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Die Zivilgesellschaft arbeitet auf

Die deutsch-italienische Historikerkommission hat ihren Abschlußbericht vorgelegt. Das hört sich nicht besonders aufregend an, ist jedoch ein bemerkenswertes Politikum. Denn es ging schließlich nicht um die Ausgestaltung von Schulbüchern, sondern um die Erledigung des Auftrags, im Keim zu ersticken, was zum Beispiel in Griechenland zu beobachten ist, wenn auf dortigen Straßen der Name Merkel fällt.

Ausgangspunkt für diese noch vor kurzem kaum vorstellbare Entwicklung ist der Umstand, daß Italien in den letzten Jahren zum Brennpunkt zeitgeschichtlicher Kontroversen geworden ist, die das Verhältnis Deutschlands zu seiner Geschichte betreffen. Dazu zählt, daß die deutsche Justiz deutsche Kriegsverbrecher freisprach, während sie in Italien verurteilt und – wie auch die Bundesregierung – zu Entschädigungsleistungen verpflichtet wurden. Besonderes Aufsehen erregte der Beschluß italienischer Gerichte, die Vollstreckung von Pfändungsurteilen griechischer Gerichte gegenüber deutschem Besitz in Italien wegen Wehrmachtverbrechen zuzulassen, weil sie in Griechenland durch eine auf deutschen Druck hin getroffene Entscheidung blockiert waren. Empörung und entsprechende Gerichtsverfahren hatte in Italien auch der Trick ausgelöst, mit dem die Bundesregierung die italienischen Militärinternierten von den Zahlungen für NS-Zwangsarbeit ausschloß. Diese italienischen Kriegsgefangenen waren von den Nazis in den Zivilstatus versetzt worden, um sie des internationalen Rechtsschutzes zu berauben und zu Zwangsarbeit pressen zu können. Ein von der Bundesregierung beauftragter Gutachter stellte wunschgemäß fest, daß diese Entscheidung unrechtmäßig sei und die Militärinternierten nach internationalem Recht weiterhin den Status von Kriegsgefangenen gehabt hätten. Hieraus zog die Regierung den Schluß, daß sie nach den Regeln der Zwangsarbeiterstiftung keinen Anspruch auf finanzielle Leistungen hätten und schloß sie von Zahlungen aus.

Als der Kassationshof als oberstes italienisches Gericht 2008 die in Italien gegen die Bundesrepublik ergangenen Urteile für zulässig erklärte, war der mit der Zwangsarbeiterstiftung angestrebte Befriedungsplan gescheitert und die Bundesregierung mit einer Unmenge von möglichen Klagen konfrontiert. Normalerweise hätte sie in dieser Situation eine politische Lösung aushandeln müssen, um dem juristischen Desaster die Schärfe zu nehmen. Doch sie entschloß sich statt dessen, beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag den gerade im Hinblick auf Menschenrechtsfragen umstrittenen Anspruch auf Staatenimmunität einzufordern und die italienischen Urteile auf diese Weise auszuhebeln. Damit hatte sie bekanntlich auch Erfolg. Doch war dies zugleich eine geschichtspolitische Bankrotterklärung und gefährdete das internationale Ansehen Deutschlands. Eine legitimationsfördernde Begleitmaßnahme war deshalb geboten. Das war die Geburtsstunde der deutsch-italienischen Historikerkommission, die unter der Schirmherrschaft des deutschen und des italienischen Außenministers dazu beitragen sollte, die »unterschiedlichen Erinnerungskulturen in Deutschland und Italien zumindest aufeinander auszurichten«.

Ihr Ergebnis ist ein circa 180seitiger Bericht, der für die Italiener in einem populären Schreibstil vor allem festhält, daß zu ihrer Geschichte im Zweiten Weltkrieg auch die Achsenpolitik zwischen Rom und Berlin gehört (ohne die von italienischer Seite in diesem Zusammenhang begangenen Verbrechen und die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen gegenüber den Opfern zu thematisieren) und daß die Resistenza außerdem kein so einmütiges Projekt der italienischen Bevölkerung war, wie sie nach 1945 manchmal erscheinen mochte. Die Deutschen wiederum wurden daran erinnert, daß auch für den italienischen Kriegsschauplatz das Bild von einer »sauberen Wehrmacht« falsch war und daß den Militärinternierten Unrecht zugefügt worden ist. Einen besonderen Zug gewinnt diese Darstellung durch die systematische Einbeziehung individueller Erfahrungen. So wird in Form von eingestreuten Erlebnisberichten zum Beispiel vermittelt, daß manche Militärinternierte bereits durch die Verfrachtung nach Deutschland in vollkommen überfüllten Waggons traumatisiert wurden. Dennoch scheint die Kommission sich selbst des Eindrucks nicht hat erwehren können, daß ihre volkspädagogischen Darlegungen allzu banal sind. Jedenfalls durchzieht den Text die Beteuerung, daß die Vorlage neuer Forschungsergebnisse in der gegebenen Zeit nicht möglich gewesen sei. Die Konsequenz hieraus ist eine Auflistung von Forschungsaufgaben und Popularisierungsprojekten am Schluß des Textes, die zwecks »Investitionen in eine europäische Zukunft« in Angriff genommen werden sollten. Sie reicht von der Gründung einer Zeitgeschichtsstiftung über die Einrichtung von Datenbanken und Übersetzungsfonds bis hin zur Erstellung von Wanderausstellungen und Summer Schools, umfaßt also das ganze erinnerungstechnische Arsenal, das mit Hilfe einer in Aussicht gestellten »großzügigen Geste« der Bundesregierung realisiert werden könnte.

Dieses Vorschlagssammelsurium der Historikerkommission verdient allein schon deshalb Beachtung, weil es auf bemerkenswerte Weise den politischen Vorgaben seiner Auftraggeber verhaftet bleibt und nicht einmal den Versuch enthält, aus eigener Urteilskraft heraus Akzente zu setzen. Selbst vorhandene gesellschaftliche Argumentationsspielräume werden nicht genutzt. So hat etwa der Internationale Gerichtshof in seinem Urteil ausdrücklich angemerkt, daß er der Bundesrepublik zwar aus juristischen Gründen das Recht auf Staatenimmunität zubilligt, aber dazu rät, sich um eine politische Lösung zu bemühen.

Hier einzuhaken wäre auch deshalb Aufgabe der Historikerkommission gewesen, weil sie als besonderes Merkmal ihrer Stellungnahme die Berücksichtigung der erwähnten persönlichen Erfahrungen der Opfer und ihre individuelle Verarbeitung hervorhebt. Was es für sie und ihre Angehörigen bedeutet, daß die Tätergesellschaft bis auf den heutigen Tag Entschädigungsleistungen verweigert, hat sie jedoch nicht interessiert. Zeitgeschichte endet für sie 1945, die Zeit danach überläßt sie der Politik, obwohl gerade die über Jahrzehnte hinweg ihre Ignoranz gegenüber den NS-Verbrechen demonstriert und weder die individuellen Täter aus den Reihen der Wehrmacht zur Rechenschaft gezogen noch Opfer entschädigt hat.

Die Historikerkommission hat allerdings als Zugeständnis an die Opfer neben den bereits erwähnten Empfehlungen auch einen zentralen Erinnerungsort für die Militärinternierten in Deutschland vorgeschlagen, daneben verschiedene kleinere in Italien. Als Kriterium für die Güte eines solchen Vorschlags sei an eine Entscheidung erinnert, die etliche Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen im Zuge der Gründung der Stiftung für die Entschädigung von Zwangsarbeit getroffen haben. Als sich deren unzureichende Leistungen abzeichneten, wiesen sie diese als Beleidigung zurück. Vielleicht sollte man darüber nachdenken, auch solche Denkmäler zurückzuweisen. Zur Wahrheitsfindung würde dies sicher beitragen.

Rolf Surmann schrieb in KONKRET 1/13 über zweierlei Zwangsarbeit

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