sie seien Teil einer »radikal-feministischen Verschwörung« gegen ihn, weswegen er sich den Ermittlungen durch Flucht in die Londoner Botschaft entziehen musste. Hätte er sich statt dessen dem Prozess gestellt, wäre er heute wahrscheinlich um einiges sicherer: Eine Auslieferung aus Schweden in die USA ist juristisch und politisch weit aufwendiger als aus Großbritannien.)

Wie es sich für ein paranoides Weltbild gehört, ist die eine stete Konstante darin der Antisemitismus. Der erste Gast, den Assange in seiner kurzlebigen Talkshow im russischen Staatssender RT zum Chat empfing, war Hizbollah-Chef Nasrallah; und zu seinen engsten Mitarbeitern gehört der pathologische Judenhasser und Holocaust-Leugner Israel Schamir. Als während des US-Wahlkampfs mehr und mehr Kritik an der Parteinahme für Trump laut wurde, spottete Wikileaks per Tweet darüber, warum ihre Kritiker bloß immer Brillenträger seien, die als »Stammessymbol des Establishmentaufsteigers« drei Klammern um ihren Namen setzten – eine Anspielung auf die von US-amerikanischen Neonazis initiierte und dann von jüdischen Antifaschisten subversiv angeeignete Praxis, bestimmte Namen in dreifache Klammern zu setzen, um sie so als »jüdisch« zu markieren. Und ganz wie jeder Paranoiker die imaginären Verschwörungen zur Rechtfertigung seiner eigenen, höchst realen Intrigen nutzt, so sieht auch Assange sich selbst als Chef eines alternativen Geheimdienstes, der sich für keine Machenschaft zu schade ist.

Als sich 2016 die Hinweise darauf mehrten, dass Wikileaks die Clinton-Mails direkt von der russischen Regierung bezogen hat, ließ man den Verdacht streuen, die Quelle sei in Wirklichkeit ein Mitarbeiter der Demokratischen Partei namens Seth Rich gewesen, der kurz danach ermordet aufgefunden wurde – laut Polizeiangaben als Opfer eines Raubmords, in Wirklichkeit aber, so die Insinuation, natürlich auf Kommando von ganz oben. Bis heute wird diese Schauergeschichte, trotz wiederholter Bitten der Familie, sowohl von seiten der Pro-Trump-Rechten, auf »Fox News«, als auch von seiten der Anti-Anti-Trump-Linken, bei den so genannten »Russiagate-Skeptikern« (siehe konkret 5/19), immer wieder aufgewärmt.

Das Elend von Wikileaks lässt sich freilich nicht auf die Person ihres Gründers und Gurus und seiner Handvoll auserlesener Mitarbeiter reduzieren. Nicht Assange hat eine an sich nützliche Organisation zur profaschistischen Propagandazentrale heruntergewirtschaftet. Umgekehrt: Nur unter der Führung eines größenwahnsinnigen Hacker-Ideologen konnte sie überhaupt ihre Wirkung erlangen. Die digitale Aufklärung lebt nicht bloß davon, politische Praxis durch Links zu ersetzen, dem Nutzer also mit ein paar Mausklicks das gute Gefühl zu verschaffen, »etwas getan« zu haben; das, was da weitergeleitet und -verbreitet wird, ist selber leer. Das Geheimnis von Wikileaks heißt Transparenz als Spektakel: Es lebt von der Vorstellung, dass alles Entscheidende hinter den Kulissen abläuft, und wüssten die Bürger nur, was da gespielt wird, sie stünden schon längst auf den Barrikaden.

All die Aktenberge, die Wikileaks unredigiert und -kommentiert auf den virtuellen Markt wirft, kann im Ernst ja niemand durcharbeiten und soll es auch gar nicht. Sie sind dazu da, dem interessierten Bürger das Gefühl zu verschaffen, dass da etwas sei, was er nicht wissen soll. Kein besseres Beispiel wiederum als die Clinton-Leaks: Wer sie im Ernst durchläse, würde sich zu Tode langweilen, und man erführe aus ihnen nur, dass Hillary alles, aber auch wirklich alles noch gewissenhafter plant, als man es eh schon befürchtet hätte. Nur kommt es auf den wie immer auch banalen Inhalt überhaupt nicht an, sondern auf die Aura: auf das Gefühl, dass in diesen Bergen von Textnachrichten doch einfach irgendein Skandal stecken muss, allzumal, da doch jeder weiß, dass es mit Clinton und E-Mails ohnehin so seine Bewandtnis hat.

Mit dieser Form der Privatisierung betreibt Wikileaks die Verharmlosung der Politik. Denn zur Herrschaftsausübung im Spätkapitalismus gehört ganz wesentlich, dass alles, worauf es ankommt, vor aller Augen abläuft. Die zivilen Todesopfer der Bombenangriffe im Irak müssen nicht erst per Leak aufgedeckt werden; man erfährt jederzeit von ihnen in den Abendnachrichten, und das gleiche gilt für die Ertrinkenden im Mittelmeer oder die Spardiktate, die den unbotmäßigen Ländern Südeuropas aufgeherrscht werden.

Jeder, so das Kalkül, soll wissen, was den Überflüssigen droht, und genau deswegen darf keiner so genau darüber nachdenken. Indem Organisationen wie Wikileaks den Blick von der bedrohlichen Oberfläche abzuwenden und auf ein ebenso mystisch aufgeladenes wie inhaltlich banales Dahinter werfen helfen, tragen sie ihr Scherflein zum zeitgenössischen Verblendungszusammenhang bei: Enthüllungsjournalismus als Einübung in den Nihilismus.

 Lars Quadfasel schrieb in konkret 6/19 über die deutsche Enteignungsdebatte

 

Zurück

Ins Archiv

Ins Archiv der konkret-News geht es hier entlang.