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»Finale des Grauens«

Noch auf der Flucht vor den Nazis plante der marxistische Kunstsammler und Historiker Eduard Fuchs eine Neuausgabe seines Buches Die Juden in der Karikatur. Von Ulrich Weitz

Vor einigen Wochen ist als Band 58 der konkret-texte-Reihe Micha Brumliks Innerlich beschnittene Juden. Zu Eduard Fuchs’ »Die Juden in der Karikatur« erschienen. Es enthält Auszüge aus dem 1921 erschienenen Buch, in denen der Marxist Fuchs, Gründungsmitglied des Spartakusbundes (1918) und der KPD (1919), sich mit der Rolle der Juden in der Geschichte, vor allem der Wirtschafts- und Kulturgeschichte Europas und der USA, beschäftigt, samt einer Auswahl der von Fuchs gesammelten antisemitischen Karikaturen. Und es enthält eine ausführliche kritische Analyse der »klassisch linken«, noch für die Kritische Theorie Adornos und Horkheimers relevanten Fuchsschen Annahmen durch Micha Brumlik.

Bei Archivrecherchen ist Ulrich Weitz nun unter anderem auf Eduard Fuchs’ Nachlaß aus dem Pariser Exil gestoßen – Material, das geeignet ist, die Informationen des konkret- texte-Bandes zu ergänzen und das Bild der Fuchsschen Aktivitäten punktuell zu vervollständigen, denn offenbar hat Fuchs im Exil eine erweiterte Neuausgabe der Juden in der Karikatur geplant.

 

1. Anfang der zwanziger Jahre war Eduard Fuchs’ Biographie durch Kontakte zum jüdischen Bildungsbürgertum Berlins und durch seine politische Arbeit gegen Hitler und die NSDAP geprägt. Im Auftrag des Frankfurter Instituts für Sozialforschung gründete er bereits 1924 ein sozialwissenschaftliches Archiv, in dem Material über die nationalsozialistischen Bewegungen in Deutschland gesammelt wird. In einem Notizbuch von Leo Jogishes, dem Freund Rosa Luxemburgs, sind die Geldbeträge vermerkt, die Eduard Fuchs etwa 1918 im jüdischen Bekanntenkreis (Paul und Bruno Cassirer, Tilla Durieux, Hugo Simon) zur Finanzierung der Antikriegsflugblätter des Spartakusbundes sammelte. Mit Paul Levi, dem 1. Vorsitzenden der KPD, war Fuchs befreundet, und in der Gesellschaft der Freunde des Neuen Rußland, die er 1923 gründete, waren neben ihm Albert Einstein und der Industrielle Franz Oppenheimer aktiv.

In der Kochstraße 73 in Berlin-Kreuzberg, wo heute Kinder im Indoorspielplatz Pubs spielen, richtete Fuchs 1924 im Auftrag der gerade gegründeten Frankfurter Gesellschaft für Sozialforschung ein sozialwissenschaftliches Archiv ein. Dessen Zweck begründete er in einem Schreiben an den Finanzier Felix Weil: Das Archiv müsse sich

auf die seit dem August 1914 akut gewordenen sozialen und politischen Volksbewegungen konzentrieren. Als Hauptgebiete nenne ich nur: Faschismus in Italien, die völkische Bewegung in Deutschland, das Wiederaufleben des Antisemitismus, der Kommunismus in den verschiedenen Ländern, der Nationalismus, die nationalen Verselbstständigungskämpfe der Iren, Türken, Ägypter, Inder (Ghandi), Neger usw., die Bauernbewegungen auf dem Balkan, die Kux-Klanbewegung in Amerika, die Sunjatzen-Partei in China usw. usw. Das Material über alle diese Fragen, das für alle späteren Forscher von unersetzlichem Wert sein wird, liegt heute vielfach auf der Straße, morgen jedoch nicht mehr. Und darum muß man zugreifen. Wie ich schon sagte, kommt in erster Linie Berlin als Sammelort in Frage. Als einer der Hauptgründe erwähne ich nur, daß hier die meisten politischen Parteien ihren Hauptsitz haben, und ich will meine verschiedenen Beziehungen dazu ausnutzen, um zu holen, was nur zu holen ist.

 

2 .Micha Brumliks Auseinandersetzung mit Fuchs konzentriert sich auf den Text. Das Neue an der Fuchsschen Methode der Kulturgeschichtsschreibung war aber vor allem das Illustrationsmaterial. Ohne die Publikation von Fuchs wäre es heute nur zu Teilen bekannt.

Bereits 1921, als nur sehr wenige unter den Berliner Intellektuellen Adolf Hitler überhaupt kannten, veröffentlichte Fuchs in seinem Band Die Juden in der Karikatur ein mit »AH« signiertes antisemitisches Hetzplakat, das Brumlik auf Seite 69 seines Buches auch abbildet. Die Signatur offenbart, daß der von der Wiener Kunstakademie abgelehnte Adolf Hitler damals noch eigenhändig antisemitische Karikaturen fabrizierte. Der hakennasige Jude mit der arisch-blonden Schönheit sollte in Hitlers Plakatentwurf verdeutlichen, daß die »Rassenvermischung« Deutschlands Untergang bedeute. Fuchs besaß dieses 1920 erstmals gedruckte Plakat in seiner Graphiksammlung und veröffentlichte es im genannten Band bereits 1921. Er nahm als einer der ersten die nationalsozialistische Gefahr sehr ernst und sammelte im sozialwissenschaftlichen Archiv systematisch Unterlagen, etwa die Akten des Landsberger Prozesses gegen Hitler.

Zu dem Band Die Juden in der Karikatur gratulierte ihm sein Freund Max Slevogt mit einer Tuscheskizze: Moses schleudert statt der Gesetzestafel das »Judenbuch« gegen Fuchs. Der Maler wünscht dem Autor: »Hoffentlich setzen Sie sich keiner ›Judenverfolgung‹ aus! Ich hatte keine Ahnung, daß Sie die alte Idee schon verwirklicht und fix und fertig haben.«

 

3. Im Institution on War, Revolution and Peace der Universität Stanford bin ich auf den Nachlaß von Eduard Fuchs aus dem Pariser Exil gestoßen. Er liefert wichtige neue Erkenntnisse.

Sofort nach der Machtübertragung an Hitler versuchte der seit 1928 zur Kommunistischen Partei-Opposition (KPO) gehörende Fuchs, eine breite antifaschistische Bewegung zu initiieren. Er lud rund 50 Intellektuelle, Wissenschaftler und Künstler in seine Berliner Villa ein und begrüßte sie mit der Feststellung, »daß es um alle unsere Köpfe geht in Zukunft und daß man sich zusammentun müsse, und das sofort, um gegen die Gefahr Hitler zu kämpfen«. Am 14. Februar 1933 schrieb er voll negativer Vorahnungen in seiner Einleitung zur Marx-Biographie von Franz Mehring: »Zu alledem und ebenfalls überall gesellt sich als furchtbarste Auswirkung ein erschütternder Rückfall in politische und kulturelle Barbarei. Nur Narren, bewußte politische Betrüger und solche, die zu feig sind, die unvermeidliche historische Logik von alledem sehen zu wollen, können es wagen, den Völkern vorzumachen, daß es übermorgen in der Welt wieder so sein wird, wie es vorgestern war.«

Anfang März 1933 verließ Fuchs das Deutsche Reich. Sofort erließ das Finanzamt gegen ihn und seine Frau einen Steuersteckbrief, 75.000 Reichsmark wurden von Bankkonten und 35.000 Reichsmark an Barvermögen beschlagnahmt. Auch sein Haus (eine Villa von Mies van der Rohe) und die riesige Kunstsammlung konfiszierte die Gestapo. Die Familie seiner Frau Grete Fuchs geb. Alsberg wurde im gleichen Jahr aufgrund ihres Judentums enteignet. Nach Tietz und Karstadt war die Gebrüder Alsberg KG damals die drittgrößte Kaufhauskette in Deutschland (Umsatz 1930: 200 Millionen RM). Rund 20 Kaufhäuser, darunter das legendäre Alsberg in Bochum, wurden »arisiert«, der junge Alsberg- Mitarbeiter Helmut Horten sicherte sich dank seiner guten Kontakte zu den Nationalsozialisten die Verfügung über die Kaufhauskette.

Fuchs resignierte nicht und versuchte auch vom Exil aus, publizistisch gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen. Am 17. März 1937 trat er in Verhandlungen mit der Druckerei Hesse und Becker in Leipzig ein, um die Verlagsrechte und die Klischees seines Buches Die Juden in der Karikatur zurückzukaufen, das er – versehen mit einem Ergänzungskapitel – neu auflegen wollte. Im Exposé für diese Neuauflage, das sich als maschinenschriftliches Manuskript an der Universität Stanford befindet, schreibt Fuchs:

Wie eine alles erfassende Pest allgemeiner Verrohung und Vertierung zog der Antisemitismus von Deutschland aus sozusagen über die ganze Welt. Alles niedertrampelnd und jeden Widerstand tödlich erstickend … Und keine der typischen Verleumdungs- und Greuelformen, die noch jede antisemitische Hetzkampagne begleitete, blieb aus. Nicht nur, daß der Jude erneut zum infamen Repräsentanten alles Schlechten und Gemeinen, das die menschliche Gesellschaft kennt, gestempelt wurde, nein, zügellos tobten sich an hunderten von Orten die scheußlichsten Pogrome aus. Der entfesselte Rassenhaß konnte sich hemmungslos austoben. Ritualmordmärchen verbreiteten sich hundertfach, jede menschliche Beziehung zwischen »Jud« und »Arier« wurde zur schamlosen »Rassenschande« gestempelt. Tausende von Morden wurden unter diesem Schlachtruf begangen und viele tausende von Jahren Zuchthaus über die Schuldigen verhängt … Mit dem hunderttausendfach wiederholten Ruf »der Jud ist schuld« sollten das Elend und die Not der Zeit übertüncht werden.

Natürlich fand dieses Finale des Grauens und Entsetzens, diese fürchterlichste Orgie des Sadismus, durch die die zivilisierte Menschheit je gewatet ist, ihren entsprechenden Reflex auch in der Karikatur der verschiedenen Länder und wieder ihren infamsten in Deutschland. In Deutschland ging nicht nur jahrelang ein wahrer Sturzregen von antisemitischen Plakaten nieder, eine jede Zeitung war obendrein mit antisemitischen Artikeln und Bemerkungen vollgepfropft, kommentiert in unzähligen Fällen mit gleichwertigen Karikaturen. Es ist klar, daß eine Geschichte der »Juden in der Karikatur« nur in der Einbeziehung dieses Abschnitts ihre historisch-logische Geschlossenheit finden kann. Und diese Geschlossenheit wollen wir durch die Einschaltung des entsprechenden Kapitels in die seitherige Ausgabe erzielen. Dieses Kapitel wird alles hier Angedeutete zusammenfassend aufrollen und gestalten. Natürlich bereichert durch eine Reihe der für die einzelnen Etappen bezeichnendsten Karikaturen der verschiedenen Länder, aber am meisten kommentiert durch Karikaturen deutschen Ursprungs.

So wird erst durch die Einschaltung dieses Kapitels das vorliegende Werk seinen wirklichen Abschluß erreichen. Denn an Bestialität und Borniertheit können spätere Geschichtsabschnitte vielleicht noch ein Mehr hinsichtlich der Zahl bringen, niemals aber eine Steigerung hinsichtlich der geistigen und seelischen Verrohung; diese hat zweifelsohne in Publikationen wie »Der Stürmer« ihren höchsten Gipfel erschritten.

Fuchs hatte sehr detaillierte Pläne für die Neuauflage: Der Umfang des Kapitels wird ca. 32– 40 Seiten betragen. Die Zahl der zu ergänzenden Karikaturen etwa 24–30 Stück; von diesen können einige in Farbe vorgeführt werden, und zwar sind dafür 2–4 Illustrationen aus dem jüngst erschienenen Kinderbuch von Elvira Bauer vorgesehen.

Damit bezog Fuchs sich auf einen besonders infamen Angriff der braunen Machthaber, mit dem schon Schulkinder auf die antisemitische Hetze eingestimmt werden sollten. Die 18jährige Kunststudentin Bauer hatte ihrem Propagandabilderbuch einen beziehungsreichen Titel gegeben: Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid!

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