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von konkret

»Das, Hermann, wird dir noch leid tun«, sagte Karl Heinz Roth, der damals als Arzt auf St. Pauli arbeitete, beim Abendessen zum Herausgeber von KONKRET. Es war der 25. Juni 1982, Erstverkaufstag der Juli-Ausgabe, die eine Reportage aus dem Iran enthielt, in der Kai Hermann die »fremde Revolution« der Mullahs gegen ihre Kritiker verteidigte. Peinlicher Höhepunkt: ein Besuch im Teheraner Evin-Gefängnis. Zitate:

Wir gehen durch den weitläufigen und übersichtlichen Gefängniskomplex. Überall wird irgend etwas verschönert. (Gefängnischef ) Ladjewardi scherzt mal hier, mal dort. Furchteinflößend scheint der »Henker von Teheran« nirgends zu sein. Wir kommen in ein sehr neues, sehr großes Gebäude. Auf dem Hof werden Volleyball und Fußball gespielt, Muskeln an Kraftmaschinen trainiert. Die Gefangenen bewegen sich frei in dem gesamten Gebäudekomplex … Ich habe in der Bundesrepublik noch kein so freundlich scheinendes Jugendgefängnis gesehen. Eine Gruppe Gefangener wird in das Büro geführt. Der Jüngste ist vierzehn, die anderen wenig älter. Ich frage nach der Folter. Die Jungen lachen. Ich gebe ihnen mitgebrachte Zeitungsausschnitte und Folterfotos und veröffentlichte Namenslisten von angeblich hingerichteten Kindern. Die Jungen fangen an zu kichern, als sie die Fotos von verstümmelten Armen und Beinen sehen … Es gibt Kekse. Ladjewardi klopft den Jungen auf die Schulter mit väterlichen Ermahnungen.

In seinem Editorial hatte der für den Inhalt verantwortliche Chefredakteur Manfred Bissinger vorausgeschickt:

Seit Monaten lesen wir immer wieder die gleichen Greuel-Berichte. Wir fanden es deshalb notwendig, vor Ort zu recherchieren. Kai Hermann war im Iran. Sein Bericht wird vielen nicht passen: Er belegt, wie die westliche Presse auf die Propaganda der Volksmudjahedin einsteigt. Die kann noch so absurd sein. Hauptsache, es geht gegen den Ayatollah Chomeini und seine Mullahs.

Dreißig Jahre später zeigt die »AllgemeineSonntagszeitung« eine bei Frankfurter Redakteuren selten beobachtete Kenntnis der Vergangenheit, als sie Nargess Eskandari-Grünberg, die damals in Evin eingesperrt war, die Frage stellte:

Wissen Sie, was damals hier in Deutschland und Westeuropa los war? Chomeini hatte einen unglaublichen Rückenwind, auch von der Linken. Damals erschien in der Zeitschrift KONKRET ein langer Artikel. Ein preisgekrönter Journalist ist nach Iran gereist und hat sich das Evin-Gefängnis zeigen lassen. Er hat darüber geschrieben, wie toll es dort war. Daß in dem Artikel auch diese Sätze standen: Und dann ein Blick durch ein Fenster auf einen anderen Gebäudekomplex: Frauen mit verbundenen Augen, die Hände auf den Schultern der nächsten, werden irgendwohin geführt. Die andere Wirklichkeit, die andere Wirklichkeit von Evin. Sie wird uns nicht vorgeführt. Nach acht Stunden wieder draußen, durchatmend, weiß ich einiges mehr und Entscheidendes nicht. Folter und humaner Strafvollzug hinter denselben Mauern? Religiös gerechtfertigte Kaltschnäuzigkeit, die nach Zynismus klingt und moralisches Pathos. Widersprüche. Sie sind wohl in einer Revolution so.

wird von der »FAS« nicht erwähnt. Aber es soll hier nicht versucht werden, Reporter, Chefredakteur, Herausgeber und Zeitschrift herauszuhauen: Karl Heinz Roth hat Recht behalten. Wahr aber auch: Nachdem Bissinger und seine sozialdemokratischen Freunde anderthalb Jahre später verabschiedet waren, ist dergleichen nicht mehr vorgekommen.

Veranstaltungshinweise: Am 7. Februar um 20 Uhr liest in der Berliner Volksbühne Tuvia Tenenbom aus seinem Buch Allein unter Deutschen. Danach wird über die aktuelle Antisemitismus-Debatte gesprochen: mit Rafael Seligmann, Dieter Hallervorden und Hermann L. Gremliza.

Am 17. Februar um 20 Uhr liest im Hamburger Golem, Große Elbstraße 14, Jutta Schwerin aus ihrem Buch Ricardas Tochter. Leben zwischen Deutschland und Israel. Moderation: Hermann L. Gremliza.

Errata im Januar-Heft: KONKRET-Autor Georg Fülberth merkt an, daß die Universität, an der Hannah Arendt bei Heidegger studiert hatte (s.»FilmTheater«, Seite 56) nicht die Tübinger war, sondern die Marburger, und der Flughafen, von dem in »Herrschaftszeiten« (Seite 11) die Rede ist, nicht in Schöneberg liegt, sondern in Schönefeld. Siehe auch Walter Kollos Operette »Wie einst im Mai«, die im Frühjahr 1913, also vor genau hundert Jahren, Premiere hatte, und in der es bekanntlich nicht heißt: »Das war in Schönefeld im Monat Mai / Der dicke Wowereit war auch dabei / Der hat erst renommiert, sich dann verpißt / Wie das in Schönefeld so üblich ist.« Siehe auch die von Peter Rühmkorf in Über das Volksvermögen überlieferte Version: »Es war in Schöneberg in einem Puff / Ich hab fünf Mark bezahlt und kam nicht ruff / Da hat die alte Sau mich noch bepißt / Wie das in Schöneberg so üblich ist.«

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