KONKRET-Leser wissen es besser, und sie wissen es früher. In diesem Fall seit dem November 2010 und der Kolumne des Herausgebers, die mit den Sätzen begann: Die fünf Milliarden Euro, die der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs heute kosten soll, die zehn Milliarden, die er morgen kosten, und die zwanzig Milliarden, die er übermorgen gekostet haben wird, sind nicht perdu. Sie werden bloß aus öffentlichen Kassen in private Taschen fließen.
Zuerst war von »höchstens« 4,5 Milliarden die Rede. Im letzten Dezember teilte die Bahn mit, die Kosten stiegen um 1,1 auf 5,6 Milliarden Euro. Hinzu kämen Risiken von 1,2 Milliarden Euro. Jetzt hat der grüne Abgeordnete Anton Hofreiter Kosten zwischen 10,7 und 11,3 Milliarden Euro berechnet. Alles wissen aber auch KONKRET-Leser nicht, denn die Bauzeit dauert noch bis 2025, und bis dahin werden die zwanzig prognostizierten Milliarden nicht reichen.
Aus dem Reich der Bibliophilie: Der Filmgelehrte Christian Keßler, Autor des Buches Die läufige Leinwand, hat auf Facebook eine Minibesprechung von Wenzel Storchs Arno & Alice (konkret texte 59) gepostet: Ich möchte auf dieses schöne und nötige Buch hinweisen. Auf insgesamt 79 Zeichnungen schildert Wenzel Storch das Leben des Schriftstellers Arno Schmidt und seiner Frau Alice. Dabei wird nicht nur ein anheimelndes Bild privaten Glücks entworfen, sondern auch die Literaturszene Nachkriegsdeutschlands einer kritischen Revision unterzogen. Man kann dieses Buch praktisch nicht lesen, ohne einen persönlichen Gewinn daraus zu ziehen.
Vom 1. bis 3. März ist im »Kraniche« bei den Hamburger Elbbrücken (Brandshofer Deich 45) eine Ausstellung mit Originalen aus Storchs Büchern Arno & Alice und Das ist die Liebe der Prälaten (Ventil-Verlag; mit Texten aus KONKRET) zu sehen. Am 1. März liest der Autor daraus und zeigt Schmuddelbildchen und Meßdiener-Pinups . Am 2. März sind Filme und Making-ofs wie »Der Cumshot in den Beichtstuhl« und »Sitzfußball und Gruppensex« zu sehen. Eine weitere Lesung findet am 16. März um 21 Uhr im Luru-Kino in Leipzig statt. Originale aus Storchs Bildwerke sind beim Künstler auch käuflich zu erwerben. Kontakt: wenzelstorch@ gmx.de.
Saure Trauben in einer Besprechung von Gerhard Henschels Abenteuerroman in der »Süddeutschen Zeitung«: Dennoch ist es unerfreulich, wenn der Riesenaufwand an literarischer Rekonstruktion letztlich nur einem einzigen Zweck dient, nämlich der Karikatur. Ist es nicht ein bißchen trist, wenn die Grabung in der eigenen Vergangenheit nichts weiter zutage fördert als Peinliches, Drolliges und bestenfalls Amüsantes? Einmal heißt es bei Henschel: »›Leute, die, wenn sie mit Dom Perignon anstoßen, ‘Proust’ sagen‹, schrieb Hermann L. Gremliza dazu in KONKRET.« Ein guter Witz, natürlich. Und auch ein Moment der Wahrheit. Ein bißchen weniger Gremliza, ein bißchen mehr Proust, das würde dem großen Erinnerungsprojekt von Gerhard Henschel gut tun.
Kein guter Witz, natürlich, aber für eine Münchner Lokalzeitung gut genug.
In Denkwürdigkeiten. Aus meinem Leben 1941– 2011 erinnert sich Eckhard Henscheid: … jene Fama, welche mich mit Beginn des neuen Jahrhunderts gleichsam unversehens nicht allein zum mehr oder wenigen rechten und rechtsradikalen, sondern gleich auch noch zum »antisemitischen Autor« machte, sozusagen über Nacht und in einer Art synoptischen Synthese, geschmiedet von allerlei sehr Verblendeten; nämlich von mehreren KONKRET-Kommentatoren und nachplappernden Leserbriefen; zum Antisemiten oder zumindest zu einem in der Nähe dieses allseits verachteten Berufs.
Henscheid erinnert sich denkwürdig schlecht. Wie es wirklich war, stand im Juli 2002 an dieser Stelle: Im Februar 1999 hat ein langjähriger Autor der Redaktion mitgeteilt, daß in einem Blatt, das den »Obergauner Bubis« gegen Martin Walser verteidige, für ihn kein Platz sei. Der Herausgeber hatte geantwortet, er könne da leider nicht widersprechen. Drei Jahre später tritt der Autor an einem Ort vors Publikum, an dem ihm dergleichen nicht geschehen kann: beim Nazi-Blatt »Junge Freiheit«, wo er das »spezielle Judentabu« in Deutschland beklagt: »Wenn Möllemanns Aussagen tatsächlich schon einen Klimawechsel in Deutschland bewirken sollten, dann hat dieser Klimawechsel meinen Segen.« Es ist bitter. Und schade um Eckhard Henscheid.
Immer noch.
Die im letzten Heft angekündigte Diskussion mit Tuvia Tenenbom (Allein unter Deutschen) an der Berliner Volksbühne konnte nicht stattfinden, jedenfalls nicht mit Hermann L. Gremliza, der den Termin absagen mußte, weil die Veranstalter – ohne ihn darüber zu informieren – einen ihm ganz unbekannten »Zeit«-Schreiber mit aufs Podium gesetzt hatten. Nun wird nachgeholt: Am 7. März um 20 Uhr mit einer Lesung und Diskussion im Hamburger Golem, Große Elbstraße 14. Teilnehmer: Tenenbom, Gremliza und Iris Minich, die Passagen aus Allein unter Deutschen vortragen wird. Eintritt 5 Euro.
Ebenfalls im Golem (am 31. März um 20 Uhr, Eintritt 3 Euro) stellt Micha Brumlik sein Buch Innerlich beschnittene Juden – Zu Eduard Fuchs’ »Die Juden in der Karikatur« (konkret texte 58) vor. Einleitung: Gremliza.