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Was hat er? Was treibt ihn?

31.01.2013 15:53

Von einer Fama", die von mehreren konkret- Kommentatoren" in die Welt gesetzt worden sei und ihn sozusagen über Nacht" zum antisemitischen Autor" gemachte habe, spricht Eckhard Henscheid in seinen Memoiren Denkwürdigkeiten. Aus meinem Leben, die in den nächsten Tagen erscheinen. Vielleicht weiß der Schriftsteller und Satiriker, der schon beim Naziblatt Junge Freiheit" zum Interview angetreten ist, selbst nicht mehr, was er gestern noch geschrieben hat. Matthias Thieme hat bereits im Jahr 2000 beim daherwalsernden Meisterdenker nachgelesen (Konkret 9/00).

 

Eckhard Henscheid ist verärgert. Je nachdem, welches Buchprojekt gerade ansteht, sind alle (außer den »pionierkühn« und weise zur alten Rechtschreibung zurückmarschierenden »FAZ«-Herausgebern) entweder dummdeutsch, von Mißverständnissen geleitet oder, seit neuestem, schlicht obszön. Grass, Rinser, Ranke-Heinemann und Reich-Ranicki werden dank Henscheids Recyclingprosa auch zum zehntausendstenmal noch entlarvt.  

 

So dummobszön sie alle sein mögen, »man kann es aber inzwischen nicht mehr hören« (Joachim Rohloff in KONKRET 6/2000). Gleichwohl ist es bemerkenswert, daß keiner der bisherigen Rezensenten des neuen Henscheid-Buchs (Co-Autor: Gerhard Henschel) Das Jahrhundert der Obszönität sich an den Seiten 503/504 gestoßen hat. Besonders obszön scheinen Henscheid hier »der einstige Mauthausener KZ-Häftling und verantwortliche Naziverbrechens-Verfolger Simon Wiesenthal«, der »allzeit bereite professionelle Entlarver Henryk Broder« und »der jüdische Mitbürger und CDU-Mann Michel Friedman«. Am allerobszönsten findet Henscheid offensichtlich Wiesenthals klugen Satz: »Antisemitismus ist eine Krankheit, die keine Juden braucht.« Für Henscheid, der längst keine Argumente mehr nötig zu haben scheint, ist dieser Satz »so oder so natürlich der pure logische Unsinn mit dem trüben Schein eines höheren«. Die These (nicht das überall zu beobachtende Phänomen) vom »Antisemitismus ohne Juden« wird schon in der Kapitelüberschrift von Henscheid zu einer »neuartigen Randärgerlichkeit« erklärt. Einen Nachweis, warum Wiesenthals Satz »Nonsens« sei, bleibt Henscheid schuldig. Dafür drischt er ressentimentgeladen auf eine von ihm angeblich aufgespürte Bereitschaft »seitens jüdischer oder auch anderer Instanzen und Einzelbescheidwisser« ein, »den ›Antisemitismus‹ gar zu freigebig zu verstreuen«.  

 

Man darf sich wundern: Jüdische Instanzen »verstreuen« Antisemitismus. Was sind das überhaupt für gefährliche »jüdische Instanzen«, über die Henscheid da so andeutungsvoll raunt? Und warum ist Wiesenthal der verantwortliche Naziverbrechens-Verfolger? Verglichen mit den obszönen Juden kann Henscheid sogar dem Exschatzmeister der hessischen CDU, Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein, noch sympathische Seiten abgewinnen. Dessen Lüge, die in der Schweiz gewaschenen CDU-Millionen seien »das Vermächtnis wohlhabender jüdischer Mitbürger«, sei zumindest nicht antisemitisch gewesen, beharrt Henscheid und steigert sich zum furiosen Finale. Nicht etwa der Wahn des Antisemiten, sondern die Rede vom Antisemitismus erscheint ihm »gar zu freischwebend gedankenarm oder im Gegenteil spitzfindig«. Selbst die von Horkheimer/Adorno in ihren Elementen des Antisemitismus beschriebene Ticketmentalität der modernen antisemitischen Subjekte schreibt Henscheid plötzlich den Juden zu. Das »häufig, ja meist blind gebuchte Ticket ›Antisemitismus‹« berge »eine Dosis Obszönität«, die der Auschwitz-Leugnung »nur graduell nachsteht«. Wiesenthal ist in Henscheids Augen also nur graduell weniger obszön als ein ostdeutscher Neonazi. Düster und bedrohlich wird es Henscheid ums Herz angesichts der angeblich inflationären Rede vom Antisemitismus. Von Wiesenthal, Broder, Friedman und »jüdischen Instanzen«, so deutet er schließlich an, drohe, man faßt es nicht, »jene Tyrannei, wie sie Göring im Zusammenhang der Nürnberger Gesetze gesagt haben soll: ›Wer Jude ist, bestimme ich.‹« Antisemitismus ohne Juden gibt es nicht, und wer so was dennoch behauptet, ist eine Art göringscher Tyrann: So will es Henscheid wohl doch nicht gemeint haben, trotzdem gibt er sich als ein von unerbittlichen Juden verfolgtes Opfer.  

 

Henscheid, dessen Idiosynkrasie gegen Ignatz Bubis allgemein bekannt ist, leugnet mit dem von dumpfer Aggressivität durchzogenen Text nicht nur die weiterhin aktuellen Erkenntnisse der Frankfurter Schule; sein emotionaler Reflex ist ein gutes Beispiel für den Mechanismus der falschen Projektion. Ob es ähnlich dem etwa von Achtundsechzigern bei allerhand unpassenden Gelegenheiten gern verwendeten Faschismusvorwurf auch einen falschen Antisemitismusvorwurf gibt, spielt bei der Widerlegung von Henscheids grundfalscher These, es gebe keinen Antisemitismus ohne Juden, keine Rolle. Der Kritischen Theorie zufolge beruht der Antisemitismus auf falscher Projektion. Dabei ist nicht das projektive Verhalten entscheidend, sondern der Verlust der Reflexion. Der Antisemit versetzt »das sprungbereite Innen ins Äußere und prägt noch das Vertrauteste als Feind. Regungen, die vom Subjekt als dessen eigene nicht durchgelassen werden und ihm doch zu eigen sind, werden dem Objekt zugeschrieben: dem prospektiven Opfer.« Alle nicht zugelassenen Wünsche, allen Selbsthaß, alle Machtgier projiziert der Antisemit ins Bild des Juden, das Spiegelbild seines Selbst. »Anstatt in sich zu gehen, um das Protokoll der eigenen Machtgier aufzunehmen«, schreibt das antisemitische Subjekt »die Protokolle der Weisen von Zion den anderen zu«. Die Außenwelt fungiert als Abladestelle für verdrängte Regungen. »In der antisemitischen Paranoia drücken die Antisemiten nur sich selber aus; die Paranoia ist unabhängig vom realen Objekt, gegen die es sich richtet«, schreibt Lars Rensmann in seinem Buch Kritische Theorie über den Antisemitismus. »Antisemitismus überlebt mit Juden und, noch besser, ohne sie.« So sieht noch der Mordlustige im Opfer den Verfolger, wird die ganze Welt zum Inbegriff des auf sie Projizierten. Nach Adorno/Horkheimer kann das zwanghaft projizierende Selbst nur sein eigenes Unglück extrovertieren, dessen Quellen es nicht kennt. Antisemitismus ist demnach ein im projizierenden Subjekt entstehender paranoider Wahn, der mit realen Juden nichts zu tun hat. »Der faschistische Antisemitismus muß sein Objekt gewissermaßen erst erfinden.«  

 

Was Henscheid nicht verstanden zu haben scheint, ist, daß jeglicher Antisemitismus von vornherein und immer ohne Juden funktioniert, daß die Abwesenheit von Juden das antisemitische Wahngebäude sogar eher fördert, weil die Juden als noch abstrakter, versteckter, mächtiger und unsichtbarer halluziniert werden können. Wiesenthals Satz ist eine kluge Zusammenfassung dieser Erkenntnis: »Antisemitismus ist eine Krankheit, die keine Juden braucht«. Wenn Henscheid dies als »Nonsens« bezeichnet, macht er sich lächerlich. Ein Blick nach Ostdeutschland genügt, um Henscheids Text als »puren logischen Unsinn« zu erkennen. »Menschen, die noch nie einen Juden gesehen haben, können leidenschaftliche Antisemiten sein, oft ist sogar der Mangel an jeder konkreten Erfahrung mit Juden Voraussetzung für die Entwicklung antisemitischer Einstellungen. Der Antisemitismus als kollektives Phänomen kann auch sehr gut ohne Juden existieren; in Ländern, in denen es längst keine Juden mehr gibt oder nur noch sehr wenige, in Polen zum Beispiel oder in der Bundesrepublik, gibt es immer noch einen vitalen Antisemitismus – eben einen Antisemitismus ohne Juden«, schreibt richtig der von Henscheid ebenfalls angegriffene Henryk M. Broder. Auch Jürgen Elsässer hat darauf hingewiesen, daß es der Zählebigkeit antisemitischer Stereotype nützt, »wenn sie sich nicht an lebenden Subjekten blamieren. Je weniger Juden in der Realität anzutreffen sind, um so mehr werden sie Opfer globaler Phantasien.«  

 

Welche Abgründe sich auftun, wenn man Henscheids Unfug weiterdenkt, ist schnell gesagt: Angenommen, die Quelle des Antisemitismus läge nicht ausschließlich im Subjekt des Antisemiten und Antisemitismus sei abhängig von der Existenz, der Zahl, dem Verhalten der Juden – was die Opfer des Wahns zu seiner Ursache umlügt – , dann wäre es nicht nur möglich, die Antisemiten durch ein Wohlverhalten der Juden zu besänftigen, dann wäre die wirksamste Antisemitismus-Bekämpfung die Entfernung der Juden, Hitler der konsequenteste Anti-Antisemit und Henscheid der klügste Schriftsteller im Jahrhundert der Obszönitäten und Mißverständnisse. Da dies nun wirklich »Schwachsinn« (E. H.) ist und Henscheid, der als Vertreter der »Neuen Frankfurter Schule« beweihräuchert wird, die Forschungsergebnisse der alten Frankfurter Schule selbst mit einer doppelten Dosis seines Wunschdenkens nicht widerlegen kann, ist auch seine Prinzeninschutznahme der reine Blödsinn. Mit seiner Vermächtnis-Lüge habe Sayn-Wittgenstein an eine »verheuchelt philosemitische Mentalität« appelliert, so Henscheid. Einmal abgesehen davon, daß sowohl Philosemitismus als auch Antisemitismus derselben Gleichmacherei entspringen, die der jüdischen »Rasse« besondere Attribute zuschreibt, ist Sayn-Wittgensteins Behauptung natürlich von Friedman völlig zu Recht als antisemitisch bezeichnet worden. Denn die angeblichen Geldgeber erschienen hier als versteckte, unfaßbare, abstrakte, um es mit Henscheids verschleierndem Wort zu sagen: jüdische Instanzen.  

 

Die Juden stehen für den wahnhaft projizierenden Antisemiten sowohl hinter dem Kapitalismus als auch hinter dem Sozialismus, können als versteckte »Strippenzieher« z. B. PDS und CDU gleichzeitig sponsern, selbst wenn sie, so Sayn-Wittgensteins antisemitische Phantasie, schon tot und damit vollends unfaßbar und abstrakt sind. Beim Engagement gegen die Rechtschreibreform stand Henscheid von Anfang an angeblich eher unfreiwillig Seit’ an Seit’ mit selbstbewußten Deutschen wie Botho Strauß, Heimo Schwilk, Ulrich Schacht und Ernst Jünger. Die Rückkehr seiner geliebten »FAZ« zur alten Rechtschreibung wird Henscheid nun endgültig zum Reichsparteitag mit Wagnermusik. Noch ist es nur ein »kleiner deutscher Ruhmestag« für Henscheid, doch »die Fanfare der ›FAZ‹« wird ihm schnell zum »mächtigen Posaunenschall«, und er dröhnt, von Nationalgefühl und Reinhaltung der deutschen Sprache völlig besoffen, vom »stolzen Blattuntertitel« der »Zeitung für Deutschland«.  

 

»Antijüdische Haltungen scheinen oft Hand in Hand zu gehen mit einer zweideutigen Vorstellung von der Rolle und Bedeutung der Sprache in der modernen Gesellschaft. Nichtjuden werden von Antisemiten als regelrechte Wahrheitsfanatiker dargestellt, die in ihren moralischen Gefühlen ständig aufs tiefste verletzt werden vom jüdischen Verrat an der von Gott gegebenen Sprache«, schreibt Leo Löwenthal in seinen Schriften zur politischen Psychologie des Autoritarismus. Vielleicht kann Henscheids deutscher Koller auch als Beispiel dafür gelesen werden, »wie innig Sexus und Sprache sich verschränken« (Adorno). Henscheid im Alter, das heißt Aufstehen für Deutschland. Mit seinen hartnäckig vorgetragenen »Wagner-Märlein« springt Henscheid unbeirrbar immer wieder den germanenmythosbesoffenen Relativierern, den wagnerschen Judengotthassern, die immer noch auf Erlösung durch den arischen Christus hoffen, bei (und das, leider, in KONKRET 6/97), schwatzt von lediglich »taktisch-antisemitischen« Tönen Wagners und Hitlers (!), die, allein Henscheid weiß warum und behält’s wie immer für sich, »ohne jede Glaubensüberzeugung« zustande gekommen seien. Starrsinnig hält Henscheid trotz des klugen Buchs von Paul Lawrence Rose, der mit dem ganzen Blödsinn der zwei Wagner, dem Hirngespinst, man könne die Opern vom Antisemitismus ihres Verfassers trennen, aufräumt, am Ammenmärchen vom tollen Komponisten fest. Was hat er, was treibt ihn, fragt man sich und liest das Kapitel zum »Spätschwachsinn« Jüngers in der Kulturgeschichte der Mißverständnisse noch mal nach. Henscheids frühere Bücher bleiben großartig. Doch auf seine neueren Texte zu Wagner, zur Rechtschreibreform und zum Antisemitismus ohne Juden passen nur des immer öfter daherwalsernden Meisterschreibers eigene Kategorien: dummdeutsch und obszön.

 

 

 

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