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Pfeifen im Blätterwald

Für Thomas Thielemann

Die Insolvenz der »Frankfurter Rundschau« und das Ende der »Financial Times Deutschland« sind eine Katastrophe für jeden Menschen, der dort sein Auskommen einbüßt. Für alle, die vom Publizieren existieren, sind sie ein Menetekel, für treue Abonnenten bedauerlich. Dem Rest der Republik scheint das »Zeitungssterben« piepenhagen. Bekanntlich standen »FR« und »FTD« schon seit Jahren auf der Absägeliste der Holzmedien weit oben. Das trieb ihnen aber keineswegs Heerscharen von Solidaritätskäufern zu.

Es wird nun viel spekuliert, woher die Gleichgültigkeit des Publikums für die Zeitung kommt. Als bedeutendster Krisengrund muß das World Wide Web herhalten. Niemand kaufe, was gratis zu haben sei, lautet das eine Argument. Die werbetreibende Wirtschaft habe ihre Etats zugunsten des digitalen Marketings umgeschichtet, das zweite. Und, drittens: Die alte Tante Zeitung habe es versäumt, gegenüber den News-Portalen »den großen gesellschaftlichen Beitrag des Journalismus herauszustellen« (so in umwerfender Scheinheiligkeit Thomas Rabe, der Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann).

Diese Begründungen sind nicht aus der Luft gegriffen und doch nur die halbe Wahrheit. Der Niedergang der Presse entspricht dem Aufstieg des Neoliberalismus, den wiederum die Presse nach Kräften unterstützt hat. Meinungen waren zwar immer schon käuflich, doch noch nie so billig zu haben wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten, als die bürgerlichen Medien im Chor das Evangelium des Marktes verkündeten und jeden verspotteten, der dem menschlichen Leben mehr Wert beimißt, als die blanke Verwertung es vermöchte.

Nun walzt die Marktmaschine auch über die Presse hinweg und produziert Opfer, die bisher bloß leere Worte oder ein Achselzucken übrig hatten für jeden, der beim Rattenrennen auf der Strecke bleibt. Man könnte darüber Schadenfreude empfinden, wäre das nicht die schönste Freude der Bourgeoisie. Vielleicht sind einige, die den Klassenkampf bislang für ein Gerücht aus der Vorzeit hielten, jetzt etwas klüger, obschon ihnen dies in ihrer Lage kaum helfen wird. Dafür sind die Aussichten auf eine Zukunft, die sie in ihren Artikeln regelmäßig zu einer von gestern erklärt haben, zu trüb.

Die herrschende Klasse braucht gedruckte Periodika nicht länger, um sich die Macht zu erhalten; sie muß ja keine Opposition mehr fürchten. Sie hat erfolgreich die Parlamente und Parteien zu ihren Handlangern abgerichtet und der Regentin beigebracht, daß eine Demokratie »marktkonform« zu sein hat. Die politische Debatte wurde ersetzt durch Polit-Barometer und Kanzler-Castingshows: Auch dabei hat die Presse mit Passion mitgespielt. Es ist nichts als dumm und verlogen, wenn Leute, die zur Entpolitisierung der Gesellschaft massiv beigetragen haben, jetzt beklagen, mit jeder Tageszeitung, die abgewickelt werde, geriete die Demokratie selbst in Gefahr. Sie tun so, als sei der »gute« bzw. »Qualitätsjournalismus« ein unersetzliches Gut. Dabei ist eine ganze Wirtschaftsredaktion nicht so schützenswert wie ein einziger Flaschensammler, dessen Erniedrigung sie mit ihrem Applaus für Hartz IV mitbefördert hat.

Von der Verwechselbarkeit der Zeitungen in Auswahl und Aufbereitung der Themen hört man sehr wenig. Kein Wort darüber, daß Chefredakteure vor jedem einen Diener machen, der ihnen eine Anzeige verspricht, und jeden Autor, der nicht mit den Wölfen heulen will, als Schafskopf abtun. Die Stille saust geradezu, wenn es um die Besitzverteilung im journalistischen Geschäft geht. Daß vier Konzerne mehr als 60 Prozent des Zeitschriftenmarkts kontrollieren, daß zehn Verlagsgruppen gut 55 Prozent aller Tageszeitungen herausgeben, erzählt über die Autonomie der selbsternannten »vierten Gewalt« und die Qualität des Journalismus so viel, wie tausend aufgeregte Leitartikel sich in hunderttausend Phrasen nie trauen würden.

Da die deutschen Zeitungen einander gleichen wie ein Druckfehler dem anderen, ist es so schwer nicht zu verstehen, warum sie dem Publikum ebenfalls gleich sind. Wie die Wahlbeteiligung jedes Jahr weiter in den Keller fällt, weil die Programmbücher der Parteien sich allenfalls im Layout unterscheiden, so sinken auch die Auflagen. In einer Verblendung, die fast schon was Gebenedeites hat, schwärmte Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der »Zeit«, am 22. November von »der in ihrer Vielfalt, Ernsthaftigkeit und Unabhängigkeit vielleicht besten Medienlandschaft der Welt«. Es handelt sich um denselben di Lorenzo, der vor ein paar Monaten helfen wollte, Karl Guttenberg einen Weg zurück an die Macht zu bahnen – also jenem Lügner und Nichtskönner, der nie was geworden wäre ohne die »vielleicht beste Medienlandschaft der Welt«. In seinem Plädoyer für solcherlei »Qualitätsjournalismus« erfindet di Lorenzo ein Wort von ganz eigener Qualität. Es heißt, du liebe Zeit: »Relevanzversprechen«, und dafür einzustehen habe das »gedruckte Medium«. Wenn die Presse nicht mehr wichtig ist, soll sie wenigstens versprechen, sie wäre es? Es gibt Köpfe, in denen möchte man nicht fünf Sekunden lang wohnen.

Die »Zeit«-Ausgabe, in der di Lorenzo um Verleger fleht, die »die Grenze wissen zwischen notwendigem Kostenmanagement und … Substanzverlust«, das heißt, um Wesen aus einer anderen Welt, macht mit der Schlagzeile auf: »Wie guter Journalismus überleben kann«. Dazu geben »Deutschlands wichtigste Medienmacher« Auskunft. Als ob gerade die etwas von »gutem Journalismus« verstünden, als sei die Verwandlung von Journalismus ins »Medienmachen« nicht bereits sein Exitus.

Entsprechend lesen sich die Survivaltips, etwa von »Bild«-Chefredakteur Kai Diekmann: »Guter Journalismus wird immer überleben, egal auf welcher Oberfläche er die Menschen erreicht. Denn sie dürsten nach Informationen, Einordnungen, Geschichten.« Er wollte vermutlich sagen, daß nur der oberflächliche Journalismus überleben wird, solcher wie der in seinem feinen Blatt. Aber das stimmt nicht: Seit 2002 ist die verkaufte Auflage von »Bild« um anderthalb Millionen Exemplare gesunken. Ein Jahr zuvor hatte »Medienmacher« Diekmann das Regiment übernommen. Das, immerhin, sind Erfolgsgeschichten, nach denen man dürstet.

Julia Jäkel, im Vorstand von Gruner und Jahr für die deutschen Pressetitel des Verlags zuständig, empfiehlt: »Wir müssen wieder ein Klima von Kreativität und Sportsgeist schaffen.« Dazu gehört offenbar, einige hundert Stellen zu streichen. Jäkel soll übrigens geweint haben, während sie der »FTD« an den Kragen ging. So menschlich kann das Antlitz des Kapitalismus sein.

Vielleicht hätte Jäkel sogar richtig geheult, hätten die Angestellten von Gruner und Jahr sich ausnahmsweise solidarisch mit den Kollegen gezeigt und den Laden so lange lahmgelegt, bis für jeden Entlassenen eine neue Stelle geschaffen worden wäre. Ein Klassenbewußtsein jedoch brachten in der Branche zuletzt die Drucker und Setzer auf, und seit deren Arbeit Computer erledigen, können die Verleger alles wieder einkassieren, was die von den Redakteuren als »Bleiläuse« Verachteten einst erstreikten. Während die »Medienmacher« sich mit zynischen Vorschlägen zum Überleben des »guten Journalismus« spreizen, hoffen die guten Journalisten, es möge bitte jemand anderes über die Klinge springen. Es ist kein Wunder, wenn dem Publikum diese Presse und deren Vertreter am Arsch vorbeigehen.

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