»Zäh wie Leder« – unter diesem Titel hatte Peer Heinelt sich in KONKRET 5/07 anläßlich des allzu späten Todes von Hans Filbinger dem Phänomen gewidmet, daß Nazismus sich – wenn auch nur für die Nazis – als »gesunde Lebensform« erweise. Zwar war Filbinger nur 93 geworden und Otto Ambros, der den Aufbau des KZs Auschwitz-Monowitz geleitet hatte und nach 1945 wieder in diversen Aufsichtsräten der deutschen Chemieindustrie saß, gar nur 89. Ernst Jünger jedoch wurde 102, Leni Riefenstahl 101, ihr Kollege Luis Trenker 97. Carl Schmitt, der Säuberer des deutschen Rechts von »jüdischem Geist«, wurde 96, Theodor Oberländer 93, so alt wie Rudolf Heß. Hermann Josef Abs, Chefarisierer jüdischer Unternehmen, dann der Bankier der BRD, wurde 92. Den Rekord hält Johannes Heesters mit 108 Jahren. Jetzt hat es, plötzlich und unerwartet, mit 100 Jahren den SS-Führer Erich Priebke erwischt, der 1944 – zum Teil mit eigener Hand – an der Ermordung von 335 italienischen Zivilisten teilgenommen hatte. Siehe zu Priebke Eberhard Rondholz: »Führerbefehl – wir folgen«, Oliver Tolmein: »Deutscher Abzählvers« (beide in KONKRET 9/96) und Tjark Kunstreich: »Neues von der Versöhnungsfront« (6/00).
Heinelt hatte die Zähigkeit der Nazis damals so erklärt: »Weil ihnen psychische Belastungen wie Selbstzweifel und Schuldgefühle genauso fremd waren wie ungesunde Arbeitsbedingungen und weil sie stets genügend Geld für gutes Essen und medizinische Versorgung zur Verfügung hatten, sind sie steinalt geworden – ihr Herrenmenschentum erwies sich sozusagen als erfolgsträchtiger way of life.«
Dies irae. 16 Jahre hat der »Spiegel«-Redakteur Volker Hage auf den Tag gewartet, an dem er sich für die Verhohnepiepelung seines doppeldeutschen Namens als Wolfhard von Wülpensand, Bödwild Dietleib, Dankwart Eckefried, Giselher Wirsing, Gunnar Sohn, Loki von Helmnot und so weiter (»Gremlizas Express«, 6/97) rächen könnte. Der Tod Marcel Reich-Ranickis, der begnadeten Ulknudel des Literaturbetriebs, bot endlich die Gelegenheit. Hage im »Spiegel«: Nach dem Verriß eines Romans von Martin Walser war 1976 in der linken, von der DDR mitfinanzierten Zeitschrift KONKRET folgende Überschrift zu lesen: »Jetzt reicht’s, Ranicki«. Und der Herausgeber Hermann L. Gremliza schrieb, unvorstellbar genug: »Fragen der Hygiene verlangen nach anderen Antworten. Im Wiederholungsfall werden sie gegeben werden.«
Den Eindruck nicht zu stören, Gremlizas mißratene Polemik habe seitdem als physische Drohung über des Kritikers Haupt geschwebt, mußte Hage natürlich unterschlagen, was der Täter dazu in KONKRET 8/94 erklärt hatte:
Ich habe vor 18 Jahren in KONKRET gegen den Literaturredakteur der »FAZ« polemisiert. Ich habe am Ende dieser Polemik Worte gebraucht, die ich nicht hätte gebrauchen dürfen. Herr Reich-Ranicki wird sich erinnern. Ich hätte ihn schon längst um Entschuldigung bitten sollen.
Die Entschuldigung ist nun auch schon wieder 19 Jahre her. Vor 37 Jahren hatte Gremlizas dummes Wort den Betroffenen übrigens animiert, auf der folgenden Buchmesse von Stand zu Stand mit dem Wort Beifall zu suchen, der Herausgeber von KONKRET sei »der typische SA-Mann«.
(Was die Finanzierung von KONKRET betrifft, so hatte sich der »Spiegel« bereits in den achtziger Jahren zur Unterlassung der nun wieder aufgefrischten Behauptung verpflichtet.
Über nun fällige Widerrufe und Unterlassungen siehe KONKRET 12/13.)
Kanzlerin, hieß es in KONKRET vier Wochen vor der Wahl,
bleibt, mit Tschingderassa, Angela Merkel … Einen Vizekanzler Steinbrück wird es nur geben, wenn die FDP ausfällt und die Grünen sich ein letztes Mal zieren sollten – das eine so unwahrscheinlich wie das andere.
Die erste der zwei Unwahrscheinlichkeiten ist, damit auch die Leser von KONKRET was zu feiern hatten, sofort eingetreten, die zweite bis Redaktionsschluß dieser Ausgabe noch nicht. Ihre Realisierung zu verhindern, liegt in der Kanzlerin Hand: Ein Dutzend Dienstwagen und ein paar Vorzimmer – und ab geht die Luzi. Die Geschichte der Grünen übrigens hat einen Bart, der in das Jahr 1985 zurückreicht, als es in KONKRET unter dem Titel »Nikolausi? Osterhasi!« hieß: Zur Zeit wählen fünf bis zehn Prozent der wahlberechtigten Bundesbürger die grüne Partei. Was denken sie sich dabei? Was wünschen sie? Den Umsturz der Produktionsverhältnisse? Die Gemeinschaft der Gemeinden mit einem Gott/Göttin in der Mitte (R. Bahro)? Die Brechung der Systemlogik? Eine andere Republik? Ach, Pustekuchen! … Die Zukunft der Grünen ist vorgezeichnet, und keineswegs so, wie Ebermann und Trampert sich das wünschen. Man läßt sich nicht ungestraft von Millionen mittelmäßig erboster SPD- und FDP-Wähler (und einer Dunkelziffer christdemokratischer Oberförster) in die Parlamente wählen. Die verlangen Tribut, nämlich das, was Herbert Wehner »die Anpassung an die Stimmungslage der Wähler« nannte.